Ein Schloss im Sumpf
Die „Berliner Morgenpost“ hat in dem Artikel „Brauner Sumpf“ aufgeschrieben, warum es in Rheinsberg bisweilen längst nicht mehr so idyllisch wie zu Zeiten Tucholskys zugeht.
Die „Berliner Morgenpost“ hat in dem Artikel „Brauner Sumpf“ aufgeschrieben, warum es in Rheinsberg bisweilen längst nicht mehr so idyllisch wie zu Zeiten Tucholskys zugeht.
Die „Welt am Sonntag“ hat einen Artikel über eine Golfhotel abgedruckt, der in ähnlicher Form vor wenigen Wochen bereits im Schwesterblatt „Welt“ zu lesen war. Autor Heinz Hormann hat sich immerhin die Mühe gemacht, einiges an dem Text zu verändern. Unverändert falsch übernahm er aber ein Zitat, das er auch dieses Mal wieder ebenso fälschlich Tucholsky zuschreibt.
Im Postdamer Filmmuseum haben sich am Mittwoch Freunde und Weggefährten des Filmproduzenten Thomas Wilkening getroffen, der Anfang März bei einem Unfall auf der Insel Hiddensee ums Leben gekommen war. In den „Potsdamer Neuesten Nachrichten“ erinnert Autor Matthias Hassenpflug daran, dass Wilkenings teuerstes Filmprojekt die Adaption von Tucholskys Roman „Schloss Gripsholm“ gewesen sei. In dem Text „Stratege und Spieler“ heißt es:
Lydia, gespielt von Heike Makatsch, scheint mit dem Fahrrad einen Abhang direkt in einen See gefallen zu sein. Kurt (Ulrich Noethen) stürzt voller Angst ins Wasser. Doch Lydia steht wohlbehalten am Ufer: „Wir werden doch alle sterben – früher oder später“, verlacht sie ihren Liebhaber.
Thomas Wilkening ist früher gestorben.
Ob der Dialog in dem Film tatsächlich so lautet oder Hassenpflug sich nur leicht verhört hat, sei dahin gestellt. Im Original heißt es ein klein wenig anders, – und das darin enthaltene Wortspiel ließe Wilkenings unerwarteten Tod noch tragischer erscheinen:
Der, der einen Schlafenden beobachtet, fühlt sich ihm überlegen – das ist wohl ein Überbleibsel aus alter Zeit, vielleicht schlummert da noch der Gedanke: er kann mir nichts tun, aber ich ihm. Dieser Frau gab der Schlaf wenigstens kein dümmliches Aussehen; sie atmete fest und ruhig, mit geschlossenem Mund. So wird sie aussehen, wenn sie tot sein wird. Dann liegt der Kopf auf einem Brett – immer, wenn ich an den Tod denke, sehe ich ein ungehobeltes Brett mit kleinen Holzfäserchen; dann liegt sie da und ist wachsgelb und wie uns andern scheint, sehr ehrfurchtgebietend. Einmal, als wir über den Tod sprachen, hatte sie gesagt: „Wir müssen alle sterben – du früher, ich später“ – in diesem Kopf war so viel Mann.
Eine seltene Form von Tucholsky-Koinzidenz scheint an diesem Freitag in der „Süddeutschen Zeitung“ gegeben zu haben. Im Feuilleton (S. 16) bespricht ein gewisser lmue eine neu erschienene Anthologie, die sich mit dem vielseitigen Phänomen des Nachbarn beschäftigt. In der kurzen Rezension von „Hallo Nachbarn!“ (nicht wie in der SZ: Hallo Nachbar!“) wird erwähnt, dass neben vielen anderen Autoren auch Tucholsky mit einem Text in dem Buch vertreten sei. In der Kürze kann natürlich nicht bei jedem Autor ein Hinweis auf den ausgewählten Text gegeben werden. Aber es wäre keine Überraschung, wenn Herausgeberin Petra Reinfelder das Peter-Panter-Stück „Was machen die Leute da oben eigentlich?“ ausgesucht hätte. Dieser Text beginnt wie folgt:
Motto: Der eigene Hund macht
keinen Lärm – er bellt nur.
(Alte Weisheit)
Womit wir bei dem nächsten SZ-Artikel wären. Dieser steht im Bayernteil (S. 39) und befasst sich mit den LKW-Kolonnen, die sich seit der Einführung der Autobahnmaut über bayerische Bundesstraßen quälen. Autor Martin Zips schreibt:
Roland Heinisch wohnt direkt im Ort. Der kräftige Mann mit dem Knopf im Ohr fährt selber Lastwagen, sagt aber auch, dass er ziemlich froh sei, jetzt endlich schalldichte Fenster zu haben. „Ist ja klar, dass die Lkw hierher fahren. So sparen die sich bis zu 60 Kilometer Mautgebühr. Das würde ich als Spediteur genauso anordnen.“ Lärm ist eben auch immer eine Frage des Gesichtspunkts: „Der eigene Hund macht keinen Lärm, er bellt nur“, sagt Kurt Tucholsky.
Womit wiederum dank der indirekten Mithilfe aus der Feuilletonredaktion schon die Frage geklärt wäre, ob dieses Zitat tatsächlich von Tucholsky stammt.
Wenn man der „FAZ“ glauben schenken darf, dann betreibt der Münchner „Staranwalt“ Rolf Bossi in seinem jüngst erschienenen Buch „Halbgötter in Schwarz“ eine höchst fragwürdige Form der Justizschelte. Im Kern liefen Bossis Vorwürfe darauf hinaus, schreibt Gerd Roellecke in seiner Rezension, dass die deutschen Richter sich aufgrund einer während der NS-Zeit erfahrenen Unangreifbarkeit noch immer unantastbar fühlten. Bossi sehe sich zu diesem harschen Urteil offensichtlich dadurch genötigt, weil es ihm als Anwalt in verschiedenen Prozessen nicht gelungen sei, die Richter von der Unschuld seiner Mandanten zu überzeugen und die Gerichtsurteile anschließend aufheben zu können.
Nach Ansicht Roelleckes ist Bossis Argumentation nicht besonders geschichtssicher:
Die Richterschelte des Verfassers hat Kurt Tucholsky in der Weimarer Zeit weit überboten und damals den preußischen Obrigkeitsstaat verantwortlich gemacht. „Falsche Vergangenheit“ scheint zu den typischen Gründen für „falsche“ richterliche Ansichten zu gehören.
Nun muss man Tucholsky zugute halten, dass dessen Kritik an der Weimarer Justiz im Kern berechtigt gewesen zu sein schien. Außerdem kritisierte er nicht nur die „falsche Vergangenheit“ der bereits amtierenden Richter, sondern warnte auch vor einer „falschen Zukunft“ der neuen Richtergeneration, wofür er die ständische Prägung der Jurastudenten auf Universitäten und in studentischen Verbindungen verantwortlich machte. So richtig es sein mag, Bossis Argumentation in Frage zu stellen, so fragwürdig scheint es doch, Tucholskys Justizkritik auf ein fehlgeleitetes preußisches Obrigkeitsdenken zu verkürzen. Verglichen mit den Richtern, die Tucholsky im Jahre 1940 Recht sprechen sah, kamen die Justizräte unter Kaiser Wilhelm noch sehr gut weg:
Die verfehlte Prozeßführung des deutschen Richters ist aus seiner Gruppenauslese herzuleiten, und es kann niemals besser werden, wenn Vorbildung und soziologische Auswahl nicht von Grund auf geändert werden. Angemerkt mag sein, daß der heutige Typus noch Gold ist gegen jenen, der im Jahre 1940 Richter sein wird. Dieses verhetzte Kleinbürgertum, das heute auf den Universitäten randaliert, ist gefühlskälter und erbarmungsloser als selbst die vertrockneten alten Herren, die wir zu bekämpfen haben. Während in der alten Generation noch sehr oft ein Schuß Liberalismus, ein Schuß Bordeaux-Gemütlichkeit anzutreffen ist, ein gewisser Humor, der doch wenigstens manchmal mit sich reden läßt, lassen die kalten, glasierten Fischaugen der Freikorpsstudenten aus den Nachkriegstagen erfreuliche Aspekte aufsteigen: wenn diese Jungen einmal ihre Talare anziehen, werden unsre Kinder etwas erleben. Ihr Mangel an Rechtsgefühl ist vollkommen.
Ignaz Wrobel: „Deutsche Richter“, in: Die Weltbühne, 2., 19. u. 26.4.1927, S. 581, 618, 663
Ein wenig um die Ecke gedacht hat Christoph Böhr, Vorsitzender der rheinland-pfälzischen CDU, bei der Beantwortung der „Gäste-Liste“ im aktuellen „Focus“. Acht Gründe sollte er nennen, „warum Werte für unsere Gesellschaft wichtig sind“. An zweiter Stelle zitierte er einen Satz Tucholskys, den dieser in einem Brief an Walter Hasenclever geschrieben hatte: „Der Wert eines Menschen hängt nicht von seinem Soldbuch ab“.
Es ist in der Tat einiges wert, dass der Wert eines Menschen in Deutschland nicht mehr von seinem militärischen Rang abhängt. Aber werden die Menschen inzwischen tatsächlich danach beurteilt, inwieweit sie wichtige gesellschaftliche Werte respektieren? Was zählt, ist noch immer der Erfolg, ganz gleich, wie edel der Charakter war, der ihn erzielte. Und wenn das deutsche Militär zuletzt nicht ziemlich erfolglos gewesen wäre: Wer weiß, von was noch immer der Wert eines Menschen hierzulande abhinge.
Eines der wenigen, allgemein auf Zustimmung stoßenden Urteile über die Deutschen besteht darin, dass sie zwar ein fleißiges und diszipliniertes, aber letztlich humorloses Völkchen seien. Dieses Urteil wurde auch regelmäßig hervorgeholt, wenn es darum ging, den von Robert Gernhardt im vergangenen Jahr vorgelegten Sammelband komischer deutscher Gedichte zu besprechen. In dieselbe Kerbe schlägt nun auch Alexander von Bormann, der sich für den „Tagesspiegel“ sowohl Gernhardts Band „Hell und schnell“ als auch die von Steffen Jacobs zusammengestellte Anthologie „Die komischen Deutschen“ näher angeschaut hat. Der erste Satz seiner Rezension lautet daher lapidar: „Die Deutschen gelten nicht als komisch.“
Es sollte aber einem zu denken geben, wenn ausgerechnet einer derjenigen, die gemeinhein als Vertreter der raren Spezies deutscher Humoristen gelten und in den Bänden mit Texten vertreten sind, zu einer ganz anderen Auffassung gelangte:
Wir Deutschen haben Humor – ja, man kann fast versucht sein, zu sagen, deutscher Humor, das sei fast ein Pleonasmus, so wie deutsche Musik. Und beinahe ist es in der Tat auch so.
Doch haben wir nicht viele Humoristen.
Ignaz Wrobel: „Etwas vom Humor“, in: Frankfurter Zeitung, 23.10.1918
Falls diese feine, aber nicht unbedeutende Unterscheidung zutrifft, lässt sich damit auch der Eindruck erklären, den Deutschland vermittels seiner humoristischen Erzeugnisse auf das Ausland macht. Denn von außen spiegelt sich der Humor eines Landes vor allem in den Werken seiner „Humoristen“ wider. Da sich der volkstümliche Humor jedoch nicht in den Werken der Humoristen erschöpfe, könne dieser Eindruck trügen, schreibt Tucholsky weiter:
Jeder Humorist ist ein Philosoph, und ein solcher arbeitet nicht schludrig. Gerade er muß das feinste Gefühl für die Form haben, für die Sprache – und er muß nicht nur fühlen, er muß auch arbeiten können. Daher sind in der Kunst die Humoristen so selten.
Nun gibt es aber – wie in der Lyrik – ein Naturburschentum des Humors, das mit Kunst nur sehr mittelbar etwas zu tun hat, insofern sein Niederschlag aufgeschrieben wird wie ein literarisches Kunstwerk auch. In den meisten Fällen wirds aber gar nicht aufgeschrieben.
In Walter Rathenaus „Reflexionen“ stehen zwei gute Seiten, auf denen er sagt, daß der Mann des Lebens überhaupt nicht schreibt. (Wenn ers einmal tut, belügt er sich meist.) Er schweigt und lebt. Taut ihm aber einmal die Zunge auf, in einer gemütlichen Kneipstunde um einen runden Tisch herum, am Kaminfeuer, unterwegs auf einer stillen Wanderung zu zweien – dann kommen Köstlichkeiten ans Tageslicht, von denen sich der Literat nichts träumen läßt. Behaglich Tiefgeschautes, lächelnd Beobachtetes, schmunzelnd Festgestelltes. Und abermals: auch das ist Humor.
Die „Welt“ weiß selbst nicht so recht, was sie von der Zitatensammlung des früheren Bundestagsabgeordneten, Senators und Landeszentralbankchefs Wilhelm Nölling halten soll. „Wer ein originelles Sammelsurium der unterschiedlichsten Schriften amüsant findet, kommt auf seine Kosten“, heißt entsprechend vorsichtig in dem Artikel „Besondere Lese-Erfahrungen“, in dem Nöllings Buch „Hohe Leuchten“ besprochen wird. Eine Bemerkung aus der Rezension lässt einen jedoch aufhorchen:
Auch Politiker fehlen nicht. Willy Brandt, Helmut Schmidt, Benjamin Franklin und Tucholsky lassen grüßen.
Schwer zu sagen, wie Schmidt grüßen würde oder Brandt und Franklin gegrüßt hätten. Tucholskys Botschaft aber hätte ganz schlicht lauten können: „Liebe ‚Welt‘-Redaktion: Ich mag zwar einiges in meinem Leben gewesen sein, aber ich war niemals ein Politiker.“
PS: Auf der zum Buch gehörenden Webseite findet sich im übrigen ein kaum zu übertreffendes Zitat für einen Klappentext: „‚Ich verspreche mir eine genussreiche Lektüre.‘ (Johannes Rau)“
Erstmals seit 20 Jahren habe sich die Bundeswehr wieder getraut, in Kassel öffentlich Rekruten zu vereidigen, berichtete die „Frankfurter Rundschau“ am Samstag. Wie es in dem Artikel weiter heißt, habe die Bundeswehr allerdings auf eine Teilnahme der Öffentlichkeit an der Gelöbnisfeier wenig Wert gelegt. Ort und Zeitpunkt seien aus Angst vor Störern nicht den Medien mitgeteilt worden. Ein Teil des deutschen Volkes, dessen Freiheit die Rekruten zu verteidigen gelobten, war daher nicht besonders gern gesehen:
Auf eine kleine Gruppe von Störern, die sich näher an das Geschehen heranwagen, stürzen sich sofort Feldjäger und Polizei. „Soldaten sind Mörder!“, ruft ein junger Mann und muss für das Tucholsky-Zitat den rabiaten Rempler eines Polizisten und einen Platzverweis einstecken. Einige Meter entfernt erklären zwei Gelöbnis-Besucher, wie sie zum Recht auf freie Meinungsäußerung stehen: Den Protestierern, meinen sie, müsse man „gleich richtig aufs Maul hauen“.
Nachdem Wiglaf Droste vor einem Monat ein „Weltbühnen“-Essay von Axel Eggebrecht besprochen hat, widmet er sich dieses Mal in der Hörbuch-Rubrik der „Frankfurter Rundschau“ einer Vertonung von Tucholskys „Rheinsberg“. Da das „Bilderbuch für Verliebte“ eng mit Tucholskys Beziehung zu Else Weil verknüpft ist, wundert es nicht, dass einige Passagen aus der Besprechung gewisse Ähnlichkeiten mit einem Text haben, den Droste vergangenen Jahr in der „taz“ über Tucholskys erste Frau veröffentlichte.
Über das Hörbuch selbst erfährt der Leser sehr wenig. „Die große Stimme von Kurt Böwe in der DDR-Funkfassung erhöht noch das Gewicht des Textes“, meint Droste. Die zu affektiert klingende Stimme von Ulrike Krumbiegel als Claire und vor allem die für einen 21-Jährigen zu alt und gesetzt klingende Stimme von Gunter Schoß als Wölfchen sind dagegen nicht dazu angetan, dem Rheinsberg-Ausflug eine gewisse Authentizität zu verleihen. Ein angenehmeres Hörerlebnis war im Vergleich dazu die „Rheinsberg“-Lesung der Tucholsky-Gesellschaft mit Anna Thalbach, Heike Warmuth und Oliver Urbanski. Für diese Lesung war der Originaltext, anders als bei dem Hörbuch, auch nicht dramaturgisch aufbereitet worden. Schade, dass von dieser Veranstaltung keine Tonaufnahme gibt.
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