Dräuende Krieger aus gefrorenem Mist
Hätte der Architekturexperte der Berliner Zeitung, Nikolaus Bernau, die folgenden Zeilen vor 80 Jahren geschrieben, wäre ihm Ärger sicher gewesen:
Was für ein babylonisches Steingebirge. Urtümlich mit finsteren Kriegergestalten, mit dem weiten, von hohen Wällen gerahmten Vorplatz und dem unergründlich spiegelnden Teich darin. Das Leipziger Völkerschlachtdenkmal war schon vor seiner Einweihung 1913 heftig umstritten.
Bernau erinnert in seinem Text »Die reaktionäre Moderne« an der Architekten Bruno Schmitz, der heute vor 150 Jahren geboren wurde. Schmitz hat jedoch nicht nur das Völkerschlachtdenkmal, sondern auch das Kaiser-Wilhelm-Denkmal an der Porta Westfalica und das Kaiser-Wilhelm-Denkmal am Deutschen Eck verbrochen. Letzteres hat auch Tucholsky einmal in Augenschein genommen. Und war entsetzt:
Wir gingen auf der breiten, baumbestandenen Allee; vorn an der Ecke war eine Fotografenbude, sie hatten Bilder ausgestellt, die waren braun wie alte Daguerrotypien, dann standen da keine Bäume mehr, ein freier Platz, ich sah hoch … und fiel beinah um.
Da stand – Tschingbumm! – ein riesiges Denkmal Kaiser Wilhelms des Ersten: ein Faustschlag aus Stein. Zunächst blieb einem der Atem weg.
Sah man näher hin, so entdeckte man, daß es ein herrliches, ein wilhelminisches, ein künstlerisches Kunstwerk war. Das Ding sah aus wie ein gigantischer Tortenaufsatz und repräsentierte jenes Deutschland, das am Kriege schuld gewesen ist – nun wollen wir sie dreschen! In Holland.
Zunächst ist an diesem Monstrum kein leerer Fleck zu entdecken. Es hat die Ornamenten-Masern.
Oben jener, auf einem Pferd, was: Pferd! auf einem Roß, was: Roß! auf einem riesigen Gefechtshengst wie aus einer Wagneroper, hoihotoho! Der alte Herr sitzt da und tut etwas, was er all seine Lebtage nicht getan hat: er dräut in die Lande, das Pferd dräut auch, und wenn ich mich recht erinnere, wallt irgend eine Frauensperson um ihn herum und beut ihm etwas dar. Aber da kann mich meine Erinnerung täuschen … vielleicht gibt sie dem Riesen-Pferdchen nur ein Zuckerchen. Und Ornamente und sich bäumende Reptile und gewürgte Schlangen und Adler und Wappen und Schnörkel und erbrochene Lilien und was weiß ich … es war ganz großartig. Ich schwieg erschüttert und sah Jakoppn an.
»Ja«, sagte Jakopp, »das ist das Kaiser-Wilhelm-Denkmal am Deutschen Eck.
Ignaz Wrobel: »Denkmal am Deutschen Eck«, in: Die Weltbühne, 14.1.1930, S. 94
Schon diese Schilderung dürfte seinen nationalbewussten Zeitgenossen nicht gefallen haben. Aber mit einer weiteren Formulierung war ihm der Zorn der Rechten sicher, wie Tucholsky zwei Jahre später im Rückblick schrieb:
Vor einiger Zeit habe ich hier das schöne Denkmal am Deutschen Eck, in Koblenz, geschildert; der selige Kaiser Wilhelm der Erste ist dort zu Stein zusammengehauen, und ich hatte mir erlaubt, solches einen gefrorenen Mist zu nennen. Darob große Entrüstung bei den Kleinbürgern des Nationalismus. Es hagelte Proteste, ich spannte keinen Regenschirm auf, und soweit gut.
Ignaz Wrobel: »Historisches«, in: Die Weltbühne, 26.1.1932, S. 144
Tucholskys Bitte, dass eine Regierung diesen »gefrorenen Mist« abkarre, hat übrigens erst ein amerikanischer Soldat erhört, der 1945 Kaiser Wilhelm von seinem hohen Podest schoss. Jedoch nicht für immer: 1993 ließ ein generöser Spender, ausgerechnet ein Zeitungsverleger, den alten Hohenzollern wieder auferstehen. Womöglich galt für ihn dasselbe, was Bernau über Schmitz geschrieben hat:
Er suchte zutiefst pessimistisch ob der Zukunft die neuen Formen in der Vergangenheit.