Jede Menge Unsinn
Wenn sich der Spiegel mit der Zeit der Weimarer Republik befasst, scheint die ansonsten recht zuverlässige Dokumentation zufällig in der Mittagspause zu sein. Gab es zu Anfang der Wirtschaftskrise einige dubiose Passagen zu Brüning zu lesen, muss nun Tucholsky für einen unpassenden Vergleich mit der Gegenwart herhalten. Im Artikel »Tiger-Fütterung in Düsseldorf« über das Weblog Wir in NRW, dessen Autoren sich der Pseudonyme Tucholskys bedienen, schreibt das Blatt nun:
Er war ein Meister des Wortes, boshaft, beißend ironisch, präzise. Aber weil der linke Journalist Kurt Tucholsky in der Weimarer Republik auch an seine Sicherheit denken musste, legte er sich jede Menge Pseudonyme zu. Zum Beispiel Kaspar Hauser, Ignaz Wrobel, Peter Panter, Theobald Tiger.
Das ist geradezu unfassbar schlecht recherchiert für ein Magazin vom Anspruch eines Spiegel. Schon ein Blick in den Wikipedia-Artikel zu Tucholsky hätte für die Feststellung genügt:
Um das linksdemokratische Wochenblatt [Die Weltbühne] nicht allzu »Tucholsky-lastig« erscheinen zu lassen, hatte er sich bereits 1913 drei Pseudonyme zugelegt, die er bis zum Ende seines publizistischen Wirkens beibehielt: Ignaz Wrobel, Theobald Tiger und Peter Panter.
Gerade Tucholsky hat nie ein Hehl aus seinen Pseudonymen gemacht. Im Gegenteil. Nachdem er sich Anfang der zwanziger Jahre Angriffen rechtsgerichteter Medien ausgesetzt sah, bekannte er sich öffentlich dazu, unter mehreren Namen zu schreiben:
Die rechtsstehende Presse amüsiert sich seit einiger Zeit damit, mich mit allen meinen Pseudonymen als »den vielnamigen Herrn« hinzustellen, »der je nach Bedarf unter diesem oder unter jenem Namen schreibt«. Also etwa: Schmock oder Fink und Fliederbusch oder so eine ähnliche Firma.
Aber wir stammen alle Fünf von einem Vater ab, und in dem, was wir schreiben, verleugnet sich der Familienzug nicht. Wir lieben vereint, wir hassen vereint – wir marschieren getrennt, aber wir schlagen alle auf denselben Sturmhelm.
Kurt Tucholsky: »Wir alle fünf«, in: Die Weltbühne, 14. August 1922
Wenige Jahre später, als er einen ersten Auswahlband mit Texten aller Pseudonyme veröffentlichte (Mit 5 PS), erläuterte er ausführlich deren Entstehung:
Wir sind fünf Finger an einer Hand.
Der auf dem Titelblatt und:
Ignaz Wrobel. Peter Panter. Theobald Tiger. Kaspar Hauser.
Aus dem Dunkel sind diese Pseudonyme aufgetaucht, als Spiel gedacht, als Spiel erfunden – das war damals, als meine ersten Arbeiten in der Weltbühne standen. Eine kleine Wochenschrift mag nicht viermal denselben Mann in einer Nummer haben, und so erstanden, zum Spaß, diese homunculi.
»Start«, in: Die Weltbühne, 27. Dezember 1927
Und da es Spiegel-Redakteuren vermutlich per Arbeitsvertrag vorgeschrieben ist, beim Ausstieg aus dem Text einen Bogen zum Einstieg zu schlagen, muss Tucholsky gleich noch einmal herhalten:
Sollte es sich um eine durchschlagende Neuigkeit handeln, stünde noch ein Tucholsky-Pseudonym zur Verfügung – Old Shatterhand.
Nun ja. Über der Zuschreibung dieses Pseudonyms scheiden sich die Geister. Im Register Joachim Bergmanns zu allen Weltbühne-Autoren werden die beiden Texten unter dem Namen »Old Shatterhand« noch Tucholsky zugeschlagen. In der Tucholsky-Gesamtausgabe sind sie aber nicht enthalten. Ob die Texte tatsächlich von Tucholsky stammen, darüber kann man ausgiebig diskutieren. Sehr viele Mittagspausen lang.
Lieber Bloggerkollege,
als ich diesen Artikel
http://zettelsraum.blogspot.com/2010/03/zettels-meckerecke-der-spiegel-und-die.html
fast fertig hatte, habe ich zu recherchieren versucht, ob Tucholsky wirklich als „Old Shatterhand“ publiziert hat, was ich noch nie gelesen hatte.
Dabei bin ich auf Ihren Artikel gestoßen und habe festgestellt, daß Sie die Schlamperei des „Spiegel“ schon vor mir aufgedeckt hatten. Da aber mein Artikel nun so gut wie fertig war, habe ich ihn dennoch publiziert; mit Hinweis auf Ihre Priorität.
Herzlich, Zettel
Kommentar by Zettel — 16.3.2010 @ 3:16
Hallo Kollege,
Etwas ist immer.
Über diese Pseudonyme Folgendes.
Ich las den Beitrag, der Name Old Shatterhand, wo hatte ich das schon mal gelesen? Ich habe nie einen Tucholsky Artikel oder ähnliches mit dem Pseudonym Old Shatterhand gesehen. Aber doch woher stammte diese vage Erinnerung? Marbach. Wenn ich in die Suchmachine von dem DLV in Marbach Old Shatterhand eingebe, dann erscheint gleich der Name Tucholsky mit einer Auflistung seiner Pseudonyme. Auch weniger bekannte Namen wie Theobald Körner, Paulus Bünzli und jawohl Old Shatterhand.
Tucholsky hat mal geschrieben: Früher schrieb ich Peter Panter mit th.
Na also wieder etwas herauszufinden,
ab mit fünf PS.
Tschüss Henk
Kommentar by Henk Mantel — 18.3.2010 @ 1:23