31.1.2008

Wiedersehen vor Gericht

Der Deutschlandfunk hat sich eine Studie zu Justizberichten in den 20er Jahren angeschaut und steigt in seine Rezension mit folgender Behauptung ein:

Wer an Gerichtsreportagen der 20er Jahre denkt, wenigstens was Deutschland angeht, dem wird zu allererst Kurt Tucholsky einfallen. Doch der sarkastische und wütende Kritiker von Gesinnungs- und Klassenjustiz kommt im Buch von Daniel Siemens nur ein einziges Mal namentlich vor, nämlich als einer jener Prominenten der Weimarer Republik, die sich erfolglos für die Abschaffung der Todesstrafe einsetzten.

Doch dieser Vorwurf trifft Daniel Siemens zu Unrecht. Wer an Gerichtsreportagen der 20er Jahre denkt, dem sollten zunächst einmal Journalisten wie Paul Schlesinger alias Sling oder Gabriele Tergit in den Sinn kommen. Dagegen weniger Dr. iur. Tucholsky. Zwar finden sich in der Tat ungezählte Justizkritiken in seinem Werk, allen voran die dreiteilige Serie „Deutsche Richter“ von 1927. Aber eigentliche Reportagen hat er nur über ausgesuchte politische Prozesse geschrieben, wie beispielsweise nach dem Attentat auf Maximilian Harden. Außerdem lebte Tucholsky während der 20er Jahre nun einmal die meiste Zeit nicht in Deutschland. Deshalb konnte er am 5. April 1927 sein freudiges „Wiedersehen mit der Justiz“ feiern:

Es ist noch alles da.
Wenn man das drei Jahre lang nicht genossen hat: die moabiter Justizfabrik und die unhöflichen Gerichtsdiener und diese Richterköpfe und die kleinen verschreckten Schöffen, Mikrozephalen oder Kolonialwarenhändler, und die artigen Verteidiger, die immer ein bißchen etwas vom Komplicen an sich haben, und die Angeklagten, die nicht wissen, wie ihnen geschieht – wenn man das drei Jahre lang nicht genossen hat, so darf man erfreut feststellen, daß noch alles da ist. Justitia . . . Ein Vormittag, und die Binde sitzt hinten.

30.1.2008

Gekotze aus dem Radio

Heute vor 75 ist Adolf Hitler von Reichspräsident Paul von Hindenburg zum Reichskanzler ernannt worden. Das ist auch der Nachrichtenagentur dpa nicht entgangen, und sie hat ihre Kunden vor einigen Tagen mit einem Hintergrundtext zur „Machtergreifung“ beliefert. Der Artikel wurde von einigen Medien übernommen – mitsamt der folgenden, in mehrfacher Hinsicht unzutreffenden Passage:

Am Abend ziehen in Berlin gut 20 000 SA-Leute und Stahlhelm-Angehörige in einem stundenlangen Fackelzug durch das Brandenburger Tor und die Wilhelmstraße hinunter. Tausende beobachten den Aufmarsch, an einem Fenster der Reichskanzlei auch Hitler. Beim Rundfunk haben die Nazis eine Live-Berichterstattung durchgesetzt. Der Satiriker Kurt Tucholsky hört am Radio mit und prägt seinen Spruch: «Man kann gar nicht so viel fressen, wie man kotzen möchte.»

Nun gibt es bei den Tucholsky-Zitaten von Wikiquote aus gutem Grund einen Abschnitt mit der Überschrift „Fälschlich zugeschrieben“. In diese Kategorie gehört auch der laut dpa von Tucholsky geprägte Spruch. Als sein eigentlicher Urheber gilt der Maler Max Liebermann. Dieser brauchte nicht einmal ein Radio, um den Aufmarsch live mitzuverfolgen. Er musste nur aus dem Fenster schauen, – denn sein Haus lag direkt am Brandenburger Tor.

Bis Tucholsky die Gelegenheit hatte, „Adofn“ zum ersten Mal im Radio zu hören, sollte es noch einen Monat dauern. Am 4. März 1933 schrieb er von Zürich aus an seinen Freund Walter Hasenclever:

Vorgestern haben wir hier einen Radio installiert und Adof gehört. Lieber Max, das war sehr merkwürdig. Also erst Göring, ein böses, altes blutrünstiges Weib, das kreischte und die Leute richtig zum Mord aufstachelte. Sehr erschreckend und ekelhaft. Dann Göbbeles mit den loichtenden Augen, der zum Vollik sprach, dann Heil und Gebrüll, Kommandos und Musik, riesige Pause, der Führer hat das Wort. Immerhin, da sollte nun also der sprechen, welcher … ich ging ein paar Meter vom Apparat weg und ich gestehe, ich hörte mit dem ganzen Körper hin. Und dann geschah etwas sehr Merkwürdiges.

Dann war nämlich gar nichts. Die Stimme ist nicht gar so unsympathisch wie man denken sollte – sie riecht nur etwas nach Hosenboden, nach Mann, unappetitlich, aber sonst gehts. Manchmal überbrüllt er sich, dann kotzt er.

Und nicht Tucholsky. Dessen Resümee lautete: „Ceterum censeo: ich habe damit nichts zu tun.“

13.1.2008

Lesen und Frieden

An diesem Sonntag ist im ZDF die dritte Folge des Historienschinkens „Krieg und Frieden“ ausgestrahlt worden. Das Fernsehlexikon bemerkte dazu spöttisch:

„Es ist so einsam im Sattel, seit das Pferd tot ist.“ „Hundewiese“. „Boogaloo On Second Avenue“. Drei gute Bücher, die noch nie verfilmt wurden. Krieg und Frieden dagegen wurde vermutlich schon öfter verfilmt als gelesen, denn ernsthaft: 1645 Seiten? Wer liest die?

Tucholsky natürlich. Und das tat er gleich mehrfach. Davon zeugen einige Stellen in seinen Briefen:

Es reicht auf keiner Seite an die ungeheure Gestaltungskraft und den starken Gottglauben Tolstois in Krieg und Frieden heran, keine Scene ist darin (kann auch nicht darin sein, weil es das zum zweiten Mal nicht gibt), die etwa an die Stunde heranreicht, in der der Fürst verwundet bei Tolstoi auf dem Schlachtfeld liegt und die Wolken ansieht, und das Menschliche ist weit, weit unter ihm, und es wird alles so leicht und verständlich
1918 über Barbusses „Le feu“

Die Karenina ist ein herrliches Buch. Beinah so schön wie Krieg und Frieden.
1933

Ich läse Krieg und Frieden und blase etwas in der Trübsal. Das kann ich ganz fließend.
1935

Vielleicht verfehlte die Lektüre auch bei dem Pazifisten Tucholsky ihre Wirkung nicht. Denn am 8. September 1921 hieß es in einer „Antwort“ in der Weltbühne:

Antipazifisten. Lest nicht nur die Stelle aus „Krieg und Frieden“, die ich in die Rundschau von heute gesetzt habe: lest das ganze, das herrliche Buch! Das ist Epik — diese unerbittliche sachliche Ruhe. Es gibt keine schonungslosere Entlarvung des Militarismus. Satz um Satz aktuell und erbarmungslos. Dieser Tolstoi nennt einfach die Dinge beim Namen, und die Uniformen fallen ab wie Zunder. Dabei ist er weise wie Homer und von einer wunderbaren Allwissenheit um den Menschen. Unsereinen bezwingt das zur Anbetung. Leset auch Ihr es! Vielleicht bekehrt es doch Den oder Jenen von Euch.

Ob die Verfilmung das auch schafft? Am Mittwoch ist noch Gelegenheit, dies zu testen.
Die in der Weltbühne zitierte Passage lautete übrigens:

Die biblische Überlieferung sagt, daß das Fehlen jeglicher Arbeit, das Nichtstun, ein wesentliches Moment der Glückseligkeit des ersten Menschen vor seinem Sündenfall gewesen sei. Die Liebe zum Müßiggange ist bei den Menschen auch nach dem Falle dieselbe geblieben; aber es lastet nun auf den Menschen ein Fluch, und zwar nicht nur insofern, als wir uns nur im Schweiße unsres Angesichts unser Brot erwerben können, sondern auch insofern, als wir vermöge unsrer moralischen Eigenschaften nicht zugleich müßiggehen und in unsrer Seele ruhig sein können. Eine geheime Stimme sagt uns, daß wir durch Müßiggang eine Schuld auf uns laden. Könnte der Mensch einen Zustand finden, in dem er müßigginge und doch dabei das Gefühl hätte, ein nützliches Mitglied der menschlichen Gesellschaft zu sein und seine Schuldigkeit zu tun, dann hätte er damit ein Stück der ursprünglichen Glückseligkeit wieder gefunden. Und eines solchen Zustandes, wo der Müßiggang pflichtmäßig ist und keinem Tadel unterliegt, erfreut sich ein ganzer Stand: der Militärstand. In diesem pflichtmäßigen, tadelfreien Müßiggange hat von jeher die hauptsächlichste Anziehungskraft des Militärdienstes bestanden, und das wird auch allezeit so bleiben.

10.1.2008

Mit Zille bei Vornehms

Der Maler und Graphiker Heinrich Zille ist am heutigen Tag vor 150 Jahren geboren worden. In ihren Würdigungen Zilles hoben die Nachrichtenagenturen dpa und epd auch die besondere Verehrung hervor, die Tucholsky für Zille empfand. Diese manifestierte sich beispielsweise in dem langen Text „Berlins Bester“, der im Januar 1925 erschien. Zum Tode des Malers im August 1929 dichtete ihm Theobald Tiger einen Nachruf, aus dem dpa die Zeilen zitierte: „Du kennst den janzen Kleista – den ihr Schicksal: Stirb oda friß! Du warst ein jroßa Meista. Du hast jesacht, wies is.“

Weniger bekannt ist wohl folgende Anekdote aus dem Text „Dichtung“, in dem er Zille als humoristischen Schriftsteller lobte:

Unter den jüngeren Literaten findet sich meist eine merkwürdige Verachtung des Humors. Es ist, als habe man sich zu schämen, wenn man gelacht hat. Eisige Mienen ringsum belehren dich, daß man sich in seiner Gesellschaft nicht den Kragen abbindet. Und es gibt meines Erachtens nur einen, der in unserer Literatur wirklich Humor hat: das ist der Schriftsteller Heinrich Zille. Der Schriftsteller – denn der Mann hat Bücher geschrieben, die weit über seine Zeichenkunst hinausgehen. Und ich besinne mich, mit ihm einmal bei einer sehr vornehmen Familie eingeladen gewesen zu sein, wo es so fein zuging, daß wir Beklemmungen bekamen; Papa spielte Harmonium, Mama wackelte vor innerem Adel mit allem, wo gibt – und die Kinder waren so altklug, daß einem das Grauen ankam. Auf dem Nachhauseweg fragte ich Zille, wie es ihm gefallen habe. Er dachte einen Augenblick nach und sagte dann: „Die Leute sind emsig glücklich!“
Peter Panter: „Dichtung“, in: Vossische Zeitung, 25.12.1924

7.1.2008

Der archivierte Tucholsky

Seit dem Wegfall des Urheberschutzes gibt es eine Flut von neuen Tucholsky-Ausgaben auf dem Buchmarkt. Nach „Mit Tucholsky die Frauen verstehen“ und „Weihnachten mit Tucholsky“ ist nun auch „Tucholsky in Berlin. Gesammelte Feuilletons 1912-1930“ erschienen, herausgegeben von Nele Lenze im Berlin Story Verlag. Nicht nur der Vorwärts, auch ein im Internet erscheinendes Berlin-Magazin hat sich den Band angesehen. Über die dortige Rezension „Tucholsky in Berlin“ sollte man eigentlich den Mantel des Schweigens breiten oder sie Korrektur lesen lassen. Folgende Passage, die sich sinngemäß auch im Vorwärts findet, ist dennoch höchst amüsant:

Nele Lenze hat für den Berlin Story Verlag als Herausgeberin die Tucholskytexte neu editiert. Schon seit ihrer Jugend beschäftigt sich die studierte Judaistin, Jahrgang 1981, mit Tucholsky und der Berliner Geschichte. Sie stieg tief in die Archive ein, um die besten und interessantesten herauszusuchen.

Vor dem geistigen Auge taucht dabei die Herausgeberin auf, wie sie in ganz Deutschland herumreist, um in literarischen Archiven wie in Marbach die verstreuten Tucholsky-Texte zu sichten. Hin und wieder stößt sie dabei voller Freude auf einen Artikel, in dem es irgendwie um Berlin geht.

Vielleicht war sie aber schlauer, setzte sich einfach in die Bibliothek und blätterte die Tucholsky-Gesamtausgabe von vorne bis hinten durch. Man möchte aber nicht hoffen, dass sie die CD von Band 15 der Digitalen Bibliothek eingelegt und dort in der Volltextsuche „Berlin“ eingegeben hat. Dann hätte sie in den Texten und Briefen Tucholskys nämlich 1391 Fundstellen bekommen. Bis man die alle durchgeklickt hat…

Stellt sich die Frage, wer neben Nele Lenze noch so alles in den Archiven unterwegs war und uns demnächst mit einem Tucholsky-Band erfreuen wird. Kleiner Tipp: Bei „Paris“ gibt es nur 1110 Fundstellen.

Nachtrag: Auf der Website des Buches ist auch das Vorwort zu lesen, in dem es heißt:

Alle Beiträge in diesem Buch stammen aus den ursprünglichen Quellen, also aus der Weltbühne, der Vossischen Zeitung, dem Vorwärts oder der Schaubühne. Wir haben dazu umfangreiche Quellenstudien in Archiven betrieben, die Originale gesucht und lesefreundlich neu gesetzt. Es liegt hiermit also ein ganz urspünglicher, nicht bearbeiteter, reiner Tucholsky vor.

Dazu ist nur zu sagen: Auch die Gesamtausgabe gibt zunächst die ursprünglichen Texte an, was die Quellenstudien auf einen Gang in die Bibliothek reduzieren könnte. Und was machen die Gesammelten Werke? Darin sind die Texte in der Fassung wiedergegeben, die Tucholsky zuletzt bearbeitet hat. Das war bei Artikeln der Fall, die er für seine Sammelbände Mit 5 PS, Das Lächeln der Mona Lisa und Lerne lachen ohne zu weinen zusammengestellt hat. Was nun der reinere Tucholsky davon ist, wissen wohl nur die Götter oder Frau Klementine.

6.1.2008

Romanisches Klischee

In der Politik ist man sich noch nicht einig, ob 2007 das Jahr der Angela Merkel, Hillary Clinton oder Gabriele Pauli war. In der Literatur(geschichte) fällt die Wahl wohl eindeutig auf: Mascha Kaléko. Am 7. Juni 2007 wäre die Lyrikerin 100 Jahre alt geworden. Unter anderem aus diesem Anlass wurde sie im vergangenen Jahr gut und gerne 800 Mal in der deutschen Presse erwähnt (laut gbi). In fast 100 Fällen davon in der Kombination mit Kurt Tucholsky, denn, um typische Erwähnungen zu zitieren:

Heute gilt die in Galizien als Mascha Engel geborene Kaléko als eine der spannendsten Dichterinnen des 20. Jahrhunderts. Sie war mit Kurt Tucholsky, Erich Kästner, Joachim Ringelnatz, Else Lasker-Schüler bis hin zu Bertolt Brecht befreundet. Dieser heute noch unübertroffene Dichter- und Kabarett-Kreis traf sich im „Romanischen Café“ in Berlin.
Hamburger Abendblatt vom 30.5.2007

Oder:

Ihre frühesten Gedichte erscheinen in den Berliner Zeitungen, gleich in den führenden, zumal im liberalen „Berliner Tageblatt“. Bald wird sie dort regelmäßig gedruckt. Sie hat sofort viele Leser und einige etwas ratlose Kritiker. Sie wissen nicht recht, wie man die Anfängerin einordnen soll. Verschiedene Namen werden vorgeschlagen: Sie käme aus der Welt von Eugen Roth, sie sei eine Tochter Christian Morgensterns, eine Schwester von Joachim Ringelnatz. Vor allem aber: Sie habe viel von Kurt Tucholsky und Erich Kästner gelernt – und das trifft am ehesten.
Marcel Reich-Ranicki in der FAZ

Was die Nähe zu Tucholskys „Gebrauchslyrik“ betrifft, so ist gegen diese Behauptung sicher nicht viel einzuwenden. Auch wenn Kästners Gedichte wohl mehr Ähnlichkeit mit Themen und Sprache Kalékos aufweisen.

Es ist allerdings ein weit verbreitetes Klischee, Tucholsky und Kästner hätten den lieben langen Tag im Romanischen Café gesessen und dort mit aufstrebenden Talenten über Politik und Literatur diskutiert. Die weite Verbreitung macht ein Klischee nicht wahrer. Tucholsky überhaupt in Berlin anzutreffen, war seit 1924 schon nicht so einfach. Schließlich lebte er dauerhaft im Ausland, 1929 und 1930 verbrachte er insgesamt zehn Wochen in seiner Heimatstadt, die er im April 1931 zum letzten Mal sah. Und während seiner seltenen Berlin-Aufenthalte war es eher unwahrscheinlich, ihm im besagten Literatentreffpunkt zu begegnen. Denn:

Allen gemeinsam ist das Romanische Café, auf das ich nicht so schelten kann, wie das vielfach geschieht. Es ist nicht meine Nummer – aber dergleichen muß sein, das hats immer gegeben (…)
Peter Panter: „Die Zeit“, in: Die Weltbühne, 18.2.1930, S. 284

Statt dessen bevorzugte er beispielsweise das Restaurant Schwannecke, von dem er dichtete:

Früher, wenn mal etwas Komisches war:
ein Rednerschwupper an Thron und Altar,
der Kindermund eines Filmgenerals,
der Duft eines Reichsgerichts-Skandals,
Adele Sandrocks herrlicher Baß,
ein dämlicher Kabinettserlaß;
wenn mit Recht ein Verleger Pleite gemacht,
wenn ein Tisch sich bei Schwannecke zerkracht –
dann tat eine innere Stimme befehlen:
Das mußt du gleich S.J. erzählen!
[…]
Theobald Tiger, „Lücke“, in Die Weltbühne, 29.3.1927, S. 503

Auch Kästner war kein typischer Gast des „Romanischen“. Er schrieb seine Gedichte und Bücher im Café Carlton und später im Café Leon, wie Jürgen Schebera in seinem klassischen Bildband Damals im Romanischen Café berichtet.

Darin findet sich jedoch ein musikalischer „Beweis“ für Tucholskys Aufenthalte in dem Café gegenüber der Gedächtniskirche. In einem Chanson von Willi Kollo heißt es:

Damals im Romanischen Café,
Wir saßen stundenlang bei einem Glas Tee.
Beiden gings uns damals ziemlich schlecht,
Wir lebten nur von Pump, Kurt Weill und Bertolt Brecht.
Es schrieb an seinem Marmortisch
Aus Prag der Egon Erwin Kisch
Den „Rasenden Reporter“ –
Durchs Café ging der Kortner.
Homolka spielte oben Schach
Die Mosheim blieb verzweifelt wach
Friedell saß bei dem Anton Kuh
Tucholsky setzte sich dazu.
[…]
Jürgen Schebera: Damals im Romanischen Café, Leipzig 1998, S. 63

Nicht ausgeschlossen, dass Kollo schon damals Klischees bemühte.

Gegen eine enge persönliche Verbindung von Tucholsky, Kästner und Kaléko spricht auch die Tatsache, dass die junge Dichterin nie in der Weltbühne erwähnt und lediglich einmal ein Gedicht („Kassen-Patienten“) von ihr in der Zeitschrift veröffentlicht wurde. Wen es vor allem ins Romanische Café verschlug, beschrieb der Journalist Hanns-Erich Kaminski in dem Blatt:

Von Wien aus gesehen, erscheint Berlin als ein zweites New York, als die zivilisierte Wildnis des zwanzigsten Jahrhunderts, in der man ohne einen Pfennig ankommen und sich mit geballten Fäusten den Weg nach oben, zum Erfolg, zum Reichtum, bahnen kann.

Der junge Mann aus Wien begibt sich vom Anhalter Bahnhof ins Romanische Café. Dort trifft er Bekannte und gewinnt neue Freunde, bald kann er herumgehen und an zwölf Tischen guten Tag sagen. Aber bald merkt er auch, daß die Luft dort anders ist als in Wien. In Wien bedeutet das Café den Hafen, in Berlin nur den Startplatz. Im wiener Café sitzen immer dieselben Leute, im berliner wechseln sie alle paar Jahre. An der Gedächtniskirche muß man arrivieren oder man geht vor die Hunde.
Hanns-Erich Kaminski: „Der junge Mann aus Wien“, in: Die Weltbühne, 16.12.1930, S. 903f.

Gut möglich, dass Kaléko und Tucholsky sich bei einem „Personalwechsel“ verpasst haben.

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