Wie mache ich mich unbeliebt?

Da gibt es nun mehrere Mittel. Man kann einer Dame, die man ein Jahr nicht gesehen hat, sagen, man habe sie sofort wiedererkannt, und, wenn sie fragt, woran, antworten: „An Ihrem Hut, gnädige Frau!“ – Man kann in einer Gesellschaft, wo der Hausherr Stahlhelmvorsitzender ist, die Sowjets loben und außerdem dreimal von der Käsetorte nehmen. – Man kann eine junge Frau, die man nicht kennt und die in Umständen ist, fragen, wann sie denn zu heiraten gedächte … Aber damit verschnupft man immer nur einen kleinen Kreis von Leuten, und das ist nicht das Richtige. Wenn man ganz sichergehen will, gleich eine ganze Kompanie auf Jahre hinaus zu verärgern, dann braucht man nur Witze über einen Stand zu reißen. Man tue es – gehe aber unmittelbar nach Begehung des Delikts außer Landes.
Du darfst auf den Grafen von Henning sagen, er sei ein Ritter von der traurigen Gestalt. Du darfst auf den Postschaffner Krause sagen, er malträtiere seine Frau und verprügele sie jeden Abend mit einem (neuen) Plätteisen. Du darfst auf den Kaufmann Lämmle sagen, er sei ein böser Pedant. Darüber wird zu reden sein. Wenn du aber auf alle Grafen, auf die Postschaffner und auf den Kaufmannsstand etwas sagst – und nun gar etwas Lustiges –: dann verteile die Güter dieser Erde – Anzüge, Blumentöpfe und Zeitschriftenabonnements – an deine Kinder; ordne deine Schulden – Miete, Effekten und Zeitschriftenabonnements – und entwetze. Dein Leben ist verwirkt.
Denn nichts ist so groß wie die Gruppeneitelkeit.
Nun ist ja verständlich, daß sich eine wirtschaftliche oder geistige Gruppe gegen die Beleidigungen anderer schützt. Aber schon die Schilderung ihrer Berufseigentümlichkeiten wird mit äußerstem Mißtrauen betrachtet, und Gnade Gott, wenn der Spaß gar etwas in die Einzelheiten geht! Die seligen ›Fliegenden Blätter‹ hatten so ihre traditionellen Heiligtümer: die Zahnärzte, die weinpanschenden Wirte, die Studenten. (Die Schwiegermütter scheiden aus – es gab damals noch keinen Reichsverband Deutscher Schwiegermütter e. V.) Ich möchte heutzutage nicht Fliegenderblätterredakteur sein – es regnete wahrscheinlich Boykotts, Beleidigungsklagen und Kontrahagen aller Art. Hier ist ein großes Tabu.
Schade. Denn die Aufgabe eines modernen Humoristen wäre eben nicht, sich spaßige Einzelfälle auszudenken, sondern den Querschnitt zu ziehen, die ungeheure Gleichheit, hervorgerufen durch die Zivilisation, aufzuzeigen, die vollkommene Kongruenz selbst in den Gefühlen, die absolute Übereinstimmung aller Wesen unter gleichen wirtschaftlichen Bedingungen.
In Amerika ist diese Art von Humor viel verbreiteter. Ich weiß nicht, woran das liegt: ob die Leute da mehr Spaß verstehen, ob sie empfänglicher für diese Selbstironie sind – jedenfalls lebt der Humor Stephan Leacocks durchaus davon (die Leser der ›Vossischen Zeitung‹ kennen Arbeiten dieses Schriftstellers). Hier liegt die wirkliche Komik unserer Zeit.
„Ja, Sie dürfen aber nicht verletzend wirken –!“ Nachmachen verletzt immer. Das wissen schon die Kinder, wenn sie beim Spielen den Murmelpartner bis zur Erschöpfung damit ärgern, daß sie ihn nachahmen. Und es trifft immer ein bißchen schmerzlich, wenn man gut nachahmt, wenn man ›echt‹ kopiert. Bei uns darf man es gar nicht.
Natürlich hat jede Gruppe ihre besonderen Eigentümlichkeiten, ihre Eigenheiten, ihre lächerlichen Seiten. Hier ist nicht die Rede von ihren wirklichen Fehlern – sondern gerade von der Komik ihrer Betätigung, von dem eigentümlichen Humor, der immer entsteht, wenn Leute eine Sache ihr ganzes Leben lang immer wieder tun. Da ist keiner ausgeschlossen: die Buchhalter nicht und nicht die Redakteure, die Ärzte nicht und nicht die Modekaufleute, nicht die Schalterbeamten, die Bankiers und die Telegrafenbauuntersekretäre.
Beim Schutzmann gesteht man dem Spaßmacher gewisse Rechte zu. Bei der Marktfrau auch noch. Beim Bürokraten auch. Beim Schieber. (Je verwaschener der Begriff, desto weniger stößt man an.) Beim – ja, bei wem? Beim andern.
Denn bei jedem Gruppenspaß sagt der Angehörige der Gruppe unfehlbar: „Das ist generalisiert. Das mag’s ja vereinzelt geben. Aber ich bin jetzt dreißig Jahre in meinem Beruf – bei mir gibt’s so etwas nicht. Das ist eine Karikatur.“ Krach, grobe Briefe, Rechtsanwalt, Protest, beleidigt.
Anders ist’s mit Charakterisierungen von vorübergehenden Gruppen. „Der Reisende“ – das ist erlaubt. So hat L’Europe Novelle in ihrem Septemberheft eine reizende kleine Schilderung von Francis de Miomandre Kleiner Katechismus des Reisenden, wo er sich über alles lustig macht: über den Reisenden, die Reisende, die großen Schrankkoffer, in denen durch die Treffsicherheit der Gepäckträger alles durcheinanderpurzelt; er zieht über das Meer, den Wald und das Gebirge her, jeder Absatz hört immer auf: „Im allgemeinen ist es dort mächtig kalt“ – ja, das darf er alles. Sobald er aber präzise, konkret und genauer wird, dann geht’s schief.
Dahinter liegen ganz ernsthafte soziologische Fragen verborgen – ich weiß wohl. Aber man sollte doch etwas weitherziger sein. Denn der Humor der Einzeltypen, der Individuen, der schrulligen Sonderlinge ist dahin und vorbei. Was heute gilt, ist die Komik des Typus.
Die Komik des ärztlichen Sprechzimmers, die Komik der Sekretärin, des Delikateßwarenhändlers, des Portiers, des Ministerialdirektors, des Schriftstellers, der Studentin – ein scharfer Beobachter, der da aus Hunderten von gut gesehenen Typen den Typ herausschält –: der ist, wenn er auch noch Humor hat, ein Humorist. Und man sollte es ihm nicht so verdenken. Besinnen Sie sich auf diese Komiker, die manchmal auf dem Varieté eine Kammerzofe nachahmen, mit den Bewegungen, die alle Zofen haben? Denken Sie an Chaplin, der sämtliche Handwerke der Welt erfühlt hat und die allzu leichten, vor Mühelosigkeit ein bißchen gezierten Handhabungen eines Friseurs ebenso kopiert wie einen Mixer, der mit seinen Flaschen herumwirtschaftet. Darin ist schon leise Parodie, überlegener Humor, vielleicht Kritik.
Dem Satiriker gab ein Gott zu sagen, was sie treiben. Man kann ja nun nicht gerade verlangen, daß der Großpapa, dem der Enkel einen kleinen Flitzbogenpfeil in die hintere, untere Schlafrockseite bohrt, dem guten Kind auch noch einen Bonbon gibt. Aber nicht gleich aufspringen und mit harten Gegenständen werfen. Die Würde muß es sich gefallen lassen, daß sie manchmal am Bart gezupft wird. (Auch Bartlose haben einen Bart, mitunter.)
Denn die moderne Sorte Humorist muß heute noch mit einem Schutzpanzer umhergehen:
Gute Leute! Nicht schießen!

Autorenangabe: Peter Panter

Ersterscheinung: Vossische Zeitung, 2. Oktober 1924, Nr. 468.

Editionen: Kurt Tucholsky: Gesamtausgabe. Texte und Briefe. Hrsg. von Antje Bonitz, Dirk Grathoff, Michael Hepp, Gerhard Kraiker. 22 Bände, Rowohlt Verlag, Reinbek 1996ff., 1924, S. 253 ff.

Ders.: Gesammelte Werke in 10 Bänden. Hrsg. von Mary Gerold-Tucholsky und Fritz J. Raddatz. Rowohlt Verlag, Reinbek 1975. Band 10, S. 158 ff.

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1.1.2004

Wie mache ich mich unbeliebt?

Da gibt es nun mehrere Mittel. Man kann einer Dame, die man ein Jahr nicht gesehen hat, sagen, man habe sie sofort wiedererkannt, und, wenn sie fragt, woran, antworten: „An Ihrem Hut, gnädige Frau!“ – Man kann in einer Gesellschaft, wo der Hausherr Stahlhelmvorsitzender ist, die Sowjets loben und außerdem dreimal von der Käsetorte nehmen. – Man kann eine junge Frau, die man nicht kennt und die in Umständen ist, fragen, wann sie denn zu heiraten gedächte … Aber damit verschnupft man immer nur einen kleinen Kreis von Leuten, und das ist nicht das Richtige. Wenn man ganz sichergehen will, gleich eine ganze Kompanie auf Jahre hinaus zu verärgern, dann braucht man nur Witze über einen Stand zu reißen. Man tue es – gehe aber unmittelbar nach Begehung des Delikts außer Landes.
Du darfst auf den Grafen von Henning sagen, er sei ein Ritter von der traurigen Gestalt. Du darfst auf den Postschaffner Krause sagen, er malträtiere seine Frau und verprügele sie jeden Abend mit einem (neuen) Plätteisen. Du darfst auf den Kaufmann Lämmle sagen, er sei ein böser Pedant. Darüber wird zu reden sein. Wenn du aber auf alle Grafen, auf die Postschaffner und auf den Kaufmannsstand etwas sagst – und nun gar etwas Lustiges –: dann verteile die Güter dieser Erde – Anzüge, Blumentöpfe und Zeitschriftenabonnements – an deine Kinder; ordne deine Schulden – Miete, Effekten und Zeitschriftenabonnements – und entwetze. Dein Leben ist verwirkt.
Denn nichts ist so groß wie die Gruppeneitelkeit.
Nun ist ja verständlich, daß sich eine wirtschaftliche oder geistige Gruppe gegen die Beleidigungen anderer schützt. Aber schon die Schilderung ihrer Berufseigentümlichkeiten wird mit äußerstem Mißtrauen betrachtet, und Gnade Gott, wenn der Spaß gar etwas in die Einzelheiten geht! Die seligen ›Fliegenden Blätter‹ hatten so ihre traditionellen Heiligtümer: die Zahnärzte, die weinpanschenden Wirte, die Studenten. (Die Schwiegermütter scheiden aus – es gab damals noch keinen Reichsverband Deutscher Schwiegermütter e. V.) Ich möchte heutzutage nicht Fliegenderblätterredakteur sein – es regnete wahrscheinlich Boykotts, Beleidigungsklagen und Kontrahagen aller Art. Hier ist ein großes Tabu.
Schade. Denn die Aufgabe eines modernen Humoristen wäre eben nicht, sich spaßige Einzelfälle auszudenken, sondern den Querschnitt zu ziehen, die ungeheure Gleichheit, hervorgerufen durch die Zivilisation, aufzuzeigen, die vollkommene Kongruenz selbst in den Gefühlen, die absolute Übereinstimmung aller Wesen unter gleichen wirtschaftlichen Bedingungen.
In Amerika ist diese Art von Humor viel verbreiteter. Ich weiß nicht, woran das liegt: ob die Leute da mehr Spaß verstehen, ob sie empfänglicher für diese Selbstironie sind – jedenfalls lebt der Humor Stephan Leacocks durchaus davon (die Leser der ›Vossischen Zeitung‹ kennen Arbeiten dieses Schriftstellers). Hier liegt die wirkliche Komik unserer Zeit.
„Ja, Sie dürfen aber nicht verletzend wirken –!“ Nachmachen verletzt immer. Das wissen schon die Kinder, wenn sie beim Spielen den Murmelpartner bis zur Erschöpfung damit ärgern, daß sie ihn nachahmen. Und es trifft immer ein bißchen schmerzlich, wenn man gut nachahmt, wenn man ›echt‹ kopiert. Bei uns darf man es gar nicht.
Natürlich hat jede Gruppe ihre besonderen Eigentümlichkeiten, ihre Eigenheiten, ihre lächerlichen Seiten. Hier ist nicht die Rede von ihren wirklichen Fehlern – sondern gerade von der Komik ihrer Betätigung, von dem eigentümlichen Humor, der immer entsteht, wenn Leute eine Sache ihr ganzes Leben lang immer wieder tun. Da ist keiner ausgeschlossen: die Buchhalter nicht und nicht die Redakteure, die Ärzte nicht und nicht die Modekaufleute, nicht die Schalterbeamten, die Bankiers und die Telegrafenbauuntersekretäre.
Beim Schutzmann gesteht man dem Spaßmacher gewisse Rechte zu. Bei der Marktfrau auch noch. Beim Bürokraten auch. Beim Schieber. (Je verwaschener der Begriff, desto weniger stößt man an.) Beim – ja, bei wem? Beim andern.
Denn bei jedem Gruppenspaß sagt der Angehörige der Gruppe unfehlbar: „Das ist generalisiert. Das mag’s ja vereinzelt geben. Aber ich bin jetzt dreißig Jahre in meinem Beruf – bei mir gibt’s so etwas nicht. Das ist eine Karikatur.“ Krach, grobe Briefe, Rechtsanwalt, Protest, beleidigt.
Anders ist’s mit Charakterisierungen von vorübergehenden Gruppen. „Der Reisende“ – das ist erlaubt. So hat L’Europe Novelle in ihrem Septemberheft eine reizende kleine Schilderung von Francis de Miomandre Kleiner Katechismus des Reisenden, wo er sich über alles lustig macht: über den Reisenden, die Reisende, die großen Schrankkoffer, in denen durch die Treffsicherheit der Gepäckträger alles durcheinanderpurzelt; er zieht über das Meer, den Wald und das Gebirge her, jeder Absatz hört immer auf: „Im allgemeinen ist es dort mächtig kalt“ – ja, das darf er alles. Sobald er aber präzise, konkret und genauer wird, dann geht’s schief.
Dahinter liegen ganz ernsthafte soziologische Fragen verborgen – ich weiß wohl. Aber man sollte doch etwas weitherziger sein. Denn der Humor der Einzeltypen, der Individuen, der schrulligen Sonderlinge ist dahin und vorbei. Was heute gilt, ist die Komik des Typus.
Die Komik des ärztlichen Sprechzimmers, die Komik der Sekretärin, des Delikateßwarenhändlers, des Portiers, des Ministerialdirektors, des Schriftstellers, der Studentin – ein scharfer Beobachter, der da aus Hunderten von gut gesehenen Typen den Typ herausschält –: der ist, wenn er auch noch Humor hat, ein Humorist. Und man sollte es ihm nicht so verdenken. Besinnen Sie sich auf diese Komiker, die manchmal auf dem Varieté eine Kammerzofe nachahmen, mit den Bewegungen, die alle Zofen haben? Denken Sie an Chaplin, der sämtliche Handwerke der Welt erfühlt hat und die allzu leichten, vor Mühelosigkeit ein bißchen gezierten Handhabungen eines Friseurs ebenso kopiert wie einen Mixer, der mit seinen Flaschen herumwirtschaftet. Darin ist schon leise Parodie, überlegener Humor, vielleicht Kritik.
Dem Satiriker gab ein Gott zu sagen, was sie treiben. Man kann ja nun nicht gerade verlangen, daß der Großpapa, dem der Enkel einen kleinen Flitzbogenpfeil in die hintere, untere Schlafrockseite bohrt, dem guten Kind auch noch einen Bonbon gibt. Aber nicht gleich aufspringen und mit harten Gegenständen werfen. Die Würde muß es sich gefallen lassen, daß sie manchmal am Bart gezupft wird. (Auch Bartlose haben einen Bart, mitunter.)
Denn die moderne Sorte Humorist muß heute noch mit einem Schutzpanzer umhergehen:
Gute Leute! Nicht schießen!

Autorenangabe: Peter Panter

Ersterscheinung: Vossische Zeitung, 2. Oktober 1924, Nr. 468.

Editionen: Kurt Tucholsky: Gesamtausgabe. Texte und Briefe. Hrsg. von Antje Bonitz, Dirk Grathoff, Michael Hepp, Gerhard Kraiker. 22 Bände, Rowohlt Verlag, Reinbek 1996ff., 1924, S. 253 ff.

Ders.: Gesammelte Werke in 10 Bänden. Hrsg. von Mary Gerold-Tucholsky und Fritz J. Raddatz. Rowohlt Verlag, Reinbek 1975. Band 10, S. 158 ff.

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