29.2.2008

Ein Kassenbuch für Verzweifelte

„“Dankbarkeit und Weizen gedeihen nur auf gutem Boden“, lautet ein deutsches Sprichwort. Die Mark Brandenburg war noch nie dafür bekannt, Weizen im Überfluss zu produzieren. Und mit der Dankbarkeit scheint es in der Streusandbüchse zuweilen auch nicht weit her zu sein. So ist den Stadtvätern von Rheinsberg offenbar nicht bewusst, wie viel die Bekanntheit ihres Städtchens dem „Bilderbuch für Verliebte“ verdankt, das Tucholsky 1912 veröffentlichte. Anders ist wohl kaum zu erklären, dass einer der Stadtverordneten jüngst vorschlug, das dortige Kurt Tucholsky-Literaturmuseum nicht mehr zu unterstützen. „Wenn wir uns so etwas nicht leisten können, müssen wir uns davon trennen“, sagte Wilfried Schmidt (Allianz) zur finanziell schwierigen Situation, wie die „Märkische Allgemeine“ berichtete. Doch soweit wird es vorerst offenbar nicht kommen:

Das wollte Erich Kuhne (CDU) dann doch nicht gelten lassen. „Ist uns eigentlich bewusst, was wir mit der Musikakademie, der Kammeroper und dem Kurt-Tucholsky-Museum für Schätze haben?“, fragte er seine Abgeordnetenkollegen. Der Stadtverordnetenvorsteher wies darauf hin, dass die Stadt und das Umland nicht wenig von diesen Kultureinrichtungen profitieren.

Für Museumsleiter Peter Böthig ist es deprimierend genug, bei allen möglichen Stellen um Geld betteln gehen zu müssen. Dazu noch ohne Erfolg, wie aus dem Bericht hervorgeht:

Böthig berichtete, dass alle geführten Gespräche mit dem Kreis über einen Trägerwechsel erfolglos verlaufen sind. Deshalb habe er auch die Fördersumme verdreifacht, was wie bekannt nichts geholfen hat. Außerdem informierte der Leiter, dass er in einem Brief an Kulturministerin Johanna Wanka um einen Betriebskostenzuschuss gebeten hat. Auch dieser Antrag sei abgelehnt worden. Selbst das Bemühen, mit Hilfe eines Finanzdienstleisters, der sich deutschlandweit um Sponsoringverträge kümmert, ins Geschäft zu kommen, hätten keinen Erfolg gebracht.

Die Suche nach einem neuen Träger, der die Finanzierung des Museums auf eine solide Basis stellt, wird wohl noch eine Zeitlang dauern. Und Böthig wird mit Tucholsky weiter klagen dürfen: „Was mich in der ganzen letzten Zeit so maßlos bedrückt und mir meine Laune völlig verdirbt, ist die Sache mit dem Geld.“

28.2.2008

Besser spät als nie

Manchmal ist es schon erstaunlich, wie lange die Rezension eines Buches auf sich warten lässt. Für die Seiten von literarturkritik.de hat sich Malte Horrer Tucholskys „Deutschland, Deutschland über alles“ angeschaut und besprochen. Wenigstens muss man ihm zugute halten, dass er nicht das Original von 1929 genommen hat, sondern die aktualisierte Fassung von Timo Rieg. Die ist allerdings auch schon vor zwei Jahren erschienen.

Das macht im Grunde überhaupt nichts. Denn nach Ansicht Horrers sind die Texte Tucholskys ohnehin zeitlos. Aber deren Zusammenstellung aus den zwanziger Jahren weise inzwischen gravierende Nachteile auf:

Erstens stehen die Kapitel bei Tucholsky wie Kraut und Rüben durcheinander – Beispiele über Beispiele ohne irgendeinen sinnvollen Zusammenhang. Und zweitens sind es der Beispiele zu viele – und zu viele ohne die nötige inhaltliche und sprachliche Schlagkraft. Das Original von Tucholsky aus dem Jahre 1929 ist heute letztlich ein ermüdendes Buch!

Dem muss man nicht unbedingt zustimmen, auch wenn man mit der Netzeitung feststellt, dass sich seitdem einiges in Deutschland geändert hat. Aber umso besser, dass es nun eine neue Ausgabe gibt:

Timo Rieg aber hat die potentielle Schlagkraft von „Deutschland, Deutschland über alles“ – so lautet der Titel auch heute – dennoch erkannt: Er hat aus dem Buch die Perlen herausgesucht, sie systematisch neu zusammengestellt (nach Bereichen wie Politik, Beamtenapparat, Justiz et cetera), um andere passende Texte von Tucholsky und um eigene aktuelle Texte ergänzt. […] So sind von dem eigentlichen Buch Tucholskys gerade einmal 8% der Texte übrig geblieben. Ob man das noch „neu herausgegeben“ nennen kann? Ein anderes Etikett wäre vielleicht besser, zumindest aber ehrlicher gewesen.

Vielleicht erscheint die zweite Auflage ja unter dem Titel „Deutsche Frauen, deutsche Treue“.

22.2.2008

Undurchdringliche Sprachverwirrung

Muss die Geschichte des Nationalsozialismus und deutschen Antifaschismus vielleicht umgeschrieben werden? In einer philologischen Schnellstudie für den Blogblick der „Netzeitung“ hat Maik Söhler in der „Weltbühne“ Passagen gefunden, „die von der nationalsozialistischen Durchdringung einer der wichtigsten Publikationen der Weimarer Republik zeugen“. Genauer gesagt, er hat den hier veröffentlichten Text „Raubstaat Liechtenstein“ von Hellmut von Gerlach gelesen und ist dabei auf die Begriffe Schmarotzer, Eiterbeule und Vampyr gestoßen, die seiner Meinung nach „reiner NS-Duktus“ sind und darauf verweisen, „in welchem Kontext die Weltbühne im Februar 1933 erschien“, wie er auf Anfrage erläuterte. Bei Texten von Tucholsky oder Ossietzky aus der „Weltbühne“ habe er dagegen solche Passagen nicht gefunden.

Gegen diese Behauptungen gibt es ziemlich viele Dinge einzuwenden. Hier einige davon:

Der Vorwurf einer „nationalsozialistischen Durchdringung“ einem demokratisch engagierten Journalisten und Pazifisten wie Hellmut von Gerlach gegenüber ist so absurd, dass man diesen nicht mal eben nach der Lektüre eines kurzen Textes erheben sollte. Dies an drei Begriffen und Formulierungen festzumachen, die übrigens im heutigen Diskurs ebenfalls auftauchen, ist reichlich unbedarft. Nur weil Söhler solche Begriffe aus dem NS-Kontext kennt, heißt das noch lange nicht, dass sie im damaligen Sprachgebrauch nicht gängige Metaphern waren. So schrieb zum Beispiel Tucholsky (!) 1929 (!) über die Unsitte, Autorenhonorare nicht zu bezahlen:

Was die Zeitungskorrespondenzen angeht, so steht es damit ähnlich: es gibt ganze Heerscharen von Parasiten, die von uns leben, schlecht abrechnen, noch unpünktlicher bezahlen und sich überhaupt an fremde Arbeit anzecken.

Oder über Bertolt Brecht:

In besonders schlimmen Fällen sind es Moos oder andre Parasiten, die Saft und Kraft aus den alten Bäumen ziehen — die Schmarotzer vergingen ohne den Alten.

1920 (!) schrieb der Rechtsanwalt und Schriftsteller Leo Pasch über die Novemberrevolution in der „Weltbühne“:

Der Moloch des Obrigkeitsstaates mußte ausgetilgt werden aus der Mitte des Volkes. War Deutschland den äußern Feinden unterlegen, so war es desto heiligere Aufgabe, den Vampyr zu töten, der dem kämpfenden Volke das Blut und das Hirn ausgesogen hatte: der Bureaukratismus mußte schleunigst in die Wolfsschlucht.

Es ist zweifellos so, dass die Nazis viele Begriffe der deutschen Sprache kontaminiert haben, weil sie deren Bedeutung pervertierten oder weil dem Gebrauch der Begriffe unvorstellbare Taten folgten. Aber gerade die „Weltbühne“ hat sich immer dagegen gewehrt, die Begrifflichkeiten der Nazis zu übernehmen und darauf verwiesen, wo die Nazis sie zusammengeklaubt hatten. Man würde den „Weltbühne“-Autoren heute auch keinen Rassismus vorwerfen, weil sie ständig die Begriffe Nigger oder Neger benutzten, die damals noch üblicher Sprachgebrauch waren.

Trotz dieses sprachlichen Kontextes kann sich natürlich fragen, warum ein fortschrittlicher und toleranter Mensch wie Hellmut von Gerlach sich in Sachen Liechtenstein so sehr in Rage redete und forderte, das Land im Grunde aufzulösen und notfalls unter die Verwaltung des Völkerbundes zu stellen. Dazu ist zu bemerken, dass Deutschland und andere europäische Länder sich in der Weltwirtschaftskrise in einer extremen Finanznot befanden und um jede Einnahme froh waren, die sie erzielen konnten. Deutschland war seit 1930 praktisch zahlungsunfähig und balancierte ständig am Rande des Staatsbankrotts. Dies machte es der Regierung Brüning unmöglich, durch großzügige Konjunkturprogramme oder Kreditausweitung die Wirtschaftskrise zu bekämpfen und der Nazi-Propaganda somit das Wasser abzugraben. Die Sanierung der Finanzen war für die Weimarer Republik eine Existenzfrage, an deren unzulänglicher Lösung sie mit gescheitert ist. Man mag sich wundern, dass sich Gerlach auch dann noch für die deutschen Staatsfinanzen einsetzte, als die Nazis bereits an der Macht waren. Aber erstens hoffte er sicher, dass der braune Spuk bald vorbei sein würde. Und zweitens widmete er sich auch in seinem letzten Beitrag für die „Weltbühne“, eine Woche später, der Außenpolitik, was damals sicher unverfänglicher war. Denn ihm selbst war klar, dass er persönlich in großer Gefahr schwebte und seine Name auf Verhaftungslisten der Nazis stand. Außerdem hatte der „Stahlhelm“ drei Wochen zuvor eine Resolution beschlossen, die die „Todesstrafe für Landesverräter und die Verächter wahren deutschen Volkstums wie Hello von Gerlach“ forderte. Wie sehr Gerlach den Nazis verhasst war, zeigt sich auch daran, dass er auf der ersten Ausbürgerungsliste des Deutschen Reiches stand.

Zuletzt könnte man noch spekulieren, dass Gerlach der antisemitischen Propaganda der Nazis entgegenwirken und darauf hinweisen wollte, wo seiner Meinung nach wirklich Schmarotzer saßen, die den Staat aussagten, so wie es die Nazis von den Juden behaupteten. Die eigentliche Botschaft hätte dann zwischen den Zeilen und in dem fast schon parodistischen Widerspruch zu den antisemitischen Tiraden Hitlers und Goebbels gelegen. Eine solche Intention hätte wohl nur Gerlach selbst bestätigen können.

Fazit: Die Wendungen am Ende des Textes zeigen wohl in der Tat, wie sehr sich Gerlach über die staatlich begünstigte Steuerflucht nach Liechtenstein damals geärgert hat. Nicht viel anders, als es unzählige Kommentatoren heute auch tun. Wer weiß, wie in 75 Jahren jemand beurteilt wird, der Liechtenstein heute als Schurkenstaat bezeichnet.

15.2.2008

Sudelblog-Spezial: „Raubstaat Liechtenstein“

Aus gegebenem Anlass sei hier auf einen Text verwiesen, der vor einiger Zeit in einer Tucholsky sehr nahestehenden deutschen Zeitschrift gestanden hat.

Raubstaat Liechtenstein

Eingeklemmt zwischen der Schweiz und Österreich liegt das sonderbare Staatsgebilde, das offiziell als Fürstentum Liechtenstein firmiert. Es hat zehntausend Einwohner und umfaßt drei Quadratmeilen Landes. Im alten deutschen Bunde war es vollberechtigtes Mitglied und nahm als solches 1866 an dem Kriege gegen Preußen teil, wofür es vierundsechzig Soldaten zu stellen hatte. Bei dem Friedensschluß wurde es von Bismarck vergessen. Friede zwischen Liechtenstein und Preußen ist nie geschlossen worden. Rechtlich befindet sich Vaduz seit 1866 noch immer im Kriegszustand mit Berlin, ohne daß sich daraus praktische oder gar blutige Konsequenzen ergeben hätten.

Staatsrechtlich ist Liechtenstein souverän. Wenigstens teilweise. Einen Teil seiner Souveränitätsrechte hat es nämlich an die Schweiz abgetreten, mit der es zum Beispiel in Münzunion lebt. Wegen des Verzichts auf einen Teil seiner Souveränitätsrechte konnte dem Wunsche Liechtensteins auf Aufnahme in den Völkerbund nicht entsprochen werden. Man darf den Völkerbund dazu beglückwünschen, daß er auf die Weise um die Belastung mit moralischem Ballast herumgekommen ist.

Was Liechtenstein an Souveränität übrig geblieben ist, reicht immerhin aus, um den Gebrüdern Rotter und andern Europäern gleichen Edelgehalts Schutz gegen den Strafrichter zu gewähren. Von allen Souveränitätsrechten liegt dem edlen Fürstentum natürlich weitaus am meisten an der Steuerhoheit. Dank ihr konnten sich fünfhundertundneunundsiebzig Aktiengesellschaften auf den drei Quadratmeilen ansiedeln. Dank ihr konnte die Landesbank Liechtensteins in die Gesellschaft der upper ten gelangen, in den Kreis der zehn mächtigsten Goldinstitute Europas. Gibt es heute noch eine sichere Geldanlage? fragt ein Finanzmann den andern. Jawohl, die gibt es, in Liechtenstein. Wer vor seinem eignen Finanzminister absolut sicher sein will, flüchtet sich nach Liechtenstein, in Person oder mit dem Sitz oder einer Filiale seiner Gesellschaft. Man kauft sich ein, durch Verhandlungen mit den Behörden des Fürstentums, von Gentleman zu Gentleman. Liechtenstein ist kulant. Der einzelne Finanzgewaltige braucht nicht viel zu zahlen. Die Masse muß es bringen: Fünfhundertundneunundsiebzig Aktiengesellschaften!

In der monarchistischen ‚Deutschen Zeitung‘ schreibt Hellmut Draws-Tychsen, dessen Spezialität das Studium der Zwergstaaten ist:

Ich will trotz meiner Bejahung der monarchischen Staatsform freimütig eingestehen, daß meine Hochachtung innerhalb der europäischen Miniaturstaaten den uralten, sauberen, freien, bescheidenen Republiken Andorra und San Marino gehört und nie und nimmer den korrupten Ländchen Monaco und Liechtenstein. Hier wünsche ich keine Freude zu haben, aber dort, wo die Einfachheit, die Gastfreundschaft, der Glauben und die Unverderbtheit herrschen. Tatkraft ist alles, denkt der Andorraner, wenn er dem kargen Boden eine karge Ernte abringt. Dagegen philosophiert der Liechtensteiner, der nichtstuerisch und genießerisch die Hände in den Schoß legen kann: Geld allein macht glücklich.

Herr Draws-Tychsen liebt Monaco und Liechtenstein gleich wenig. Er geht von der Moral aus. Die sollte man in solchem Fall ausschalten. Ob die Monegassen oder die Liechtensteiner moralisch höher stehen oder beide gleich niedrig, kann der Welt überaus gleichgültig sein. Was ihr nicht gleichgültig sein kann, ist die Schädigung, die sie durch die beiden Operettenstaaten erfährt. Und da liegt Liechtenstein mit mehreren Pferdelängen voran. In Monaco ruiniert sich wenigstens nur der einzelne Reiche, der das nötige Geld hat, um zur Spielbank zu reisen. Das ist eine Privatangelegenheit. In Liechtenstein dagegen sammeln sich die Milliarden, die Deutschland, Österreich und allen möglichen andern Ländern Europas entzogen werden. Die Kapitalfluchtgesetze werden zur Farce, solange die Hehlerhöhle Liechtenstein sich internationalen Schutzes erfreut. Die Steuerzahler ganz Europas müssen das aufbringen, was die Flucht ihrer potentesten Landsleute nach Liechtenstein ihnen entzieht.

Selbstbestimmungsrecht der Völker ist sehr schön. Aber Liechtenstein ist kein Staat mit Existenzberechtigung. Es ist ein Parasit, der auf allen andern Staaten herumschmarotzt. Es ist eine Eiterbeule.

Diese Eiterbeule muß aufgestochen werden. Mit dem Rest der Souveränität des Ländchens ist schleunigst ein Ende zu machen. Das ist eine Angelegenheit, die alle Völker Europas angeht. Denn die Steuerkraft aller wird von der Eiterbeule zerfressen.
Am einfachsten wäre es natürlich, wenn Liechtenstein der Schweiz einverleibt würde. Aber vielleicht widerstrebt ihr der Zuwachs dieses Mißwachses. Dann sollte Liechtenstein unter Völkerbundsverwaltung genommen werden. Irgendeine Lösung muß gefunden werden, um Europa von seiner partie la plus honteuse zu befreien. Man darf ein staatsrechtliches Naturdenkmal in dem Augenblick nicht mehr dulden, wo es sich als Vampyr herausstellt, der allen Nachbarn das Steuerblut aus den Adern saugt.

Hellmut v. Gerlach

In: Die Weltbühne, 21.2.1933, S. 297

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