17.2.2005

Gefühlt, gedichtet, gebloggt

Der Valentinstag ist noch eine recht neue Errungenschaft der deutschen Blumen- und Schokoladenindustrie, aber so langsam scheint er auch von der Kleinkunst entdeckt zu werden. Darauf deutet zumindest der Bericht der „Frankfurter Neuen Presse“ über einen Liebeslyrikabend in Usingen hin. Von einer gewissen „Kerstin Halla, 37 Jahre alt, aus Oberursel über den Taunuskamm gekommen“ sei dort den Zuhörern ein „ein bunter Kanon an Liebesgedichten und -geschichten dargeboten“ worden. Steckte von Tucholsky etwa auch etwas in diesem Strauß?

Bei der Vorbereitung zu dieser Lesung, so Kerstin Halla, habe sie diverse Quellen – auch das Internet – benutzt und sei dabei auf die verschiedensten Autoren gestoßen. Auf Klassiker natürlich, wie Johann Wolfgang von Goethe, Friedrich Hölderlin, Novalis (Friedrich von Hardenberg) oder Joseph von Eichendorff. Neben diesen Großen der Romantik habe sie sich aber auch für Autoren entschieden, die mitnichten der gefühlsbetonten Lyrik zugeschrieben werden: Kurt Tucholsky etwa («Schloss Gripsholm»), 1935 im schwedischen Exil durch eigene Hand aus dem Leben geschieden (…)

Ja, das Internet. Unendliche Weiten. Dort kann man die erstaunlichsten Dinge finden, wie Frau Halla feststellen musste:

Aber auch unbekannte Verfasser, die ihre Gedichte einfach frei ins Internet stellen und in so genannte digitale Tagebücher («Weblogs») schreiben, habe sie aufgespürt.

Wie schön, dass es tatsächlich Menschen gibt, die anderer Leute Weblogs lesen.

11.2.2005

Alkohol und Literatur

Eine Weinprobe mit Vorträgen aus Tucholskys Werk zu verbinden, scheint keine schlechte Idee zu sein. Wie die „Hochheimer Zeitung“ berichtet, war eine entsprechende Veranstaltung des Volksbildungswerkes im Rheingauer Weingut Rebenhof „bis zum letzten Platz besetzt“. Natürlich bleibt offen, ob die Besucher wegen der Literatur oder letztlich doch nur wegen des leckeren Rieslings so zahlreich in die Weinstube strömten. Wer aber, wie Tucholsky, zum Verkauf seines Büchleins „Rheinsberg“ auf dem Berliner Kurfürstendamm einst eine Bücherbar einrichtete, dürfte für die Verbindung von Wein und seinen Texten sicher viel Verständnis haben.

9.2.2005

Der gespielte Witz

Für lesefaule Tucholsky-Fans hat der Schauspieler Uwe Friedrichsen schon etliche Audio-Kassetten und CDs aufgenommen. Aber selbst für Besitzer dieser Aufnahmen könnte es sich lohnen, in den kommenden Tagen abends an Bord des Hamburger Kulturdampfer zu gehen. Denn, wie das „Hamburger Abendblatt“ berichtet, Friedrichsen liest dort nicht nur Tucholsky-Texte vor, sondern spielt sie auch selbst. Ob dieses Programm irgendwann als DVD erhältlich sein wird, ging aus dem Artikel nicht hervor.

2.2.2005

Kabarettkur

Kann es ein angemesseneres Ambiente für einen Kabarettabend geben als eine Trinkkurhalle? Wer die Gelegenheit nutzen möchte, dies zu überprüfen, muss am 3. Februar lediglich ins hessische Bad Salzhausen fahren und sich dort um 19.30 Uhr in der besagten Lokalität einfinden. Wie die „Frankfurter Neue Presse“ in ihrer Ankündigung weiter schreibt, lädt die Kulturreihe „Kunst im Park“ zu einer Zeitreise ein, in der „Lieder und Texte aus dem Berliner Kabarett der ‚roaring twenties‘, teils als Live-Musik, teils in historischen Schallplattenaufnahmen“ präsentiert werden. Den Besucher erwartet einiges:

Nach Berlin, in die Stadt des pulsierenden Lebens wie auch der grauen Hoffnungslosigkeit, wollen Pia Rausch, Ralf Dörschner, Dr. Peter Möser und Elfriede Maresch ihre Gäste entführen. Dort war das Zentrum der künstlerischen, besonders der literarischen Avantgarde, dort wuchsen die oft kurzlebigen, aber höchst anspruchsvollen Kabaretts aus dem Boden, Trude Hesterbergs „Wilde Bühne“, Friedrich Hollaenders „Tingel-Tangel“, Rosa Valettis „Cabaret Größenwahn“, Werner Fincks „Katakombe“. Marlene Dietrich sang „Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt“, Ringelnatzens Seemann Kuddel Daddeldu schwankte über die Bühne, Mehrings und Kästners Texte wandelten sich in Chansons. Tucholsky schrieb seine couragiert-bösen Lieder („General, General, wag es ja nicht noch einmal . . .“), die die Republik doch nicht retten konnten.

In der Tat: wäre es im Berlin der Weimarer Republik immer so gesittet wie in einer hessischen Trinkkurhalle zugegangen, hätte sich die Geschichte dieses Landes und der Welt wohl anders entwickelt.

27.1.2005

Von Journalisten und Gesamtschülern

Wenn Hugo Müller-Vogg aus dem journalistischen Nähkästchen plaudert, gibt es sicherlich einige interessante Sprüche aufzuschnappen. Die „Frankfurter Rundschau“ ließ sich eine solche Gelegenheit nicht entgehen und hörte dem ehemaligen Herausgeber der Stadt- und Bundeskonkurrenz „FAZ“ bei einem Vortrag in der Evangelischen Kirche in Bad Homburg aufmerksam zu.

Es ging um Journalisten. „Kaum einer dieser Leute beherrscht den Konjunktiv und die richtige Zeiten-Abfolge!“ klagte eine Dame aus dem Publikum. Ja, greulich mit ä, bekräftigte Hugo Müller-Vogg am Stehpult. Heutzutage kämen Gesamtschul-Absolventen in den Beruf. Und die Korrektoren seien arbeitslose Germanisten . . .
Solche Sottisen machten dem Referenten sichtlich Spaß. Sie bannten die rund 200 Zuhörer gut zwei Stunden lang. Der Referent zitierte Tucholsky: „Man muss den Journalisten nicht bestechen. Man muss ihn nur einladen und wie eine Macht behandeln.“ Und Karl Kraus: „Keinen Gedanken zu haben und den ausdrücken zu können – das macht den Journalisten aus“. Der Journalist Müller-Vogg machte nicht den Anschein, er fühle sich selbst gemeint.
Klaus Nissen: „Ach, die Journalisten …“, in: Frankfurter Rundschau, 27.1.2005, Regionalausgabe R7, S. 35

Dass das Kraus-Zitat von Karl Kraus stammt, ist sicher. Wo das Tucholsky-Zitat herkommt, weiß vermutlich nur Müller-Vogg selbst, oder wenigstens Klaus Nissen. Aber es trifft zumindest die Intention dessen, was Tucholsky an verschiedenen Stellen über die Bestechlichkeit deutscher Journalisten geschrieben hat:

Unsere Korruption sieht anders aus; unsere Journalisten haben andere Fehler und andere Untugenden, hierzulande sind die Leute billiger und schwerer zu bestechen, beeinflußt wird hier, nicht gezahlt – wenn einer von uns Geld nähme, verfiele er einfach der Lächerlichkeit; hier ist es gar nicht pikant, bestochen zu sein – es ist nur dumm. Hier lassen sie sich zum Abendbrot einladen; wenn sie dreimal durch Dahlem getrudelt sind, sind sie nicht mehr dieselben (…)
Peter Panter: „Berliner Theater“, in: Die Weltbühne, 12.11.1929, S. 738

Und was immer den Hinauswurf von Müller-Vogg bei der FAZ begründet haben mochte, Bestechung war sicher nicht im Spiel.

Rausch ohne Erinnerung

Es liegt schon eine gewisse Herausforderung darin, im Werk des Urberliners Tucholsky ein Zitat zu finden, das sich positiv auf den Karneval beziehen lässt. Die „Kölnische Rundschau“ (sic.) hat sich dieser Herausforderung kürzlich gestellt und ist tatsächlich fündig geworden.

An einem Rausch ist das schönste der Augenblick, in dem er anfängt, und die Erinnerung an ihn.
Peter Panter: „Schnipsel“, in: Die Weltbühne, 9.8.1932, S. 205

Warum die „Rundschau“ aber den letzten Halbsatz des Zitates ihren Leser vorenthalten hat, lässt sich wohl nur mit den besonderen Rauscherfahrungen des verantwortlichen Redakteurs erklären. Vielleicht wird das fehlende Zitatstück an Aschermittwoch aber noch nachgeliefert.

20.1.2005

Was darf die Meenzer Fasenacht?

Ui, ui, ui: die Karnevalsaison ist in diesem Jahr sehr kurz, aber dafür in Mainz um so heftiger. Wenn der Zugmarschall des Mainzer Carneval Vereins, Adi Schmelz, schon die Tucholskysche Satirekeule auspackt, muss einiges los sein am Rhein. Selbst in die Bundeshauptstadt sind Details der Mainzer Karnevalsposse schon vorgedrungen und im Berliner Tagesspiegel unter der sinnigen Überschrift „Mainz, wie es zankt und kracht“ kolportiert worden:

Es geht um eine momentan im Bau befindliche fünf Meter hohe Pappmaschee-Konstruktion. Von dem Wagen gibt es noch keine Fotos, bisher ist nur die Entwurfszeichnung bekannt geworden. Sie zeigt George W. Bush als „Uncle Sam“ mit entblößtem Hintern. Darüber prangt in großen Lettern „Wiedereröffnung“. Und Merkel eilt freudig zur Trittleiter, die zu Bushs Allerwertesten führt. Dazu der Narrenreim: „Da strahlt die Angela am End, George Bush bleibt weiter Präsident, sie fühlt sich wie im Honeymoon, wir wünschen ihr ‚Good After-Noon'“.

Ui, ui, ui. Kein Wunder, dass die Mainzer eine solche Darstellung des US-Präsidenten gar nicht „witzisch“, sondern obszön, unanständig und skandalös finden, wie sie das Lesertelefon der „Allgemeinen Zeitung“ wissen ließen. Karneval, vor allem in Mainz, ist eben eine sehr ernste Sache, die man nicht irgendwelchen Spaßvögeln überlassen kann. Besonders pikant ist in der Tat, dass George W. Bush nur zwei Wochen nach Aschermittwoch, am 23. Februar 2005, der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt einen Besuch abstatten möchte.
Dennoch zeigt sich Zugmarschall Schmelz laut „Tagesspiegel“ ganz unbeeindruckt vom Volkszorn:

Schließlich handele es sich um Satire, sagt der langjährige Zug-Organisator. Und bei der halte er es wie Kurt Tucholsky: „Satire darf alles“.

Einige Mainzer haben bereits angedroht, eine Zeichnung des Zugmotives ans Weiße Haus zu schicken, „um den Bush-Besuch im Februar zu verhindern“. Und um anschließend größere weltpolitische Verwicklungen zu vemeiden, bliebe Zugmarschall Schmelz nichts anderes übrig, als den gesamten Tucholsky-Text als Ausweis deutschen Humorverständnisses hinterherzufaxen. Eine Übersetzung ins Google-Englisch am besten gleich mit: „What may do the satire, Mr. Bush? – Everything“ – With greetings from the Axis of German Fun (Mainz, Cologne, Duesseldorf).

19.1.2005

Neuer Stadtschreiber in Rheinsberg

Die „Berliner Morgenpost“ hat brav notiert, welcher Literat in diesem Jahr die Chronik der Stadt Rheinsberg fortführt:

Der Schriftsteller Thorsten Becker ist der 21. Stadtschreiber in Rheinsberg (Ostprignitz-Ruppin). Bis Mai werde er in dem Städtchen leben, teilte das Kurt Tucholsky Literaturmuseum Schloß Rheinsberg mit. Der 1958 geborene Becker wurde 1985 mit seinem Erstling „Die Bürgschaft“ bekannt.

Darin erschöpft sich auch schon die kleine Nachricht, die auf einer dpa-Meldung basiert. Das Tucholsky-Literatur Museum selbst weiß auf seinen Webseiten noch gar nichts davon zu berichten, hat aber wenigstens eine Liste der bisherigen Stadtschreiber anzubieten.

15.1.2005

Ein bisschen Sinn und fertig

Die neue ICE-Strecke zwischen Berlin und Hamburg bringe die beiden Städte auch künstlerisch näher zusammen, glaubt zumindest die „Welt“. Ein erster Ausdruck dieser neu gewonnenen Nähe sei womöglich ein literarisch-musikalischer Abend, der am 15. Januar 2005 im St. Pauli-Theater seine Uraufführung erlebe. Dort erklängen nun „phatte Rhymes aus den zwanziger Jahren“, vorgetragen von Eva Mattes. Die etwas merkwürdige Überschrift erklärt sich dadurch, dass die „Welt“ außerdem glaubt:

Die freche und wunderbar bewegliche Reimkunst eines Friedrich Hollaender, Kurt Tucholsky oder Walter Mehring könnten auch Zuhörer im Rapper-Alter inspirierend finden.

Warum also nicht den Tucholsky-Text „Das Couplet“ als Flyer kopieren und während des Konzerts unauffällig an alle in der Garderobe abgegebenen Basecaps stecken? Schließlich verrät Tucholsky darin einiges über das Dicht- und Reimhandwerk, was für einen Rapper zum Teil nicht uninteressant sein dürfte. Manche Passagen dagegen lassen deutlich die Unterschiede zwischen Couplets und Raps aufscheinen:

Und ehe man Rhythmus und Reim und Gedankengang glücklich vereinigt hat, vergeht manchmal eine ganze Nacht.
Peter Panter: „Das Couplet“, in: Schall und Rauch, April 1920, Nr. 5, S. 1-2

Inspirierender dürften daher vielleicht folgende Zeilen aus der Rezension eines Reimlexikon wirken:

Der Reim – was das für eine ulkige Sache ist! Wie so ein Gleichklang am Schluß dem Ding gleich einen andern Aspekt gibt! „Der Segen, der Degen, allerwegen, wogegen.“ Nun bloß noch ein bißchen Sinn: und das Gedicht ist fertig.
Peter Panter: „Das Reimlexikon“, in: Die Schaubühne, 9.7.1914, S. 35

PS: Dass die „fetten Reime“ aus den Zwanzigern auch heutzutage noch gut ankommen, zeigt der Vergleich eines Liedverses von „2raumwohnung“

denn das viele an dich denken
bekommt mir nicht
am nächsten tag bin ich so müde
Aus: „Wir trafen uns in einem Garten“

mit einem Tucholsky-Gedicht:

Manchmal denke ich an dich,
das bekommt mich aber nich,
denn am nächsten Tag bin ich so müde.
Theobald Tiger: „Sauflied, ganz allein“, in: Die Weltbühne, 12.5.1931, S. 701

14.1.2005

Zauberrheinsholm

Aus eher traurigem Anlass beschäftigt sich Josef Nyary im „Hamburger Abendblatt“ mit Thomas Manns Roman „Der Zauberberg“. Der Abriss des Schweizer Sanatoriums Philippi, das Mann als Vorbild für seinen „Berghof“ diente, bedeute „das Ende eines Genius loci, der den wohl größten deutschen Dichter der Moderne zu einem seiner bedeutendsten Werke inspirierte“, schreibt Nyary in seinem Text „‚Zauberberg‘ – nur der Mythos bleibt“. Tröstlich bleibt daher die Zusammenstellung anderer „Orte großer Dichtkunst – und wie sie weiterleben“. Es bleibt nur zu hoffen, dass die darin erwähnten Schlösser Rheinsberg und Gripsholm nicht so schnell abgerissen und von einer Bauträgergesellschaft in Seniorenresidenzen verwandelt werden. Aber zum Glück gehört Schloss Gripsholm, im Gegensatz zum Sanatorium Philippi, definitiv nicht Hans Eichel.

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