Zwecks Lachung
Und wenn man dieser Trostlosigkeit der deutschen Politik entfliehen möchte, nur für ein Viertelstündchen –: da wäre ein Buch erschienen, das, wie es in der Vorrede heißt, „zum Umblättern geeignet ist“, und darum handelt es auch von Karl Valentin und heißt „Das Karl Valentin-Buch“ (erschienen bei Knorr & Hirth in München. Der Preis ist mir nicht bekannt, aber er ist zu hoch). Es ist ein Bilderbuch, mit sanft irrsinnigen Texten, die von Valentin stammen, sowie mit zwei Aufsätzen über ihn.
Man soll sich seiner Albernheit nicht schämen – die Bilder auf Seite 40 und 41 kann ich nie ansehen, ohne immer wieder so zu lachen, als ob ich sie noch nie gesehn hätte. Das ist aber wirklich erschütternd. Er hat sich als Schwalangschehr fotografieren lassen, er steht da wie ein Apfelbaum im Herbst, gänzlich verblüht, kahl, jedoch in einer Uniform, die ihm etwa zwei Weltkriege zu eng ist, das Gestak der langen Beine wächst aus zwei riesigen Blumentopfstiefeln, es ist ganz ungeheuerlich. Und Valentin als Loreley … das müßt ihr euch selber ansehn. Worte sagen es nicht, göttlich ist dies Gebild.
Die Bildunterschriften stammen von ihm selber. Zum Beispiel: „Karl Valentin in mimischen Darstellungen.“ Erstens: „Schreinermeister.“ Zweitens: „Konditormeister“ – nicht der leiseste Unterschied, doch der eine hat helle Haare, und der andre hat dunkle sowie einen Kuchen beziehungsweise einen Hobel. In der Mitte: „Feuerwehrhauptmann in Zivil, der in einem Glückshafen einen Blumenstock gewonnen hat“, und wenn man das sieht, dann fühlt man: nur so oder ganz anders kann ein Feuerwehrhauptmann aussehn.
Und die Liesl Karlstadt ist fotografiert, seine treue Helferin, von links und von rechts; auch jener herrliche Augenblick findet sich da bebildert, wo sie als Kapellenmeister den Musiker, dem Verstand und Chemisett vorn herausrutschen, zur Rede stellt: „Ja, was seh ich denn da? Sie haben ja gar keine Gläser in Ihrer Brille, Valentin!“ – „Seit fünf Jahr schon!“ – „Warum setzens denn dann dös leere Gstell auf?“ – „Besser is doch wie gar nix.“ Und er macht auf dem Bild grade das Gesicht, mit dem er sagt: „Seit fünf Jahr schon!“ Ganz dumpf, wie von unter der Erde. Und das von der christkatholischen Kirche verfemte Bild: die Karlstadt als Firmling und er als Vater – lieber Gott, was sie alles mit dir machen! Und manche Bilder sehen aus, als seien sie bei einer Dilettantenvorstellung aufgenommen, und dann steht da plötzlich so ein Satz, wie die arme Reisende den Bahnhofsportier fragt: „Wissens, Herr Eisenbahnbesitzer …“ – Und auf einem Bild sieht man ihn ankommen, mit zwei riesigen Holzlatten, die die Zimmerlampe herunterhauen, es ist vor Weihnachten, und der treusorgende Vater hat für die nächsten zwanzig Jahr „Christbaumbrettln“ eingekauft, Holz für die kleinen Hutschen, auf denen der Baum steht, nein, Ordnung muß sein. Einen Baum hat Vater allerdings noch nicht.
Eingeleitet ist das Buch, welches zum Umblättern geeignet ist, von zwein. Der eine, Tim Klein, sagt, es gebe für Aufsätze über Valentin zwei Gefahren: „das Gestrüpp der Metaphysik und das Sichverlieren in Einzelheiten.“ Der Berliner habe da ein Wort: „Erzählen Sie keine Opern.“ Wir sagen sogar: „Quatschen Sie keine Opern.“ Wilhelm Hausenstein, der andre Einleiter, quatscht hier keine Opern; diesmal nur Operetten. Alles hätte so sein sollen wie der erste Absatz, in dem beschrieben steht, wie Valentin das „Meer von Schuckert“ auf der Geige vorspielen will, und woran dieses Unterfangen scheitert. Die Herausgeber hatten es so leicht: Alfred Polgar hat diesen Mann (wie so vieles andre) zu Ende beschrieben. Das hätte man nur abdrucken sollen.
Viel schöner als alle gebildeten Texte sind die Bildunterschriften. Unter einem: „Es ist kein Beweis dafür vorhanden, daß nur ein dummer Mensch saublöd ausschaut …“, und wenn man sich kaputt und wieder gesund gelacht hat, dann bleibt noch die Unterschrift zum allerletzten Bild haften, auf dem Valentin hinter einem Tisch steht und den Gegner wild bedroht:
„Sie san net auf uns a’gewiesn, aber mir auf Eahna! Dös müssens Eahna merka!“
Es ist eine völlig närrische Welt, in der dieser da Kaiser, König, Edelmann, Bauer, Sieben, Achte, Neune und Zehne ist – und aus dem Meer dieses Unfugs taucht der Leser auf und blickt auf ein Land, dessen – – grade so närrisch sind, aber lange nicht so amüsant wie Karl Valentin.
Autorenangabe: Peter Panter
Ersterscheinung: Die Weltbühne, 03.05.1932, Nr. 18, S. 683.
Editionen: Kurt Tucholsky: Gesamtausgabe. Texte und Briefe. Hrsg. von Antje Bonitz, Dirk Grathoff, Michael Hepp, Gerhard Kraiker. 22 Bände, Rowohlt Verlag, Reinbek 1996ff., 1932
Deutsche Tempo, S. 835 ff.
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