14.4.2005

Sterben leicht geredet

Einen recht merkwürdigen Einstieg wählt das „Darmstädter Echo“ in einem Artikel über ehrenamtliche Mitarbeiter in einem Hospizdienst. Autorin Petra Neumann-Prystaj zitiert den letzten Absatz eines Tucholsky-Textes als Hinführung zu dem schwierigen Thema Sterben:

„Übrigens stirbt keiner im höchsten Schmerz. Alles arrangiert sich, es geht ein langsamer Wechsel der Zellen vor sich – und weil niemand in fortgesetzter Ekstase leben kann, verfliegen Töne und Musik und Tränen, als wären sie nie gewesen.“ Allmählich schwinden Kraft und Sinne – so stellte sich Kurt Tucholsky das Ende vor. Friedlich. Trotzdem wählte er für sich den Notausgang Selbstmord.

Das Zitat ist von der Autorin für ihre Zwecke leider falsch ausgedeutet worden und in diesem Zusammenhang völlig deplaciert. Denn es ist dem Text „Pars-!“ entnommen, in dem Tucholsky seine Gefühle beschreibt, die ihn einmal beim Hören eines schwülstigen Liebeskummerliedes überfielen. „Allmählich schwinden Gefühle und Erinnerungen – so stellte sich Kurt Tucholsky das Ende eines jeden noch so heftigen Herzensjammers vor“, müsste es eher heißen. Und dass Tucholsky sich in Schweden vermutlich das Leben nahm, hatte wohl doch damit zu tun, dass bestimmte, mit starken Schmerzen verbundene Leiden eben nicht mehr „friedlich“ verschwanden.

Diese falsche Zitatauswahl ist eigentlich bedauerlich. Denn es gibt einen Tucholsky-Text, der sich tatsächlich mit dem langsamen Sterben eines Menschen beschäftigt. Darin heißt es:

Werde ich sterben können -? Manchmal fürchte ich, ich werde es nicht können.
Da denke ich so: wie wirst du dich dabei aufführen? Ah, nicht die Haltung – nicht das an der Mauer, der Ruf „Es lebe … “ nun irgend etwas, während man selber stirbt; nicht die Minute vor dem Gasangriff, die Hosen voller Mut und das heldenhaft verzerrte Angesicht dem Feinde zugewandt … nicht so. Nein, einfach der sinnlose Vorgang im Bett. Müdigkeit, Schmerzen und nun eben das. Wirst du es können?
(…)
Vielleicht wird es nicht so schwer sein. Ein Arzt wird mir helfen, zu sterben. Und wenn ich nicht gar zu große Schmerzen habe, werde ich verlegen und bescheiden lächeln: „Bitte, entschuldigen Sie … es ist das erste Mal …“
Kaspar Hauser: „Befürchtung“, in: Die Weltbühne“, 9.7.1929, S. 71

11.4.2005

Ein Schloss im Sumpf

Die „Berliner Morgenpost“ hat in dem Artikel „Brauner Sumpf“ aufgeschrieben, warum es in Rheinsberg bisweilen längst nicht mehr so idyllisch wie zu Zeiten Tucholskys zugeht.

18.3.2005

Keine Chance für Deserteurdenkmal in Ulm

Auch beim diesmaligen Anlauf hat es wieder nicht geklappt: Der Hauptausschuss des Gemeinderates Ulm hat es am Donnerstag mit den Stimmen von CDU und FWG/FDP abgelehnt, einem von Hannah Stütz-Mentzel geschaffenen Denkmal für Deserteure einen öffentlichen Platz in der Donaustadt zuzuweisen. Wie die „Südwestpresse“ berichtete, verzichteten die Vertreter der beiden genannten Fraktionen darauf, ihre Entscheidung zu erläutern. Der Ulmer Oberbürgermeister Ivo Gönner begründete seine ablehnende Haltung mit einem Beschluss des Ulmer Gemeinderates, der bereits kurz nach Ende des Zweiten Weltkrieges gefasst worden sei. Demnach sollte in der Stadt nur eine einzige Gedächtnisanlage an alle Opfer des Zweiten Weltkriegs erinnern.

Nach Auffassung des Grünen-Fraktionsvorsitzenden Markus Kienle zeugt dies jedoch von einem „nivellierenden historischen Verständnis“. Aber auch die SPD konnte sich nicht dazu durchringen, das Denkmal geschlossen zu unterstützen. Ein Vertreter stimmte für den entsprechenden Antrag der Grünen, zwei enthielten sich ihrer Stimme. Allerdings brachte die SPD den Vorschlag ins Spiel, die Skulptur beim ehemaligen Konzentrationslager Oberer Kuhberg aufzustellen. Nach der Ablehnung des Antrags sei dieser Vorschlag aber nicht mehr diskutiert worden, schrieb die „Südwestpresse“.

16.3.2005

Liebe und Ehe

Ob es wirklich eine so gute Idee von einem katholischen Bildungswerk ist, einen literarischen Abend über Liebe und Ehe mit Texten eines Mannes zu bestreiten, von dem dessen erste Ehefrau behauptet haben soll: „Als ich über die Damen wegsteigen musste, um in mein Bett zu kommen, ließ ich mich scheiden“? Ganz wohl scheint es dem Veranstalter des Nachtcafés Heppenheim jedenfalls nicht bei dem Gedanken gewesen zu sein, Tucholskys Ansichten über das Zusammenleben von Mann und Frau unkommentiert vortragen zu lassen. Wie das „Darmstädter Echo“ zu berichten weiß, ist aber für Abhilfe gesorgt:

Passend zum Thema wird das Nacht-Café an diesem Abend einen besonderen Gast begrüßen. Mechthild Ferner, die als Eheberaterin viele Jahre lang in Heppenheim tätig war, wird sich an der Moderation beteiligen und dabei auch ihren beruflichen Hintergrund mit einfließen lassen.

Interessant wäre sicherlich zu erfahren, was sie Tucholskys erster Frau Else Weil geraten hätte, um wieder ungestört ins Bett zu gelangen.

2.3.2005

Keine Zeit für Märchen

Wie liebevoll man einen Märchenabend beschreiben, bei dem mangels Besucher fast jeder Zuhörer seine eigene Geschichte vorgelesen bekam, zeigt Frank Saltenberger in einem Artikel der „Frankfurter Neuen Presse“. Nur 20 Usinger fanden demnach den Weg in den Saal der Hugenottenkirche, wo Anne Georgio unter dem Titel „Märchen ohne Wolf und ohne Geißlein“laut „FNP“ „teils dramatische, teils bizarre, in jedem Falle aber fantasievolle Geschichten von Herrmann Hesse, Novalis, Oscar Wilde und Kurt Tucholsky“ vortrug. Wie sehr Autor Saltenberger von den Geschichten gerührt wurde, zeigt folgende Passage:

Das Mädchen allerdings verschmähte die Rose, denn sie hatte eine besser gestellte Begleitung in Aussicht, und so warf der Student die Rose weg und wandte sich ernüchtert seinen Studien zu. «Das Leben ist ein hoher Preis für eine Rose», sagte die Nachtigall noch vor dem Handel mit dem welken Strauch. Wie sinnlos aber ist ein Tod für ein vermeintliches Ideal, das nichts bewegt? Dieses beklemmende Gefühl drängte sich dem Zuhörer auf.

Nach der Pause habe Georgio dann Tucholskys Märchen „Die verzauberte Prinzessin“ vorgelesen, „eine heitere Erlösungsgeschichte voller ironischer Seitenhiebe auf die Bürokratie und surrealer Komik“. Begeistert von der Vortragsweise Anna Georgios und der Klavierbegleitung Waltraud Bartls konnte sich die „FNP“ einen Seitenhieb auf die Kulturverschmähung der Usinger nicht verkneifen:

Die in Friedrichsdorf lebende Pianistin und die Frankfurter Sprecherin haben das Programm „Märchen ohne Wolf und ohne Geißlein“ 2002 zum ersten Mal aufgeführt und konnten seitdem positive Kritiken verbuchen. Bedauerlich, dass die Hugenottenkirche nicht einmal halb gefüllt war.

Da der „Usinger Anzeiger“ ebenfalls präsent war, machten Journalisten alleine zehn Prozent des Publikums aus. Auch in dieser Rezension wurde der Vortrag mit viel Wohlwollen aufgenommen, wobei der Text mit einer etwas kryptischen literarischen Einschätzung endet:

Die Schauspielerin ließ Dorfköter bellen und Betrunkene zu Wort kommen und brachte die in beißenden Humor gekleidete Kritik Tucholskys an Monarchie und Militär auf den Punkt. Wenn in dem Märchen der Portier den Prinzen anschnauzt: „Heute wird hier nicht erlöst“, und der die Prinzessin bewachende erkältete Drachen für die Stelle des Personalchefs im Ministerium des Inneren empfohlen wird, wird beinahe auch die Kunstform des Märchens selbst ad absurdum geführt.

Nennt man so etwas nicht einfach Parodie?

28.2.2005

Von Bratwürsten und Hanswürsten

Ist es satirisch, den Dönerbuden im Berliner Bezirk Kreuzberg den Kampf anzusagen und lautstark eine Bratwurstquote von 40 Prozent zu fordern? Harald Scholz vom Künstlerkombinat „Die Sanierer“ meint „Ja“, und sei es nur darum, sich gegen den Vorwurf zu wehren, die Interessen spießbügerlicher Saubermänner zu vertreten. „Spricht hier die NPD-Kreuzberg? „, fragt gar die „Berliner Zeitung“ in einem aufklärerischen Artikel, der auch kurz aufzählt, was man im Namen der Satire alles erlaubt ist:

Was darf Satire? Nach Kurt Tucholsky alles. Provozieren, pöbeln, beleidigen oder eine Bratwurstquote für Kreuzberg fordern. (…) Am Sonnabend wollen sie ‚mit Megaphon gegen den Dönergestank‘ in der Bergmannstraße stehen und Bratwurst verteilen. Ist ja Satire. Aber ist das lustig?

Aber zum Glück darf die Satire nicht nur alles, sie kann auch einiges. Denn:

Nirgends verrät sich der Charakterlose schneller als hier, nirgends zeigt sich fixer, was ein gewissenloser Hanswurst ist, einer, der heute den angreift und morgen den.
Ignaz Wrobel: „Was darf die Satire?“, in: Berliner Tageblatt, 27.1.1919

24.2.2005

Der Zeit graut vor Satire

Da werden die Besucher der Volksbühne Niederrad aber noch einmal Glück haben. Es wäre auch kaum zu verantworten gewesen, wenn im neuen Stück des Theaters mit dem Titel „Das frivole Amtsgeheimnis“ mögliche Missstände innerhalb der Verwaltung aufgespießt würden. In einem Artikel in der „Frankfurter Rundschau“ gibt Regisseur und Theaterleiter Horst Keller daher Entwarnung:

Ist das Theaterstück eigentlich beste Satire im Sinn des guten alten Meisters Kurt Tucholsky? Lauert hinter dem Witz etwa reale Kritik an einer bürgerfeindlichen Einstellung in deutschen Amtsstuben? Nein, keinesfalls, beruhigt der Autor des Stücks, Horst Keller. Er selbst komme aus der Faschingstradition. Es dürfe gelacht werden. Er gehe davon aus, dass Beamte, die sich das Theaterstück anschauen, genug Humor hätten.
Gitta Düperthal: „Da wiehert der Amtsschimmel“, in: Frankfurter Rundschau, 24.2.2005, S. 39

Warum sich an der schwierigen Kunstsatire versuchen, wenn auch Realsatire geht.

22.2.2005

Schwer lustig

Montserrat Mönkmeyer alias Ilka Hein und Igor Meckenheimer alias Sebastian Undisz touren derzeit mit einem Kabarett-Programm durch Sachsen-Anhalt. Die „Mitteldeutsche Zeitung“ hat sich einen Auftritt angesehen und weiß einiges davon zu berichten:

Sie vermischen das Ganze mit populären Schlagerschmonzetten in neuem Text-Gewande, zu denen sich noch einige Spritzer lyrisch-satirischen Kulturgutes aus der Feder unter anderem von Christian von Aster gesellen. Ihr Programm orientiert sich so auch am Wort eines großen Schriftstellers und feinsinnigen Humoristen: „Dick sein ist keine physiologische Eigenschaft – das ist eine Weltanschauung“ hat Kurt Tucholsky einst festgestellt.

Welche besondere Welt- und Humoranschauung aber in einem Programm mit dem Titel „Ich wär so gern ein Sexappeal – die schwere Kunst der drallen Diva“ steckt, muss jeder Zuschauer wohl selbst herausfinden.

21.2.2005

Preiswürdiges Bühnenbild

Für ihr Bühnenbild zu einer „Rheinsberg“-Inszenierung haben Studenten der Berliner Technischen Universität (TU) fünf Preise erhalten. Vergeben wurden die Auszeichnungen von der TU und dem Carrousel-Theater, wo das Stück am 24. Mai dieses Jahres zum ersten Mal aufgeführt wird. Wie die „Berliner Morgenpost“ weiter berichtet, nahmen Studenten des Masterstudiengangs Bühnenbild an dem Wettbewerb teil. Den ersten Preis habe José Eduardo Luna Zankoff erhalten.

Auf Wiedersehen in Karlsruhe

In seinem Buch „Der Gang nach Karlsruhe“ hat der emeritierte Jura-Professor Uwe Wesel das Wirken des Bundesverfassungsgerichtes seit seiner Errichtung beschrieben. Da Wesel am Dienstag, den 22. Februar, in Berlin aus seinem Buch lesen wird, hat die „taz“ in ihrer Ankündigung einige wichtige Entscheidungen des Gerichts resümiert:

Die Kontroverse um die Wiederbewaffnung Deutschlands 1952 war die erste große Krise des Gerichtes. Die nächste folgte 1994: Mehrere Beschlüsse wie zum Beispiel die strafrechtliche Nichtverfolgung von Besitzern kleiner Mengen Haschisch für den Eigengebrauch oder ungestraftes Zitieren des Tucholsky-Spruches „Soldaten sind Mörder“ wurden heftig diskutiert.

Da die „taz“ leider vergessen hat, Ort und Uhrzeit der Veranstaltung zu nennen, sei hier kurz nachgetragen, dass Wesel um 20:15 Uhr in Lehmanns Fachbuchhandlung in der Hardenbergstraße 5, Berlin – Charlottenburg, liest.

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