Du darfst
Was heißt „Was darf die Satire?“ eigentlich auf Dänisch? Oder auf Arabisch? Wie sieht die Satire-Diskussion in Ländern aus, die keinen Tucholsky hatten und wo niemand zitiert werden kann, der auf die Frage geantwortet hat: … man weiß es langsam. Aber da es schöne deutsche Verb „dürfen“ in anderen Sprachen ebenfalls nicht gibt, dürfte die Diskussion dort ohnehin anders geführt werden.
Hierzulande geht die Suche nach dem richtigen Tucholsky- und Satireverständnis derweil unverdrossen weiter. Eine kleine Zusammenstellung:
Bei n-tv fragt sich Manfred Beskin, ob im Karikaturenstreit die „ratio“ oder die „ultima ratio“, der Krieg, letztlich die Oberhand behält. Als Satire im Sinne Tucholskys könne man die Mohammed-Darstellungen aber nicht begreifen, heißt es in seinem „Zwischenruf“. Denn:
Kurt Tucholsky schreibt 1919, Satire müsse übertreiben und sei ihrem tiefsten Wesen nach ungerecht, fügt aber an: „Sie bläst die Wahrheit auf, damit sie deutlicher wird …“. An den umstrittenen Bildern ist nichts wahr, und so kann auch keine Wahrheit deutlicher werden.
In der Jungle World versucht Georg Seeßlen eine Welt zu verstehen, die sich im „Im Rausch der Differenz“ befindet. Seeßlen versucht in seiner typisch akademischen Art, die Denk-Blöcke Islam und Westen zu analysieren. Es ist sich dabei nicht sicher, aus welchem Impetus heutzutage noch Satire produziert wird:
Das beginnt bereits damit, wie schwer es ist, bei der Verteidigung mehr oder weniger blasphemischer Bilder zu unterscheiden zwischen den Impulsen der Aufklärung, die mit Tucholsky die Frage „Was darf Satire?“ mit einem schlichten „Alles“ beantwortet; und den Impulsen eines gefräßigen Bildermarktes, der das „Alles“ nicht auf Aufklärung sondern auf gnadenloses Entertainment (wenn nicht auf die Kränkung einer bestimmten Religion, so doch auf eine ironische Entheiligung der gesamten Welt, auf die semiotische Degradierung für den Markt) bezieht.
Den Grad an geistiger Verwirrung, der in Satirefragen derzeit herrscht, macht das Editorial von Stephan-Andreas Casdorff im Berliner Tagesspiegel deutlich:
Sind das Zeiten. Wer darf was sagen, wer darf was karikieren? Von wegen, dass Satire alles darf. Was ist das überhaupt noch, Satire? Du lieber Gott, schlag nach bei Tucholsky. Ringelnatz. Und Kästner! (…)
Ja, und dann müsste man mal mitstenografieren, was die Leute so reden (wozu Tucholsky rät). Wie wir diskutieren, wenn wir über die Karikaturen reden. Und merke: Nein, Satire darf nicht alles. Gott behüte. Aus Vorsicht machen wir uns doch lieber ein Bild von Karikaturen als ein Bildnis. Demnächst in der Bayerischen Landesvertretung in Berlin-Mitte.
Darf man sich jetzt nur noch ironisch zur Satire bekennen? Radio Eriwan würde antworten: Im Prinzip nein, aber besser is scho.
Eine Übersetzung von „Was darf Satire?“ ins Englische wird mein nächster Beitrag auf kurttucholsky.blogspot.com sein. Ich habe auch über den Titel nachgedacht. Genau sinngemäß wäre „What is Satire Allowed to Do?“ Dies ist aber zu lang und unelegant. Ich nahm schliesslich „What May Satire Do?“ was auch korrekt ist, sagt aber auch gleichzeitig „Was könnte Satire tun?“ Auf dem Zusammenhang kommt es an.
Bevor ich den Text gelesen habe, war ich mir unsicher, ob ich ihn übersetzen sollte. Es ist der böse Trend bei uns zur Zeit, das implizite/explizite Todesdrohung vom Rechts gegen liberale Politiker ausgesprochen werden („Er sollte umgebracht werden.“), in der Hoffnung, dass irgend ein Verrückte das in der Tat tut, damit hilft alle Widersprecher/Regimeskritiker auszuräumen. Der visionäre Film „Bob Roberts“ von Tim Robbins (1992) sah auch eine solche Entwicklung voraus.
Wenn diese Politiker/Redner (ein Beispiel dafür wäre Ann Coulter) darauf von den Medien angesprochen werden, wird überrascht geantwortet: „Natürlich war das nicht ernst gemeint. Das war doch Satire.“
Kommentar by indeterminacy — 10.2.2006 @ 13:06