11.2.2005

Happy End

Es ist sicherlich nicht besonders nett von der „Süddeutschen Zeitung“, die anstehende Hochzeit von Prinz Charles und Camilla Parker Bowles ausgerechnet mit einem Vers aus Tucholskys Gedicht „Danach“ zu kommentieren:

Was aber wird aus den beiden, wenn sie erst mal verheiratet sind? Längst vorbei die geheimen Rendezvous im Pferdestall, vorüber das honigsüße Gewisper am Telefon. Bald stehen sie am Balkon des Buckingham Palasts, überwacht von der Königin. Wie hat Tucholsky gedichtet? „Die Ehe war zum jrößten Teile vabrühte Milch un Langeweile.“

Nun ist es zum einen nicht Aufgabe des SZ- „Streiflichts“, zu Mitgliedern des britischen Königshauses nett zu sein, und zum anderen ist leider nicht zu hoffen, dass nach dem lang ersehnten Happy End der beiden plötzlich „abjeblendt“ wird, wie es im dem Tucholsky-Gedicht weiter heißt. Denn selbst verbrühte Biomilch schafft es in die Regenbogenpresse, wenn sie nur auf einem königlichen Herd schäumte.

Die Rechtschreib Reform

Es ist an sich ein zweischneidige Sache, einen Schriftsteller wie Tucholsky, der auf orthographische Eigenheiten viel Wert legte, zum Anwalt einer wie auch immer gearteten verbindlichen Rechtschreibung zu machen. Was dagegen die zunehmende Unsitte angeht, zusammengehörende Wörter getrennt zu schreiben, tut die „FAZ“ sehr gut daran, sich unter Berufung auf Tucholsky gegen diese Mode zu wehren.

Und den Reformbefürwortern sei entgegengeschleudert, was schon Tucholsky zu Arnolt Bronnens Versuch einer umfassenden Getrenntschreibung meinte: „welch ein Bock Mist“.
Thomas Meissner: „Wenn Schulmeister knechten“, in: FAZ, 10.2.2005, S. 38

Weil Tucholsky Herrn Bronnen noch viele andere schöne Dinge über dessen Rechtschreibung entgegenschleuderte, seien diese hier ebenfalls erwähnt:

Er schreibt das Eigenschaftswort ‚deutsch‘ allemal groß und ‚polnisch‘ allemal klein, auch dann, wenn er die Polen etwas von „den Deutschen Schweinen“ sagen läßt – wohl, um anzudeuten: waren die Deutschen einmal Schweine, dann sind sie eben recht große gewesen. Und wenn es ganz groß hergeht, dann schreibt Bronnen alles groß – so am Schluß, wenn Banalitäten über einen nebulosen Sieg in den Wind geschmettert werden, wo die Fahnen sich bauschend im Winde … wie gehabt. Das Minderwertige wird klein geschrieben? Dann aber wollen wir von arnolt bronnen sprechen, bei dem dieser Deutsche Rechtschreibungssieg nicht nur eine gesuchte Äußerlichkeit ist wie die, alle zusammengesetzten Wörter auseinanderzureißen und die Teile ohne Bindestrich hinzusetzen: welch ein Bock Mist. Nein, seine nationale Orthographie hat ihre tiefere Bedeutung.
Peter Panter: „Ein besserer Herr“, in: Die Weltbühne, 25.6.1929, S. 935ff.

Und weil sie so schön ist, soll Tucholskys Definition eines „umstrittenen“ Autors aus demselben Text ebenfalls nicht unerwähnt bleiben:

Was aber die Buchpropaganda angeht, so ist es üblich, auch die ungünstigsten Urteile in sie aufzunehmen, und dafür gibt es ein feststehendes Klischeewort: umstritten. Nun, wenn ein Hundewürstchen auf der Straße umstritten ist, weil es die Hunde zwar fröhlich beriechen, die Menschen aber dem Ding aus dem Wege gehen –: dann ist dies ein umstrittenes Buch.

10.2.2005

Wir stricken uns ein Gedicht

Die „FAZ“ hat es sich nicht nehmen lassen, am Aschermittwoch zu einer politischen Veranstaltung der PDS in Berlin zu gehen. Eine sehr löbliche Tat, denn der daraus hervorgegangene Text macht einmal mehr deutlich, dass das Tucholsky-Gedicht „Die freie Wirtschaft“ inzwischen zu einer Art Lieblingslyrik des linken Lagers geworden ist. Reporterin Mechthild Küpper notierte in ihrem „Mit Tucholsky“ überschriebenen Artikel:

Den zweitgrößten Zuspruch erhielt Kurt Tucholsky mit einem Gedicht von 1930: „Die freie Wirtschaft”, das interessante aktuelle Bezüge aufweist: „Ihr solltet euch allesamt was schämen, von dem armen Staat noch Geld zu nehmen!”

Leider geht aus dem Text nicht hervor, ob bei der Veranstaltung die völlig merkwürdige Variante des Gedichtes zitiert wurde, die auf sehr vielen Internetseiten kursiert und es sogar in die „Berliner Zeitung“ und den „Freitag“ geschafft hat. Denn diese Variante besteht nur in ihren ersten beiden Strophen aus dem Gedicht „Die freie Wirtschaft“, das am 4. März 1930 in der „Weltbühne“ erschien. Der Rest stammt aus dem Gedicht „Eine Frage“, erstmals am 27. Januar 1931 in der „Weltbühne“ veröffentlicht. Bei so viel Dreistigkeit in Sachen Textverstümmelung muss man fast dankbar dafür sein, dass dieser Anhang überhaupt aus Tucholskys Werk übernommen wurde.
Aber irgendeinen Grund muss es wohl gegeben haben, das ganze Gedicht über die „freie Wirtschaft“ dem linken Spektrum von heute vorzuenthalten. Vielleicht die folgenden Verse:

Wir erobern die Macht, Schritt für Schritt.
Niemand stört uns. In guter Ruh
sehn Regierungssozialisten zu.

Damit hätte Tucholsky auf dem politischen Aschermittwoch der PDS sicherlich nicht einmal den zweitkleinsten Zuspruch bekommen.

Traumhafte Verwaltung

Die „Süddeutsche Zeitung“ kommentiert die Tarifeinigung im öffentlichen Dienst mit dem unvermeidlichen Behördenzitat:

Der Traum eines jeden Deutschen sei, hinter einem Schalter zu sitzen – das Schicksal eines jeden Deutschen sei, vor einem Schalter zu stehen, so hat Kurt Tucholsky einst gespottet. Für die Leute vor dem Schalter wird nun manches besser. Aber auch für die Menschen hinter dem Schalter, für die Beschäftigten, lohnt sich die Reform.

Abgesehen davon, dass es im Original nicht „Traum“, sondern „Ideal“ heißt und nicht von „jedem Deutschen“, sondern einfach nur vom „deutschen Schicksal“ gesprochen wird, ist diesem Kommentar eigentlich nichts mehr hinzuzufügen. Außer vielleicht noch der Hinweis auf „Die zehn braunen Regeln“, die Heribert Prantl auf derselben SZ-Seite aufgestellt hat und die wieder einmal zeigen sollen, dass er 1996 den Tucholsky-Preis wohl zu Recht erhielt.

9.2.2005

Der gespielte Witz

Für lesefaule Tucholsky-Fans hat der Schauspieler Uwe Friedrichsen schon etliche Audio-Kassetten und CDs aufgenommen. Aber selbst für Besitzer dieser Aufnahmen könnte es sich lohnen, in den kommenden Tagen abends an Bord des Hamburger Kulturdampfer zu gehen. Denn, wie das „Hamburger Abendblatt“ berichtet, Friedrichsen liest dort nicht nur Tucholsky-Texte vor, sondern spielt sie auch selbst. Ob dieses Programm irgendwann als DVD erhältlich sein wird, ging aus dem Artikel nicht hervor.

8.2.2005

Das kunstseidene Mädchen

Der 100. Geburtstag von Irmgard Keun war vielen Medien eine kleine Meldung wert. Sofern sie den von dpa verbreiteten Text übernahmen, erhielt man den Eindruck, dass Tucholsky die Schriftstellerin in der Rezension ihres ersten Romans „Gilgi, eine von uns“ mit geradezu überschwenglichem Lob bedachte:

„Eine schreibende Frau mit Humor, sieh mal an! Hurra! Hier arbeitet ein Talent!“

Zum einen ist es eine merkwürdige Art von dpa, sich ein solches Zitat aus einem längeren Text Wort für Wort zusammenzuklauben, dabei Wörter zu verändern und zum Schluss noch ein Ausrufezeichen als Zugabe dranzuhängen. Zum anderen sparte Tucholsky am Ende seiner Buchbesprechung auch nicht mit Kritik:

Flecken im Sönnchen, halten zu Gnaden. Hier ist ein Talent. Wenn die noch arbeitet, reist, eine große Liebe hinter sich und eine mittlere bei sich hat –: aus dieser Frau kann einmal etwas werden.
Peter Panter: „Auf dem Nachttisch“, in: Die Weltbühne, 2.2.1932, S. 180

Die Freude über diese literarische Entdeckung währte aber nicht lange. Nachdem Keuns zweiter Roman „Das kunstseidene Mädchen“ erschienen war, musste Tucholsky sich davon überzeugen, dass die von dem Schriftsteller Robert Neumann erhobenen Plagiatsvorwürfe berechtigt waren. Keun war sich keiner Schuld bewusst und bat Tucholsky darum, in dem Streit zu vermitteln. Was dieser auch tat. In einem Brief an Keun zeigte er sich aber entsetzt über deren Naivität:

Warum in aller Welt haben Sie das gemacht? Sie haben doch dergleichen gar nicht nötig! Sie sind eine hochbegabte Schriftstellerin – ich habe gegen manches Einwände, aber Sie können bereits etwas, und, was mehr wert ist: Sie sind jemand. Und nun das da –! (…) Ich trete für neue Leute ein, wo ich nur kann, und daß ich kein Literaturpapst bin, wissen Sie auch. Aber bitte glauben Sie mir: hätte ich ‚Karriere‘ gekannt und wäre das Buch nicht von Ihnen gewesen, so hätte ich daraus einen bösen Casus gemacht.
Brief an Irmgard Keun vom 16.7.1932

2.2.2005

Kabarettkur

Kann es ein angemesseneres Ambiente für einen Kabarettabend geben als eine Trinkkurhalle? Wer die Gelegenheit nutzen möchte, dies zu überprüfen, muss am 3. Februar lediglich ins hessische Bad Salzhausen fahren und sich dort um 19.30 Uhr in der besagten Lokalität einfinden. Wie die „Frankfurter Neue Presse“ in ihrer Ankündigung weiter schreibt, lädt die Kulturreihe „Kunst im Park“ zu einer Zeitreise ein, in der „Lieder und Texte aus dem Berliner Kabarett der ‚roaring twenties‘, teils als Live-Musik, teils in historischen Schallplattenaufnahmen“ präsentiert werden. Den Besucher erwartet einiges:

Nach Berlin, in die Stadt des pulsierenden Lebens wie auch der grauen Hoffnungslosigkeit, wollen Pia Rausch, Ralf Dörschner, Dr. Peter Möser und Elfriede Maresch ihre Gäste entführen. Dort war das Zentrum der künstlerischen, besonders der literarischen Avantgarde, dort wuchsen die oft kurzlebigen, aber höchst anspruchsvollen Kabaretts aus dem Boden, Trude Hesterbergs „Wilde Bühne“, Friedrich Hollaenders „Tingel-Tangel“, Rosa Valettis „Cabaret Größenwahn“, Werner Fincks „Katakombe“. Marlene Dietrich sang „Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt“, Ringelnatzens Seemann Kuddel Daddeldu schwankte über die Bühne, Mehrings und Kästners Texte wandelten sich in Chansons. Tucholsky schrieb seine couragiert-bösen Lieder („General, General, wag es ja nicht noch einmal . . .“), die die Republik doch nicht retten konnten.

In der Tat: wäre es im Berlin der Weimarer Republik immer so gesittet wie in einer hessischen Trinkkurhalle zugegangen, hätte sich die Geschichte dieses Landes und der Welt wohl anders entwickelt.

30.1.2005

Völlig GaGa

Da am 21. Dezember 2005, dem 70. Todestag von Kurt Tucholsky, die Urheberrechte an seinem Werk erlöschen, ist das Projekt Gutenberg bestrebt, zu diesem Datum digitale Versionen von Tucholsky-Texten bereitstellen zu können. Um Texte schnell und kostengünstig zu digitalisieren, hat das Projekt Gutenberg die Website „www.gaga.net“ eingerichtet, – wobei GaGa für „Gemeinsam an Gutenberg arbeiten“ steht. Bei GaGa geht es darum, eingescannte Texte am Bildschirm Korrektur zu lesen und auf diese Weise zuverlässige digitale Literaturversionen zu erstellen. Von Tucholsky befinden sich derzeit drei Sammelwerke mit insgesamt 1064 Seiten in der ersten Bearbeitungsstufe.
Auch wenn das Projekt GaGa sehr sinnvoll erscheint: Wesentlich sinnvoller wäre es, von Tucholsky ein ähnliches Internetangebot zu erstellen, wie es beispielsweise das Heinrich-Heine-Portal liefert. Dessen Ziel ist es:

Werke und Briefe sowie Dokumente zu Leben, Werk und Wirkung Heines auf der Basis moderner Standards zur anwendungsneutralen Datenkodierung (SGML/XML) erfassen und als integriertes digitales Informationssystem frei im Internet zugänglich machen.

Und es ist auch nicht so, dass Tucholsky-Texte überhaupt digitalisiert werden müssten. Schließlich gibt es seit 1999 bereits die von Direct Media publizierte Tucholsky-CD als Band 15 der Digitalen Bibliothek. Derzeit ist diese CD aber nicht lieferbar. Das hat vermutlich auch etwas damit zu tun, dass in ein paar Monaten gewisse Urheberrechte ablaufen.

29.1.2005

Dann doch

Nach einer zweiten Diskussionsrunde ist bei der freien Internet-Enzyklopädie Wikipedia der Artikel über Kurt Tucholsky zu den exzellenten Artikeln gezählt worden. Die Diskussion drehte sich dieses Mal im wesentlichen um die Frage, ob das dort verwendete Foto tatsächlich den Kriterien von Gemeinfreiheit genügt. Zwar konnte diese Frage nicht hundertprozentig geklärt werden, aber das scheint bei Wikipedia-Fotos häufiger der Fall zu sein.

28.1.2005

Irgendwie dagegen

Wenn Fritz J. Raddatz ein längeres Interview gibt, ist es wohl unvermeidlich, dass irgendwann ein Tucholsky-Zitat fällt. Erst recht, wenn er von Bettina Röhl, die eine Art freie Mitarbeiterin der „Netzeitung“ geworden zu sein scheint, zu „Kunst, Macht und das geistige Klima, aus dem einst die RAF entstand“ befragt wird. Zwischendurch geht es in dem langen Gespräch um das Verhältnis Raddatz‘ zum Marxismus:

Und viele, die das Buch nicht kennen, sagen dann: Sie haben doch ein Buch geschrieben mit dem Titel: «Warum ich Marxist bin», und ich erkläre dann, dass ich dieses Buch nur herausgegeben habe, und dass der einleitende Aufsatz zu diesem Buch gerade darlegt, warum ich nicht Marxist bin – das ist schon eine Volte in sich selber. Ich bin allerdings, und da klaue ich jetzt ein Wort von Tucholsky, der hat sich mal so genannt, und so würde ich mich auch nennen: ein Anti-Antikommunist.

Nun sollte man gerade von Raddatz erwarten, dass er seinen Tucholsky sehr gut kennt. Falls dieser sich aber tatsächlich einmal als „Anti-Antikommunisten“ bezeichnet hat, muss er diese Stelle wirklich sehr gut in seinem Werk versteckt haben. Vielleicht hat sich Raddatz aber auch lediglich an folgende Passage erinnert:

Ich bin Anti-Antibolschewist. Aber ich bin kein Bolschewist.
Es mag sein – das ist meine letzte Hoffnung -, daß die Russen im Lande vernünftiger sind als ihre grauenvollen Reklameagenten. Es ist möglich, daß das Irrationale im Russen so stark ist, daß er dieser Überratio bedarf, die mir wie gefrorene Mathematik vorkommt. Vielleicht ist die Ware gut. Was im Schaufenster liegt, wird von Jahr zu Jahr unerträglicher.
Und trägt dazu bei, die Welt in einen einzigen Antisowjetblock zu verwandeln.
Kurt Tucholsky an Hedwig Müller, Q-Tagebuch, 3.3.1935

Nun kann man selbstverständlich der Meinung sein, Kommunismus, Marxismus und Bolschewismus seien ohnehin ein und dasselbe. Man kann aber auch, wie Tucholsky, lapidar feststellen:

Man muß, sagt Gumbel, Rußland mit sich selbst vergleichen: das Land vor dem Kriege und das Land nach dem Kriege – dann kommt man vielleicht zu einem Resultat. Er zeigt, wie der ›Bolschewismus‹, der niemals Kommunismus gewesen ist, damit begonnen hat, daß er den Landhunger der rückkehrenden Soldaten aufzufangen verstand (…)
Peter Panter: „Auf dem Nachttisch“, in: Die Weltbühne, 6.12.1927, S. 860

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