Mondkalb Adof
Um heutzutage einen kleinen Aufschrei auszulösen, reicht es noch immer, irgendjemanden mit Hitler oder Goebbels zu vergleichen. Das passierte neulich auch Altkanzler Helmut Schmidt, als er in einem Interview mit der Bild am Sonntag die Redekünste Oskar Lafontaines mit denen von »Adolf Nazi« gleichsetzte.
Der Berliner Tagesspiegel näherte sich dem Vergleich nun von der geschichtlichen Seite und fragte den Historiker und Journalisten Rudolf Rietzler:
Woher stammt dann die Bezeichnung »Adolf Nazi«?
Der Name stammt wohl aus den mit harten Bandagen geführten politischen Auseinandersetzungen in der Weimarer Republik. Tucholsky hat schon 1922 von den »Nazis« geschrieben. Es gab die »Sozis« (Sozialdemokraten), es gab die »Kozis« (Kommunisten) und es gab die von den Linken gehassten »Nazis«.
Diese Antwort ist in mehrfacher Hinsicht verwirrend. Zum einen müsste ein Historiker doch in der Lage sein, die Verwendung des Begriffs »Adolf Nazi« in der Weimarer Republik zu belegen. Zum anderen meinte Tucholsky, als er im Juni 1922 einen Text mit dem Titel »Die ›Nazis‹« veröffentlichte, damit mitnichten die Nationalsozialisten, von denen er zu diesem Zeitpunkt vielleicht noch nie etwas gehört hatte. Mit »Nazis« bezeichnet man damals abfällig die Deutsch-Österreicher und Deutsch-Böhmen, was aus dem Text auch eindeutig hervorgeht.
Mach keine Kulleraugen, Leser. Wir wollen uns schnell darüber einigen, daß ich mit den »Nazis« jene gewisse Gattung des österreichischen, mährischen und speziell wienerischen Künstlervölkchens meine, die anfängt, obgemeldetes Berlin auf das Heftigste zu verpesten. Wir wollen das aber gar nicht mehr.
Der Begriff »Nazi« leitete sich offenbar vom Kosenamen für Ignaz ab. Auch in seinem satirischen »Requiem« von 1923 erwähnte Tucholsky an seinem Grab »eine Abordnung von Nazis, die der Tote so geschätzt hatte …«. Drei Jahre später, im Juni 1926, tauchte der Begriff ein weiteres Mal in der ursprünglichen Bedeutung auf. Tucholsky schrieb in einer Besprechung des Schwejk:
Könnte der deutsch-nationale Student lesen und läse er dieses Buch, so wäre er schnell bei der Hand, etwa zu sagen: »Solch einen Feldkuraten hats sicherlich nicht einmal bei den Nazis gegeben.«
Vier Jahre später, nach den ersten größeren Wahlerfolgen der NSDAP, hatte sich die Bedeutung des Begriffes dagegen gewandelt:
Die tiefe Blutsverwandtschaft zwischen diesen Richtern und allem, was Militär heißt, ist evident; man hat das ja wieder aus den letzten Prozessen gegen die Nazis gesehen.
Womit Tucholsky im Februar 1930 auf den Prozess von Schweidnitz anspielte, in dem Nationalsozialisten trotz Anzettelung einer schweren Schlägerei meist freigesprochen worden waren.
Wenn sich Tucholsky später über Hitler lustig machte, hat er ihn nie »Adolf Nazi« genannt. Nach der »Machtübergreifung« (Tucholsky) verspottete er ihn als »Adof (dem wir das L nun endgültig wegnehmen wollen, wir brauchen es ja für Eckner, Hei Adof!)«. Anders als Schmidt schätzte er Hitler auch nicht als »charismatischen Redner« ein. Nachdem er ihn zum ersten Mal im Radio gehört hatte, schrieb er:
Die Stimme ist nicht gar so unsympathisch wie man denken sollte – sie riecht nur etwas nach Hosenboden, nach Mann, unappetitlich, aber sonst gehts. Manchmal überbrüllt er sich, dann kotzt er. Aber sonst: nichts, nichts, nichts. Keine Spannung, keine Höhepunkte, er packt mich nicht, ich bin doch schließlich viel zu sehr Artist, um nicht noch selbst in solchem Burschen das Künstlerische zu bewundern, wenn es da wäre. Nichts. Kein Humor, keine Wärme, kein Feuer, – nichts. Er sagt auch nichts als die dümmsten Banalitäten, Konklusionen, die gar keine sind – nichts. Ceterum censeo: ich habe damit nichts zu tun.
In der Weltbühne gab man sich ebenfalls Mühe, für den Hitler kreativere Namen als »Adolf Nazi« zu finden:
»Sadistischer Oberkonfusionsrat«, »deutscher Duce«, »Wechselbalg des Teufels«, »halbverrückter Schlawiner«, »Narr in Folio«, »übergeklappter leopoldstädter Heringsbändiger«, »alberner Poltron«, »großformatiger Dummkopf« und »pathetisches Mondkalb« lauteten die Bezeichnungen.
Aus Teutschland Deutschland machen. Ein politisches Lesebuch zur Weltbühne, S. 444
Zum Glück gab es bis dato in der Geschichte noch niemanden, mit dem man Hitler hätte vergleichen können.
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