Rezension: Man hat etwas gegen Sie vor. Kurt Tucholsky in Köln 1928/29
Auf den ersten Blick mutet es ein bisschen verwegen an, die wenigen Aufenthalte Kurt Tucholskys in Köln zu einem kompletten Büchlein auszuwalzen. Was in den gängigen Tucholsky-Biografien kaum mehr als eine Fußnote wert ist, hat der Kölner Historiker Mario Kramp auf knapp 90 Seiten dargestellt. Da Kramp einen sehr weiten Boten schlägt, – von Tucholsky Umzug nach Paris im Jahr 1924 bis zu dessen Tod im schwedischen Exil elf Jahre später -, hat das Büchlein dennoch genug Substanz und Unterhaltungswert. Nicht nur, aber gerade auch für Tucholsky-Fans.
Funktionieren kann nur, weil Kramp möglichst alle ihm verfügbaren Quellen auswertet, die sich mit Tucholskys Besuchen in der „Domstadt“ befassen. Und diese gibt es zuhauf. Denn Tucholsky weilte am Rhein nicht zum Vergnügen. In den Jahren 1928 und 1929 hat er vier Vorträge in Köln gehalten. Einen davon sogar im damals recht neuen Rundfunk.
Kramp fördert dabei interessante Berichte zutage, die ein gutes Licht auf die zeitgenössische Tucholsky-Rezeption werfen. Wie kaum anders zu erwarten, zeigten die damaligen Zeitungsartikel die tiefgehenden Risse, die durch die Gesellschaft der Weimarer Republik gingen.
Tucholsky war damals ebenso populär wie verhasst. Sein Kampf gegen den Militarismus passte den nationalistischen und reaktionären Kreisen ebenso wenig wie sein Werben für eine deutsch-französische Verständigung. Gerade am Rhein, der immer noch von französischen Truppen besetzt war. Die Tucholsky-Rezeption in Köln kann dabei exemplarisch für die Situation in der deutschen „Provinz“ stehen, was dieser in einem gleichnamigen Text in der Weltbühne vom Mai 1929 analysiert hat.
Von einer eindringlichen Warnung eines unbekannten Unterstützers ließ sich Tucholsky nicht davon abbringen, am 27. September 1928 einen Vortrag im Gebäude des Kunstvereins am Friesenplatz zu halten. „Man hat etwas gegen Sie vor“, hieß es in dem maschinengeschriebenen Hinweis.
Anders als im November 1929 in Wiesbaden sind Tucholskys Vorträge in Köln jedoch nie gestört worden. Ganz im Gegenteil. Seine Zuhörer waren meist begeistert über Inhalt und Art des Vortrags. Kronzeuge dafür ist auch bei Kramp der damalige Germanistikstudent Hans Mayer, der sich später als Literaturwissenschaftler mit dem „pessimistischen Aufklärer“ Kurt Tucholsky auseinandergesetzt hat.
Der Kölner Stadt-Anzeiger notierte damals:
Intellektuelles Volk drängt sich zuhauf im Kunstverein. Kein Stuhl bleibt unbesetzt. An den Wänden stehen Zuhörer, in den Gängen, an allen Ecken und Enden des überhitzten Raumes.
Das Thema des Vortrags lautete „Frankreich heute“. Laut Mayer versuchte Tucholsky den Zuhörern „die völlig andere Lebens- und Denkart des bürgerlichen Frankreich darzustellen“.
Deutlich mehr Aufsehen und Kontroversen erzeugte Tucholskys nächster Vortag in Köln. Denn damit erreichte der Schriftsteller nicht nur seine Fans, sondern auch seine Gegner. Am 22. März 1929 las er im Westdeutschen Rundfunk aus seinen Werken vor. Anschließend beschwerte sich ein Kreisverband der rechtskonservativen DNVP bei Rundfunkintendant Ernst Hardt über den Vortrag. Es sei
eine ungeheure Brüskierung weitester Kreise der Hörerschaft, einen Mann wie Tucholsky, Panther, Ignatz Wrobel usw. im Westdeutschen Rundfunk sprechen zu lassen, dazu noch am Tag des Buches.
Hardt entgegnete mit dem bemerkenswerten Satz:
jeder Hörer, welcher Tucholski nicht schätzt und nicht zu hören wünscht, konnte sich ja seiner Vorlesung durch Abschalten des Apparates entziehen.
Die Cancel Culture ist wahrlich kein neues Phänomen.
Leider ist von dem Vortrag keine Aufzeichnung erhalten. Sonst wäre auf diese Weise die Stimme Tucholskys der Nachwelt überliefert worden.
Am folgenden Tag, Karsamstag, gab es einen weiteren Vortrag. Dieses Mal in der Kölner Lesegesellschaft in der Langgasse. Tucholsky trug dabei wohl aus seinen Sammelbänden Mit 5 PS und Das Lächeln der Mona Lisa vor. Das Kölner Tageblatt lobte den Autor für „die glänzendste und überlegenste Zeitkritik, die man sich nur denken mag“.
Nicht ganz zutreffend scheint Kramps Behauptung, wonach Tucholsky am nächsten Morgen, dem 24. März 1929, nach Berlin aufgebrochen sein soll, um dort an einer Matinee mit seinen Werken teilzunehmen. Anders als von Kramp behauptet, endete dort auch nicht seine kleine Lesereise. Nach der Biografie von Michael Hepp trat Tucholsky noch am 25. März in Frankfurt und 27. März in Mannheim auf. Warum sollte er zwischendurch für einen Morgen nach Berlin gereist sein?
Der vierte und letzte Vortrag in Köln bildete am 18. November 1929 den Auftakt zu einer großen Lesereise, die Tucholsky über zehn Stationen durch große Teile Deutschlands führte. Dieses Mal widmete er sich vor allem juristischen Themen, darunter der Reform des Sexualstrafrechts. Dass er in dem Vortrag auch die Sexualmoral der Kirche kritisierte, gefiel der Presse im katholischen Rheinland jedoch gar nicht. Seine Auffassungen seien „armselig“ und nichts weiter als eine „snobistische Abendunterhaltung“, monierte die katholische Kölnische Volkszeitung.
Recht bekannt ist Tucholskys pessimistisches Resümee der Lesereise, das er in einem Brief an seine Ex-Frau Mary Gerold zog:
Im übrigen: für wen ich das eigentlich mache … das weiß ich nach dieser Reise weniger als je. Es ist trostlos. Allerdings bezieht sich das auf die Bürgerschaft – vor Arbeitern habe ich nicht gesprochen. Das ist dann vielleicht anders.
Damit endet Kramps Buch jedoch noch nicht. Im letzten Kapitel, mit Schicksale überschrieben, widmet er sich den Lebensläufen der Personen, die an den Kölner Vortragen mittel- oder unmittelbar beteiligt waren. Dazu zählt neben Rundfunkintendant Hardt auch der Buchhändler Paul Wolfsohn, der Tucholsky im Jahr 1928 engagiert hatte. Der jüdische Kaufmann Erich Leyens, der Tucholsky vor dem kriegerischen Revanchegeist im Rheinland gewarnt hatte, musste über Italien und Kuba in die USA emigrieren.
Dann sind die rund 90 Seiten von Kramps Büchlein auch schon vorbei. Es hätten ruhig ein paar mehr werden können, dann hätte man die Fußnoten im Anhang nicht ganz so klein drucken müssen.
Mario Kramp: Man hat etwas gegen Sie vor. Kurt Tucholsky in Köln 1928/29, Greven Verlag Köln, 2022, 92 Seiten, 12 Euro, ISBN 978-3-7743-0952-4