Großer Krieg mit unerwartetem Ausgang
Im Tucholsky-Museum in Rheinsberg ist derzeit eine Ausstellung zu sehen, die ein »kollektives Tagebuch französischer und deutscher Schriftsteller 1914-1918« abbildet. Die in den Medien viel beachtete Ausstellung ergibt nach Angaben der Ausstellungsmacher eine »Chronik jener Umbruchzeit, die das Ende des alten Europa markiert und heute als die eigentliche Zeitenwende im 20. Jahrhundert verstanden wird«.
Von den deutschen Schriftstellern gab es nur wenige, die im Sommer 1914 nicht von der Kriegsbegeisterung erfasst wurden. Der Tagesspiegel erinnert an Thomas Mann, Gerhart Hauptmann, Hugo von Hofmannsthal, die unter anderem die Frage stellten: »Muß man nicht dankbar sein, für das vollkommen Unerwartete, so große Dinge erleben zu dürfen?« (Mann). Das Deutschlandradio Kultur weist darauf hin, dass allein im August 1914 rund eineinhalb Millionen Kriegsgedichte geschrieben wurden (wer immer diese Gedichte gezählt haben mag). Aus diesem Grund lohnt es sich, hier zu dokumentieren, wie sich Tucholsksy in den ersten beiden Jahren zum Krieg geäußert hat:
Der Vielschreiber war komplett verstummt. Noch Ende Juli 1914 hatte er sich in den parodierten »Demonstranten-Briefen« über die wachsende Kriegsbegeisterung in Berlin lustig gemacht. Nach dem Ausbruch des Krieges hatte es ihm dagegen angesichts des Enthusiasmus am zu erwartenden Massentöten die Sprache verschlagen. Die Stimmung seiner Mitbürger war in den »Demonstranten-Briefen« offenbar zu gut getroffen:
»… Am Vorabend eines Krieges! Er wird, er muß kommen! Dafür werden wir schon sorgen. Gestern abend haben wir den Anfang gemacht – mit einer Demonstration! Es war glänzend! Entblößten Hauptes sind wir zwei und eine halbe Stunde in der Stadt herumgezogen und haben gelärmt wie Tollhäusler. Herrlich! Ich habe persönlich ein Hoch auf den Krieg ausgebracht, unmittelbar vor dem Kanzlerpalais. Ich hoffe, er hat es gehört. Er muß jetzt kommen, der Krieg. Du ahnst gar nicht, wie ich mich darauf freue. Ich höre schon den Donner der Kanonen von ferne in meinen Ohren; mein geistiges Auge sieht schon das Schlachtgewühl: Reiterattacke, die Säbel sausen, gespaltene Schädel, spritzendes Blut, quellende Eingeweide … Herrlich! Großartig! Welchem Patrioten schlägt das Herz nicht höher, wenn er sich vorstellt, wie Deutschland so einmal wieder kriegerischen Lorbeer pflückt. Ach, was gibt es Schöneres als den Krieg?! Faul und matt sind wir geworden durch den langen Frieden. Stickig und schwül ist die Luft. … Nun aber soll es kommen, das erlösende Gewitter, reinigend, beglückend. Gewiß, es wird Opfer fordern. Aber – süß und ehrenvoll ist es, für das Vaterland zu sterben! … Wer wollte zögern, wenn die Stunde der Entscheidung schlägt? … Frisch auf, mein Volk, die Flammenzeichen rauchen! Vorwärts immer, rückwärts nimmer! Deutschland, Deutschland, über alles –!
Leb wohl, ich kann nicht mehr.
Dein begeisterterEmil.(Landsturm ohne Waffe.)«
Es ist auch nicht so, als habe Tucholsky erst 1931 das Töten im Krieg als Mord bezeichnet. Schon im Mai 1912, also 19 Jahre vor seinem berühmten Soldaten-sind-Mörder-Zitat, veröffentlichte er im Vorwärts den Dialog des lieben Gottes mit einem preußischen Militärpiloten, der den Höhenrekord eines französischen Fluglehrers hatte brechen wollen und dabei abgestürzt war.
Kleines Gespräch mit unerwartetem Ausgang
Der Herrgott saß auf Wolkenkissen
und sah sich seine Erde an.
Was braust herauf? – Sieh da, das is ’n
Wolkenkahn!Ein Offizier grüßt freundlich lächelnd:
»Jestatten! Schwaben Nr. 4!«
(und die Propeller surren fächelnd) –
»Wir sind nu hier!«»Was sagen Sie zu unserm Siege?
Wir brachen spielend den Rekord.
Wozu? – Wir brauchen das zum Kriege.« –
»Zum Krieg? – Zum Mord!«»Erlauben Sie, Sie sind zu schwächlich …»
»Und wer gab Euch das viele Geld –?»
»Das Volk! das Volk war es hauptsächlich
vom Rhein zum Belt!« –»Das Volk? – Habt ihr so krumme Nacken?
Ist denn bei euch das Volk so dumm?«
Hier lachte Gott aus vollen Backen.
Man kippte um.
Das heißt jedoch nicht, dass Tucholsky als Pazifist und Antimilitarist auf die Welt gekommen und zeitlebens diese Position beibehalten hätte. Gegen Ende des Ersten Weltkrieges spielte er sogar mit dem Gedanken, als Offizier bei der Feldpolizei Karriere zu machen. In einer Abhandlung über Tucholskys pazifistische Positionen zwischen 1912 und 1919 kommt Ian King daher zu dem Fazit:
Ein junger Mann sucht seinen Weg. Als Schriftsteller, als zum Kriegsdienst Eingezogener, als Journalist und als Friedenskämpfer. Tucholsky macht nicht auf Anhieb alles richtig, prüft verschiedene Facetten seines Talents, überlebt den Krieg in Kurland und Rumänien, verspricht sich, nachher die Wahrheit über seine Militärerfahrungen zu erzählen, hält trotz aller Anfechtungen und Gefahren Wort.
Ian King: »Der verhinderte Offizier. Der junge Tucholsky über Militär und Pazifismus«, in: Friedhelm Greis, Ian King (Hg.): Der Antimilitarist und Pazifist Tucholsky. Dokumentation der Tagung 2007 »Der Krieg ist aber unter allen Umständen tief unsittlich«. St. Ingbert 2008, S. 39-56, hier S. 53
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