Vor acht Tagen habe ich gefragt, wie sich der schmähliche Zustand, daß der Zeitungsverleger unumschränkt über seine Redakteure herrscht, auswirkt. Das läßt sich leicht beantworten:
Die Folge ist ein linder Größenwahn des Redakteurs auf allen Gebieten, wo es ungefährlich ist.
Das Verhältnis des angestellten Schriftstellers zum nicht angestellten Schriftsteller ist ein einziger Skandal – das äußerste an Unkollegialität und an Schmierigkeit, an äußerstem Mangel von Solidarität, der nur denkbar ist. Ich habe in zwanzig Jahren Literatur etwa fünf Redakteure kennen gelernt, die sich nicht einbildeten, deshalb, weil man sie angestellt hatte, etwas Besseres zu sein als ihre Mitarbeiter.
Daß der Redakteur die Spreu vom Weizen sondert, kann ihm niemand verdenken. In unserm Beruf steht das Angebot in einem grotesken Gegensatz zur Nachfrage – zu schreiben vermeint jeder und jede zu können, und den Kram, der da verlangt wird, kann ja auch jeder Mensch herstellen. Das hebt die Stellung des Redakteurs; er sieht die wirtschaftlichen Ursachen nicht und hält sich für geistig überlegen, wo er nur als Verwalter der kümmerlichen Honorare und als Billettknipser an der Schranke der Öffentlichkeit in Anspruch genommen wird. Und was er sich vor seinem Verleger niemals getraute, das wagt er dem Mitarbeiter gegenüber alle Tage: da trumpft er auf, da ist er der große Mann, dem zeigt er aber, was eine Harke ist. Leider zeigt er ihm nicht, was eine gute Zeitung ist.
Kein Schriftsteller-Schutzverband, keine Presse-Organisation hat das je zu ändern vermocht. Wieviel Redakteure mag es in Deutschland geben, die von ihrem Verlag über die Höhe des Honoraretats maßgeblich gehört werden? Mir sagte einst einer der besten Bildredakteure der deutschen Presse: „Wissen Sie, auf die Honorare käme es eigentlich nicht an“ (das war in den guten Jahren), „wir könnten ruhig das Doppelte zahlen, der Verlag merkte das gar nicht!“ Sie zahlen aber die Hälfte, und die Honorare der Provinzzeitungen sind ein Hohn, eine Unverschämtheit, aber keine Entlohnung. Der Redakteur, der sich vor seinen Mitarbeitern so gern als kleiner Kaiser aufspielt, ist der allerletzte, der hier auch ein Quentchen hineinzureden hat. Die Honorare werden von der geschäftlichen Leitung festgesetzt, und damit basta. Ausnahmen zugegeben; die Regel ist so.
Die Folgen sind klar. An Zeitungen arbeiten so viel Außenseiter mit, daß ihr Niveau tiefer ist als es unbedingt notwendig wäre: Professoren; Damen der ersten besten Gesellschaft; Fachleute, die etwas wollen, und Interessenten, die etwas nicht wollen – manchmal auch Schriftsteller. Nun verspüre ich keine Berufsreligion in mir – warum soll ein Professor nicht gut schreiben? Aber erstens schreibt er meistens schlecht, und zweitens bestimmen nun diese Leute, die sich etwas nebenbei verdienen wollen, die Höhe oder vielmehr die Tiefe der Honorare – und so ist aus unserm Beruf eine schlechtbezahlte Beschäftigung geworden.
Kurz: der Redakteur gleicht seine Machtlosigkeit vor dem Verleger durch Machtprotzerei vor dem Mitarbeiter aus. Und nicht nur dem Mitarbeiter gegenüber. Auch sich selbst gegenüber.
Ich habe einmal in Dijon einen ganzen Korb voller Journalisten auf einem internationalen Journalisten-Kongreß gesehen; das war wohl das jammervollste an Saturnalien, das man sich vorstellen konnte. Lauter Leute, von denen keiner auch nur eine Zeile schreiben dürfte, wenns ihm der Verleger verboten hätte; kleine Angestellte, mit einem ungeheuren Geltungsbedürfnis; Berichterstatter, deren höchster Ehrgeiz dahin ging, Weltgeschichte zu machen, was ja übrigens der größte Fehler der meisten Auslandskorrespondenten ist: den Diplomaten, die sie bewundernd verachten, ins Handwerk pfuschen zu wollen, es sind verhinderte Attachés – und dieser Haufe inkohärenter und nicht homogener Menschen war nur in zwei Punkten völlig einig: in der Machtlosigkeit vor ihren Verlegern und in dem wütenden Ehrgeiz, nach außen hin repräsentieren zu wollen. Es war traurig mitanzusehn.
Das, was die meisten Redakteure zu sein vorgeben, sind sie gar nicht: unabhängige Inhaber von Machtpositionen. Das können sie nur einem unkundigen Außenseiter erzählen. Sie sind bis ins letzte Komma abhängig wie die Landarbeiter, und die Stellung, die sie innehaben, nutzen sie niemals aus, weil sie das nicht dürfen, wie ja nicht einmal ihre Verlage die ihre ausnutzen, es sei denn in den allerbescheidensten Grenzen kleiner oder hier und da größerer Geschäftemacherei (Subventionen).
Das gestehn sich die wenigsten Redakteure ein.
Beide, Verleger und Redakteure, unterschätzen ihre Positionen. Sie überschätzen sie zu gleicher Zeit auf einem Gebiet, wo ihre Machtlosigkeit zum Himmel schreit: nämlich auf dem Gebiet der großen Politik. Außenpolitisch ist das nur komisch. Mir sagte einmal ein ehemaliger Redakteur der ›Frankfurter Zeitung‹: „Als wir jung waren, haben wir immer geglaubt, die Weltpolitik werde in der Großen Eschenheimer Straße gemacht.“ Das glauben viele Leute von ihren Redaktionen heute noch, und wer einmal im Ausland gelebt hat, der weiß, daß deutsche Zeitungen zwar oft zitiert, aber selten gehört werden. Innenpolitisch richten die Zeitungen um so weniger aus, je größer sie sind; tatsächlich ist ja die Entwicklung der letzten Jahre gegen die Leitartikel der größten Zeitungen, und nicht nur der sogenannten demokratischen, vor sich gegangen. Sie können schreiben, was sie wollen, und die Politiker tun, was sie wollen.
Die Klugen unter den Redakteuren wissen zwar genau, was los ist; doch beherrscht die Redaktionen jener Spruch, den sich die Herren auf goldene Teller malen lassen sollten: „Das kann man natürlich nicht schreiben!“ Aber warum, warum können sie es nicht schreiben?
Weil sie keine Macht haben. Weil ihre allzu willfährigen Organisationen, mit dummen Eitelkeitsund Prestige-Fragen befaßt, von den Unternehmern rechtens niemals so beachtet werden wie etwa in frühem Zeiten die Gewerkschaften der Buchdrucker, und weil der Redakteur von seinem Eitelkeitswahn unheilbar besessen ist. Der Verleger zahlt ihn schlecht; so macht er sich durch das bezahlt, was er selber von sich hält. Und er hält sehr viel von sich.
Ich habe sie kommen und gehen sehn. Ich weiß, wie das ist, wenn sie an einem großen Blatt angestellt sind: die Buchverlage hofieren sie; alle Welt kraucht um sie herum; man nimmt sie für voll, man ladet sie ein, und was die Theaterleute mit ihnen treiben, ist bekannt. In dem Augenblick aber, wo der Verleger sich über sie geärgert hat und wo sie entlassen sind, gelten sie so gut wie gar nichts mehr. Dann wundern sie sich.
Wolfgang Petzet hat neulich in der Deutschen Republik geschildert, wie die Kaufleute, denen die münchner Jugend gehört, ihn tyrannisiert haben, und wie es dann nicht mehr möglich gewesen ist, mit ihnen zusammenzuarbeiten. Immer wieder frage ich mich: mit welchem Recht, aus welcher Kompetenz heraus regieren diese Brüder? Weil das Unternehmen ihnen gehört? Wir machen ja auch keine Bilanzen. Verstehn denn diese Kaufleute so viel von dem, was sie vertreiben? Sie verstehn es oft mitnichten, sie handeln nur damit, und das ist nicht immer dasselbe.
Der treue Abonnent wird im Laufe der Jahre gemerkt haben, daß ich mich nie sehr viel mit Redakteuren herumgezankt habe; ich halte das für sinnlos. Man soll an das Mark der Presse heran: an die Dienstherrschaft, nicht an die Köche. Und diese Dienstherrschaft ist in den meisten Fällen anonym; unfaßbar; bar jeder Legitimation, überhaupt mitreden zu dürfen – und das regiert! Die Redakteure finden es ganz in der Ordnung.
Es scheint wenigstens so. Denn so gut wie nie liest man in ihren Fachblättern von diesen delikaten Dingen – keiner rührt das heiße Eisen auch nur an. Auf ihren Kongressen geht es gar hoch her: da wird gesprochen von der Pflicht der Kulturbildung und der Wichtigkeit der Presse – aber von der kläglichen Rolle, die der Redakteur vor dem Verleger spielt, ist nicht die Rede. Mit gutem Grund.
Ich habe nichts zu enthüllen – ich weiß von keinen Skandalgeschichten. Mich interessieren die einzelnen Verleger nicht, und ich kann hier keinen ›Sumpf‹ aufzeigen. Doch erschien es mir richtig, einmal zu sagen, welche bejammernswerte Position der Redakteur dem Verleger gegenüber einnimmt, und wie er sich aus dieser Lage herauslügt: durch Überkompensation seiner selbstverschuldeten Defekte und durch eine trübe Wichtigmacherei sich und seinen Mitarbeitern gegenüber.
Autorenangabe: Ignaz Wrobel
Ersterscheinung: Die Weltbühne, 07.06.1932, Nr. 23, S. 856.
Editionen: Kurt Tucholsky: Gesamtausgabe. Texte und Briefe. Hrsg. von Antje Bonitz, Dirk Grathoff, Michael Hepp, Gerhard Kraiker. 22 Bände, Rowohlt Verlag, Reinbek 1996ff., Band 15.
Ders.: Gesammelte Werke in 10 Bänden. Hrsg. von Mary Gerold-Tucholsky und Fritz J. Raddatz. Rowohlt Verlag, Reinbek 1975. Band 10, S. 87 ff.
[…] Redakteure (2) […]
[…] Das schrieb Tucholsky zehn Jahre später, nachdem er seine erste Anklage losgelassen hatte. Offenbar hatte er in diesen Jahren den Glauben verloren, dass sich die Situation für die Freien jemals verbessern werde: "Kein Schriftsteller-Schutzverband, keine Presse-Organisation hat das je zu ändern vermocht." […]