11.8.2005

Alte Schweden

Seit Anfang dieses Jahres ist im Norden Deutschlands eine Wanderausstellung unterwegs, die anhand von 23 Personenporträts die engen Verbindungen zwischen Schweden und Pommern in den vergangenen Jahrhunderten aufzeigen soll. Weil die Ausstellung „Unter uns / Bland oss“ vom Freitag an im Rathaus der Stadt Wismar zu sehen ist, haben einige Medien eine entsprechende Meldung der Nachrichtenagentur epd übernommen.

Der Schwerpunkt der Ausstellung liegt auf der so genannten Schwedenzeit von 1648 bis 1815, als Vorderpommern zu Schweden gehörte. Wie es Tucholsky dennoch in die Ausstellung schaffte, erläutert der Pressetext:

Und einige Beispiele für Frauen und Männer, die das Miteinander des 19. und 20. Jahrhunderts geprägt haben, beschließen die Auswahl und sollen gleichzeitig einen Ausblick auf künftige Vorhaben geben. Zu den ausgewählten Persönlichkeiten zählen u. a. Königin Christina, Carl Wilhelm Scheele, Thomas Thorild, Baltzar von Platen, Ernst Moritz Arndt, Caspar David Friedrich, Anna Amalia von Helvig, Kurt Tucholsky und Stellan Arvidson.

10.8.2005

Emotional ansprechende Zwanziger

Wie unterschiedlich zwei Rezensionen ein und desselben Produktes ausfallen können, zeigt ein Vergleich zwischen Berliner „Tagesspiegel“ und „Berliner Zeitung“, die sich beide ein neue Art von Hörbuch angeschaut haben. Die Firma Ear Books vertreibt Bildbände mit beigefügten CDs, laut Eigenwerbung ein „physisch erlebbares Produkt, das emotional anspricht. Zum attraktiven Preis“. Das neueste Werk aus diesem Hause heißt „Cabaret Berlin“ und widmet sich den Goldenden Zwanzigern in der damaligen Reichshauptstadt.

Der „Tagesspiegel“ geht vergleichsweise gutwillig mit dem Konzept um:

Die Texte der gesammelten Lieder sind so anspielungsreich wie die Tänzerinnenposen auf den Fotos und sprechen vom trotzigen Selbstbewusstsein einer Stadt, die Krieg und Not erlebt hat und deren Zukunft ungewiss ist, sodass man sich wenigstens am Abend lustvoll dem Hier und Jetzt hingibt. Da die Begleittexte leider sehr knapp sind, bleibt die Zeitreise jedoch an der Oberfläche. Was man dafür anschaulich vorgeführt bekommt, ist „die schönste Fassade einer turbulenten und tragischen Zeit“, wie Jörn Müller in der Einführung schreibt.

Carmen Böker von der „Berliner Zeitung“ lässt jedoch kein gutes Haar an der ganzen Verlagsidee:

Die „Generation Überraschungsei“ fordert selbst Verlegern einiges ab. Menschen, die in ihrer Jugend nicht schlicht mit Schokoriegeln abgespeist wurden, sondern mit einem Produkt, das auf einen Schlag „was Spannendes, was zum Spielen und was zum Naschen“ bietet – die wollen auch Bücher nicht bloß lesen. (…) Der Band „Cabaret Berlin“ sucht ebenfalls lieber Marlene Dietrich in den Kulissen des „Blauen Engels“ und die nonchalant barbusigen „Palmenmädchen“ in der Ausstattungsrevue „Die Sünden der Welt“ auf als Dada-Manifeste und Revolutionsbegehren zu behandeln. Die Fotografien von Kinopalästen und U-Bahn-Kathedralen, von schwanengleichen Damen und geschniegelten Herren sind nett anzusehen – aber es fehlen die klugen, dreisten, politischen Texte jener Zeit, die von Autoren wie Tucholsky, Brecht, Klabund, Marcellus Schiffer oder Ringelnatz für das Kabarett verfasst wurden.

Einen sprachhistorischen Lapsus erlaubt sich allerdings der „Tagesspiegel“, indem er etwas unbedarft von den Zwanzigern als einer Zeit spricht, „als Schlager noch Gassenhauer hießen“. Das kann wohl nicht recht stimmen, schrieb Tucholsky doch 1922 schon über „alte Schlager“:

Schlager sind Lieder, bestehend aus Musik und Worten, die kaum noch etwas mit ihren Autoren zu tun haben, sondern die aus der Literatur zum Gebrauchsgegenstand des Volkes oder des jeweiligen Volkskreises avanciert oder degradiert sind. Solche Lieder zum sonntäglichen Gebrauch des deutschen Bürgertums aus den Jahren 1740 bis 1840 hat Gustav Wustmann, der Schöpfer des ausgezeichneten Werkes ‚Allerhand Sprachdummheiten‘ veranstaltet, und ihre Neuausgabe liegt jetzt vor.
Peter Panter: „Alte Schlager“, in: Die Weltbühne, 1.6.1922, S. 554

9.8.2005

Auf Sand gedichtet

Brandenburg hat nicht nur viele Seen und Sandkörner, sondern auch ein gutes Dutzend literarischer Gedenkstätten zu bieten. Das scheint verwunderlich, hat es doch sogar Theodor Fontane nicht besonders lange in seinem Heimatort Neuruppin ausgehalten. Wenn man aber bedenkt, dass sich auch das Tucholsky-Literaturmuseum nicht in Tucholskys Heimatstadt Berlin, sondern in dessen Kurzurlaubsziel Rheinsberg befindet, kommen schon etliche Gedenkorte zusammen. Einen Überblick über diese Stätten hat nun das Literaturbüro Brandenburg veröffentlicht. Die „Potsdamer Neuesten Nachrichten“ haben sich diesen literarischen Reiseführer angeschaut und ihn recht positiv rezensiert. An der Aufmachung des 70-seitigen Büchleins gab es aber einiges auszusetzen:

Von dem wenig lockenden Einband mit dem unscharfen Bild einer unbestimmten märkischen Wald- und Seenlandschaft sollte man sich also nicht abschrecken lassen. Auch nicht von den ebenso verwaschen en Fotos der Erinnerungsstätten im Buch selbst, die dazu keine besonders ästhetischen Ausschnitte zeigen. Und warum hängt eigentlich das Literaturbüro weiterhin an der alten Rechtschreibung? Obwohl doch die neue seit Sommer für alle brandenburgischen Schüler verbindlich ist? „Schloß“ statt „Schloss“. Wer will denn das noch lesen? Auch an dem sehr kleinen Schriftbild könnte man mäkeln.

Etwas zu mäkeln gibt es allerdings auch an der Rezension. „Große Literaten der Mark im Taschenbuch“ lautet die Überschrift, was den Eindruck erweckt, als handele es sich bei dem Buch um eine Anthologie brandenburgischer Autoren.



8.8.2005

Praktisch verfasst

Die „Süddeutsche“ befragt aus gegebenem Anlass den Verfassungsrechtler Dieter Grimm, ob er die angestrebten Neuwahlen als verfassungskonform betrachtet. Laut „SZ“ prägte Grimm als Verfassungsrichter in Karlsruhe

die höchstrichterliche Rechtsprechung zur Meinungs- und Pressefreiheit, zur Versammlungsfreiheit und zum Persönlichkeitsrecht – und beeinflusste so umstrittene Entscheidungen wie das „Soldaten sind Mörder„-Urteil (über das nicht umstandslos als Beleidigung von Bundeswehr-Soldaten gewertete Tucholsky-Zitat).

Auch in diesem Fall plädiert Grimm für eine Entscheidung, die der Politik wenig gefallen dürfte:

Die Staatspraxis ist aber Gegenstand, nicht Inhalt der verfassungsrechtlichen Regelung. Das Grundgesetz lässt viel Raum für die Staatspraxis. Aber die Staatspraxis kann nicht über ihre eigenen rechtlichen Grenzen bestimmen. Schon gar nicht kann es für die Auslegung des Grundgesetzes maßgeblich sein, dass die Staatsorgane unter sich einer Meinung sind.

Aber im Gegensatz zur Weimarer Republik gibt es inzwischen wenigstens ein Verfassungsgericht, das Zustände, wie sie Tucholsky damals konstatierte, verhindern kann:

Eine Verfassung ist, so sie diesen Namen überhaupt verdient, der Extrakt aller Grundgesetze, staatlicher Einrichtungen, wichtigster Praxis des Landes. Diese da ist ein Hütchen, das sich ein gänzlich ungewandelter Koloß spaßeshalber aufs linke Ohr setzt – eine Papiertüte zum politischen Bockbierfest und für höhere Feiertage. Bei der Arbeit nimmt man sie ab.
Ignaz Wrobel: „Verfassungsschwindel“, in: Die Weltbühne, 26.10.1926, S. 646

4.8.2005

Uwe Kolbe schreibt in Rheinsberg

Der Schriftsteller Uwe Kolbe ist der 22. Stadtschreiber von Rheinsberg. Wie das Kurt-Tucholsky- Literaturmuseumin Rheinsberg mitteilte, wird Kolbe bis Dezember mit einem Stipendium des Landes Brandenburg und des Landkreises Ostprignitz-Ruppin in der Rheinsberger Stadtschreiberwohnung arbeiten. Kolbe wurde 1957 in Ost-Berlin geboren und veröffentlichte von 1976 an erste Texte in der Zeitschrift „Sinn und Form“. Da er in den achtziger Jahren in der DDR nicht publizieren durfte, siedelte er 1986 dauerhaft in den Westen über. 1992 erhielt er den Berliner Literaturpreis und 1993 den Friedrich-Hölderlin-Preis.

1.8.2005

Juden in Rheinsberg

Vor einigen Monaten war das Städtchen Rheinsberg häufig in den Medien, weil eine Dönerbude zum vierten Male innerhalb von zwei Jahren angezündet worden war. Ob es solche Formen von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit schon früher gegeben hat, ist auch Gegenstand eines Buches, das der „Nordkurier“ heute seinen Lesern präsentierte. In ihrer Untersuchung „Juden in Rheinsberg. Eine Spurensuche“ kommen die Historikerin Stefanie Oswalt und der Literaturwissenschaftler Peter Böthig zu Ergebnissen, die auch den „Nordkurier“ etwas beunruhigen:

60 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs mag man fragen: Ist das noch nötig? Die Antwort ergibt sich allein schon aus diesem Wunsch: „Die heute noch in Neuruppin lebenden Nachfahren jüdischer Vorfahren möchten … aus Furcht vor der Verfolgung durch die heutigen Nazis nicht namentlich genannt werden.“

Ein schönes Lob erhält dagegen Tucholsky, der mit seinem „Bilderbuch für Verliebte“ die Stadt literarisch verewigte:

Heutige Tourismus-Manager am Südzipfel der Mecklenburgischen Seenplatte können dem jüdischen Schriftsteller, dessen 70. Todestag Ende 2005 begangen wird, gar nicht genug danken, mit einem derartigen poetischen Pfund wuchern zu dürfen. Denn nach dem Machtantritt der Nazis wäre ein solches Buch gar nicht mehr möglich gewesen, weil Juden „unter den Nationalsozialisten in den Ferienorten und Naherholungsgebieten nicht mehr willkommen“ waren, wie Stefanie Oswalt schreibt.

Ne Nummer anders

Wenn man seinen Leser vermitteln möchte, dass einem Ereignis in der Öffentlichkeit zu viel Bedeutung beigemessen wird, gibt es eine Reihe von Möglichkeiten. Auf eine ganz spezielle Variante greift Thomas Kröter von der „Frankfurter Rundschau“ gerne zurück. So schreibt er in seinem heutigen Kommentar zur möglichen Neuwahl:

Schicksalswahl? Na ja. Der – zugegeben – linke Publizist Kurt Tucholsky hätte da wohl seine berühmte Frage berlinert: Ham Se’s nich’ ne Numma kleena?

Vor ein paar Wochen schien Kröter diese Formulierung bereits geeignet, die Bedeutung des so genannten Visa-Ausschusses zu relativieren:

Will die Opposition sich beim nächsten Angriffsziel Otto Schily nicht abermals verheben, sollte sie Kurt Tucholskys Hinweis bedenken: Ham se’s nich ne numma kleena?

Und im Juni 2001, nachdem der Bundestag in aufsehenerregender Weise über die Chancen und Risiken der Gentechnik debattiert hatte, kommentierte die „Rundschau“:

Sternstunde? Ham Se’s nich ne Numma kleena?, hätte Kurt Tucholsky berlinert.

Nun wäre gegen die häufige Verwendung dieser rhetorischen Tucholsky-Frage nichts einzuwenden, wenn sie denn tatsächlich von Tucholsky stammte. Ganz sicher ist in diesem Zusammenhang aber nur der folgende Spruch dokumentiert:

Der Mann, der vor dem Kölner Dom schnell und gottesfürchtig sagt: „Ham Se keenen jrößeren -?“ kommt nicht nur aus Berlin; dieser Ausspruch entstammt einer Geistesverfassung, und die ist nicht nur in Berlin heimisch.
Peter Panter: „Die Verteidigung Berlins“, in: Vossische Zeitung, 4.3.1929

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