18.3.2008

Kurzer Abriss der Globalökonomie

Diesmal also die Banker. Es gibt ja immer Teile der „Herren Wirtschaftsführer“, wie Tucholsky sie nannte, die eine Zeitlang ihre besondere Unfähigkeit beweisen wollen:

Die Kaufleute sind Exponenten des Erwerbsinnes; sie haben immer ihre Rolle gespielt, doch wohl noch nie so eine große wie heute. Weil das, was sie in Händen halten, das wichtigste geworden ist, werden sie in einer Weise überschätzt, die lächerlich wäre, wenn sie nicht so tragische Folgen hätte. Die deutsche Welt erschauert, sie braucht Götzen, und was für welche hat sie sich da ausgesucht –!

Wer denkt da nicht sofort an … (nach Belieben auszufüllen).

Oder hatten wir nicht vor einiger Zeit einmal eine Diskussion über die Höhe von Managergehältern?

Weil die Kapitalisten nur mit einem Verdienst arbeiten, der tausend und tausendmal über dem der Arbeiter steht; es wird uns aber kein Mensch erzählen, daß selbst der gewiegteste und beste Unternehmer soviel verdient, wie er verdient: nämlich soviel, wie fünfhundert seiner Arbeiter zusammen. Fünfhundert Leute … das sind in Wahrheit mindestens weitere siebenhundert, die von den Verdiensten der fünfhundert leben, mindestens.
„Das Volk“, in: Deutschland, Deutschland über alles, S. 18

Da fragt man sich doch, was die Deutschen früher gemacht haben, als es noch keinen DAX gab, mit dessen Höhen und Tiefen sie mitfiebern konnte. Denn, was lernt man schon aus einem Kurzen Abriss der Nationalökonomie:

Die Wirtschaft wäre keine Wirtschaft, wenn wir die Börse nicht hätten. Die Börse dient dazu, einer Reihe aufgeregter Herren den Spielklub und das Restaurant zu ersetzen; die frommem gehn außerdem noch in die Synagoge. Die Börse sieht jeden Mittag die Weltlage an: dies richtet sich nach dem Weitblick der Bankdirektoren, welche jedoch meist nur bis zu ihrer Nasenspitze sehn, was allerdings mitunter ein weiter Weg ist. Schreien die Leute auf der Börse außergewöhnlich viel, so nennt man das: die Börse ist fest. In diesem Fall kommt – am nächsten Tage – das Publikum gelaufen und engagiert sich, nachdem bereits das Beste wegverdient ist. Ist die Börse schwach, so ist das Publikum allemal dabei. Dieses nennt man Dienst am Kunden. Die Börse erfüllt eine wirtschaftliche Funktion: ohne sie verbreiteten sich neue Witze wesentlich langsamer.

Dennoch wüssten viele heute gerne, warum kleine deutsche Landesbanken pleite gehen, wenn amerikanische Häuslebauer ihre Kredite nicht bezahlen können. Die Antwort lautet ganz einfach:

Was die Weltwirtschaft angeht, so ist sie verflochten.

14.3.2008

Das Lesen geht weiter

Der Einsatz der Bürger im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg hat sich gelohnt. Die Kurt-Tucholsky-Bibliothek im Bötzoviertel wird nicht geschlossen, sondern voraussichtlich vom 1. April an von ehrenamtlichen Mitarbeitern weitergeführt. Für den Verein Pro Kiez Bötzowviertel ist das nur „reine Notwehr“. „Wir sehen das nicht als Modell für andere Bezirke und für weitere Stellenreduzierungen“, sagte Klaus Lemnitz vom Verein Pro Kiez der Nachrichtenagentur ddp. Bleibt nur zu wünschen, dass die Bibliothek irgendwann wieder von bezahlten Bibliothekaren betrieben werden kann.

7.3.2008

Erinnerung an einen Traum

Am 30. Januar dieses Jahres waren 75 Jahre seit der Machtübergreifung (Tucholsky) der Nationalsozialisten vergangen. Folglich wird es in diesem Jahr noch viele weitere Tage geben, an denen es der einschneidenden Ereignisse vor einem Dreivierteljahrhundert zu gedenken gilt. In seinem Kalenderblatt vom 7. März erinnerte das Deutschlandradio Kultur daran, dass vor 75 Jahren ein Traum zu Ende ging:

Als Forum aufklärender Kunst und Kultur diente in der Weimarer Republik die Zeitschrift „Die Weltbühne“. Kurt Tucholskys Traum von einem aufgeklärten Menschentum wurde kurz nach Machtantritt der Nationalsozialisten zerstört.

Es folgt eine geraffte Zusammenfassung der „Weltbühne“-Geschichte, angefangen 1905 mit der Gründung der „Schaubühne“ durch Siegfried Jacobsohn und endend mit dem Gedicht „Auf die Weltbühne“, das Tucholsky zum Namenswechsel der Zeitschrift am 4. April 1918 veröffentlichte.

Mit Blick auf solche runden Jahreszahlen schrieb der Philosoph Ernst Bloch 1924 in der „Weltbühne“, zum 200. Geburtstag Immanuel Kants:

Wer mag das nun eigentlich erfunden haben: sich jeweils zu erinnern, daß der oder jener große Mann hundert, hundertfünfzig, zweihundert Jahre grade tot oder geboren ist? Auf die Jahre, ja selbst auf Geburt oder Tod kommt es ja nicht mehr an. Kants Geburt ist keine Art Weihnacht, Kants Tod keine Art Karfreitag, sondern es wird sehr einfach nur irgendetwas gefeiert, das Land mit einer Salve von Phrasen überschüttet.
„Kant-Feier“, 8.5.1924, S. 605

Aus diesem Grund ist es eher sekundär, dass das Verbot der Zeitschrift ziemlich genau 75 Jahre zurückliegt, wenn demnächst ein Auswahlband zur „Weltbühne“ erscheinen wird. Ihre Aktualität sollten die darin enthaltenen Texten schon aus sich heraus besitzen. Aus Teutschland Deutschland machen – Ein politisches Lesebuch zur „Weltbühne“ lautet der Titel der Anthologie, die voraussichtlich ab Mai erhältlich ist. Aus naheliegenden Gründen wird sich dann hier keine Rezension, sondern eher eine Eigenanzeige finden.


Und wer unbedingt Gedenktage braucht: Am 10. Mai wird es 75 Jahre her sein, dass die deutschen Studenten unliebsame Bücher verbrannten. Von den 15 Personen, die in den offiziellen Flammensprüchen genannt wurden, waren neun Autoren der „Weltbühne“. Die Nazis wussten sehr genau, wessen Träume sie am meisten fürchten mussten.

2.3.2008

Im Osten wenig Neues

Ein kluger Mann hat einmal gesagt: „Die Entfernung ist für die Liebe wie der Wind für das Feuer: Das starke facht er an, das schwache bläst er aus.“ Nimmt man als Ausdruck der Liebe die Zahl der Briefe, die über die Distanz ausgetauscht werden, dann muss Tucholsky seine zweite Frau Mary Gerold von Anfang an sehr geliebt haben. Vom jüngst erschienenen Band 16 der Tucholsky-Gesamtausgabe, der Tucholskys Briefe von 1911 bis 1918 enthält, füllen diejenigen an die verehrte Mary fast die gesamte Korrespondenz. Dabei hatte er die damals 18-jährige Baltin erst im November 1917 kennengelernt, als er in der Artillerie-Fliegerschule im kurländischen Alt-Autz Dienst tat. Auf der Stelle war Tucholsky für sie entflammt. Mary widersetzte sich jedoch einer schnellen Eroberung, was Tucholskys Werben erst recht verstärkte.

Nach einer anfänglichen Verstimmung versöhnten sich die beiden wieder, doch Tucholsky entschied sich im April 1918, als Feldpolizeikommissar nach Rumänien zu gehen. Erst nach 20 Monaten sollte er Mary wiedersehen. In der Zwischenzeit entspann sich ein Briefwechsel, der nach Ansicht des Tucholsky-Biographen Michael Hepp „zu den schönsten dieses Jahrhunderts gehört“.
Doch die Intensität dieses Briefwechsel täuscht, was das Verhältnis zu Mary betrifft. Hepp schreibt weiter:

Die Briefe ersetzen das reale Leben, man kann fast sagen: Tucholskys eigentliches Leben fand in der Korrespondenz statt. Egal, ob es seine Artikel waren, die er auch nur als Briefe an Siegfried Jacobsohn betrachtete, oder die unzähligen Briefe an seine Frauen und „Freunde“, das Schreiben wurde für ihn zum Lebensersatz, die realen Menschen zu Empfängern degradiert, zu „Beichtbüchsen“, wie er Mary Gerold und Hedwig Müller gleichermaßen nannte.
Michael Hepp: Biographische Annäherungen. Reinbek 1999, S. 129

Das Laotse-Zitat müsste auf Tucholsky abgewandelt lauten: „Die Nähe ist für die Liebe wie das Löschflugzeug für das Lagerfeuer.“ Oder mit den Worten Marys:

Ich kann es nicht verstehen, wieso zwei Menschen, die sich lieben, auseinandergehen – ohne jeglichen Grund. – Vielleicht ist es aus der Entfernung viel schöner – die Nähe enttäuscht letzten Endes immer.
Ebd. S. 148

Dabei schien Tucholsky durchaus zu wissen, wonach er sich sehnte:

Dicker, gestern habe ich – als ich nicht schlief, nein! es wird niemals wieder vorkommen – also gestern habe ich es mir ausgedacht, daß das Allerschönste ist, abends, wenn der ganze Kram vorbei ist, mit einer Frau zu liegen – und – Erotik hin, Erotik her – sich es alles rauszuerzählen. Siehst Du, das wäre ungefähr das, was die Mama von jemanden verlangte, und was man – ich weiß – nun einmal nicht erfüllen kann. Das liegt nicht in der Überlegung und im Vorsatz – das liegt ganz tief. Entweder man tuts oder man tuts nicht. Sich ganz vertraut sein – nicht drängen – einfach dasein, zu zwein – und der Tag zieht vorüber, dies und das – auf der Basis der Gleichheit, bunte Figuren auf einem Teppich. Und man ist sich dann so nah, wie nur zwei sein können, die …
Brief vom 8. Oktober 1918

Tucholskys Korrespondenz hatte während des Krieges damit wenig mit den Feldpostbriefen der Frontsoldaten gemein, die im Schützengraben ums nackte Überleben kämpften. Was vor allem daran lag, dass Tucholsky erfolgreich vermeiden konnte, direkt an der Front eingesetzt zu werden und auf Menschen schießen zu müssen. Charakteristisch für seine Haltung ein Schreiben an seine Schwester Ellen vom September 1915:

ich habe eine pickstollhe. Aberst ich schieß lieber nicht. Nachher erschrickt so ein Russe und wird krank … Nein, nein.

Trotz dieser pazifistischen Einstellung – auch geprägt von dem Wunsch, selbst nicht erschossen zu werden – schien es im Krieg lange Zeit für ihn denkbar, seine Karriere als Beamter der Militärpolizei fortzusetzen. „Ich muß sagen, ich wünschte nicht, daß der Krieg nun auf einmal ein Ende hätte – ein Jahr brauche ich ihn noch“, schrieb er im August 1918 an Mary. Und Ende September gestand er:

„Mein Plan war dieser – um einmal alle Karten aufzudecken: hier unten Kommissar zu werden, das ist nicht mehr allzulange – und dann zu versuchen, nach Kurland zu gehen, und von einer Kriegsstellung sachte in eine Friedensposition hinüberzugleiten.“

Pazifistische Bekenntnisse gab es nur „auf Anfrage“, wie in einem Brief vom 17. August an Mary:

Er fragt, warum die, die im Kriege Menschen töten, noch Blech angehängt bekommen zur Belohnung. Weil alle Moral auf Nützlichkeit aufgebaut ist – bis auf einen kleinen Rest, den man nicht erklären kann, und der der Philosophie so viel zu knacken gibt. Diebstahl ist deswegen so verschrieen – in der Hauptsache – weil er uns schadet, Mord auch. Und dieser Mord soll nutzen, und es ist noch nicht – nach 6000 Jahren noch nicht – in die Köpfe gegangen, daß Blut Blut ist und daß es keinen geheiligten Mord geben darf. Natürlich ist kein Unterschied. Nur die Betrachtungsweise dieser Tiere macht einen: der Mörder ist ein Unhold, Richthofen ist ein Held. Dabei sind beide mitunter beides. Das wird nicht aufhören, bis der Wahnsinn der Staaten aufhört.

Gegen Ende des Krieges lag Tucholsky außerdem ein Angebot vor, den „Ulk“, die Satirebeilage des „Berliner Tageblatts“, zu leiten. Die Entscheidung zwischen Journalismus und Offizierskarriere nahmen ihm die Alliierten ab, indem sie den Krieg im Westen entschieden. Nach dem militärischen Zusammenbruch ging Tucholsky nach Berlin. Dort griff er die Korrespondenz mit Mary wieder auf. Sein folgendes Lamento könnte sein Motto für die nächsten fünfeinhalb Jahre gewesen sein:

Von mir persönlich kann ich Ihnen nicht viel, und nicht allzuviel Lustiges erzählen. Man kann nicht übersehen, was morgen oder gar übermorgen sein wird. Es ist alles recht häßlich, und ich kann nicht sagen, daß ich mich übermäßig wohl in Berlin fühle.

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