Sterben leicht geredet
Einen recht merkwürdigen Einstieg wählt das „Darmstädter Echo“ in einem Artikel über ehrenamtliche Mitarbeiter in einem Hospizdienst. Autorin Petra Neumann-Prystaj zitiert den letzten Absatz eines Tucholsky-Textes als Hinführung zu dem schwierigen Thema Sterben:
„Übrigens stirbt keiner im höchsten Schmerz. Alles arrangiert sich, es geht ein langsamer Wechsel der Zellen vor sich – und weil niemand in fortgesetzter Ekstase leben kann, verfliegen Töne und Musik und Tränen, als wären sie nie gewesen.“ Allmählich schwinden Kraft und Sinne – so stellte sich Kurt Tucholsky das Ende vor. Friedlich. Trotzdem wählte er für sich den Notausgang Selbstmord.
Das Zitat ist von der Autorin für ihre Zwecke leider falsch ausgedeutet worden und in diesem Zusammenhang völlig deplaciert. Denn es ist dem Text „Pars-!“ entnommen, in dem Tucholsky seine Gefühle beschreibt, die ihn einmal beim Hören eines schwülstigen Liebeskummerliedes überfielen. „Allmählich schwinden Gefühle und Erinnerungen – so stellte sich Kurt Tucholsky das Ende eines jeden noch so heftigen Herzensjammers vor“, müsste es eher heißen. Und dass Tucholsky sich in Schweden vermutlich das Leben nahm, hatte wohl doch damit zu tun, dass bestimmte, mit starken Schmerzen verbundene Leiden eben nicht mehr „friedlich“ verschwanden.
Diese falsche Zitatauswahl ist eigentlich bedauerlich. Denn es gibt einen Tucholsky-Text, der sich tatsächlich mit dem langsamen Sterben eines Menschen beschäftigt. Darin heißt es:
Werde ich sterben können -? Manchmal fürchte ich, ich werde es nicht können.
Da denke ich so: wie wirst du dich dabei aufführen? Ah, nicht die Haltung – nicht das an der Mauer, der Ruf „Es lebe … “ nun irgend etwas, während man selber stirbt; nicht die Minute vor dem Gasangriff, die Hosen voller Mut und das heldenhaft verzerrte Angesicht dem Feinde zugewandt … nicht so. Nein, einfach der sinnlose Vorgang im Bett. Müdigkeit, Schmerzen und nun eben das. Wirst du es können?
(…)
Vielleicht wird es nicht so schwer sein. Ein Arzt wird mir helfen, zu sterben. Und wenn ich nicht gar zu große Schmerzen habe, werde ich verlegen und bescheiden lächeln: „Bitte, entschuldigen Sie … es ist das erste Mal …“
Kaspar Hauser: „Befürchtung“, in: Die Weltbühne“, 9.7.1929, S. 71
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