Billetknipser der Öffentlichkeit
Anfang November hat die freie Journalistin Gabriele Bärtels in der Zeit über ihre leidvolle Zusammenarbeit mit verschiedenen Redaktionen geklagt. Das Medium Magazin widmete dem Verhältnis zwischen Freien und Redakteuren das Titelthema seiner Dezember-Ausgabe.
Das Erschreckende an Bärtels‘ Schilderung ist nicht nur die Tatsache, dass alles genau so stimmt, wie sie es beschreibt, sondern dass sie dafür auch noch hämische Kommentare von den Lesern kassieren musste:
Der Text ist gut, es kribbelt richtig beim lesen, schließlich ist es kühl auf dem Dachboden. Lethargisch und entmutigt liegt die Autorin im Bett und packt ihre ganze Wut über die Ungerechtigkeit der bösen Redaktionen in ihren Text. Dumm nur, dass sie nicht glaubwürdig ist, schließlich macht sie vor, was eine geschäftstüchtige Journalistin ausmacht: Recherche auslassen, jede Menge Plattitüden und Allgemeinplätze in den Text und dann auf die Enter-Taste drücken.
Dumm vor allem, dass sich trotz dieses ungewöhnlichen Appells von Bärtels an der Situation wenig ändern wird. Denn es scheint sich um eine journalistische Konstante zu handeln, die fast physikalische Gültigkeit besitzt. So schrieb Tucholsky bereits 1922 seinen Kollegen ins Gewissen:
Neben der unangenehmen Wertschätzung der sogenannten „großen Namen“ läuft eine Mißachtung der weniger großen parallel. Da ist zunächst die Frage der überlangen Fristen bei Offertenbeantwortungen. Der aktuelle Artikel, der aus irgendwelchen Gründen vom Redakteur zu lange in der Schublade behalten wird, ist nach vierzehn Tagen bei seiner Rückgabe für den Schreiber unbrauchbar geworden, er kann ihn nirgends mehr anbieten, und so haben wir das seltsame Schauspiel, daß ein geistiger Arbeiter (der Redakteur) das Werk seines Kollegen (des freien Schriftstellers) fahrlässig vernichtet.
Die Parallelen zu heute sind frappierend:
Und wird der Text nicht gedruckt, erfahre ich manchmal erst nach Monaten, dass dies nie der Fall sein wird. Nur in Ausnahmefällen benachrichtigt der Redakteur mich, meistens vergisst er es. Ich bin ja auch kein Lebewesen für ihn, sondern nur eine E-Mail oder bestenfalls eine selten gehörte Telefonstimme. Dass die Geschichte dann für andere Zeitungen nicht mehr aktuell ist, ist nicht sein Problem…
…heißt es bei Bärtels. Dabei drückt sie sich noch vorsichtig aus. Denn sie weiß: „Ich darf nicht böse mit der Redakteurin werden, denn ich bin auf sie angewiesen.“
Tucholsky kannte da weniger Hemmungen:
Das Verhältnis des angestellten Schriftstellers zum nicht angestellten Schriftsteller ist ein einziger Skandal – das äußerste an Unkollegialität und an Schmierigkeit, an äußerstem Mangel von Solidarität, der nur denkbar ist. Ich habe in zwanzig Jahren Literatur etwa fünf Redakteure kennen gelernt, die sich nicht einbildeten, deshalb, weil man sie angestellt hatte, etwas Besseres zu sein als ihre Mitarbeiter.
Daß der Redakteur die Spreu vom Weizen sondert, kann ihm niemand verdenken. In unserm Beruf steht das Angebot in einem grotesken Gegensatz zur Nachfrage – zu schreiben vermeint jeder und jede zu können, und den Kram, der da verlangt wird, kann ja auch jeder Mensch herstellen. Das hebt die Stellung des Redakteurs; er sieht die wirtschaftlichen Ursachen nicht und hält sich für geistig überlegen, wo er nur als Verwalter der kümmerlichen Honorare und als Billettknipser an der Schranke der Öffentlichkeit in Anspruch genommen wird. Und was er sich vor seinem Verleger niemals getraute, das wagt er dem Mitarbeiter gegenüber alle Tage: da trumpft er auf, da ist er der große Mann, dem zeigt er aber, was eine Harke ist. Leider zeigt er ihm nicht, was eine gute Zeitung ist. (…)
Kurz: der Redakteur gleicht seine Machtlosigkeit vor dem Verleger durch Machtprotzerei vor dem Mitarbeiter aus. Und nicht nur dem Mitarbeiter gegenüber. Auch sich selbst gegenüber.
Das schrieb Tucholsky zehn Jahre später, nachdem er seine erste Anklage losgelassen hatte. Offenbar hatte er in diesen Jahren den Glauben verloren, dass sich die Situation für die Freien jemals verbessern werde: „Kein Schriftsteller-Schutzverband, keine Presse-Organisation hat das je zu ändern vermocht.“
Letztlich kann nur jeder einzelne Redakteur versuchen, möglichst korrekt und kollegial mit freien Mitarbeitern umzugehen. Denn laut Tucholsky sollte er bedenken:
Der Redakteur, der heute seine Stellung verläßt, kann morgen freier Schriftsteller sein, und der freie Schriftsteller, der heute beim Redakteur antichambriert, kann morgen auf seinem Platz sitzen. Sie sind beide geistige Arbeiter. Sie sollten mehr zusammenhalten, und besonders der Redakteur sollte mehr zum freien Schriftsteller halten, damit sich manifestierte, was latent vorhanden ist: ihre Kollegenschaft.
Tucho hatte recht. Und am Prinzip selbst hat sich bis heute nichts geändert. Auch die unsichtbaren Hierarchien zwischen „Freien“ und „Festen“ existieren in Deutschland nach wie vor – was umso seltsamer anmutet, da gerade die heutigen mainstream-Medien ja nicht müde werden, das Lob auf den Typus des wagemutigen Selbständigen zu singen. In einem Punkt aber muss ich Tucho widersprechen: Es herrscht keineswegs Interessensgleichheit zwischen dem festangestellten Redakteur und dem freiberuflich tätigen Schreiber. Der Redakteur verfügt über einen begrenzten Etat – und ist somit daran interessiert, mit diesem Etat so viele Leistungen wie möglich einzukaufen – um dies zu erreichen, muss er logischerweise das Honorar seines Auftragnehmers „drücken“. Und das fällt ihm umso leichter, je mehr Autoren/Journalisten auf dem freien Markt zu haben und je „austauschbarer“ deren Beiträge/Leistungen sind. Und das ist ja bekanntlich beides der Fall. Und was der vielgerühmte „usp“ „Qualität“ angeht: Eigentlich kann doch der festangestellte Redakteur kein Interesse daran haben, überdurchschnittlich gute Qualität einzukaufen: Solche Beiträge kommen ihm teurer zu stehen als das Mittelmaß. Sie bergen zudem auch ein gewisses Risiko für seine eigene Position innerhalb der Redaktion: Er muss sie eventuell durchsetzen, in der Redaktionskonferenz verteidigen, weil sie dem mainstream widersprechen. Eventuell stellt der Autor gar höhere Ansprüche an Honorar und pünktliche Bezahlung – was wiederum zu Konflikten mit der Buchhaltung führen kann, die eben nur einmal im Monat auszahlt…. das sind Unannehmlichkeiten, die ein festangestellter Redakteur tunlichst zu vermeiden sucht. Das sind aber auch letztlich die Ursachen dafür, warum unsere Medienlandschaft trotz aller Titel-Vielfalt immer eintöniger zu werden droht.
danluo
Kommentar by danluo — 2.1.2008 @ 21:16
Solange an dem System „Zeilenhonorar“ festgehalten wird, wird sich an der schlechten Bezahlung in den Printmedien kaum etwas ändern. In anderen Ländern, beispielsweise der Schweiz, werden Tageshonorare vereinbart, die sich nach Recherche- und Schreibaufwand richten. Aber bevor das in Deutschland passiert, werden leere Zeitungsseiten wohl eher mit Blindtext gefüllt.
Kommentar by fg — 6.1.2008 @ 21:51