30.1.2006

Ätsch, so wird man Journalist

Ein höchst interessantes Interview findet sich heute auf den Telepolis-Seiten. Darin äußert sich Gundolf Freyermuth, Netz-Autor und Dozent an der Internationalen Filmschule Köln, so ziemlich über alles, was man zu Internet und Journalismus einmal loswerden möchte. Über einige Umwege kommt er in „Ritter von der strahlenden Gestalt“ auch auf das Thema Journalistenausbildung zu sprechen. Der Antwort merkt man jedoch an, dass Freyermuth eine solche Ausbildung offenbar nie genossen hat:

Der Beruf des Journalisten war einer derjenigen, die sich am spätesten professionalisiert haben. Die journalistische Ausbildung gab es erst nach dem zweiten Weltkrieg. Ich betrachte diese Professionalisierung durchaus mit ambivalenten Gefühlen. Solange eine gewisse Offenheit besteht, hat eine Vielzahl interessanter Charaktere die Möglichkeit, sich zu entfalten. Verhärten sich die Verhältnisse, gibt es klare Ausbildungen, schließt man eine Vielzahl aus. Hätte Karl Kraus je eine Journalistenschule überstanden? Wäre Tucholsky durch einen Publizistikstudiengang gekommen?

Hm –, wahrlich provozierende Fragen. Denn: welche Vorstellungen hat Freyermuth von den Zuständen an Journalistenschulen? Wie genial muss man seiner Meinung nach sein, um Publizistik zu studieren? Und wer studiert überhaupt Publizistik, um Journalist werden zu wollen?

Zum Glück ist es eher so, dass die Journalistenschulen eine sehr praxisnahe Ausbildung bieten wollen. Erfahrene Journalisten versuchen als Dozenten das umzusetzen, was Tucholsky schon 1928 von den Redakteurskollegen forderte, – zum Beispiel in dem Text „Journalistischer Nachwuchs“. Darin kritisierte er eine geplante Akademisierung der journalistischen Ausbildung und schlug vor, den Nachwuchs besser in der Praxis zu betreuen:

Das Gros der Redakteure liest Arbeiten wie Schulaufsätze; und zensiert sie. Ja – oder Nein: darüber hinaus gehts selten. Daß sich der Redakteur, der immer überlastet ist, mit seinen Leuten wirklich beschäftigt, ihnen die Unarten austreibt, ihnen nicht nur sagt, wie man es nicht machen darf, sondern anschaulich erzählt, wie man es machen solle. So züchtet man Nachwuchs.

Die Absurdität der Debatte, ob nur examinierte Akademiker Journalisten werden sollen, wird auch an der Frage deutlich, ob Carl von Ossietzky „durch einen Publizistikstudiengang gekommen“ wäre. Mit Sicherheit nicht, denn er schaffte nicht einmal den Realschulabschluss. Noch schärfer als Dr. iur. Kurt Tucholsky reagierte er daher auf Vorschläge, die journalistische Ausbildung zu akademisieren:

Zeitungsschreiber und Professoren, zwischen ihnen liegt, wenn nicht eine Welt, so doch eine Kenntnis von dieser Welt. Eine Kenntnis, die nicht aus Büchern zu holen ist. Der Journalismus ist der einzige loser oder enger mit dem Geiste zusammenhängende Beruf auf Gottes Erde, der nicht in das Prokrustesbett des Examens zu spannen ist. Die Tüchtigkeit, die Eignung entscheidet. Man kann ein fürchterlich viel wissender Jurist sein und doch ein untauglicher Richter oder Advokat. Man kann als Doktor der Medizin durch alle Prüfungen gerutscht sein, mit Auszeichnung sogar, und wird später doch nur die Friedhöfe bevölkern. Der Journalist beginnt ohne die trügerischen Vorschußlorbeeren des Examens. Er muß sich bewähren oder…
Grund genug für die Herren Professoren, einem Beruf von so abgründig verruchten Möglichkeiten zu mißtrauen. Die Zeitung von heute ist, darüber brauchen wir kein Wort zu verlieren, kaum eine moralische Anstalt zu nennen. Aber sie hat den Universitäten von gestern und heute noch immer ein gewisses Maß Intelligenz voraus. Und wenn eines Nachts in unser Redaktionszimmer – die Metteure schreien nach Manuskript, am andern Ende der Strippe rasen Timbuktu und Samarkand, dazwischen werden Schauspielerinnen gelobt und Minister beschimpft – wenn also plötzlich der Herr Magister eintreten würde und uns mit hochgeschwundenem Pädagogenfinger auf das Unzulässige unseres Tuns hinweisen wollte, wir hätten nur eine Antwort:
„Ätsch…!“
Carl von Ossietzky: „Professoren, Zeitungsschreiber und verkrachte Existenzen“, in: Das Tagebuch, 31. Januar 1925

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