17.4.2012

Vom Sockel geholt

Im August 2009 wurde hier auf das wohl am besten versteckte Denkmal Berlins hingewiesen: die Tucholsky-Büste und -Stele in der Pankower Neumannstraße. Damals fand sich das Ensemble kaum sichtbar hinter einem dichten Gebüsch verborgen, unmittelbar neben der dortigen Kurt-Tucholsky-Oberschule. Diese war dann sehr froh, ihrem Namensgeber im April 2011 einen angemessenen Standort zuweisen zu können: Das Denkmal wanderte per Kran auf das Schulgelände – direkt unter den Namenszug der Schule. Doch die Freude war nur von recht kurzer Dauer. Seit Ende Februar ist die Büste weg.



Es geschah am Freitag, den 24. Februar. Ramona Klinge vom Sekretariat und Förderverein der Schule ist empört über die Dreistigkeit der Diebe. Am helllichten Tage hätten sie zugeschlagen, sagte sie auf Anfrage. Im Fahndungsaufruf der Polizei heißt es:

Zwei unbekannte Täter, welche mit einem weißen Transporter unterwegs waren, entwendeten am 24. Februar 2012 in der Zeit zwischen 12.45 bis 13.00 Uhr in Berlin-Pankow, Neumannstr. 11 eine Bronzestele mit Büste des Namensgebers der Schule.

Dass es ihnen nicht um das Kunstwerk oder gar Tucholsky ging, ist für Klinge klar. Die Diebe hatten es wohl auf den Materialwert der Bronzestatue abgesehen, der bei 2.400 Euro liegen soll. Das ungleich massivere Bronzerelief blieb jedoch stehen. Dieses lässt sich nicht so einfach abmontieren und mitnehmen. Am selben Tag sollen in Berlin noch zwei weitere Denkmäler gestohlen worden sein.



Das noch komplette Denkmal an der Tucholsky-Oberschule.

Nicht nur die Schulleitung, auch viele Schüler seien traurig gewesen, dass »ihr« Tucholsky geklaut worden sei, sagte Klinge. Dies findet seinen Ausdruck auch in einer Kunstaktion, die sich mit dem Diebstahl beschäftigt. Die Schüler entwarfen mehrere Installationen, die nun anstelle der gestohlenen Büste aufgestellt werden. Vor den Osterferien stand ein schwarzer Stuhl – natürlich festgeschraubt – neben dem leeren Sockel.



Die erste Installation am Sockel der gestohlenen Büste.

Auf dem Stuhl lag ein aufgeschlagenes Buch mit einem Porträtfoto Tucholskys. Daneben ein umgekipptes Fässchen mit roter Tinte sowie ein Stift. Tintenspritzer beflecken wie Blut die Buchseiten.



Auch die Frage nach einem Ersatz der Büste wird gestellt. Vielleicht hat der Künstler Ulrich Skoddow noch ein Modell der Büste aufbewahrt. Damit ließe sich dann eine Replik herstellen, die jedoch nicht mehr aus Bronze bestehen soll. Schließlich will man den kulturlosen Metalldieben keinen neuen Anreiz bieten.

11.8.2010

Neue Gedenktafel für die Weltbühne

An Gedenktafeln für Tucholsky und die Weltbühne herrscht in Berlin kein Mangel. Erst 2002 wurde mit Unterstützung der Tucholsky-Gesellschaft in der Charlottenburger Dernburgstraße eine Tafel für Siegfried Jacobsohn aufgehängt. Damals lehnte die Bezirksverwaltung den Vorschlag ab, die Tafel am nahe gelegenen Redaktionssitz der Weltbühne, in der heutigen Wundtstraße 65, anzubringen. Umso überraschender, dass der Bezirk am 7. Juli dieses Jahres genau an dieser Stelle eine Gedenktafel für die Weltbühne eingeweiht hat. Warum eigentlich nicht gleich?

Die Initiative für die neue Tafel war 2006 von der Bezirksversammlung Charlottenburg-Wilmersdorf ausgegangen. Das Geld dafür stellte nach Angaben von Kulturstaatssekretär André Schmitz der Senat zur Verfügung. Trotz Anwesenheit von Schmitz und Bezirksbürgermeisterin Monika Thiemen wirkte die Einweihung der Gedenktafel nicht besonders gut vorbereitet und hätte sicher angemessener gestaltet werden können.



Staatssekretär Schmitz (Mitte) und Bezirksbürgermeisterin Thiemen (daneben rechts) bei der Einweihung der Gedenktafel.

Die Bezirksverordnete Marianne Suhr und Schmitz hielten vor der Enthüllung kurze Ansprachen. Anschließend trug der Berliner Verleger Wolfgang Stapp, eigentlich Fontane-Experte, einige Hintergründe aus der Geschichte der Weltbühne vor. Weitere Programmpunkte gab es nicht.

Der Text der Tafel lautet: »In diesem Haus befand sich von 1921 bis 1927 die Redaktion der Weltbühne. Sie war eine der wichtigsten literarisch-politischen Zeitschriften der Weimarer Republik und Wirkungsstätte von Siegfried Jacobsohn, Kurt Tucholsky und Carl von Ossietzky«



Ein Musterbeispiel für die tonnenförmige Verzeichnung bei Fotos.

Schade, dass es auf der Tafel »in diesem Haus« heißt. Demnach könnte sich die Redaktion irgendwo in dem Eckhaus am Lietzensee befunden haben. Tatsächlich ist die Tafel jedoch gleich neben dem Laden angebracht, in dem sich damals die Redaktion hinter weiß getünchten Scheiben befand. Nachdem jahrzehntelang das Uhrengeschäft Krämer dort seine Standuhren ausstellte, befindet sich dort nun ein Seminarzentrum für Fortbildungen von Tierärzten. Ob jemals wieder ein Redaktionsbüro in die Räume zieht? Dafür müssten die Räume heutzutage wohl in Mitte oder im Prenzlauer Berg liegen, und nicht ganz weit im Westen kurz vor dem Funkturm.

Bleibt zu hoffen, dass die neue Tafel lange ihr glänzendes Aussehen behält. Das 2002 aufgehängte Exemplar für Siegfried Jacobsohn könnte schon wieder eine Generalüberholung vertragen:




21.8.2009

Verstecktes Gedenken

Berlin ist zweifellos nicht arm an Orten, die an berühmte Personen erinnern. Den alten Fritz oder die Gebrüder Humboldt findet jeder Tourist leicht am Boulevard Unter den Linden. Auf andere Denkmäler stößt man eher per Zufall in abseits gelegenen Straßen, so wie auf die Ossietzky-Statue in Pankow. Dann gibt es auch noch die Kategorie von Denkmälern, die die Berliner vor der Öffentlichkeit geradezu verstecken. Oder kann allen Ernstes etwa jemand glauben, hinter diesem Busch sei etwas Sehenswertes verborgen?



Das Grünzeug steht an der Neumann-Straße im Stadtteil Pankow. Und dahinter steckt tatsächlich ein metallenes Gebilde, das aus der Entfernung wie eine verunglückte Nachbildung des Berliner Fernsehturms aussieht.


Bei näherer Betrachtung entpuppt sich die Skulptur, man glaubt es kaum, als das wohl einzige Tucholsky-Denkmal in Deutschland.


Dass es an dieser Stelle steht, ist kein Zufall. Befindet sich daneben doch die Kurt-Tucholsky-Oberschule, die seit 16 Jahren diesen Namen trägt. In dieser Zeit ist wohl einmal das Denkmal aufgestellt worden. Und irgendwann wurde offenbar vergessen, die umliegenden Bäume zu stutzen.

Aber auch in diesem Fall kann das Motto nur lauten: Wenn schon Denkmal, dann sollte man es auch sehen können. Schließlich ist es – anders als das Denkmal am Deutschen Eck – offensichtlich kein »gefrorener Mist«.

22.7.2009

Verdichtete Zitate

Eine Reportage wie aus dem Lehrbuch hat der Tagesspiegel zur Berliner S-Bahn-Krise abgeliefert. Denn ein altbekannter Trick, um lange Texte aufzulockern und zu strukturieren, können literarische Zitate sein, die regelmäßig eingeflochten werden. Für den Artikel »Aus dem Gleis geraten« hat Tucholsky diese Zitate geliefert. Zum Beispiel:

… Den Ärger der Fahrgäste steigern selbst kleine Details. »Was steht da«, buchstabiert eine Zwölfjährige das Hinweisschild. »In Alexanderplatz erreichen sie die verdichteten Regionalzüge …« Das Mädchen greift sich an den Kopf. »Wieso steht denn da ›in Alexanderplatz‹ und wieso ›verdichtete Züge‹? Die meinen doch bestimmt den Takt.«

Da sagen die Leute immer, der moderne Verkehr hebe alle Poesie auf. Das ist gar nicht wahr. Ich meine nicht die Romantik der Eisenbahnen, eines Bahnhofs bei Nacht und all der Dinge, in denen Gott Maschine eine beängstigende Rolle spielt. Nein, auch die Idylle ist noch nicht ausgestorben. (Kurt Tucholsky im Vorwärts am 10. Oktober 1913

Auf dem Flughafen Berlin-Schönefeld besteht die Welt am Montagmorgen aus Glückspilzen und Pechvögeln. …

Welchen Bezug dieses und weitere Zitate zur aktuellen Verkehrssituation in Berlin haben, wird nicht ganz klar. Wer aus einer Stadt mit wirklich viel Verkehr nach Berlin kommt, wird eher aus einem ganz anderen Tucholsky-Text zitieren wollen: »Das flüsternde Sanatorium«.

2.3.2009

Ideales Marketing

Zu den am häufigsten entstellten Zitaten Tucholskys gehören die Verse aus dem Gedicht »Das Ideal«:

Ja, das möchste:
Eine Villa im Grünen mit großer Terrasse,
vorn die Ostsee, hinten die Friedrichstraße;
Theobald Tiger: »Das Ideal«, in: Berliner Illustrirte Zeitung, 31.7.1927, Nr. 31, S. 1256.

Der Berliner Tagesspiegel hat es nun aber nicht nur geschafft, wie üblich, die Friedrichstraße durch einen bekannteren Straßennamen zu ersetzen. In einem Text in der Reisebeilage über die Insel Usedom hat er Tucholskys Aussage im Grunde in ihr Gegenteil verkehrt:

Kurt Tucholsky schilderte Usedom so: »Vorne Ku’damm, hinten Ostsee.« In den Jahren 1920 und 1921 erlebte der Dichter auf der Insel an der sprichwörtlichen »Badewanne der Berliner« Strandpromenaden voller elegant gekleideter Menschen, Theater, Kaffeehäuser und im Garten manch prachtvoller Villa prominente Zeitgenossen. Schließlich wollte jeder, der in der Hauptstadt zu Vermögen gekommen war, mit einer Dependance in Heringsdorf, Ahlbeck oder Bansin protzen können.

Dass Tucholsky nicht 1920 und 1921, sondern 1921 und 1922 auf der Insel war — geschenkt. Zu schreiben, er habe jemals Usedom geschildert, ist da schon etwas vermessener. Aber indirekt zu behaupten, er habe ausgerechnet dort sein unerreichbares »Ideal« verwirklicht gesehen, ist dann doch zu viel der Tourismusreklame.

1.2.2009

Wir können alles. Außer Tucholsky

Inzwischen hat es sich bei vielen Menschen schon herumgesprochen, dass das vielzitierte Gedicht von den fallenden Börsenkursen wohl doch nicht von Tucholsky ist.

Anders scheint es dagegen in einem Landstrich der Fall zu sein, dessen Bewohner im allgemeinen als besonders fleißig und erfindungsreich gelten. Der sich dafür rühmt, alles zu können außer Hochdeutsch. Auffallend auch, dass sich die Honoratioren des Ländchen offenbar abgesprochen hatten, zum Jahresbeginn zu verschiedenen Gelegenheiten geschlossen das Gedicht von der »Höheren Finanzmathematik« zu zitieren.

So tat es beispielsweise der Berger Bürgermeister Helmut Grieb in der ersten Gemeinderatssitzung des Jahres, wie die Schwäbische Zeitung berichtete:

Mit einem Gedicht von Kurt Tucholsky aus dem Jahre 1930, der großen Wirtschaftskrise der 30er-Jahre, begann Bürgermeister Grieb seinen Vortrag. Bemerkenswert war dabei, dass schon zu dieser Zeit die Worte »Leerverkauf« und »Derivate« in der Sprache der Banker gebraucht wurden.

Wirklich sehr bemerkenswert. Da könnte man als Journalist doch mal auf die Idee kommen, bei Google die Begriffe »Tucholsky Derivate Leerverkäufe« einzugeben und einfach auf irgendeine der Fundstellen zu klicken.

Das machte offenbar auch nicht der Journalist, der über einen Neujahrsempfang in der Bodenseegemeinde Immenstaad zu berichten hatte:

Auf ine [sic] Reise raus aus dem Jammertal 2008, hinein ins Spuerwahljahr [sic] 2009 nahm Bürgermeister Beisswenger die Empfangsgäste. Seine Hoffnung, dass die Menschen aus der Krise des globalisierten Kapitalismus Lehren ziehen, bleibt allerdings schwach. Keinen geringeren als Kurt Tucholsky zitierte er als Kronzeugen. In einem Gedicht »Finanzkrise« aus dem Jahr 1930 beschreibt er just das Szenario der vergangenen Monate.

Na so ein Zufall.

Besser unterrichtet als die Mitarbeiter der Schwäbischen Zeitung sind offenbar die Kollegen von der Südwestpresse. Auch auf dem Neujahrsempfang der Kreishandwerkerschaft Reutlingen durfte Tucholsky nicht fehlen. Allerdings korrigierte Autor Jürgen Herdin den Kreishandwerksmeister Harald Herrmann und machte klar:

Mit der Finanzwelt ging Herrmann zitateweise ins Gericht, indem er vor dem Ausklang mit Mutscheln und Wein ein im Oktober 2008 verfasstes Gedicht des österreichischen FPÖ-Anhängers Richard Kerschhofer verlas, das Herrmann jedoch Kurt Tucholsky unterschob: »Auch die Spekulantenbrut zittert jetzt um Hab und Gut«, heißt es da.

Wobei die »Mutscheln« beweisen, dass die Schwaben wirklich kein Hochdeutsch können.

3.8.2008

Nicht sein Sylt II

Es ist schon interessant zu beobachten, wie sich manche Behauptungen über Tucholsky offensichtlich ungeprüft fortpflanzen. Bereits vor einem Jahr hatte in der Süddeutschen gestanden, dass Tucholsky der Insel Sylt „verfallen“ gewesen sei, was offenbar auf einer Verwechslung mit seinem Freund und Mentor Siegfried Jacobsohn beruhte, der dort regelmäßig den Sommer verbrachte. Dies greift nun auch die taz in dem Artikel „Amokprosa auf Sylt“ auf und schreibt:

Siegfried Jacobsohn, erstmals 1920 wegen der Bronchien angereist, wollte gar nicht mehr weg. Er lag halbe Jahre am Strand und redigierte seine Weltbühne. „Sylt“, schrieb er an Freund Tucholsky, ist „tausendmal schöner als Wangeroog“. Also fuhr auch Tucho hin und kam immer wieder […].

Nun sind seit dem vergangenen Jahr keine neuen Dokumente aufgetaucht, die einen oder gar mehrere Aufenthalte Tucholskys auf Sylt belegten. Da dies auch in absehbarer Zeit nicht zu erwarten ist, kann als ziemlich sicher gelten: Die nächste Fortsetzung von Tucholskys Sylt-Liebe kommt bestimmt.

Aber auch bei Siegfried Jacobsohn nimmt es der Autor nicht so genau. Der Weltbühne-Herausgeber hielt sich nicht erst 1920, sondern schon vor dem Ersten Weltkrieg regelmäßig auf Sylt auf. Zeugnis davon ist unter anderem sein Kriegstagebuch, das er im Herbst 1914 in der damaligen Schaubühne veröffentlichte. 1919 kaufte er sich von einem Bauern schließlich ein altes Reetdachhaus. Interessant auch die Behauptung, Jacobsohn sei „wegen der Bronchien“ angereist. Er war zwar Epileptiker, litt an einer Augenkrankheit, hörte auf dem rechten Ohr vermutlich nichts und besaß mit 1,57 Meter nicht gerade Gardemaß. Dass er wegen einer Lungenkrankheit an die See fuhr, war bislang noch nicht bekannt.

17.7.2008

Soldenhoff-Festspiele in Rheinsberg

Wer sich auf anschauliche und einfühlsame Weise dem Leben Tucholskys nähern möchte, greift noch immer am besten zu Richard von Soldenhoffs Lebensbild, einem schönen Bildband, der 1985 erschienen und nur noch antiquarisch erhältlich ist. Viele Materialien zu Tucholsky hatte Soldenhoff selbst zusammengetragen und sie Anfang der neunziger Jahre in einer Ausstellung gezeigt. Diese Schau bildete später den Grundstock für das Tucholsky-Literaturmuseum in Rheinsberg.

Was aus den Anfängen des Museums inzwischen geworden ist, war Soldenhoff bislang offenbar selbst nicht bekannt. So folgte er gerne einer Einladung der Stadt Rheinsberg, die aus Anlass des Besuchs eine Reihe von Veranstaltungen auf die Beine stellte. Die Lokalpresse in Gestalt der Märkischen Allgemeinen Zeitung dokumentierte die Visite ausführlich mit:

Am interessantesten davon dürfte sicherlich der Text über die Lesung sein, auf der Soldenhoff berichtete, wie er einst zu seiner Tucholsky-Leidenschaft gefunden hatte und warum ihm bei einigen Briefen Tucholskys noch immer die Tränen kommen.

Noch interessanter ist aber vielleicht eine Posse, die sich in den Anfangsjahren des wiedervereinigten Deutschland ereignete und in der Tucholsky, Soldenhoff und ein entzürnter Bundeswehr-General die Hauptrolle spielten. Der Spiegel hatte die Ereignisse um die erste Tucholsky-Ausstellung in Rheinsberg damals ausführlich aufgeschrieben.

27.6.2008

Was macht eigentlich … die taz?

Tucholsky loben

Aus diesem Anlass und weil es „ungefähr siebenhundertfünfunddreißigtausendzweihundertundneun gute Gründe“ gibt,

den Publizisten Kurt Tucholsky auch heute noch großartig zu finden. Der Mann hat die Weimarer Republik vollgeschrieben, hat sich für alles zuständig gefühlt und gegen alles angetextet, was auch nur entfernt nach Missstand aussah. Er beschimpfte, wenn es sein musste, Kaiser, Präsidenten, das Deutsche Rote Kreuz, Patrioten und Kollegen. Meistens musste es sein, wenn es nach Tucholsky ging. Die Welt gibt einem ja zu jeder Zeit genügend Gründe für ein Ärgernis.

Und doch sind seine Texte kein Stück griesgrämig. Im Gegenteil: Tucholsky hatte Humor. Wie hätte er die ganze Scheiße sonst auch ertragen können? Einmal hackt er zum Beispiel seitenlang auf einem dummbatzigen Zensurgesetz herum und endet mit dem brillanten Satz: „Dieses Gesetz gegen Schmutz und Schande fällt unter sich selbst.“

Der Anlass selbst, die Übergabe der restaurierten Grabstätte von Tucholskys Eltern Alex und Doris, erinnerte einen an manch schlechten oder auch guten Film, wie beispielsweise Wolfgang Staudtes „Untertan“, in dem es bei einer Denkmalseinweihung ein bisschen anfängt zu regnen.

Das Ganze sah am Freitagnachmittag, 16.30 Uhr, auf dem Jüdischen Friedhof in Berlin-Weißensee ungefähr so aus:



Kulturstaatssekretär André Schmitz beschirmt Tucholskys Großcousine Brigitte Rothert



Etwa 100 Gäste nahmen an der Übergabe teil, darunter auch Claus Peymann und Gisela May (vordere Schirme Mitte)



Die restaurierte Grabanlage

26.6.2008

In Weißensee, in Weißensee

Der Familie Tucholsky erging es nicht viel anders als den anderen jüdischen Familien in Deutschland. Ihre Mitglieder flüchteten entweder vor den Nazis ins Ausland oder sie kamen im KZ ums Leben. Zurück blieben als einzige Erinnerung oft nur die Grabstellen auf den Friedhöfen. Alleine auf dem Jüdischen Friedhof in Berlin-Weißensee sind es 115.000. Ohne die Pflege durch Angehörige verfallen diese Grabmäler zusehends.

Das galt bis vor kurzem auch für die Grabstätte von Tucholskys Eltern Alex und Doris. Inzwischen wurde die Anlage jedoch saniert. Am Freitag, dem 27. Juni, soll sie im Beisein des Berliner Kulturstaatssekretär André Schmitz und des Rabbiner Andreas Nachama feierlich übergeben werden. Tucholsky Großcousine Brigitte Rothert berichtet dabei über das Schicksal der einst weit verzweigten Familie. Dabei will sie auch enthüllen, dass ein naher Verwandter Tucholskys – obwohl er im Exil in den USA starb – nicht unweit seiner Familie begraben liegt.

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