Was dürfen Gegner religiöser Satire?
Karikaturenstreit und kein Ende. Tucholskys Diktum, wonach Satire „alles“ dürfe, wird von vielen Kommentatoren zum Aufhänger genommen, sich mit den möglichen Auswirkungen der Debatte auf Kunst- und Pressefreiheit auseinanderzusetzen. Die Nachrichtenagentur dpa verbreitete einen historischen Abriss über Streitfälle zwischen Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsrechten vor deutschen Gerichten. Darin heißt es:
Was Kurt Tucholsky 1919 über die Satire geschrieben hat, gilt auch für die Karikatur: «Die Satire muss übertreiben und ist ihrem tiefsten Wesen nach ungerecht.» Die Schlussfolgerung des Schriftstellers und promovierten Juristen – Satire dürfe alles – würden deutsche Richter allerdings nicht unterschreiben.
Auch Gerhard Mumme von der Frankfurter Neuen Presse bezieht sich in einem engagierten Kommentar auf den Text von 1919:
Was darf Satire?, fragte sich einst Kurt Tucholsky. Und er antwortete kurz und bündig: Alles! Auch wenn es, wie Syriens staatliche Nachrichtenagentur Sana im akuten Fall konstatiert, «die heiligen Prinzipien hunderter Millionen Araber und Moslems verletzt»? Man kann sich kaum vorstellen, dass der Schriftsteller, dessen Werke von den Nazis verbrannt und der schon 1933 aus Deutschland ausgebürgert wurde, darauf mit Nein geantwortet hätte. Und jetzt erst recht nicht mehr!
Sein etwas pessimistisches Resümee am Schluss lautet:
Was darf Satire? Wohl bald nicht mehr viel, wenn sie auf die Toleranz des Islam und die Prinzipienfestigkeit der westlichen Eliten vertrauen muss.
[…] Die Welt blickt heute aus gegebenem Anlass auf die Geschichte juristsch verfolgter Gotteslästerung in Deutschland zurück. Autor Uwe Wittstock weist zu Beginn seines Textes darauf hin, dass die liberalen europäischen Traditionen längst nicht so tief verwurzelt seien, wie von vielen geglaubt werde. Seine Reihe von Beispielen, die diese These belegen sollen, führt von Heinrich Heine über Oskar Panizza bis George Grosz, auf dessen Fall sich Tucholsky in dem Text "Die Begründung" bezog. Doch der Fall Grosz sei nicht der einzige derartige Fall in der Weimarer Republik gewesen: Kurt Tucholsky mußte sich vor Gericht wegen eines angeblich gotteslästerlichen Gedichtes verantworten, Franz Masareel wegen der Holzschnittfolge "Die Kirche", Kurt Weill wegen einer religionskritischen Oper. Carl Einstein wurde für "Die schlimme Botschaft", eine Parodie auf die christliche Passionsgeschichte, trotz 14 Verteidigungs-Gutachten – darunter eines von Thomas Mann – mit seinem Verleger Ernst Rowohlt zu Geldstrafen oder mehrwöchiger Haft verurteilt. […]
Pingback by Sudelblog.de - Das Weblog zu Kurt Tucholsky » Blasphemische Verse — 5.2.2006 @ 20:17