14.9.2008

Mediale Waschmaschine

„Zunächst soll man seinen Gegner nicht im Bett aufsuchen“, schrieb Tucholsky 1932, als die Linkspresse die Homosexualität des SA-Führers Ernst Röhm publik machte. Gilt diese Einschätzung auch dann, wenn es sich nicht um den politischen Gegner, sondern um einen Parteifreund handelt? (Was ja häufig genug identisch ist.)

In einem aktuellen Fall sollen Parteifreunde das Gerücht befördert haben, wonach ihr Regierungschef eine nicht folgenlos gebliebene Affäre mit einer Sekretärin hatte. Die Schwierigkeit bei solchen Bettgeschichten besteht jedoch darin, sie an die Öffentlichkeit zu bringen, ohne als Urheber bekannt zu werden. Das sollen dann bitte die Medien übernehmen. In diesem Fall setzte die Bild-Zeitung das Gerücht auf die erste Seite ihrer Regionalausgabe. Das Besondere an der Aktion: Der Betroffene lieferte das Dementi gleich mit. Dem gingen offenbar interne Diskussionen voraus, wie die ansässige Lokalzeitung berichtet:

In der Opposition hält man es dagegen für einen Fehler, einem bis dato nicht publizierten Gerücht dadurch den Boden entziehen zu wollen, indem man es in einer bundesweit erscheinenden Zeitung dementiert. In der Staatskanzlei wurde dem Interview-Wunsch von Bild dem Vernehmen nach erst nach intensivem Abwägen stattgegeben.

Offen bleibt, ob und was gedruckt worden wäre, wenn die Staatskanzlei das Interview abgelehnt hätte. Im Fall Seehofer war die Bild-Zeitung nicht gerade zimperlich vorgegangen.

Das Blatt hatte damals argumentiert:

Wer sein Privatleben groß plakatiert, wer es politisch einsetzt, muss sich daran messen lassen. Und genau das tun wir.

Im vorliegenden Fall könnte es darum gegangen sein, dem Politiker mit den bloßen Gerüchten zu schaden. Was auch dann funktioniert, wenn er sie prominent dementiert.

Für die Seriosität der bundesdeutschen Medien spricht, dass bis auf besagte Lokalzeitung, eine weiteres Springer-Organ sowie ein Internet-Boulevardmagazin niemand das Gerücht nebst Dementi aufgegriffen hat. Die eigentliche Geschichte lautet ohnehin: Wollen die „Parteifreunde“ ihren politisch angeschlagenen Chef möglicherweise weiter diskreditieren? Und falls ja, welche Rolle sollte die Presse bei solchen Intrigenspielen übernehmen?

Was Letzteres betrifft, so hat Paul Krugman in seiner jüngsten New York Times-Kolumne das unkritische Verhalten der Medien mit dafür verantwortlich gemacht, dass politische Lügenkampagnen erfolgreich sein können:

Warum glauben die Leute von McCain, dass sie mit diesem Kram davonkommen? Sie rechnen offenbar mit der üblichen Praxis der Nachrichtenmedien, um jeden Preis „ausgewogen“ zu sein. Wir wissen, wie es läuft: Wenn ein Politiker sagt, dass Schwarz Weiß ist, heißt es in der Nachrichtenmeldung nicht, dass er unrecht hat, sondern dass „irgendwelche Demokraten sagen“, dass er sich irrt. Oder einer grotesken Lüge der einen Seite wird eine unbedeutende Falschbehauptung der anderen an die Seite gestellt, wodurch der Eindruck befördert wird, dass beide Seiten gleichermaßen schmutzig sind.

Hauptsache, die Medien bleiben dabei sauber.

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