22.1.2007

Ein bisschen Kritik

Es dürfte schwer zu beurteilen sein, inwieweit folgende Einschätzung des Literaturkritikers Marcel Reich-Ranicki seinen Berufsweg beeinflusst hat. Denn das Interessante an ihr ist vor allem, dass sie in mehrfacher Hinsicht ziemlich falsch ist. In einem Interview mit der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ bemerkte Reich-Ranicki zur Wahl seines Berufes etwas kokett:

Ich wollte gar nicht so sehr Literaturkritiker sein. Das hing wohl damit zusammen, dass die Rolle der Theaterkritiker im öffentlichen Leben in Berlin in den späten Jahren der Weimarer Republik enorm war: Kerr und Polgar, Siegfried Jacobsohn und Kurt Tucholsky – die hatten einen riesigen Einfluss auf das öffentliche Leben.

Dass die Theaterkritiker gegen Ende der Weimarer Republik tatsächlich noch einen großen Einfluss auf das öffentliche Leben hatten, darf zunächst bezweifelt werden. Schließlich war der Film damals schon das wichtigere Medium. Für die Alfrede Kerr und Polgar trifft wenigstens zu, dass sie in dieser Zeit Theaterkritiker waren. Für Jacobsohn gilt dies auf keinen Fall, denn er war in den letzten sechs Jahren der Weimarer Republik schon tot. Selbst in deren ersten acht Jahren hatte er sich kaum noch als Kritiker betätigt, weil er die Lust am Theater ziemlich verloren hatte und ihn seine Arbeit als Redakteur sehr stark in Anspruch nahm.

Aber auch Tucholsky schrieb nach seinem Wechsel nach Paris im Frühjahr 1924 kaum noch Theaterkritiken. Was machte er statt dessen? In seiner Rubrik „Auf dem Nachttisch“ besprach er hunderte von Büchern. Und auf diese Weise schien er nicht ganz ohne Einfluss gewesen zu sein. Denn wie versicherte er 1931 in einem Artikel über die Schwierigkeiten der Buchkritik:

Seit ich mich bemühe, eine bunte und möglichst lehrreiche Buchkritik zu machen, ist mein erstes Bestreben dies gewesen: nicht das Literaturpäpstlein zu spielen. Das kann es nicht geben, und das soll es auch nicht geben.
Peter Panter: „Die Aussortierten“, in: Die Weltbühne, 13.1.1931, Nr. 2, S. 58

Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen.

16.1.2007

Berliner Ehrenbürgerwürde für Tucholsky?

Auch wenn inzwischen festzustehen scheint, dass Wolf Biermann die Ehrenbürgerwürde der Stadt Berlin erhält, müssen die zuvor von der SPD-Fraktion aufgeworfenen Gegenpläne nicht vom Tisch sein. Der Tagesspiegel berichtete, dass sich die Abgeordneten darauf besonnen hätten, dass noch recht viele Berliner Künstler einer Ehrung harrten:

Wolf Biermann hat zurzeit keine Chance, Ehrenbürger von Berlin zu werden. Aber vielleicht später, gemeinsam mit anderen berühmten Literaten, die sich um die Stadt verdient gemacht haben. Zum Beispiel Seite an Seite mit Bertolt Brecht und Kurt Tucholsky, die zwar schon lange tot sind, aber in Ausnahmefällen kann die höchste Auszeichnung Berlins auch postum verliehen werden – wie es 2002 bei Marlene Dietrich geschah.

Dieser Vorschlag zur Güte wurde jedenfalls im SPD-Fraktionsvorstand intensiv diskutiert, um der Zwickmühle zu entkommen. Denn dem Antrag der Opposition, Biermann jetzt zum Ehrenbürger zu ernennen, wollen der Senat und die Koalitionsfraktionen SPD und Linkspartei nicht zustimmen. (…)

Die Idee mit den Literaten geht auf eine vertiefte Durchsicht der Ehrenbürgerliste zurück. Der letzte seiner Zunft, der die Urkunde überreicht bekam, war 1986 Wieland Herzfelde in Ost-Berlin. Seit 1945 wurden noch Anna Seghers und Nelly Sachs geehrt. Drei von 51 Ehrenbürgern seit Kriegsende. Ein gewisser Nachholbedarf, auch wenn Biermann zugleich Musiker und Schreiber ist, ließe sich laut SPD-Spitze durchaus begründen.

Von der falschen Einschätzung der Lage, wie sie im ersten Satz deutlich wird, ist hoffentlich nicht auf den Wahrheitsgehalt des restlichen Textes zu schließen.

Aber selbst in Hamburg fiel inzwischen auf, dass es in Sachen Ehrenbürgerwürde einen gewissen Nachholbedarf in Berlin gibt. Das Hamburger Abendblatt kommentierte:

Während man gewichtige Schreiber wie Theodor Wolff, Carl von Ossietzky oder Kurt Tucholsky vermisst (aber das waren ja nur Journalisten), schaffte es der Milieu-Zeichner Heinrich Zille 1970 wenigstens posthum zum Ehrenbürger.

Letztere Möglichkeit besteht weiterhin bei Tucholsky. Wobei dies für die Stadt den Vorteil hätte, dass sie sich nicht einmal um dessen Ehrengrab kümmern müsste. Es liegt weit entfernt im schwedischen Mariefred.

Ob die Linkspartei diesem Vorschlag zustimmen wird, ist jedoch fraglich. Schließlich hatte die Partei im Sommer auffällig mit einem Spruch Tucholskys geworben. Das Resultat ist hinreichend bekannt.

9.1.2007

„Rauchlos helle Flamme“ leuchtet im Netz

Was Tucholsky im vergangenen Jahr betraf, hat nun auch Karl Kraus ereilt: 70 Jahre nach seinem Todestag ist das Werk vom Beginn des Folgejahres an nicht mehr urheberrechtlich geschützt. Was in Krausens Fall aber die Folge hat, dass sein Werk, im Wesentlichen die Zeitschrift Die Fackel, nun komplett online nachzulesen ist. Unter der Adresse www.aac.ac.at/fackel/ lässt sich nach einer kostenlosen Registrierung bequem in sämtlichen Ausgaben der Zeitschrift recherchieren.

Dabei stößt man natürlich sehr einfach auf 42 Stellen, in denen in der Fackel, die er 1920 als „rauchlos helle Flamme“ bezeichnet hatte, der Name Tucholsky genannt wird. Die auffällige Häufung der Namensnennungen in den Jahren 1925 und nach 1930 lässt sich einfach erklären. 1925 steckte ein Plagiats-Vorwurf dahinter, den Tucholsky in der Weltbühne gegenüber dem Kraus-Adepten Heinrich Fischer gemacht hatte. Darin hieß es:

Das geht bis an die letzte erlaubte Grenze. Es ist fast nicht zu glauben, daß Heinrich Fischer den Bauerndichter Christian Wagner nicht kennt; und wenn er ihn kennt, darf er das nicht tun. Die Technik, die Worte, die Reimart, diese seltsame Anwendung des Partizipium Perfekti Passivi – Alles, Alles von da.

Kraus verlangte „Satisfaktion“, Tucholsky sollte bei einem Treffen in Paris Abbitte leisten. Doch dieser verzichtete nach anfänglichem Wunsch darauf, den Wiener nach einem von dessen Vorträgen in Paris zu treffen. Den Grund teilte er Weltbühne-Herausgeber Siegfried Jacobsohn mit:

Dieser Mann ist komplett meschugge. Da er im Privatleben keinen Humor hat, und es ganz ausgeschlossen ist, mit ihm über diese Nichtigkeit so zu reden, wie die Sache sie verdient, wäre er im Stande mich zu brüskieren. Das wäre mir an sich gleichgültig, aber erstens paßt mir das vor Mehring nicht und zweitens nicht vor Franzosen. (…) Wenn er uns in der nächsten Nummer der ›Fackel‹ schlachtet, so ist das seine Sache, und was Du darauf tust, ist Deine. Ich werde wohl nur antworten, wenn er ausgesprochene Verleumdungen in die Welt losläßt, der Rest ist mir wurst.

Die „Abschlachtung“ folgte tatsächlich. Kraus widmete sich in der Fackel Nr. 686–690 vom Mai 1925 auf 15 Seiten dem „Fall Jacobsohn“ und erläuterte dabei aus seiner Sicht, warum es in Paris nicht zu dem Treffen gekommen war:

Ich hätte gegen dessen persönliche Abstattung, also gegen den Verkehr mit Herrn Wrobel nichts einzuwenden gehabt, ließ aber Herrn Tucholsky sagen, daß er, um jenem den Zutritt zu verschaffen, vorerst die Aufklärung schuldig sei, wie seine Ansicht von einem Plagiat Fischers an Wagner, über deren Berechtigung und Ernsthaftigkeit ich mit ihm nicht sprechen wolle, eine Publizität erlangt habe, deren Verwalter doch vor solcher Materie einen alten Schmerz verbeißen mußte, um neue Freude zu erleben. Ohne diese Rechtfertigung, ohne die Zusage einer öffentlichen Zurückziehung des Vorwurfs, ohne die öffentliche Erklärung, daß ein Privatbrief mißbraucht worden sei, oder das private Bedauern über die Bedienung der Ranküne des Herausgebers, kurz ohne zureichende Bereinigung einer so unsaubern Angelegenheit sei ein Verkehr nicht denkbar.

Tucholsky verzichtete auf eine Replik dieser Darstellung, wagte es aber, 1929 zu schreiben:

Der erste Theaterabend fand mittags statt: in der berliner Volksbühne haben sie die ›Unüberwindlichen‹ von Karl Kraus gegeben. Als die Wogen des Beifalls durch das Theater rollten, trat Kraus vor die Gardine und dankte. Er täuschte sich nicht: er hat kein Publikum erobert. Er hat ein erobertes Publikum erobert.

Damit schien er sich jegliche Restsympathie bei Kraus verspielt zu haben. In den Folgejahren störte es Kraus offenbar am meisten, dass man in ihm quasi die Wiener Ausgabe eines Tucholsky sah und beide häufig in ein Boot steckte. Um diesen Eindruck zu zerstören, ließ kaum eine Gelegenheit aus, Tucholskys journalistisches „Vorstrafenregister“ zu zitieren:

Wie der Herr Tucholsky (trotz Kriegsanleihelyrik, schlesischer Tätigkeit und Verulkung Rosa Luxemburgs eine Fahne revolutionären Geistes und unter allen Umständen ein flotter Bursche) in Deutschland stets mit mir zusammengespannt wird (…)

Um Letzteres zu verhindern, griff Kraus schließlich zu radikalen Mitteln:

Einer Mitteilung der Berliner Funkstunde entnehmen wir, daß Sie im Rahmen einer Feierstunde am 15. März das Gedicht »Zum ewigen Frieden« von Karl Kraus zum Vortrag bringen ließen. Mit dem besten Dank für Ihre freundliche Absicht bitten wir, uns in etwaigen künftigen Fällen das Programm rechtzeitig bekanntgeben zu wollen, da der Autor es ablehnt, in einem solchen zum Beispiel mit Herrn Kurt Tucholsky, der ihm als feuilletonistischer Mitarbeiter der bürgerlichen Presse, Verfasser eines Werbegedichts für eine Kriegsanleihe und auch sonst bekannt ist, zu figurieren, und mit ihm keine Feierstunde zu begehen wünscht.

Diese Anschuldigungen wiederholten sich bis 1934, wobei Tucholsky in einem Brief an Carl von Ossietzky im März 1932 klarstellte:

Karl Kraus. Nach dem letzten, etwa 150. Angriff dies:
Der Mann kann gegen mich schreiben, was er lustig ist. Was ich ihm übel nehme ist, daß er genau das macht, was er den großen Zeitungen vorwirft, mit denen er ja – sonst greift man auch nicht dreißig Jahre lang an – solche Ähnlichkeit hat: er lügt durch Verschweigen. Liest man das da in der Fackel, dann glaubt man, ich heiße Auernheimer. Also gut – glauben Sie ja nicht, daß ich etwas unternehmen will. Jedennoch:
Wir wollen – außer Hiller – keinem mehr erlauben, ihn bei uns zu loben. Soweit kanns nun nicht gehn. Ich bitte also formell und feierlich, jedes Lob auf Kraus rücksichtslos zu streichen, und zwar durchaus mit Berufung auf seine Haltung gegen uns, S.J. und die WB. Zitate würde ich nicht streichen – dagegen aufpassen, daß sie wörtlich sind. Damit wir nicht eine dieser albernen Berichtigungen auf den Hals bekommen.

1933 landeten Tucholskys Schriften bei den Bücherverbrennungen der deutschen Studenten im Feuer. Doch selbst diese Situation ließ Kraus nicht solidarisch werden. Statt dessen schrieb er in „Die dritte Walpurgisnacht“, dass er „nicht um einen Nobelpreis mit dem Tucholsky auf einem Scheiterhaufen brennen“ wolle.

Tucholskys letzte Äußerung zu Kraus stammt wenige Wochen vor seinem Tod. Am 9. November 1935 schrieb er:

Wer von jedem Mausdreck im Alltag das äußerste fordert, der endet gewöhnlich nachher im dicksten Kompromiß. Wie z.B. der selige Karl Kraus. Es hat keinen Wert, dauernd der Welt das Neue Testament auf den Kopf zu schlagen – wir wissen ja, daß das ein unangenehmes Geräusch gibt. Aber über die Köpfe hinweg muß mans ab und zu sagen: Selbstzufriedenheit ist eines der wenigen Laster, die es gibt.

8.1.2007

Gut geküsst, Levy

Wenige Tage vor seinem Kino-Start beschäftigt der „Führer“-Film Dani Levys weiterhin das Feuilleton. Die Frankfurter Rundschau, bekanntlich nicht sonderlich Tucholsky-fest, wollte dem rätselhaften Filmeinstieg auf den Grund gehen. Und fragte den Regisseur:

Herr Levy, sie haben ihrem Film ein Zitat von Kurt Tucholsky vorangestellt: „Man muss die Nationalsozialisten küssen, wo man sie trifft.“ Tucholsky ist 1933 ins Exil gegangen, hat 1935 Selbstmord begangen. Warum dieses Zitat?

Abgesehen davon, dass das Zitat natürlich „Küßt die Faschisten, wo ihr sie trefft!“ lautet und Tucholsky Deutschland schon 1924 in Richtung Paris verlassen und sich 1929 seine abgeschiedene Villa in Schweden gesucht hatte, kann auch Levy die Frage nicht wirklich erschöpfend beantworten:

Weil es natürlich die ganze Widersprüchlichkeit unserer Aufarbeitung des Nationalsozialismus vorwegnimmt. Küsst die Faschisten, wo ihr sie trefft: Was heißt das? (Lacht) Heißt das, wir sollen den Faschisten in uns umarmen? Heißt das, wir sollen sie an uns ranlassen und sie küssen? Was heißt küssen? Heißt das verzeihen, heißt das versöhnen? Natürlich nicht. Heißt küssen, sie mit den Waffen bekämpfen, die sie auf keinen Fall abwehren können? Da ist soviel Widersprüchlichkeit allein schon in diesem einen Satz drin, die ich als programmatisch empfand für die Spannung, die auch in dem Film drin ist.

Levy hätte natürlich auch antworten können: „Tucholskys Aufforderung ist einfach nur ironisch gemeint und bedeutet nichts anderes, als dass man die Gewalt der Nazis auf keinen Fall widerstandslos hinnehmen sollte. Insofern hat das Zitat gar nichts mit meinem Film zu tun.“

Aber wie sagte Franz Beckenbauer alias Olli Dittrich zum Thema Widerspruch schon neulich in der „Harald-Schmidt-Show“: „Es kann kein Widerspruch sein, wenn man sich widerspricht!“

Der installierte Tucholsky

In den 1990er Jahren wurde eine Zeitlang darüber diskutiert, ob in Tucholskys Geburtshaus in der Lübecker Straße 13 in Moabit eine Art Begegnungsstätte eingerichtet werden sollte. Das Projekt scheiterte schließlich – wie so häufig – am fehlenden Geld, wie die Berliner Zeitung im April 1999 berichtete.

Nun scheinen sich die Pläne für eine kulturelle Nutzung des Gebäudes doch noch zu verwirklichen. Nachzulesen war dies jedoch nicht in einer Berliner, sondern einer Berner Zeitung. Der Grund: die Künstlerin Simone Zaugg, die zusammen mit ihrem Partner Pfleider das Projekt „Kurt Kurt“ gestartet hat, stamme aus der Schweizer Hauptstadt, schreibt der Bund. In dem Artikel „Im Geist Tucholskys“ bemerkt Autor Christian Hunziker zunächst, dass Moabit heutzutage nicht gerade der angesagteste Stadtteil Berlins ist, und schreibt dann weiter:

Einen dieser verwaisten Läden hat das Künstlerpaar Simone Zaugg und Pfelder gemietet. Er befindet sich in der Lübecker Strasse 13, einem äusserlich unscheinbaren Mietshaus. Eine Gedenktafel neben dem Haupteingang erinnert daran, dass hier am 9. Januar 1890 Kurt Tucholsky das Licht der Welt erblickte. Die ersten beiden Jahre seines Lebens verbrachte der spätere Schriftsteller hier, in einer grosszügigen Wohnung im zweiten Stock.
Dieser Laden an historischer Stelle dient als zentraler Ort für das Projekt «Kurt – Kurt», für das Zaugg und Pfelder renommierte Künstlerinnen und Künstler gewinnen wollen.

Bereitwillig gibt die Künstlerin auch Auskunft darüber, was Tucholsky mit «Kurt – Kurt» zu tun hat:

Als eine Art Mentor begleitet er das Projekt, antwortet Simone Zaugg. Sie schätzt den Schriftsteller dafür, dass er «aufgreift, was ist, auch wenn es unbequem ist, und gleichzeitig Energie spendet». Seine Arbeiten, sagt sie, «werfen einen konstruktiv-kritischen Blick auf die Dinge und tun dem Menschen gut».

Richtig losgehen soll es erst am 1. April, falls bis dahin – was sonst- die Finanzierung gesichert ist. Aber tatsächlich ist in dem Haus bereits etwas aufgetaucht, was schon lange nicht mehr in Berlin gesehen wurde:

In einem weiteren, abgedunkelten Raum konnten die Besucherinnen und Besucher bei entsprechender Aufmerksamkeit den Geist Tucholskys entdecken. Zu erkennen war dort die Darstellung eines Fuchses – ein Beispiel für die Assoziationsfreude von Pfelder und Zaugg. Tucholsky veröffentlichte bekanntlich viele seiner Werke unter den Pseudonymen Theobald Tiger und Peter Panter. Auf den Fuchs kamen die Künstler, weil tatsächlich immer öfter Wildtiere im Berliner Stadtzentrum auftauchen. «Tucholsky», vermutet Pfelder, «würde als schlauer Stadtfuchs zurückkommen.»

Bleibt nur zu hoffen, dass er in der Lübecker Straße nicht die Tollwut bekäme.

6.1.2007

Küsst Helge Schneider

Aus Anlass von Dani Levys neuem Film »Mein Führer« kommt wohl kein deutsches Medium an der Frage vorbei, ob man über Adolf Hitler lachen darf. Schon Tucholsky näherte sich dem Problem 1932 dialektisch, indem er im März schrieb …

Satire hat eine Grenze nach oben: Buddha entzieht sich ihr. Satire hat auch eine Grenze nach unten. In
Deutschland etwa die herrschenden faschistischen Mächte. Es lohnt nicht – so tief kann man nicht schießen.

… zum anderen jedoch im Mai die Satire „Hitler und Goethe“ veröffentlichte und sich über die typisch verquasten Naziargumentationen lustig machte.

Auch das aktuelle Feuilleton wägt in dieser Frage vorsichtig ab, so denn der Film überhaupt für lustig befunden wird. Jürgen Schmieder hat im „Führer“ durchaus einige komische Szenen entdeckt, die er in der Süddeutschen Zeitung ausgiebig schildert. Und noch etwas anderes ist ihm aufgefallen:

Natürlich werden die Warner kommen, die Befürchter, die Vorsichtigen. Sie werden fragen: Darf man Hitler so zeigen? Ist es keine Verniedlichung? Die Antwort gibt der Film selbst. Am Anfang wird ein Zitat von Kurt Tucholsky eingeblendet: „Küsst die Faschisten, wo Ihr sie trefft!“ Und am Ende schreien die Deutschen bei Hitlers Neujahrsrede: „Heil mir selbst!“

3.1.2007

Reich, aber narzisstisch

Bei der Rezension eines Tucholsky-Abends lässt sich in der Regel schwer beurteilen, welche Behauptungen über Tucholsky auf dem Dung des Vortragenden oder der Recherche des Journalisten gewachsen sind. Unfreiwillig komisch wirken auf jeden Fall die begeisterten Passagen, die Sabine Henrichs in der Frankfurter Neuen Presse über ein Tucholsky-Programm los wird. In „Tucholsky als Selbstdarsteller in Perfektion“ berichtet sie über einen Abend mit Oliver Steller und gibt ihr frisch erworbenes Wissen zum Besten:

Seine gute Beobachtungsgabe hatte Tucholsky, der am 9. Januar 1890 geboren wurde, bereits mit seiner ersten Erzählung „Rheinsberg. Ein Bilderbuch für Verliebte“ unter Beweis gestellt. Diese wurde über 120 000 Mal verkauft und ließ den Schriftsteller noch ein wenig reicher werden.

Die Betonung sollte dabei auf „wenig“ liegen. Sehr stark sogar. Denn wie schrieb Tucholsky rückblickend über den finanziellen Erfolg seines Buches:

Ich zeigte damals meinen Vertrag, den ersten, den ich in meinem Leben gemacht hatte, dem damaligen Vorsitzenden des Schutzverbandes Deutscher Schriftsteller. Der weinte eine halbe Stunde vor Freude und streichelte mir dann leise den Kopf. Ich weiß bis heute nicht, was er damit hat sagen wollen.
Kurt Tucholsky: „Rheinsberg“, in: Die Weltbühne, 8.12.1921, S. 579

Was Tucholsky damit meinte: Er hatte die Rechte für einen einmaligen Betrag an den Verleger Alex Juncker abgetreten und war somit an dem finanziellen Erfolg des Buches überhaupt nicht beteiligt.

Auch eine weitere Passage der Rezension liest sich sehr schön:

Immerhin hatte er mit 21 Jahren das Erbe seines sechs Jahre zuvor verstorbenen Vaters in Höhe von heute rund 400 000 Euro angetreten. Doch auch dieses Geld hatte sich irgendwann verflüchtigt und so arbeitete Tucholsky als Privatsekretär in einer großen Bank, wie Steller mit dem Tango „Ich bring’s zu nichts“ erzählte.

Diese „Verflüchtigung des Geldes“ wird häufig auch Inflation genannt, und nach dem Ersten Weltkrieg war Tucholsky sicherlich nicht der einzige in Deutschland, der davon betroffen war. Seine Abkehr vom Journalismus hatte aber auch damit zu tun, dass er 1922/1923 unter schweren Depressionen litt und keinen Sinn mehr im Schreiben erkannte. Es gibt daher auch durchaus andere Gründe als reinen Narzissmus, wenn man sich über den Sinn des Lebens Gedanken macht. Nicht so bei Henrichs:

So war Tucholsky überaus selbstverliebt. Das wurde nicht nur deutlich, als er sich über den Tod Gedanken machte und sich fragte, ob er nicht nur sich selbst, sondern auch anderen fehlen würde, wenn er gestorben sei.

In diesem Fall gehört wohl auch eine gewisse Selbstironie dazu.

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