Brief an Marierose Fuchs (27.12.1930)
An Marierose Fuchs
Post: Weltbühne
27.12.1930
– – – in Etappen geschrieben.
Verehrte,
ich wünsche Ihnen ein frohes Fest und danke Ihnen ganz besonders herzlich für das Buch! Ich bin ein etwas überarbeiteter Mann und schicke meine Büchergabe verspätet – aber nicht minder herzlich! So ist das.
In Ihren Briefen standen einige sehr hübsche Dinge – die will ich denn auch beantworten:
Das Buch also werde ich fleißig lesen … und dann darüber Ihnen schreiben. / Sonnenschein-Artikel kommt nächstens, dann noch einer über dogmatisches Denken, gezeigt an einem Beispiel … und dann ists glaub ich für eine Weile genug. Daß ich diese Artikel schrieb, daran sind zum Teil Sie die Veranlasserin; daß ich nicht mehr schreibe: das liegt an meiner Lektüre der katholischen Zeitschriften, von denen ich so allerhand bekomme. Donnerschlag. Nein, das geht übers Bohnenlied.
Ich spreche nicht vom rein Katholischen; Sie sehen ja immer wieder, wie sehr ich mich hüte, mich über das Glaubenserlebnis lustig zu machen oder es rational zu kritisieren. Ich habe da nichts zu suchen. Aber was diese braven Katholiken da so alles von sich geben …! Das lohnt wohl doch nicht, sich damit zu befassen. Ein Beispiel: in fast allen katholischen Zeitschriften wird die Psychoanalyse bedeutend dümmer beurteilt, als es der ödeste Freidenker mit dem Dogma tun kann. Es ist beispiellos. Daß die Leute nichts davon verstehen; daß sie nichts gelesen haben; daß sie keinen Schimmer, auch nicht den blassenesten Schimmer von Freud haben … das geht doch nicht. Und dann geht das los: sittenlos pp. Als ob Freud nicht ein Exponent dieser Zeit wäre – er hat sie doch nicht gemacht! Außerdem habe ich ihn jetzt wieder gelesen, mir hat einer seine Werke geschenkt. Da ist zum Beispiel eine Stelle, wo er beschreibt, wie sich die Patientin regelmäßig in den behandelnden Arzt zu verlieben pflegt – das ist gradezu eine Station auf dem Wege der Heilung. Bon. Wie er das nun behandelt: mit einer Sauberkeit, einer Größe, einer Reinheit – das ist musterhaft. Diesen Mann unrein zu schelten –: das können nur Banausen. Seine Schüler freilich haben viel Unheil angerichtet. Jedenfalls steigt aus diesen Blättern und Blättchen ein solches Unmaß von Unbildung auf … nein, das möchte ich nicht.
Sie schreiben an einer Stelle Ihrer Briefe etwas Entscheidendes: «Das geht doch aber alle an.» Nein, Verehrte, das geht nun eben nicht alle an. Ihr müßt euch schon daran gewöhnen, daß es sehr vergnügte Heiden gibt – die geht das gar nichts an. Feuerländer sind keine Widerlegung gegen die französische Grammatik – sie beweisen aber, daß es auch ohne diese Grammatik geht. Ich lehne ja eben diese Zwangskategorien ab, die der Katholicismus da errichtet, und Hiller hatte völlig recht, als ers auch tat. Für uns eben nicht. Ich brauche es nicht; Millionen brauchen es nicht. Es ist eine Dreistigkeit sondergleichen, es ihnen aufdrängen zu wollen. (Mit staatlicher Gewalt nämlich – durch die Kindererziehung.) In mir ist nichts, was erlöst werden muß; ich fühle diese culpa nicht, vielleicht eine andere – enfin, ich erhebe mich ja auch über keinen Katholiken, indem ich ihn bedaure oder beschimpfe – ich sage nur: ich nicht. Es geht mich gar nichts an. Nichts.
Ich mußte das mal ganz klipp und klar heraussagen, damit es keine Mißverständnisse gibt. Und mit Ihnen hat das mittelbar nichts zu tun; was Sie mir schreiben, lese ich immer gern, auch da und grade da, wo ich anderer Meinung bin.
Was hingegen die Literatur angeht: Übern Glaesern sind wir sehr einig. Schamlos … das habe ich eigentlich nicht empfunden. Aber überflüssig. Sie haben völlig recht: damit ist ja nichts ausgesagt, wenn man einen Menschen bei Verrichtungen schildert, die er mit den Tieren teilt. Das kann etwas Großes sein – aber das kann der Herr Glaeser nicht. Dann sollte mans lassen. Ich hatte damals schon in der Maschine, zu sagen: «Wir lesen in allen modernen Büchern: wo, mit wem, wann und in welcher Weise – wenn ichs noch ein paar Mal lese, dann kann ichs auch.» Was nicht hindert, daß ich dergleichen wohl auch mal schreibe – aber mich reizt bei diesen sehr seltnen Malen immer die artistische Schwierigkeit, es dennoch zu sagen, obgleich es so schwer ist. Das empfinden diese Kerle alle nicht. Sie schmieren das so hin. Dann lieber Pornographie.
Was Ihre Arbeiten angeht, so wissen Sie wirklich nicht, wo Ihre Kraft sitzt. Das ist ein Malheur … diese Germania. Zum Beispiel ist die kleine Kritik des Vortragsabends der Wellshereim, wenn sie richtig ist, bezaubernd – haben Sie Fontanes ‹Plauderein über Theater› gelesen? Das tun Sie nur. Es ist ein richtiges kleines Pastell, das Sie da gemacht haben, und Sie sind überhaupt am besten, wenn Sie leicht ironisch ablehnen; dann haben Sie, was bei Frauen sehr, sehr selten ist, Humor. Das sollten Sie ausbilden. Diese wäiche Lyrik hingegen … werfen Sie nur ja die Schaumann ins Feuer. Es ist ja schrecklich. Nicht etwa, weil sie fromm ist – sondern wie sies ist, und vor allem, wie sie dem Ausdruck gibt. Das ist, um …! Ja.
Meine Tante scheint ja da ganz freundliche Bilder über mich zu verbreiten. Wahr ist vielmehr …
Thrasolt – hm. Der ist in der Sonnenschein-Besprechung, die Sie lesen werden, nicht gut weggekommen. Er ist doch sehr ein kleiner Mann. Ehrlich, sauber, tapfer – aber ein kleiner Mann. Und nochmals und nochmals: die fast schmerzliche Enttäuschung, die ich auch immer bei den Kommunisten finde, wenn sich mal einer mit was anderm beschäftigt, die ist ganz und gar katholisch: Es geht aber wirklich auch ohne euch – es geht sogar sehr gut. Und man muß eben nicht bei jeder Sache fragen: wie stellt sich der Katholicismus dazu? Es ist für uns gleichgültig, wie er sich dazu stellt – es gibt andere Werturteile, andere Himmel, andre Kategorien.
Selbstverständlich werde ich keine einzige Angabe über Thrasolt verwerten. Apropos verwerten: ich hatte aus Ihrem Brief in der Tat nur dem Sinne nach zitiert. Aber Sie schreiben doch nicht druckfertig, Gottseidank – und so, wie es da stand, hätte es wie Ironie ausgesehen, als wollte ich mich über Sie lustig machen. Sie hatten das aber in klarster Ehrlichkeit so hingeschrieben – deshalb habe ich geändert. Nichts für ungut. Wird nicht mehr vorkommen.
Haecker habe ich grade vor. Ich kenne ihn seit langem und schätze ihn sehr hoch ein. Ja, das ist einer. Verve, Stil, Können, Wissen … ich verstehe ihn nicht ganz, dazu langt meine philosophische Bildung nicht. Aber ich merke: holla he – da ist was. Ich belerne mich da sehr an. Ein großer Schriftsteller.
Ich seh eben in Ihrem Brief … Ja, die Tante Berta ist manchmal so streng. Mit mir auch – aber ich lache dann heiter, und dann geht es vorbei.
Fahsels Biographie habe ich hier. Also, das ist beispiellos. Auch hier werde ich nichts von dem verwerten, was Sie mir geschrieben haben. Ich weiß nicht einmal, ob ich überhaupt schreiben werde. Man soll diesem Clown nicht noch mehr Reklame machen. Die Biographie ist scheußlich; ich zöge mich da vielleicht auch nicht ohne bürgerliche Beleidigungen aus der Affaire. Hat dieses hysterische Weib mit dem Mann ein Verhältnis? Das besagte ja nichts; aber es ist alles so schwül, so widerlich – sehn Sie: das ist unsittlich, in der Atmosphäre, auch, wenn da gar nichts vorgeht. Ein dummes Buch.
Anbei eine Bilderanlage. Die Bücher kenne ich nicht. Ich kenne nur ein paar italienische Publikationen, wo sich die Kirche den geschmackvollen Scherz leistet, mit dem Imprimatur, zwei kleine Mädchen, die Opfer eines Sittlichkeitsattentats geworden waren, als «Heilige» aufzublasen. Es war grauenhaft. Dies macht ja nun auch keinen sehr schönen Eindruck. Was um alles in der Welt können denn diese Göhren schon «Heiliges» an sich haben! (Ich weiß, daß in allen diesen Fällen nicht «heiliggesprochen» wird – aber es genügt auch so.)
Sie schreiben über die Katholiken und den Film. Glaubt ihr wirklich, man könne das «machen»? Das muß doch wachsen. Na, und daß es nicht gewachsen ist – das muß doch einen Grund haben. Es hat auch einen. Da muß sich also wohl nichts bewegen – wie wäre sonst eine solche Stumpfheit, ein solches Versagen in künstlerischen Dingen möglich? Nun, das ist nicht meine Sache.
Ja, das wäre so einiges. Ich komme vorläufig nicht nach Deutschland – mir tut das leid, denn ich hätte mich gern mal mit Ihnen in Ruhe unterhalten. Ohne Telephon und ohne «Herr Meier läßt fragen …» Ich sitze aber noch in der Stille und bebrüte ein kleines Ei. Das ist bald da, und wenn der Vogel heraus ist, dann, im Frühjahr, werde ich anfangen, zu reisen. Und dann komme ich vielleicht, wenn Ihr noch Republik seid, nach Berlin. Es sind eigentlich 2 Eier – denn ich mache noch einen Auswahlband für nächstes Jahr. Und das ist eine gar erschröckliche Arbeit.
So ist das. Im übrigen lese ich viel alte Klassiker, und vom Tageskram so wenig wie nur möglich. Man wird nur dumm davon. Ein lustiges Land – – Und die Haltung der Kirche wieder sehr, sehr zweideutig. Darüber steht auch bei Haecker einiges; mir nicht scharf genug. Wenn Rom mit den weltlichen Gewalten zusammenstößt, dann geht das zu wie in einer Judenschule. Wobei übrigens die Katholiken meist obsiegen – sie sind so weltabgewandt, daß sie vor lauter Frömmigkeit besser handeln als die andern. Mäinst näin?
Womit ich mich verabschiede und Ihnen ein gutes Fest im nachhinein wünsche und ein gutes neues Jahr!
Wie stets
Ihr alter
Tucholsky.
Dreh rum
Etwas habe ich doch noch vergessen.
Ist das vielleicht eine Lösung, unter diesen ökonomischen Umständen für junge Mädchen, die heiraten wollen, es aber nicht können, die Ehelosigkeit oder den Verzicht zu fordern? Das mag sehr heldenhaft sein – obs aber geistig und körperlich gesund ist, das steht auf einem andern Blatt. Was mögen sich da viele quälen! Und wozu eigentlich? Ja, ich bin so flach und rational und liberal und freidenkerisch und bolschewistisch, «wozu» zu fragen. Alle, aber auch alle Beobachter aus Rußland schreiben, es fiele ihnen auf, einen wie geringen Raum die Sexualität im öffentlichen Leben dort einnähme. Ganz klar, warum. Die Leute haben es nicht nötig. Und das ist schon viel. Leute, die den ganzen Tag vom Trinken reden, sind entweder durstig oder krank. Beides sollte man nicht als Ideal hinstellen.
[…] "Dem Satiriker gab ein Gott zu sagen, was sie treiben" Nachdem der erste Rauch brennender Botschaften sich verzogen hat und viele Positionen im Streit um die Mohammed-Karikaturen ausgetauscht wurden, sollte sich einmal Zeit genommen werden, Tucholskys Satireverständnis und -praxis genauer zu betrachten. Dass die Satire "alles" dürfe, ist in jüngster wohl häufig genug wiedergekäut worden. In zahlreichen Artikeln und Briefen hat sich Tucholsky aber sehr differenziert mit der Satire, ihren Grenzen und ihren Kritikern auseinandergesetzt. Vor allem die "Briefe an eine Katholikin" geben Auskunft über Tucholskys Verhältnis zur Religion im politischen Kampf. Grenzen der Satire In dem vielzitierten Text "Was darf die Satire?" wird Anfangsfrage erst ganz zum Schluss mit einem kategorischen "Alles" beantwortet. Ganz zum Schluss deshalb, weil Tucholsky zunächst definiert, was er unter einer angemessenen Satire zu verstehen glaubt. Dazu zählen für ihn Angriffe, die die Wahrheit aufblasen, damit sie umso deutlicher hervortritt. Die die Welt gut haben wollen und gegen das Schlechte anrennen. Die boshaft sein können, wenn sie nur ehrlich sind. In diesem Sinne darf die Satire "alles", – auch Kollektivitäten angreifen, wenn nicht jeder in dem Kollektiv den Angriff verdient hat. Gemessen an diesen Forderungen sind die zwölf Mohammed-Karikaturen wenig satirisch. Wo sie wahr sind, sind sie harmlos, wo sie boshaft sein wollen, nicht wahr. Da sie aus dem einzigen Grund gezeichnet wurden, um zu provozieren, spricht schon ihre Intention gegen ihre Qualität. Aus diesem Grund ist die durch die Karikaturen angeregte Diskussion über die Grenzen der Satire ein Versuch am untauglichen Objekt. Weniger bekannt als der berühmte Satire-Text ist eine Analyse aus dem Jahre 1912, in der Tucholsky sich über "Die moderne politische Satire in der Literatur" ausbreitet. Darin heißt es lapidar: "Der Satiriker darf keine, aber auch gar keine Autorität anerkennen." Der gesamte Abschnitt, in den dieser Satz eingebettet ist, ist ebenfalls sehr aufschlussreich: Aus diesen klaren und richtigen Worten folgt zweierlei: erstens, daß man verstanden haben muß, bevor man karikiert, daß man überhaupt nur das satirisch behandeln kann, was man in seinem tiefsten Kern begriffen hat, und zweitens, daß notwendigerweise die rechtsstehenden Parteien keine gute Satire haben können, weil das restlose Kapieren der Dinge Objektivität und oft genug Respektlosigkeit erfordert. Der Satiriker darf keine, aber auch gar keine Autorität anerkennen. Das widerstrebt den Priestern der Autorität und den Halben, Lauen, und niemals werden sie eine künstlerisch gute Satire hervorbringen können (…) Ähnlich äußerte sich auch Titanic-Mitbegründer Robert Gernhardt in der jüngsten Debatte, als er in einem Interview erklärte: "Eine einzige Grenze [der Satire] gibt es da, wo ich mich nicht auskenne." Tucholskys Aussagen zu politischen Satiren lassen sich aber nicht uneingeschränkt auf religiöse Fragen übertragen, wie die im Folgenden zitierten Passagen zeigen. Satire und Religion In der Karikaturen-Debatte wurde häufig die Frage aufgeworfen, ob Satire nicht stärker Rücksicht auf religiöse Gefühle nehmen müsse. Auch diese Frage lässt sich mit Bezug auf Tucholsky nicht mit einem pauschalen Ja oder Nein beantworten. Für Tucholsky hatten die christlichen Kirchen durch ihr Verhalten im Ersten Weltkrieg zu viel von ihrer Glaubwürdigkeit verloren, um sich von Staats wegen weiter vor Kritik schützen zu lassen. Er griff sie daher scharf an, wenn sie seiner Meinung nach aus dogmatischen Überzeugungen die weltliche Not der Gläubigen nicht zu lindern halfen, sondern sie durch strikte Forderungen noch vergrößerten. Dies galt in Fragen der Sexualmoral und der allgemeinen Lebensführung. Tucholskys Vorteil bestand natürlich darin, dass er mit der Amtskirche oder der katholischen Zentrumspartei eine deutliche Zielscheibe für seine Kritik besaß. Ihm ging es jedoch nicht darum, das Christentum oder religiöse Überzeugungen im allgemeinen verächtlich zu machen. Dies geht auch aus der Feststellung hervor: "Die Satire hat eine Grenze nach oben: Buddha entzieht sich ihr." Tucholsky beklagte sich aber darüber, dass von katholischer Seite diese Selbstbeschränkung nicht ausreichend wahrgenommen wurde. So wehrte er sich gegen entsprechende Vorwürfe, die ihm im Zentrumsblatt Germania von der Journalistin Marierose Fuchs gemacht wurden. Seine Entgegnung lautete: Ist nicht überall sauber unterschieden zwischen der Kirche als Hort des Glaubens, über den ich mich niemals lustig gemacht habe – und der Kirche als politische Institution im Staat? Brief an Marierose Fuchs vom 14.8.1929 Scharf attackierte er aber die Position des Zentrums, sich im politischen Kampf auf religiöse Überzeugungen zurückziehen zu wollen: Also darf man sich nicht auf das "Heilige", auf das "religiöse Empfinden" zurückziehen, wenns einem grade paßt. Das ist nicht ehrlich. Brief an Marierose Fuchs vom 17.12.1929 Und weiter: In dem Augenblick aber, wo die Kirche sich erdreistet, uns andern ihre Sittenanschauungen aufzwingen zu wollen – unter gleichzeitiger Beschimpfung der Andersdenkenden als "Sünder" – in dem Augenblick halte ich jede politische Waffe für erlaubt – auch den Hohn, grade den Hohn. Und zwar nicht den dummen, abgestandenen gegen die Pfarrersköchin – grade den lehne ich aus tiefstem Herzen ab. Ebenso verwahrte er sich gegen den überkommenen Anspruch der Religionen, die Gesellschaft vor einer Verwahrlosung der Sitten zu schützen: Es gibt kein religiöses Monopol der Ethik, Millionen von anständigen und sittlich gefestigten Menschen schmähen die Kirche nicht, leben aber bewußt und ganz und gar an ihren Lehren vorbei, und sie tun recht daran. Es ist unrichtig, daß der, der die Lehren der Kirche überwunden hat, ein sittlich minderwertiges Individuum ist. In: "Auch eine Urteilsbegründung" An zahlreichen Stellen betonte er aber, sich aus rein religiösen Fragen herauszuhalten: Wenn ernste und große katholische Männer über ihre Religion sprechen und nur über diese, so schweige ich. Brief an Marierose Fuchs vom 28.7.1930 Was Tucholsky jedoch nicht als Freibrief für theologische Spekulationen galt, wonach letztlich doch jeder Mensch eine verborgene religiöse Ader besäße: Ihr müßt euch schon daran gewöhnen, daß es sehr vergnügte Heiden gibt – die geht das gar nichts an. Feuerländer sind keine Widerlegung gegen die französische Grammatik – sie beweisen aber, daß es auch ohne diese Grammatik geht. Brief an Marierose Fuchs vom 27.12.1930 Satire und ihre Kritiker Schon der Text "Was darf die Satire?" war ein einziger Appell an die politischen Kontrahenten, satirische Angriffe nicht bierernst, sondern mit einem gewissen Humor zu nehmen. Wir sollten nicht so kleinlich sein. (…) Das ist kein rechter Mann und kein rechter Stand, der nicht einen ordentlichen Puff vertragen kann. Er mag sich mit denselben Mitteln dagegen wehren, er mag widerschlagen – aber er wende nicht verletzt, empört, gekränkt das Haupt. Diese Appelle verhallten im politisch aufgeheizten Klima der Weimarer Republik ungehört. Tucholsky selbst musste Anfang der zwanziger Jahre damit rechnen, als Jude und politisch links stehender Journalist ebenso wie Maximilian Harden das Opfer eines Attentats zu werden. Allerdings lässt sich nicht belegen, inwieweit dieses Bedrohungsgefühl sein Schreiben beeinflusste. Der Wechsel nach Paris wurde jedoch von der aggressiven, ihm unangenehmen Stimmung in der deutschen Gesellschaft und Politik mitbestimmt. Als Rechtfertigung für diese Flucht könnte der Artikel "Wie mache ich mich unbeliebt" vom Oktober 1924 dienen: Wenn man ganz sichergehen will, gleich eine ganze Kompanie auf Jahre hinaus zu verärgern, dann braucht man nur Witze über einen Stand zu reißen. Man tue es – gehe aber unmittelbar nach Begehung des Delikts außer Landes. (…) Wenn du aber auf alle Grafen, auf die Postschaffner und auf den Kaufmannsstand etwas sagst – und nun gar etwas Lustiges –: dann verteile die Güter dieser Erde – Anzüge, Blumentöpfe und Zeitschriftenabonnements – an deine Kinder; ordne deine Schulden – Miete, Effekten und Zeitschriftenabonnements – und entwetze. Dein Leben ist verwirkt. Beinahe verzweifelt wirkt der Appell, mit dem er den Artikel beschließt: Dem Satiriker gab ein Gott zu sagen, was sie treiben. Man kann ja nun nicht gerade verlangen, daß der Großpapa, dem der Enkel einen kleinen Flitzbogenpfeil in die hintere, untere Schlafrockseite bohrt, dem guten Kind auch noch einen Bonbon gibt. Aber nicht gleich aufspringen und mit harten Gegenständen werfen. Die Würde muß es sich gefallen lassen, daß sie manchmal am Bart gezupft wird. (Auch Bartlose haben einen Bart, mitunter.) Denn die moderne Sorte Humorist muß heute noch mit einem Schutzpanzer umhergehen: Gute Leute! Nicht schießen! Anfang 1932, als die Machtbeteiligung der Nationalsozialisten nur noch eine Frage der Zeit zu sein schien, stellten die Weltbühne-Herausgeber Tucholsky und Carl von Ossietzky jedoch Überlegungen an, bestimmte Artikel aus Furcht vor Übergriffen nicht zu drucken. Zwar hatte Tucholsky noch im März 1932 geschrieben: Satire hat auch eine Grenze nach unten. In Deutschland etwa die herrschenden faschistischen Mächte. Es lohnt nicht – so tief kann man nicht schießen. Gleichzeitig verfasste er aber den satirischen Schulaufsatz "Hitler und Goethe", in dem er die Rhetorik der Nazi-Bewegung verspottete. Jedoch warnte er Ossietzky davor, diesen Artikel bei einem möglichen Erfolg Adolf Hitlers bei der Wahl zum Reichspräsidenten abzudrucken: Mein Aufsatz über Hitler. Ich habe mich nicht klar ausgedrückt. "Stichwahl" gibts ja gar nicht. Ich schlage also vor, daß ich nach der zweiten Wahl schreibe – wenn er geschlagen wird. Man kann, wenn der morgige Tag besondere Überraschungen bringt, vielleicht zwischen den beiden Wahlen schreiben – aber das ist so unsicher … ich mag nicht gegen Hitler das gröbste Geschütz auffahren, dann wird er gewählt, ich bin nicht da … aber Sie sind da. Brief an Carl von Ossietzky, 12.3.1932 Der Artikel erschien schließlich am 17. Mai 1932. Tucholsky hielt sich damals in Schweden auf, Ossietzky war hinter preußischen Gefängnismauern sicher verwahrt. Resümee Aus den zitierten Text- und Briefstellen geht hervor, dass Tucholskys Position in Sachen Satire nicht auf die Position "sie darf alles" reduziert werden sollte. Vor allen in religiösen Fragen unterschied er klar zwischen den geistigen Inhalten und den daraus entspringenden gesellschaftlichen Ansprüchen. Dass diese Trennung den religiösen Vertretern selbst schwerer fällt, liegt in der Natur der religiösen Überzeugungen. Die Positionen Tucholskys lassen sich zum Teil uneingeschränkt auf die heutigen Verhältnisse übertragen. Zum anderen lässt sich die von ihm gepflegte Trennung zwischen Glaubensinhalten und Politik teilweise nur schwer aufrechterhalten. Dies zeigt sich beispielsweise an der Debatte über die Evolutionstheorie in den USA. Ein Anhänger des Schöpfungsglauben kann sich nicht darauf berufen, dass die Lehren Charles Darwins seine religiösen Gefühle verletzten und dadurch verboten werden müssten. Ein Beispiel für eine gelungene religiöse Satire ist in diesem Sinne die Persiflage der amerikanischen Satire-Zeitung The Onion auf die Vertreter des "intelligenten Designs": "Evangelikale Wissenschaftler ersetzen Schwerkraft durch neue Theorie des "Intelligenten Fallens". Von den Onion-Redakteuren ist bislang nicht bekannt geworden, dass sie außer Landes gegangen sind. Aber um es noch einmal zu wiederholen: "Gute Leute! Nicht schießen!" […]
Pingback by Sudelblog.de - Das Weblog zu Kurt Tucholsky » "Dem Satiriker gab ein Gott zu sagen, was sie treiben" — 15.2.2006 @ 15:32
[…] Brief an Marierose Fuchs (27.12.1930) […]
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