An Marierose Fuchs
Post: Weltbühne
17.12.29
Sehr verehrtes Fräulein Fuchs, da liegen nun alle Ihre freundlichen Briefe vor mir – aber ich möchte mich gar nicht so sehr entschuldigen: es ist sicherlich für diesen Briefwechsel besser, wenn ich erst heute antworte: still, gesammelt und ruhig – und nicht hopphopp aus dem Hotelzimmer. Item:
Zunächst danke ich Ihnen recht herzlich: einmal für das große und kameradschaftliche Interesse, daß Sie „über den Graben“ an unserer und meiner Arbeit nehmen – und dann für Ihre Freundlichkeit, mich in Berlin noch einmal empfangen zu wollen. Die Leute haben mir aber bis zur letzten Stunde die Haare vom Kopf gerissen, eine Armee von Beleidigten habe ich zurückgelassen („Für mich haben Sie keine Zeit … !“) – und so ist es denn leider nichts mehr geworden. Das will ich aber, wenn Sie es später noch erlauben, nachholen.
Bevor ich Ihre Briefe Punkt für Punkt beantworte:
Das, was Sie in diesem Brief nicht finden werden, beantworte ich Ihnen in der ›Weltbühne‹. Es wird ›Brief an eine Katholikin‹ heißen und wird zweierlei nicht enthalten: a) wird ihre eigene Schwester nicht merken, daß Sie die Adressatin sind und b) werde ich mir an keiner Stelle den unritterlichen Vorteil verschaffen, der darin liegt, daß Sie kein dialektisch geschulter Priester sind. (Einem solchen unterläge ich glatt.) Ich halte es für kindlich, so etwas auszunutzen; als ob damit etwas bewiesen ist, daß bei einer Disputation: Fahsel – Bauarbeiter Klamottke Fahsel siegt und bei einer Disputation:Kaplan Hintermoser aus Niedertupfingen – H. G. Wells der Engländer siegt – dergleichen besagt für und gegen den Katholizismus gar nichts. Also so wollen wir das nicht machen.
Ich werde Ihnen also einige grundsätzliche Dinge im Blättchen entwickeln; daher fehlen sie hier oder sind nur andeutungsweise skizziert.
1.) Das Blättchen bekommen Sie von jetzt ab, natürlich nicht gegen Vorzugspreis, sondern gratis – wenn Sie es nicht mehr mögen, sagen Sie es bitte. Ich mag mich keinem Menschen aufdrängen. (Ich nähme Ihnen das auch niemals übel, wenn Sie das Blatt nicht im Haus haben wollen – meine Empfindlichkeiten sitzen anderswo.)
2.) Den Artikel von Ossietzky habe ich noch einmal ganz genau durchgesehen – denn als ich Ihren Brief las, dachte ich, ich hätte irgend eine seiner Arbeiten übersprungen; die, an die ich dachte, konnte es doch nicht gewesen sein … Aber sie war es. Und nun verstehe ich Ihren Brief gar nicht.
Wir kennen uns nicht (wie wenig, werden Sie weiter unten sehen) – aber ich möchte doch, daß wir uns geistig etwas näher kommen. Also: es kann keine Rede davon sein, daß ich etwa „beleidigt“ wäre – Sie können, solange es nichts Ehrenrühriges ist, von Ossietzky, von mir, von unsern Mitarbeitern das Schärfste schreiben, was Sie wollen – ich nehme dergleichen immer als Echo – wir haben in den Wald hineingerufen, und nun ruft es eben wieder heraus. Also das ist in Ordnung.
Aber zur Sache:
Ist ›Lädiertes Sakrament‹ wirklich so unverschämt? Mir ist der Titel gar nicht aufgefallen – ich habe empfunden: Das, was jene als Sakrament betrachten, hat in Wahrheit längst ein Loch. Beleidigung? Schändung? Ich habe nicht einmal empfunden, daß es so gemeint war – ich glaube das keinesfalls. Auch würde Ossietzky nie, niemals so etwas von der „katholischen Jungfrau“ sagen – Sie glauben gar nicht, wie weit dieser Pfeil vom Ziel abgegangen ist. Ossietzky ist ein sehr zurückhaltender, sehr scheuer Mensch – ich habe ihn in all den Jahren unserer Zusammenarbeit nicht einmal gefragt, ob er katholisch ist, ich weiß es nicht, weil es mich nicht interessiert. Nie würde er solche spöttischen Bemerkungen machen – nie.
In der Sache aber sehe ich dies:
Die katholische Anschauung sieht in der Ehe ein unlösbares, heiliges Band, keinen Zweckvertrag. Das ist Sache der Kirche. Ich diskutiere das Dogma nicht. Es ist auch das Recht der Kirche, gegen Andersmeinende alle parlamentarischen Waffen in Anwendung zu bringen; mit allen Kräften dafür zu kämpfen, daß Ehen nicht oder nur sehr schwer gelöst werden sollen; daß Ehebruch strafbar bleiben soll – das ist ein politischer Kampf. Aber gegen eines wehre ich mich und werde mich wehren, solange ich noch eine Schreibmaschine habe:
Daß die Partei des Zentrums sich eine Ausnahmestellung anmaßt, die ihr nicht zukommt. Das gibt es nicht. Hier ist keine Satire zu scharf.
Wie! Die Partei steigt in die Arena des politischen Kampfes hinunter, ein Feld, auf dem – wie männiglich bekannt – auch mit Pferdeäpfeln geworfen wird. Die Kämpfer schreien sich heiser, sie brüllen, sie führen auch saubere und leise Kämpfe – und es geht im ganzen recht hitzig zu. Wir wehren uns. Gerät aber die Kirche in die Bredouille, dann höre ich da ein Gequietsch wie von einer Katze, der man auf den Schwanz getreten hat: „Das Heiligste ist in Gefahr!“ – Das Heiligste ist in Gefahr? Dann müßt ihr das nicht auf den Kampfplatz schleppen – es fällt ja auch keinem Priester ein, mit dem Allerheiligsten, unbedeckt, in eine Elektrische zu steigen – weil es nämlich nur ein transportabler Gegenstand wäre, auf den Rücksicht zu nehmen unmöglich wäre. Also?
Also darf man sich nicht auf das „Heilige“, auf das „religiöse Empfinden“ zurückziehen, wenns einem grade paßt. Das ist nicht ehrlich. Die politische Partei des Zentrums muß sich gefallen lassen – genau wie alle andern Parteien auch – politisch bekämpft zu werden. Und das hat Ossietzky getan.
Zieht die Partei die Kirche in den Streit, so geht der Kampf auch um das Dogma – wir haben nicht angefangen.
Solange sich die Kirche damit begnügt, zu sagen: „Wir beerdigen keinen geschiedenen Mann kirchlich. Wir erkennen eine zweite Ehe nicht an – wir exkommunizieren. Wir halten den Ehebruch für eine schwere Sünde.“ – solange haben wir andern zu schweigen. Weil man nämlich aus der Kirche austreten kann – und wer darin bleibt, der hat sich zu unterwerfen. Das ist eine innerkatholische Angelegenheit, die keinen andern berührt.
In dem Augenblick aber, wo die Kirche sich erdreistet, uns andern ihre Sittenanschauungen aufzwingen zu wollen –
unter gleichzeitiger Beschimpfung der Andersdenkenden
als „Sünder“ –
in dem Augenblick halte ich jede politische Waffe für erlaubt – auch den Hohn, grade den Hohn. Und zwar nicht den dummen, abgestandenen gegen die Pfarrersköchin – grade den lehne ich aus tiefstem Herzen ab. Bei euch wird gar nicht geheuchelt – nicht mehr jedenfalls als bei uns. Aber blind sind diese Leute, die das ungeheure Elend nicht sehen, das sie da heraufbeschwören. Kennen Sie das nicht? Gehen Sie einmal auf das Landgericht am Alexanderplatz und hören Sie sich da die fast stets öffentlichen Ehescheidungsverhandlungen an: wie da der Schmutz haushoch spritzt, wie da auf Lügen hin geschieden wird, alle wissen es: die Richter zuallererst, die Anwälte, die Parteien – aber unter dem geltenden Eheunrecht kann man sich nicht anders helfen. Das Soziale ist nämlich stärker. Das haben sogar die reichlich puritanischen Amerikaner begriffen. Was an und in der Kirche „ewig und unwandelbar“ ist steht dahin – die sozialen Anschauungen gehören nicht dazu. – Der Ehebruch wird in weiten Kreisen nicht als außergewöhnlich und nicht als „unmoralisch“ empfunden – womit eben nicht gesagt ist, daß wir ihn propagieren oder gar als schön empfinden. Aber zwischen nicht „schön“ und einem Vergehen ist ein weites Feld. Das mag man kirchlich beackern – das Strafrecht hat hier nichts zu suchen. Und das sollte man nicht sagen dürfen –?
Es ist auch nicht richtig, solchen politischen Kämpfern wie Ossietzky Ignoranz vorzuwerfen. Wir sind keine Theologen. Wir haben nicht die Pflicht, uns mit den Finessen des kirchlichen Rechts zu befassen – wir befassen uns nur mit dem, was parteipolitisch dabei herauskommt. Die zugrunde liegende Philosophie mag gut sein – ich diskutiere das nicht. Wie sie sich sozial und politisch auswirkt –: das dürfte keiner Kritik unterliegen? Nein –? Ja.
Und mit Dreck werfen? Haben wir uns schon einmal beklagt, wenn ein Geistlicher unsere Ideale mit Dreck bewirft? Das tut er nicht? Ich danke. Haben wir „Sakrileg!“ gerufen, wenn kostümierte Herren im Kriege zum Mord gehetzt haben? Meine Gefühle werden dadurch verletzt. Ich quietsche allerdings nicht. Ich schlage zurück. Trifft das einmal auf ein Kreuz –: das ist nicht meine Schuld. Ich habe es nicht in den Streit geholt.
3.) Immer, immer freut es mich, wenn Sie mir Ihre Einwände – auch die allerschärfsten – schreiben. Dazu habe ich immer Zeit. Eine kleine Anmerkung: wir sind ein bißchen weit voneinander. Wenn Sie manchmal schreiben „Bei euch da drüben muß man wahrscheinlich hinzufügen …“, dann muß ich in meinen stattlichen Bart lächeln. Sie haben mitunter von den Heiden eine Anschauung wie ein Monist von einem katholischen Pfarrer: der ist für ihn eine Schießbudenfigur, der immerzu mit seiner Köchin liebäugelt, säuft, in seinem tiefsten Herzen das Wort Gottes für Unfug hält und sich einen Bauch anmästet. Nun, und „die da drüben“ glauben gar nicht von jeder Frau, die sich in geistiger Absicht nähert, daß nunmehr ein gewaltiger Flirt beginnen müsse – ich möchte einmal getroffen werden, und nicht immerzu sehen, wie die Pfeile um mich herumsausen – und wenn sie dann so in der Wand neben mir zitternd stecken bleiben, dann muß ich mich furchtbar wundern.
4.) Also sollte bei Ihnen kein Mißtrauen da sein. Ich sagte Ihnen schon, daß ich niemals daran dächte. Ihre Formulierungen zu benutzen oder gar spöttisch zu veröffentlichen. Wenn ich mir einen hernehme, dann nehme ich mir einen Bischof oder einen Kardinal – also einen, der unwiderleglich die offizielle Meinung der Kirche wiedergibt. Nur das ist ehrlich.
5.) Wenn Sie mich einmal später mit einem Priester zusammenbrächten, so wäre mein letzter, aber mein allerletzter Gedanke: „Der will mich fangen.“ Gibt es denn wirklich so viel Kirchengegner, die das glauben? Dummes Zeug. Der Kampf, den zum Beispiel Schreiber in Berlin führt, geht doch um anderes – der der „Katholischen Aktion“ auch. Fangen? Ja, aber doch nicht so. Daran habe ich nie gedacht. Schon deshalb nicht, weil ich zu alt und noch nicht alt genug dazu bin.
6.) Wieso wissen Sie, daß „wir“ etwas gegen das Zölibat haben? Vielleicht gibt es Männer unter uns, die nur arbeiten können, wenn keine Frau dabei ist. Vielleicht gibt es welche, die wissen, was Keuschheit für ein Kräftereservoir ist – von den politischen Momenten ganz zu schweigen.
7.) In Düsseldorf bin ich nicht gewesen. Ich hätte mich sehr gefreut, mit Herrn Schöllgen einmal zusammenzutreffen – ich habe große Sympathien für solche Naturen, und ich glaube, ich hätte manches dabei gelernt.
8.) (Ich antworte immer nach je einem Blick in Ihre Briefe – daher dieses Nebeneinander.): Sie verletzen mich nicht, wegen dick – dicke Leute sind nicht so leicht verletzt. Und langweilen? Nie.
9.) Dank für die Hefte Sonnenscheins. Ich werde mir wohl alle nachkommen lassen. Darüber schreibe ich im Blättchen. Das ist blitzehrlich, sauber, richtig, in Ordnung bis in die letzte Falte. Aber: Wanzenpülverchen, statt Ausräuchern. Dazu eine Verachtung Berlins, die mir nicht gefällt. Eine Stadt „geht nicht unter“ – sie ist kein Kriegsschiff. Hier stimmt in der Rechnung etwas nicht. Sie geht vielleicht für die Kirche unter – aber das ist ein himmelweiter Unterschied. Darüber öffentlich.
10.) Der Gotteslästerungsprozeß des ›Eulenspiegels‹ war mir bekannt. Ich habe mich mäuschenstill dazu verhalten. Ich halte diese Art Kampf für nicht richtig und habe mich auch niemals an solchen Aktionen beteiligt. So geht das nicht.
11.) Den Chesterton werde ich mir besorgen. Ich kenne alles, was er geschrieben hat (deutsch) – ich finde es herrlich – als Feuerwerk. Was nicht ausschließt, daß er ehrlich ist, ein ehrlicher Feuerwerker. Aber er setzt den Glauben voraus, zu dem er – vielleicht – bekehren will.
12.) Ludendorff und die katholische Kirche – unmöglich, darüber ernst zu schreiben. Ein Geisteskranker. Verschaffen Sie sich vielleicht einmal die Aufsätze, die Willy Haas in der ›Literarischen Welt‹ darüber geschrieben hat – er zeigt das unterirdisch Theologische auf, das in diesem Wahnkranken zu finden ist. Das ist sehr interessant.
13.) Dank für Ihre Arbeiten, die Sie beigelegt haben. Es ist in der Gesinnung und im Grundgefühl sauber und rein – das Technische ist noch etwas wacklig – jetzt werden Sie mich furchtbar auslachen. Lesen Sie Wustmann ›Allerhand Sprachdummheiten‹ – womit aber nicht gesagt sein soll, daß Sie welche gemacht haben. (Doch, eine: „ich entschließe mich zu letzterem“ sollte mit einem Jahr Verbannung bestraft werden.) Wustmann ist eine sehr gute deutsche Grammatik.
14.) Nun habe ich alles gesagt – beinah alles.
Den Rest – beinah den ganzen Rest – werde ich also öffentlich sagen; das wird noch ein Weilchen dauern. Und dann bleibt ein winziger Rest ungesagt, was die Beziehungen zwischen den Menschen mehr als reizvoll, nämlich wertvoll macht.
Ihnen alles Gute wünschend,
bin ich Ihr ergebener Tucholsky