Das ganz leere Schloss
Wenn einen Grund gibt, den Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses abzulehnen, dann ist es der Siegerentwurf des Realisierungswettbewerbs. Diesen Wettbewerb hat der Architekt Francesco Stella deswegen gewonnen, weil er die Vorgaben des Bundestags am besten umgesetzt hat. Und so wird das 552 Millionen Euro teure Schloss nachher fast nur aus Fassade und Innenhöfen bestehen. Kein Architekt würde solch ein Museum oder solch einen Ort der Begegnung planen. Wer als Bürger diesen und etlichen weiteren damit verbundenen Unsinn ablehnt, kann dies beispielsweise auf der Seite www.kein-schloss-in-meinem-namen.de zum Ausdruck bringen.
Gefordert wäre natürlich der Bundestag. Am besten sollten alle Abgeordneten während der nächsten Sitzungswoche in den ersten Stock des Kronprinzenpalais gehen und sich selbst davon überzeugen, was sie mit ihrem Beschluss vom Juli 2002 letztlich angerichtet haben. Und ihn revidieren. Dabei müssen sie vermutlich nicht einmal befürchten, dass der Hausgeist der Schlosses wieder einzieht, den man noch zu Zeiten Tucholskys kannte:
Das leere Schloß
Seit Kaiser Wilhelm der Zweite das berliner Schloß seiner Väter verlassen hat, steht es leer. Keiner ist für die Dauer dort eingezogen – seitdem Ende 1918 und Anfang 1919 einige Spektakelstücke darin aufgeführt worden sind, steht es ganz leer. Die Regierung wohnt in der Wilhelmstraße.
Man sagt, dieses alte Schloß habe einen Hausgeist, eine im Nachtwind lohende weiße Frau. Es kann sich somit glücklicher schätzen als das Geschlecht der neuen Hohenzollern, die gänzlich ungeistig waren, und ich denke, daß die Zeit gekommen ist, wo auch wir an diesen Geist glauben dürfen. Das Schloß ist nicht leer.
Das berliner Schloß kann von der Regierung deshalb nicht bezogen werden, weil der alte monarchistische Geist darin wohnt, und weil diese Regierung Angst vor ihm hat. Nachts weht der Geist durch die öden Korridore. Und tagsüber? Tagsüber regiert er. […]
Durchs berliner Schloß aber der Kaiserlichen Republik Deutschland weht die weiße Frau. Sie klopft an die Türen, sie loht durch die Korridore, sie gleitet an den Fenstern vorüber. Wenn ihr hübsch leise seid, könnt ihr sie kichern hören.
Das Schloß ist ansonsten leer. Die Regierung traut sich nicht recht, die Krongüter anzutasten, gibt damit die Superiorität des atlantischen Admirals zu und wohnt in der Wilhelmstraße. Da regiert sie.
Beherrscht aber werden wir von jemand anders: von einer weißen Frau im leeren Schloß.
Ignaz Wrobel: »Das leere Schloß«, in: Die Weltbühne, 19.2.1920, S. 240
Im Humboldt-Forum wird vermutlich gar kein Geist mehr hausen wollen.
Nachtrag: In der New York Times vom 1. Januar 2009 erschien eine vernichtende Kritik des Bauvorhabens unter dem Titel »Rebuilding a Palace May Become a Grand Blunder «. Die Berliner Zeitung forderte am 2. Januar 2009 in einem Kommentar, die Ausstellung der Entwürfe zu verlängern, um eine weitere Debatte zu ermöglichen.
Vielleicht könnte der „Geist der Vertreibung“ oder andere üble Witze oder Witzigkeiten dort einziehen:
Das gibt es alles schon im Gooooooooogle:
Die Vertreibung aus dem Paradies – Wie vertreibt man Gespenster? – Wie vertreibt man aus einenm nicht-existenten Stadtchloss eine „Weiße Frau“? – Wie vertreibt man am … Witz (… Langeweile, Pointen, Sinn und Verstand, den Erzähler…?) – : 50 Thesen zur Vertreibung – Schnaps am Morgen vertreibt Kummer und Sorgen … – oder (immer noch aktuell) Wie vertreibt man Tucholsky aus dem Museum im Rheinsberger Schloss (… oder überhaupt aus Deutschland)? – …
Aber folgende Neuworte – zielend auf „Vertreibung“ fehlen noch:
Vertreibungswitz – Vertreibungswitzchen – Witze über Vertreibung – Vertriebenen-Witze – vertriebene Witze – vertreibende Witze?
Von Frau Prof. Dr. Martina Kessel kann ich – am 10. Dez. 2008 in der FAZ – lesen:
„Deshalb suche ich Menschen, die sich an Witze aus der NS-Zeit oder der unmittelbaren Nachkriegszeit erinnern, beispielsweise zum Problem der Vertreibung.“
Das ist neuempirische Kulturforschung: Lachen über Hitler, über die Vertreibung und och mehr, was wir heute noch nicht wissen?
Einleitung und Überschrift klingen noch solide:
„Lachen über Hitler
Eine Suchanfrage: Wer kennt Witze aus der NS-Zeit?“
http://www.faz.net/p/Rub013457531D514A289550C982F21BCDBF/Dx1~Ec9e009a9ce6f08c3d6211b7e5e3d70ae~ATpl~Ecommon~Scontent.html
Und so endet’s, sprichwörtlich final-fidel:
„In einem Buch möchte ich die verschiedenen Bedeutungen von „Deutschem Humor in der Epoche der Weltkriege“ ausloten. Deshalb suche ich Menschen, die sich an Witze aus der NS-Zeit oder der unmittelbaren Nachkriegszeit erinnern, beispielsweise zum Problem der Vertreibung.
Zuschriften bitte an: Prof. Dr. Martina Kessel, Fakultät für Geschichtswissenschaften, Universität Bielefeld, Postfach 10 01 31, 33501 Bielefeld, oder per E-Mail:
martina.kessel@uni-bielefeld.de.
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Ich habe an Frau Profi Kessel e-gefunkt:
Bei der Vertreibung aus Allenstein.
Ein deutscher Junge droht verloren zu gehen. Er hat sich zu weit von seiner Familie entfernt und findet nicht mehr zurück. Er wird von polnischen Umherziehenden angegriffen.
In seiner Verzweiflung rennt er weg, ins Unwegsame; stürzt irgendwann und sieht ein Rudel Löwen um sich geschart. Ehe er in Ohnmacht fällt, spricht er ein Stoßgebet, das er bei Karl May (in „Kara Ben Nemsis Kampf und Sieg“) oder Adolf Hitler (in „Mein Kampf“) gelesen hat: „Lieber Gott und Heiland, mach diese polnischen Bestien zu frommen Christen!“
Als der gläubige Junge sein Bewusstsein wiedererlangt, haben die Löwen einen Halbkreis um ihn gebildet, legen die Pfoten zurück und beten: „Komm, lieber Heiland, sei unser Gast und segne, was du uns beschert hast…“
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Morgen werde ich Frau „Profi-Vertreibungswitz“ einen weiteren solcherart, gewünschten über-mailen.
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Kommentar by Antonius Stephan Reyntjes — 10.12.2008 @ 9:05