8.4.2007

Anregende Nebensätze

Wenn sich FAZ-Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki daran erinnert, welchen Einfluss Tucholsky in der Weimarer Republik hatte, liegt er durchaus schon mal daneben. Aber auch die Anregungen, die Reich-Ranicki persönlich von Tucholsky erfahren haben will, halten einer Überprüfung nicht unbedingt stand. So antwortete Reich-Ranicki jüngst auf die Frage, wie er die Bedeutung der Fantasy-Literatur einschätze:

Ich weiß es, ich werde Sie enttäuschen: Fantasy-Literatur, Science-Fiction und dergleichen mehr interessierte mich ein wenig in meiner Jugend. Von Tucholsky angeregt, las ich den Amerikaner Edward Bellamy, dann einige Romane von Jules Verne, dann einen in der Nachfolge von Verne schreibenden populären deutschen Autor Hans Dominik, der längst vergessen ist – und dann hatte ich von dieser Literatur genug.

Sollte diese Aussage stimmen, müsste der junge Reich-Ranicki selbst auf kleinste Bemerkungen Tucholskys reagiert haben. Denn dieser hat den Autor Eduard Bellamy nur einen einziges Mal erwähnt – ganz nebenbei:

Und so genau, wie ich weiß, daß es auch unter uns, wie überall, Leute gibt, die ihrer Zeit nicht mehr gewachsen sind, so wie ich denke, daß auch meine Stunde einmal kommt, in der ich ‚die Welt nicht mehr verstehe‘ – so gewiß weiß ich, daß die einfache Radikalforderung nach einer neuen Welt eine Forderung der Literatur ist. Mondland, Utopia, Fortschrittsroman von Bellamy, darin Müdigkeit, Sehnsucht und lasch wollendes Gemüt ihre Befriedigung finden.

Als der Artikel „Was haben wir –?“ am 6. April 1926 in der Weltbühne erschien, konnte Reich-Ranicki vielleicht sogar schon lesen.

6.4.2007

Ulkiges im Internet

Anfang März erregte das Internetunternehmen Google großes Aufsehen mit der Ankündigung, rund eine Million Bände der Bayerischen Staatsbibliothek zu digitalisieren. Die in manchem Feuilleton geäußerte Auffassung, „das Digitalisieren aber kostet gigantische Summen, die der Staat nicht aufbringen kann“, trifft nicht zu. Demnach investiert die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) in den kommenden Jahren jährlich zwischen 10 und 20 Millionen Euro, um die bereits bestehenden Digitalisierungsprojekte auszubauen. Die digitalen Bestände sollen in Zukunft in dem Zentralen Verzeichnis digitalisierter Drucke (www.zvdd.de) zu finden sein.

Wer dort ein wenig herumstöbert, stößt dabei nicht nur auf wertvolle Handschriften und Bücher, sondern auch zahlreiche historische Zeitungen und Zeitschriften. Darunter den Simplicissimus, den Kladderadatsch, und, last but not least, die Satirebeilage des Berliner Tageblatts, den Ulk. Tucholsky war bekanntlich von Dezember 1918 bis März 1920 Chefredakteur der wöchentlich erscheinenden, vierseitigen Beilage. Zu den Texten, die schließlich zu einem Bruch zwischen dem Chefredakteur des Tageblatts, Theoder Wolff, und Tucholsky führten, zählte wohl auch das Gedicht „Der Alldeutsche singt“:

Einen Adler ohne Krone
bringt dem Reich die neue Zeit.
Mit dem Zepter, mit dem Throne
schwand die alte Herrlichkeit.

Doch ob man im deutschen Walde
Stamm auf Stamm auch frech entlaubt –
unser Vogel bleibt der alte,
mit der Krone auf dem Haupt.

Dir allein gilt unser Sehnen!
Fern tönts wie Parademarsch.
Laß dich küssen unter Tränen,
edler Hohenzollernaar!

Wer so schlecht reimt…

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