8.2.2005

Das kunstseidene Mädchen

Der 100. Geburtstag von Irmgard Keun war vielen Medien eine kleine Meldung wert. Sofern sie den von dpa verbreiteten Text übernahmen, erhielt man den Eindruck, dass Tucholsky die Schriftstellerin in der Rezension ihres ersten Romans „Gilgi, eine von uns“ mit geradezu überschwenglichem Lob bedachte:

„Eine schreibende Frau mit Humor, sieh mal an! Hurra! Hier arbeitet ein Talent!“

Zum einen ist es eine merkwürdige Art von dpa, sich ein solches Zitat aus einem längeren Text Wort für Wort zusammenzuklauben, dabei Wörter zu verändern und zum Schluss noch ein Ausrufezeichen als Zugabe dranzuhängen. Zum anderen sparte Tucholsky am Ende seiner Buchbesprechung auch nicht mit Kritik:

Flecken im Sönnchen, halten zu Gnaden. Hier ist ein Talent. Wenn die noch arbeitet, reist, eine große Liebe hinter sich und eine mittlere bei sich hat –: aus dieser Frau kann einmal etwas werden.
Peter Panter: „Auf dem Nachttisch“, in: Die Weltbühne, 2.2.1932, S. 180

Die Freude über diese literarische Entdeckung währte aber nicht lange. Nachdem Keuns zweiter Roman „Das kunstseidene Mädchen“ erschienen war, musste Tucholsky sich davon überzeugen, dass die von dem Schriftsteller Robert Neumann erhobenen Plagiatsvorwürfe berechtigt waren. Keun war sich keiner Schuld bewusst und bat Tucholsky darum, in dem Streit zu vermitteln. Was dieser auch tat. In einem Brief an Keun zeigte er sich aber entsetzt über deren Naivität:

Warum in aller Welt haben Sie das gemacht? Sie haben doch dergleichen gar nicht nötig! Sie sind eine hochbegabte Schriftstellerin – ich habe gegen manches Einwände, aber Sie können bereits etwas, und, was mehr wert ist: Sie sind jemand. Und nun das da –! (…) Ich trete für neue Leute ein, wo ich nur kann, und daß ich kein Literaturpapst bin, wissen Sie auch. Aber bitte glauben Sie mir: hätte ich ‚Karriere‘ gekannt und wäre das Buch nicht von Ihnen gewesen, so hätte ich daraus einen bösen Casus gemacht.
Brief an Irmgard Keun vom 16.7.1932

2.2.2005

Kabarettkur

Kann es ein angemesseneres Ambiente für einen Kabarettabend geben als eine Trinkkurhalle? Wer die Gelegenheit nutzen möchte, dies zu überprüfen, muss am 3. Februar lediglich ins hessische Bad Salzhausen fahren und sich dort um 19.30 Uhr in der besagten Lokalität einfinden. Wie die „Frankfurter Neue Presse“ in ihrer Ankündigung weiter schreibt, lädt die Kulturreihe „Kunst im Park“ zu einer Zeitreise ein, in der „Lieder und Texte aus dem Berliner Kabarett der ‚roaring twenties‘, teils als Live-Musik, teils in historischen Schallplattenaufnahmen“ präsentiert werden. Den Besucher erwartet einiges:

Nach Berlin, in die Stadt des pulsierenden Lebens wie auch der grauen Hoffnungslosigkeit, wollen Pia Rausch, Ralf Dörschner, Dr. Peter Möser und Elfriede Maresch ihre Gäste entführen. Dort war das Zentrum der künstlerischen, besonders der literarischen Avantgarde, dort wuchsen die oft kurzlebigen, aber höchst anspruchsvollen Kabaretts aus dem Boden, Trude Hesterbergs „Wilde Bühne“, Friedrich Hollaenders „Tingel-Tangel“, Rosa Valettis „Cabaret Größenwahn“, Werner Fincks „Katakombe“. Marlene Dietrich sang „Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt“, Ringelnatzens Seemann Kuddel Daddeldu schwankte über die Bühne, Mehrings und Kästners Texte wandelten sich in Chansons. Tucholsky schrieb seine couragiert-bösen Lieder („General, General, wag es ja nicht noch einmal . . .“), die die Republik doch nicht retten konnten.

In der Tat: wäre es im Berlin der Weimarer Republik immer so gesittet wie in einer hessischen Trinkkurhalle zugegangen, hätte sich die Geschichte dieses Landes und der Welt wohl anders entwickelt.

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