10.1.2024

Rezension: Die besten falschesten Zitate aller Zeiten

Es hat bisweilen etwas Tröstliches, wenn man sich nicht allein als ein Don Quijote fühlen muss, der gegen die Windmühlen der literarischen Ignoranz ins Feld zieht. Ein solcher Ritter ohne Furcht und Tadel ist gewiss der Österreicher Gerald Krieghofer, der sich den Kampf gegen falsch zugeschriebene Zitate, von ihm Kuckuckszitate genannt, fast schon zur Lebensaufgabe gemacht hat. Während sich das Sudelblog nur um Zitate kümmert, die Kurt Tucholsky falsch zugeschrieben werden, widmet sich Krieghofer seit Jahren auf seinem Blog sämtlichen „im deutschen Sprachraum verbreiteten Falschzitaten und Memes nach den Regeln der Zitatforschung“. Von der Antike bis zur Gegenwart, von Adenauer bis Zweig.

Kurt Tucholsky hatte gegen das Zitieren anderer Autoren nichts einzuwenden. Im Gegenteil. In einem seiner letzten Briefe vor seinem Tod schrieb er an seine Freundin Hedwig Müller:

Ich bin einmal ein Schriftsteller gewesen und habe von S.J. geerbt, gern zu zitieren.

Dass er selbst einmal zu den Prominenten wie Albert Einstein, Bertolt Brecht, Hildegard von Bingen oder Karl Valentin gehören würde, die am häufigsten falsch zitiert werden, hätte er sich sicher nicht träumen lassen. Aber Tucholsky kannte schließlich weder das Internet noch soziale Netzwerke wie Facebook oder Twitter. Laut Krieghofer ist aber auch „gefühlt jedes zweite Augustinus-Zitat auf Todesanzeigen (…) daneben“.

Wie aus Krieghofers frühen Blogposts zu sehen ist, hat er sich zunächst vor allem um Zitate gekümmert, die Karl Kraus fälschlicherweise zugeschrieben werden. Dass Krieghofer damit im Jahr 2007 anfing, ist wohl kein Zufall. Denn seitdem sind Kraus‘ Werke komplett online verfügbar.

Aber erst im April 2017 nahm Kriegshofers Sammlung richtig Fahrt auf und füllte sich fast jeden Tag mit neuen Kuckuckszitaten. Dabei beschränkt sich der Österreicher jedoch nicht nur darauf, eine falsche Zuschreibung nachzuweisen, sondern versucht mit sehr viel Akribie und Aufwand, die ursprüngliche Quelle des Zitates irgendwo in den Weiten des Internets zu finden.

Krieghofer kann zu diesem Zweck nicht nur auf digitale Sammlungen zurückgreifen, sondern auch auf ein weit verzweigtes Netzwerk an Helfern. So konnte er mit entsprechender Unterstützung im März 2022 schnell aufklären, wo mehrere angebliche Tucholsky-Zitate zum Thema Krieg ihren Ursprung hatten. Diese hatte sich ein Redakteur der Zeitschrift PM offenbar einfach ausgedacht.

Es ist daher nur konsequent, dass Krieghofer aus seiner Passion nun ein richtiges Buch gemacht hat. „Die besten falschesten Zitate aller Zeiten“ heißt die Sammlung, die im vergangenen Jahr im Wiener Molden Verlag erschienen ist. Auf 175 Seiten klärt er die Leser darüber auf, was neben Tucholsky und Kraus auch Personen wie Einstein, Steve Jobs, Franz Kafka, Marilyn Monroe, Helmut Schmidt oder Andreas Möller nie gesagt haben.

Krieghofer ist dabei nicht ganz unbedarft an die Sache herangegangen. So hat er nicht nur an zwei großen Wörterbuchprojekten in Österreich mitgearbeitet, sondern auch Workshops mit Lexikografen und Parömiologen besucht. Auch wenn sich manche darüber beömmeln mag, Parömiologie (Sprichwortforschung) ist tatsächlich eine wissenschaftliche Disziplin.

Die Lektüre des Buches ist spannend, amüsant, bisweilen auch deprimierend. So wird Kafka seit einigen Jahren das Zitat untergeschoben: „Kaffee dehydriert den Körper nicht. Ich wäre sonst schon Staub.“ Dabei hat Kafka leider sehr auf seine Gesundheit achten müssen und beispielsweise einmal an seine Verlobte Felice Bauer geschrieben: „Natürlich rauche ich auch nicht, trinke nicht Alkohol, nicht Kaffee, nicht Thee (…).“ Aber Kafka/Kaffee, das gehört wohl für manche irgendwie zusammen.

Aber bringt es überhaupt etwas, seine Mitmenschen auf die Verwendung falscher Zitate aufmerksam zu machen? Alleine auf Twitter tauchen ständig so viele Kuckuckszitate von Tucholsky auf, dass selbst ein Bot kaum hinterher kam, den Nutzern mahnende Tweets zu schicken. Es gibt keine empirische Untersuchung darüber, ob Krieghofer mit seiner Arbeit dazu beigetragen hat, die Flut einzudämmen. Möglicherweise ist es leider vergeblich, gegen diese Windmühlen anzukämpfen, zumal Twitter seit der Übernahme durch Elon Musk immer mehr zu einer braunen Jauchegrube verkommt.

Und was schreibt Krieghofer über Tucholsky?

In seine Auswahl hat Krieghofer auch den Satz aufgenommen: „Der Tod eines einzelnen Mannes ist eine Tragödie, aber der Tod von Millionen nur eine Statistik.“ Dieser zynische Spruch wird häufig Tucholsky zugeschrieben, weil er ihn in ähnlicher Form 1925 in seinem Artikel „Französischer Witz“ wiedergegeben hat.

Erst Anfang 2023 ist auf dem Sudelblog das Original ausfindig gemacht worden. Der Witz fand sich ursprünglich in: J.-W. Bienstock et Curnonsky: T.S.V.P. Petites histoires de tous et de personne. Paris: Crès 1924, S. 6f.

Krieghofer schreibt jedoch:

Diese Anekdote stand 1924 in der französischen Tageszeitung Paris Soir und wurde 1924 von den Autoren J.-W. Bienstock und Curnonsky zusammen mit anderen Szenen und Witzen als Buch mit dem Titel ‚T.S.V.P. Petites histoires de tous et de personne‘ veröffentlicht.

Eine Einschätzung, die jedoch nicht zutrifft. Schaut man sich den entsprechenden Artikel in der Gallica an, wird in der Fußnote ganz unten links ausdrücklich auf das bereits erschienene Buch hingewiesen. Zudem wird das Buch auf der Titelseite derselben Ausgabe in zwei anderen Artikeln erwähnt.

In einem Artikel des L’Intransigeant vom 3. Februar 1924 (dritte Spalte unten), also zwei Monate zuvor, wird das Buch von Bienstock und Curnonsky bereits besprochen. Der Autor zitiert zwar nicht direkt daraus, scheint es aber gelesen zu haben und empfiehlt es seinen Lesern.

Daher kann man davon ausgehen, dass die Anekdote zuerst in dem Buch veröffentlicht wurde und der Auszug im Paris Soir als Werbemaßnahme zu verstehen ist. Curnonsky selbst hat auf der Titelseite der Ausgabe zusätzlich einen eigenen Text über den französischen Humor veröffentlicht. Ob die beiden Autoren sich die Anekdote selbst ausgedacht oder sie aus einer anderen, noch nicht bekannten Quelle übernommen haben, bleibt jedoch offen.

Sei’s drum. Vielleicht gibt es noch eine zweite Auflage des Büchleins, in der Krieghofer die Angaben korrigieren kann. Wünschenswert wäre ebenfalls, dem Peter Panther auf Seite 40 noch das h wegzunehmen und Tucholskys Todesjahr auf Seite 173 von 1934 auf 1935 zu korrigieren. Das „angebliche Freu-Zitat“ auf Seite 75 ist sicherlich keine Freud’sche Fehlleistung, denn Krieghofer wird sich höchstens gefreut haben, dass ihn jemand auf das falsche Freud-Zitat aufmerksam gemacht hat.

Nicht erfreut hat uns leider der Preis des Büchleins. 22 Euro erscheinen uns ziemlich happig. Dem Molden-Verlag kann man daher nur mit einem garantiert echten Tucholsky-Zitat zurufen:“Macht unsre Bücher billiger! Macht unsre Bücher billiger! Macht unsre Bücher billiger!“

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