23.8.2007

Kommissarin mit Tucholsky ertappt

„Außen rot und innen …“ heißt das Tucholsky-Programm mit Hannelore „Bella Block“ Hoger, Dietmar Mues und Joachim Kuntzsch, das in diesen Tagen in Berlin gespielt wird. Die (Berliner) Presse zeigte sich zufrieden.

„Der Tagesspiegel“ schreibt:

Das Vergnügen, nach langer Zeit mal wieder die rothaarige Charakterschauspielerin aus Hamburg an der Spree auf einer Bühne zu sehen, war gleichzeitig mit der herzhaft aufgefrischten Erinnerung an einen großen Berliner verbunden. Ist der Abend mit Rezitation und Gesang doch Kurt Tucholsky gewidmet, der am 9. Januar 1890 in der Lübecker Straße geboren wurde und am 21. Dezember 1935 seinem Leben im Exil in Göteborg ein Ende setzte, weil ihm ‚der Grund zu kämpfen, die Brücke, das innere Glied, die raison d’être fehlte‘.

Bei „Zeit-online“ heißt es, mithilfe von dpa:

Hannelore Hogers liebt Kurt Tucholsky – und das Publikum liebte Hannelore Hoger. Bei der Premiere ihres Tucholsky-Abends im Berliner Theater am Kurfürstendamm zeigten sich die Zuschauer am vergangenen Abend von der Theater- und Fernsehschauspielerin begeistert.

Dem „taz“-Rezensenten Jörg Sundermeier gefiel allerdings der erste Teil des Abends nicht besonders,

denn man ist es nicht mehr gewohnt, in dem edlen ehemaligen Reinhardt-Theater am Kudamm dümmliches Boulevardtheater zu sehen.

Was auch daran gelegen haben mag, dass Sundermeier nicht alle Texte richtig verstanden hat:

Schon als Dietmar Mues zuvor einen Text über die Unterschiede zwischen den Menschen vortrug und sich in den Satz „Der Mann will nicht denken …“ gesteigert hatte, lachten auch die meisten Frauen im Publikum. Den Satz „… die Frau kann nicht denken“ sprachen dann sogar einige Eifrige mit.

Soweit damit dieser Tucholsky-Text gemeint ist, geht es darin weniger um die Unterschiede, als um das Gemeinsame, das die Menschen verbindet.

Mit dem zweiten Teil des Abends konnte Sundermeier dagegen zufriedengestellt werden:

„Doch im zweiten Teil haben sich die Mues, Hoger und der singende Professor Kuntzsch ganz offensichtlich auf den weitaus besseren Teil des Tucholskyschen Werks besonnen, und nun geben sie dem Publikum, dass sie in der ersten Hälfte mit billigen Witzen angeheizt haben, was es braucht und eigentlich nicht gewollt hat: den politischen Tucholsky, bei dem es nicht mehr um dumme Frauen und geile Herren geht (…).“

Noch bis 26. August ist das Programm „Außen rot und innen …“ im Theater am Kurfürstendamm zu sehen.

8.8.2007

Bahnstreik vor Gericht ohne Tucholsky

Bei Kurt Tucholsky verlor die Richterin die Geduld. Das Gedicht über die „Eisenbahner“ durfte Ulrich Fischer vor dem Arbeitsgericht Frankfurt nicht mehr vortragen. Denn zu diesem Zeitpunkt hatte der Rechtsanwalt der Gewerkschaft der Lokführer das Gericht, die Vertreter der Deutschen Bahn und diverse Journalisten schon mehrere Stunden in Atem gehalten mit seinen Ausführungen zum Arbeitskampf seiner Mandanten.

Heißt es in der FAZ. Und man wundert sich natürlich, dass nach atemraubenden Ausführungen eines lebenden Juristen die Worte eines profilierten toten eher als weitere Anstrengung denn als Entspannung gesehen werden – zumindest von der Journalistin Melanie Amann.

Doch bevor sich nun die engagierte FAZ-Leserschaft selbst an ihr Tucholsky-Bücherregal begibt und Fischer möglicherweise dadurch missversteht, dass sie den Text „Eisenbahner“ von 1930 statt den von Fischer vorzutragen beabsichtigten „Eisenbahnerstreik“ von 1922 liest, sei er hiermit dargebracht:


Eisenbahnerstreik

Unnötig.
Aber ohne jedes Recht.
Die Frau, die Kinder wollen Schuhe.
Wißt ihr, wie solcher Dienst den Körper schwächt?
Tag-, Nachtschicht und das bißchen Ruhe.

Ja, standet ihr schon mal am Führerstand?
Der Kessel glüht – es ziehn die Winde.
Heiß-kalt, kalt-heiß wird seine Führerhand . . .
Wo ist sein Sinn! Bei seinem Kinde?

Wo ist sein Sinn? Die Augen spähn: »Fahrt frei!«
Er darf nicht einen Griff versäumen.
Er sieht das Vorsignal und Weiche III –
Ihr könnt auf weichen Polstern träumen,

Wollt ihr nicht sichere Fahrt durch euer Land?
Wie soll der Dienst tun mit den Sorgen?
Zweihundert Leben in der einen Hand –
und dieser Hand will keiner, keiner borgen?

Er hats nicht leicht der Mann vom Flügelrad.
Stets droht der Tod. Er soll nicht ein Mal fehlen.
Ihr tuts für euch. Macht seine Kinder satt!
Wer fünf Milliarden für die Reichswehr hat:
der darf uns nichts von Sparsamkeit erzählen!

Autorenangabe: Theobald Tiger
Ersterscheinung: Die Weltbühne, 09.02.1922, Nr. 6, S. 149

6.8.2007

Die falsche Frage

In der Berliner Zeitung steigt Thomas H. Wendel in einen Kommentar mit dem Zitat ein:

Wo bleibt das Positive? Diese Frage hat den Satiriker Kurt Tucholsky schon zu Zeiten der Weimarer Republik umgetrieben. Leider ist er selten fündig geworden.

Mit letzterer Aussage hat Wendel durchaus recht. Aber vielleicht lag es auch daran, dass sich der Autor von „Wir Negativen“ diese Frage zu selten stellte. Denn sie stammt mitnichten von Tucholsky, sondern findet sich in dem Gedichtband Erich Kästners Ein Mann gibt Auskunft, erschienen 1930. Eines der Gedichte lautet: „Und wo bleibt das Positive, Herr Kästner?“ Tucholskys Antwort auf die Frage:

Der „Kurzgefaßte Lebenslauf“ ist ehrlich; es ist auch ehrlich, in dem unsereinem aufs Fell geschriebenen Gedicht „Und wo bleibt das Positive, Herr Kästner?“ zu sagen, daß wir ein Weltbild nicht aus dem Boden stampfen können und zunächst nur wissen: Also dieses da nicht.
Peter Panter: „Auf dem Nachttisch“, in: Die Weltbühne, 9.12.1930, S. 859f.

3.8.2007

Déjà-vu in Berlin-Mitte

Manchmal kann es passieren, dass einem Dinge, die man schon mal irgendwo in einem Buch gesehen hat, ganz unvermutet in der Realität begegnen. Eher selten geschieht dies wohl mit Dingen aus Büchern, die schon ein paar Jahre auf dem Buckel haben, so zum Beispiel Tucholskys Deutschland, Deutschland über alles, erschienen 1929. Darin wird auf Seite 52 gefragt: „Wo steckt Deutschlands Geld?“ Und neben Bildern von Soldaten in Manövern, Panzerattrappen, einem reich gedeckten Tisch und einer Luxus-Boutique ist auf Seite 54 auch folgendes Gebäude zu sehen:

In der Tucholsky-Gesamtausgabe wird der Ort der Aufnahme nicht genannt, da er für das Verständnis des Textes auch nicht von Bedeutung ist.

Fährt man jedoch 80 Jahre später in Berlin-Mitte durch die Französische Straße in Richtung Mauerstraße, muss man einen auffälligen Bogen unterqueren:


Wo immer Deutschlands Geld heutzutage stecken mag, in der Berliner Mauerstraße offenbar nicht mehr. Die Gebäude rechts und links des Bogens gehören übrigens zum Bundeslandwirtschaftsministerium.

In der Gegend Unter den Linden / Behrenstraße fanden sich vor dem Kriege dagegen noch viele repräsentative Bankgebäude, unter anderem die Zentrale der Deutschen Bank. Dass darin wirklich Geld gesteckt haben muss, zeigt ein Text aus der Weltbühne von 1922:

Unter den Schilderungen, die die ausländische Presse in reichlichem Maße von Berlin entwirft, nehmen die Bankbauten unter den Linden und in der Behren-Straße stets einen hervorragenden Platz ein. Man kann es den Fremden nicht verdenken, wenn ihnen beim Anblick dieser Pracht- und Monstrebauten leise Zweifel an der deutschen Not kommen.
Morus: „Schiffe, Preise, Banken“, in: „Die Weltbühne“, 20.11.1922, S. 580

2.8.2007

Nicht sein Sylt

Die Süddeutsche Zeitung hat sich das neue Buch von Fritz J. Raddatz angeschaut, in dem er „sein Sylt“ besingen soll. In ihrer Rezension stellt Regine Leitenstern fest:

Im Duktus mal fröhlich heiter, mal melancholisch wehmütig, mal bissig sarkastisch webt Raddatz einen bunten Teppich aus historischen Fakten, persönlichen Erinnerungen und Anekdoten sowie literarischen Zeugnissen berühmter Schriftstellerkollegen wie Thomas Mann, Kurt Tucholsky oder Max Frisch, die wie er der Insel verfallen waren.

Da scheint die Rezensentin aber etwas durcheinander geworfen zu haben. Wie heißt es in Raddatz‘ Buch:

„Sylt ist tausendmal schöner als Wangeroog“, schreibt schon Siegfried Jacobsohn 1920 an Kurt Tucholsky, „und ebenso viel mal mehr Nordsee“; und nach einem Besuch Thomas Manns in seinem Haus in Kampen schreibt der Kritiker, der sommers seine „Weltbühne“ von hier aus redigierte: „Tatsächlich hat ja Westeuropa zwischen Hammerfest und Gibraltar nicht ihresgleichen“ über die Insel, der er „Sonne und Seligkeit“ verdankt; schon die Anreise – damals noch per Schiff – versetzt den gewieften Berliner in eine Art Taumel: „Für die Überfahrt übers Wattenmeer geb ich das ganze Engadin hin und bin meines Handels froh. Ich bin so berauscht, daß ich keine drei Minuten fest auf dem Stuhl sitzen kann.“

Vom Empfänger des Briefes, der während Jacobsohns monatelanger Sommerfrische die Manuskripte nach Potsdam zur Druckerei bringen durfte, ist hingegen nicht bekannt, dass er jemals das Schiff nach Sylt bestiegen hätte. Und einen Hindenburg-Damm hätte Tucholsky wohl aus Prinzip nicht benutzt.

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