Brief an Marierose Fuchs (27.12.1930)

An Marierose Fuchs

Post: Weltbühne

27.12.1930
– – – in Etappen geschrieben.

Verehrte,
ich wünsche Ihnen ein frohes Fest und danke Ihnen ganz besonders herzlich für das Buch! Ich bin ein etwas überarbeiteter Mann und schicke meine Büchergabe verspätet – aber nicht minder herzlich! So ist das.

In Ihren Briefen standen einige sehr hübsche Dinge – die will ich denn auch beantworten:
Das Buch also werde ich fleißig lesen … und dann darüber Ihnen schreiben. / Sonnenschein-Artikel kommt nächstens, dann noch einer über dogmatisches Denken, gezeigt an einem Beispiel … und dann ists glaub ich für eine Weile genug. Daß ich diese Artikel schrieb, daran sind zum Teil Sie die Veranlasserin; daß ich nicht mehr schreibe: das liegt an meiner Lektüre der katholischen Zeitschriften, von denen ich so allerhand bekomme. Donnerschlag. Nein, das geht übers Bohnenlied.
Ich spreche nicht vom rein Katholischen; Sie sehen ja immer wieder, wie sehr ich mich hüte, mich über das Glaubenserlebnis lustig zu machen oder es rational zu kritisieren. Ich habe da nichts zu suchen. Aber was diese braven Katholiken da so alles von sich geben …! Das lohnt wohl doch nicht, sich damit zu befassen. Ein Beispiel: in fast allen katholischen Zeitschriften wird die Psychoanalyse bedeutend dümmer beurteilt, als es der ödeste Freidenker mit dem Dogma tun kann. Es ist beispiellos. Daß die Leute nichts davon verstehen; daß sie nichts gelesen haben; daß sie keinen Schimmer, auch nicht den blassenesten Schimmer von Freud haben … das geht doch nicht. Und dann geht das los: sittenlos pp. Als ob Freud nicht ein Exponent dieser Zeit wäre – er hat sie doch nicht gemacht! Außerdem habe ich ihn jetzt wieder gelesen, mir hat einer seine Werke geschenkt. Da ist zum Beispiel eine Stelle, wo er beschreibt, wie sich die Patientin regelmäßig in den behandelnden Arzt zu verlieben pflegt – das ist gradezu eine Station auf dem Wege der Heilung. Bon. Wie er das nun behandelt: mit einer Sauberkeit, einer Größe, einer Reinheit – das ist musterhaft. Diesen Mann unrein zu schelten –: das können nur Banausen. Seine Schüler freilich haben viel Unheil angerichtet. Jedenfalls steigt aus diesen Blättern und Blättchen ein solches Unmaß von Unbildung auf … nein, das möchte ich nicht.
Sie schreiben an einer Stelle Ihrer Briefe etwas Entscheidendes: «Das geht doch aber alle an.» Nein, Verehrte, das geht nun eben nicht alle an. Ihr müßt euch schon daran gewöhnen, daß es sehr vergnügte Heiden gibt – die geht das gar nichts an. Feuerländer sind keine Widerlegung gegen die französische Grammatik – sie beweisen aber, daß es auch ohne diese Grammatik geht. Ich lehne ja eben diese Zwangskategorien ab, die der Katholicismus da errichtet, und Hiller hatte völlig recht, als ers auch tat. Für uns eben nicht. Ich brauche es nicht; Millionen brauchen es nicht. Es ist eine Dreistigkeit sondergleichen, es ihnen aufdrängen zu wollen. (Mit staatlicher Gewalt nämlich – durch die Kindererziehung.) In mir ist nichts, was erlöst werden muß; ich fühle diese culpa nicht, vielleicht eine andere – enfin, ich erhebe mich ja auch über keinen Katholiken, indem ich ihn bedaure oder beschimpfe – ich sage nur: ich nicht. Es geht mich gar nichts an. Nichts.
Ich mußte das mal ganz klipp und klar heraussagen, damit es keine Mißverständnisse gibt. Und mit Ihnen hat das mittelbar nichts zu tun; was Sie mir schreiben, lese ich immer gern, auch da und grade da, wo ich anderer Meinung bin.
Was hingegen die Literatur angeht: Übern Glaesern sind wir sehr einig. Schamlos … das habe ich eigentlich nicht empfunden. Aber überflüssig. Sie haben völlig recht: damit ist ja nichts ausgesagt, wenn man einen Menschen bei Verrichtungen schildert, die er mit den Tieren teilt. Das kann etwas Großes sein – aber das kann der Herr Glaeser nicht. Dann sollte mans lassen. Ich hatte damals schon in der Maschine, zu sagen: «Wir lesen in allen modernen Büchern: wo, mit wem, wann und in welcher Weise – wenn ichs noch ein paar Mal lese, dann kann ichs auch.» Was nicht hindert, daß ich dergleichen wohl auch mal schreibe – aber mich reizt bei diesen sehr seltnen Malen immer die artistische Schwierigkeit, es dennoch zu sagen, obgleich es so schwer ist. Das empfinden diese Kerle alle nicht. Sie schmieren das so hin. Dann lieber Pornographie.
Was Ihre Arbeiten angeht, so wissen Sie wirklich nicht, wo Ihre Kraft sitzt. Das ist ein Malheur … diese Germania. Zum Beispiel ist die kleine Kritik des Vortragsabends der Wellshereim, wenn sie richtig ist, bezaubernd – haben Sie Fontanes ‹Plauderein über Theater› gelesen? Das tun Sie nur. Es ist ein richtiges kleines Pastell, das Sie da gemacht haben, und Sie sind überhaupt am besten, wenn Sie leicht ironisch ablehnen; dann haben Sie, was bei Frauen sehr, sehr selten ist, Humor. Das sollten Sie ausbilden. Diese wäiche Lyrik hingegen … werfen Sie nur ja die Schaumann ins Feuer. Es ist ja schrecklich. Nicht etwa, weil sie fromm ist – sondern wie sies ist, und vor allem, wie sie dem Ausdruck gibt. Das ist, um …! Ja.
Meine Tante scheint ja da ganz freundliche Bilder über mich zu verbreiten. Wahr ist vielmehr …
Thrasolt – hm. Der ist in der Sonnenschein-Besprechung, die Sie lesen werden, nicht gut weggekommen. Er ist doch sehr ein kleiner Mann. Ehrlich, sauber, tapfer – aber ein kleiner Mann. Und nochmals und nochmals: die fast schmerzliche Enttäuschung, die ich auch immer bei den Kommunisten finde, wenn sich mal einer mit was anderm beschäftigt, die ist ganz und gar katholisch: Es geht aber wirklich auch ohne euch – es geht sogar sehr gut. Und man muß eben nicht bei jeder Sache fragen: wie stellt sich der Katholicismus dazu? Es ist für uns gleichgültig, wie er sich dazu stellt – es gibt andere Werturteile, andere Himmel, andre Kategorien.
Selbstverständlich werde ich keine einzige Angabe über Thrasolt verwerten. Apropos verwerten: ich hatte aus Ihrem Brief in der Tat nur dem Sinne nach zitiert. Aber Sie schreiben doch nicht druckfertig, Gottseidank – und so, wie es da stand, hätte es wie Ironie ausgesehen, als wollte ich mich über Sie lustig machen. Sie hatten das aber in klarster Ehrlichkeit so hingeschrieben – deshalb habe ich geändert. Nichts für ungut. Wird nicht mehr vorkommen.
Haecker habe ich grade vor. Ich kenne ihn seit langem und schätze ihn sehr hoch ein. Ja, das ist einer. Verve, Stil, Können, Wissen … ich verstehe ihn nicht ganz, dazu langt meine philosophische Bildung nicht. Aber ich merke: holla he – da ist was. Ich belerne mich da sehr an. Ein großer Schriftsteller.
Ich seh eben in Ihrem Brief … Ja, die Tante Berta ist manchmal so streng. Mit mir auch – aber ich lache dann heiter, und dann geht es vorbei.
Fahsels Biographie habe ich hier. Also, das ist beispiellos. Auch hier werde ich nichts von dem verwerten, was Sie mir geschrieben haben. Ich weiß nicht einmal, ob ich überhaupt schreiben werde. Man soll diesem Clown nicht noch mehr Reklame machen. Die Biographie ist scheußlich; ich zöge mich da vielleicht auch nicht ohne bürgerliche Beleidigungen aus der Affaire. Hat dieses hysterische Weib mit dem Mann ein Verhältnis? Das besagte ja nichts; aber es ist alles so schwül, so widerlich – sehn Sie: das ist unsittlich, in der Atmosphäre, auch, wenn da gar nichts vorgeht. Ein dummes Buch.
Anbei eine Bilderanlage. Die Bücher kenne ich nicht. Ich kenne nur ein paar italienische Publikationen, wo sich die Kirche den geschmackvollen Scherz leistet, mit dem Imprimatur, zwei kleine Mädchen, die Opfer eines Sittlichkeitsattentats geworden waren, als «Heilige» aufzublasen. Es war grauenhaft. Dies macht ja nun auch keinen sehr schönen Eindruck. Was um alles in der Welt können denn diese Göhren schon «Heiliges» an sich haben! (Ich weiß, daß in allen diesen Fällen nicht «heiliggesprochen» wird – aber es genügt auch so.)
Sie schreiben über die Katholiken und den Film. Glaubt ihr wirklich, man könne das «machen»? Das muß doch wachsen. Na, und daß es nicht gewachsen ist – das muß doch einen Grund haben. Es hat auch einen. Da muß sich also wohl nichts bewegen – wie wäre sonst eine solche Stumpfheit, ein solches Versagen in künstlerischen Dingen möglich? Nun, das ist nicht meine Sache.
Ja, das wäre so einiges. Ich komme vorläufig nicht nach Deutschland – mir tut das leid, denn ich hätte mich gern mal mit Ihnen in Ruhe unterhalten. Ohne Telephon und ohne «Herr Meier läßt fragen …» Ich sitze aber noch in der Stille und bebrüte ein kleines Ei. Das ist bald da, und wenn der Vogel heraus ist, dann, im Frühjahr, werde ich anfangen, zu reisen. Und dann komme ich vielleicht, wenn Ihr noch Republik seid, nach Berlin. Es sind eigentlich 2 Eier – denn ich mache noch einen Auswahlband für nächstes Jahr. Und das ist eine gar erschröckliche Arbeit.
So ist das. Im übrigen lese ich viel alte Klassiker, und vom Tageskram so wenig wie nur möglich. Man wird nur dumm davon. Ein lustiges Land – – Und die Haltung der Kirche wieder sehr, sehr zweideutig. Darüber steht auch bei Haecker einiges; mir nicht scharf genug. Wenn Rom mit den weltlichen Gewalten zusammenstößt, dann geht das zu wie in einer Judenschule. Wobei übrigens die Katholiken meist obsiegen – sie sind so weltabgewandt, daß sie vor lauter Frömmigkeit besser handeln als die andern. Mäinst näin?
Womit ich mich verabschiede und Ihnen ein gutes Fest im nachhinein wünsche und ein gutes neues Jahr!
Wie stets
Ihr alter
Tucholsky.
Dreh rum
Etwas habe ich doch noch vergessen.
Ist das vielleicht eine Lösung, unter diesen ökonomischen Umständen für junge Mädchen, die heiraten wollen, es aber nicht können, die Ehelosigkeit oder den Verzicht zu fordern? Das mag sehr heldenhaft sein – obs aber geistig und körperlich gesund ist, das steht auf einem andern Blatt. Was mögen sich da viele quälen! Und wozu eigentlich? Ja, ich bin so flach und rational und liberal und freidenkerisch und bolschewistisch, «wozu» zu fragen. Alle, aber auch alle Beobachter aus Rußland schreiben, es fiele ihnen auf, einen wie geringen Raum die Sexualität im öffentlichen Leben dort einnähme. Ganz klar, warum. Die Leute haben es nicht nötig. Und das ist schon viel. Leute, die den ganzen Tag vom Trinken reden, sind entweder durstig oder krank. Beides sollte man nicht als Ideal hinstellen.

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1.1.2004

Brief an Marierose Fuchs (27.12.1930)

An Marierose Fuchs

Post: Weltbühne

27.12.1930
– – – in Etappen geschrieben.

Verehrte,
ich wünsche Ihnen ein frohes Fest und danke Ihnen ganz besonders herzlich für das Buch! Ich bin ein etwas überarbeiteter Mann und schicke meine Büchergabe verspätet – aber nicht minder herzlich! So ist das.

In Ihren Briefen standen einige sehr hübsche Dinge – die will ich denn auch beantworten:
Das Buch also werde ich fleißig lesen … und dann darüber Ihnen schreiben. / Sonnenschein-Artikel kommt nächstens, dann noch einer über dogmatisches Denken, gezeigt an einem Beispiel … und dann ists glaub ich für eine Weile genug. Daß ich diese Artikel schrieb, daran sind zum Teil Sie die Veranlasserin; daß ich nicht mehr schreibe: das liegt an meiner Lektüre der katholischen Zeitschriften, von denen ich so allerhand bekomme. Donnerschlag. Nein, das geht übers Bohnenlied.
Ich spreche nicht vom rein Katholischen; Sie sehen ja immer wieder, wie sehr ich mich hüte, mich über das Glaubenserlebnis lustig zu machen oder es rational zu kritisieren. Ich habe da nichts zu suchen. Aber was diese braven Katholiken da so alles von sich geben …! Das lohnt wohl doch nicht, sich damit zu befassen. Ein Beispiel: in fast allen katholischen Zeitschriften wird die Psychoanalyse bedeutend dümmer beurteilt, als es der ödeste Freidenker mit dem Dogma tun kann. Es ist beispiellos. Daß die Leute nichts davon verstehen; daß sie nichts gelesen haben; daß sie keinen Schimmer, auch nicht den blassenesten Schimmer von Freud haben … das geht doch nicht. Und dann geht das los: sittenlos pp. Als ob Freud nicht ein Exponent dieser Zeit wäre – er hat sie doch nicht gemacht! Außerdem habe ich ihn jetzt wieder gelesen, mir hat einer seine Werke geschenkt. Da ist zum Beispiel eine Stelle, wo er beschreibt, wie sich die Patientin regelmäßig in den behandelnden Arzt zu verlieben pflegt – das ist gradezu eine Station auf dem Wege der Heilung. Bon. Wie er das nun behandelt: mit einer Sauberkeit, einer Größe, einer Reinheit – das ist musterhaft. Diesen Mann unrein zu schelten –: das können nur Banausen. Seine Schüler freilich haben viel Unheil angerichtet. Jedenfalls steigt aus diesen Blättern und Blättchen ein solches Unmaß von Unbildung auf … nein, das möchte ich nicht.
Sie schreiben an einer Stelle Ihrer Briefe etwas Entscheidendes: «Das geht doch aber alle an.» Nein, Verehrte, das geht nun eben nicht alle an. Ihr müßt euch schon daran gewöhnen, daß es sehr vergnügte Heiden gibt – die geht das gar nichts an. Feuerländer sind keine Widerlegung gegen die französische Grammatik – sie beweisen aber, daß es auch ohne diese Grammatik geht. Ich lehne ja eben diese Zwangskategorien ab, die der Katholicismus da errichtet, und Hiller hatte völlig recht, als ers auch tat. Für uns eben nicht. Ich brauche es nicht; Millionen brauchen es nicht. Es ist eine Dreistigkeit sondergleichen, es ihnen aufdrängen zu wollen. (Mit staatlicher Gewalt nämlich – durch die Kindererziehung.) In mir ist nichts, was erlöst werden muß; ich fühle diese culpa nicht, vielleicht eine andere – enfin, ich erhebe mich ja auch über keinen Katholiken, indem ich ihn bedaure oder beschimpfe – ich sage nur: ich nicht. Es geht mich gar nichts an. Nichts.
Ich mußte das mal ganz klipp und klar heraussagen, damit es keine Mißverständnisse gibt. Und mit Ihnen hat das mittelbar nichts zu tun; was Sie mir schreiben, lese ich immer gern, auch da und grade da, wo ich anderer Meinung bin.
Was hingegen die Literatur angeht: Übern Glaesern sind wir sehr einig. Schamlos … das habe ich eigentlich nicht empfunden. Aber überflüssig. Sie haben völlig recht: damit ist ja nichts ausgesagt, wenn man einen Menschen bei Verrichtungen schildert, die er mit den Tieren teilt. Das kann etwas Großes sein – aber das kann der Herr Glaeser nicht. Dann sollte mans lassen. Ich hatte damals schon in der Maschine, zu sagen: «Wir lesen in allen modernen Büchern: wo, mit wem, wann und in welcher Weise – wenn ichs noch ein paar Mal lese, dann kann ichs auch.» Was nicht hindert, daß ich dergleichen wohl auch mal schreibe – aber mich reizt bei diesen sehr seltnen Malen immer die artistische Schwierigkeit, es dennoch zu sagen, obgleich es so schwer ist. Das empfinden diese Kerle alle nicht. Sie schmieren das so hin. Dann lieber Pornographie.
Was Ihre Arbeiten angeht, so wissen Sie wirklich nicht, wo Ihre Kraft sitzt. Das ist ein Malheur … diese Germania. Zum Beispiel ist die kleine Kritik des Vortragsabends der Wellshereim, wenn sie richtig ist, bezaubernd – haben Sie Fontanes ‹Plauderein über Theater› gelesen? Das tun Sie nur. Es ist ein richtiges kleines Pastell, das Sie da gemacht haben, und Sie sind überhaupt am besten, wenn Sie leicht ironisch ablehnen; dann haben Sie, was bei Frauen sehr, sehr selten ist, Humor. Das sollten Sie ausbilden. Diese wäiche Lyrik hingegen … werfen Sie nur ja die Schaumann ins Feuer. Es ist ja schrecklich. Nicht etwa, weil sie fromm ist – sondern wie sies ist, und vor allem, wie sie dem Ausdruck gibt. Das ist, um …! Ja.
Meine Tante scheint ja da ganz freundliche Bilder über mich zu verbreiten. Wahr ist vielmehr …
Thrasolt – hm. Der ist in der Sonnenschein-Besprechung, die Sie lesen werden, nicht gut weggekommen. Er ist doch sehr ein kleiner Mann. Ehrlich, sauber, tapfer – aber ein kleiner Mann. Und nochmals und nochmals: die fast schmerzliche Enttäuschung, die ich auch immer bei den Kommunisten finde, wenn sich mal einer mit was anderm beschäftigt, die ist ganz und gar katholisch: Es geht aber wirklich auch ohne euch – es geht sogar sehr gut. Und man muß eben nicht bei jeder Sache fragen: wie stellt sich der Katholicismus dazu? Es ist für uns gleichgültig, wie er sich dazu stellt – es gibt andere Werturteile, andere Himmel, andre Kategorien.
Selbstverständlich werde ich keine einzige Angabe über Thrasolt verwerten. Apropos verwerten: ich hatte aus Ihrem Brief in der Tat nur dem Sinne nach zitiert. Aber Sie schreiben doch nicht druckfertig, Gottseidank – und so, wie es da stand, hätte es wie Ironie ausgesehen, als wollte ich mich über Sie lustig machen. Sie hatten das aber in klarster Ehrlichkeit so hingeschrieben – deshalb habe ich geändert. Nichts für ungut. Wird nicht mehr vorkommen.
Haecker habe ich grade vor. Ich kenne ihn seit langem und schätze ihn sehr hoch ein. Ja, das ist einer. Verve, Stil, Können, Wissen … ich verstehe ihn nicht ganz, dazu langt meine philosophische Bildung nicht. Aber ich merke: holla he – da ist was. Ich belerne mich da sehr an. Ein großer Schriftsteller.
Ich seh eben in Ihrem Brief … Ja, die Tante Berta ist manchmal so streng. Mit mir auch – aber ich lache dann heiter, und dann geht es vorbei.
Fahsels Biographie habe ich hier. Also, das ist beispiellos. Auch hier werde ich nichts von dem verwerten, was Sie mir geschrieben haben. Ich weiß nicht einmal, ob ich überhaupt schreiben werde. Man soll diesem Clown nicht noch mehr Reklame machen. Die Biographie ist scheußlich; ich zöge mich da vielleicht auch nicht ohne bürgerliche Beleidigungen aus der Affaire. Hat dieses hysterische Weib mit dem Mann ein Verhältnis? Das besagte ja nichts; aber es ist alles so schwül, so widerlich – sehn Sie: das ist unsittlich, in der Atmosphäre, auch, wenn da gar nichts vorgeht. Ein dummes Buch.
Anbei eine Bilderanlage. Die Bücher kenne ich nicht. Ich kenne nur ein paar italienische Publikationen, wo sich die Kirche den geschmackvollen Scherz leistet, mit dem Imprimatur, zwei kleine Mädchen, die Opfer eines Sittlichkeitsattentats geworden waren, als «Heilige» aufzublasen. Es war grauenhaft. Dies macht ja nun auch keinen sehr schönen Eindruck. Was um alles in der Welt können denn diese Göhren schon «Heiliges» an sich haben! (Ich weiß, daß in allen diesen Fällen nicht «heiliggesprochen» wird – aber es genügt auch so.)
Sie schreiben über die Katholiken und den Film. Glaubt ihr wirklich, man könne das «machen»? Das muß doch wachsen. Na, und daß es nicht gewachsen ist – das muß doch einen Grund haben. Es hat auch einen. Da muß sich also wohl nichts bewegen – wie wäre sonst eine solche Stumpfheit, ein solches Versagen in künstlerischen Dingen möglich? Nun, das ist nicht meine Sache.
Ja, das wäre so einiges. Ich komme vorläufig nicht nach Deutschland – mir tut das leid, denn ich hätte mich gern mal mit Ihnen in Ruhe unterhalten. Ohne Telephon und ohne «Herr Meier läßt fragen …» Ich sitze aber noch in der Stille und bebrüte ein kleines Ei. Das ist bald da, und wenn der Vogel heraus ist, dann, im Frühjahr, werde ich anfangen, zu reisen. Und dann komme ich vielleicht, wenn Ihr noch Republik seid, nach Berlin. Es sind eigentlich 2 Eier – denn ich mache noch einen Auswahlband für nächstes Jahr. Und das ist eine gar erschröckliche Arbeit.
So ist das. Im übrigen lese ich viel alte Klassiker, und vom Tageskram so wenig wie nur möglich. Man wird nur dumm davon. Ein lustiges Land – – Und die Haltung der Kirche wieder sehr, sehr zweideutig. Darüber steht auch bei Haecker einiges; mir nicht scharf genug. Wenn Rom mit den weltlichen Gewalten zusammenstößt, dann geht das zu wie in einer Judenschule. Wobei übrigens die Katholiken meist obsiegen – sie sind so weltabgewandt, daß sie vor lauter Frömmigkeit besser handeln als die andern. Mäinst näin?
Womit ich mich verabschiede und Ihnen ein gutes Fest im nachhinein wünsche und ein gutes neues Jahr!
Wie stets
Ihr alter
Tucholsky.
Dreh rum
Etwas habe ich doch noch vergessen.
Ist das vielleicht eine Lösung, unter diesen ökonomischen Umständen für junge Mädchen, die heiraten wollen, es aber nicht können, die Ehelosigkeit oder den Verzicht zu fordern? Das mag sehr heldenhaft sein – obs aber geistig und körperlich gesund ist, das steht auf einem andern Blatt. Was mögen sich da viele quälen! Und wozu eigentlich? Ja, ich bin so flach und rational und liberal und freidenkerisch und bolschewistisch, «wozu» zu fragen. Alle, aber auch alle Beobachter aus Rußland schreiben, es fiele ihnen auf, einen wie geringen Raum die Sexualität im öffentlichen Leben dort einnähme. Ganz klar, warum. Die Leute haben es nicht nötig. Und das ist schon viel. Leute, die den ganzen Tag vom Trinken reden, sind entweder durstig oder krank. Beides sollte man nicht als Ideal hinstellen.

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