5.2.2007

Lesemarathon ohne Lösung

„Wildau ist eine sehr vielfältige Gemeinde. Dabei ist es besonders gut gelungen, den technischen Fortschritt und die wissenschaftliche Ausrichtung in Einklang mit der wunderschönen Natur zu bringen“, heißt es etwas holprig in der Wikipedia über den Ort südöstlich von Berlin. Damit neben Technik und Natur auch mal etwas Kultur geboten wird, hatte sich die Wildauer Wohnungsbaugesellschaft einen nächtlichen Lesemarathon einfallen lassen. Wildauer Prominente, schrieb die Märkische Allgemeine Zeitung, hätten vor etwa 100 Zuschauern aus den Werken Kurt Tucholskys vorgelesen. Der Veranstalter machte es dabei richtig spannend:

Die Preisfrage des Abends konnte zu Anfang niemand beantworten: Was haben Wildau und Tucholsky gemeinsam?

Die vorgetragenen Texte, darunter „Schloss Rheinsberg“ (offenbar eine Melange aus „Rheinsberg“ und „Schloß Gripsholm“), „Wo kommen die Löcher im Käse her -?“, „Der Mensch“ und „Die Kunst, falsch zu reisen“, trugen wohl nicht dazu bei, die Frage zu beantworten. Denn wie heißt es in dem Artikel zum Schluss:

Um noch auf die Preisfrage zurückzukommen: Tucholsky und Wildau haben nichts gemeinsam. So lautete die richtige Antwort des Publikums am Ende des Abends.

Da können Berlin und Rheinsberg ja aufatmen.

16.1.2007

Berliner Ehrenbürgerwürde für Tucholsky?

Auch wenn inzwischen festzustehen scheint, dass Wolf Biermann die Ehrenbürgerwürde der Stadt Berlin erhält, müssen die zuvor von der SPD-Fraktion aufgeworfenen Gegenpläne nicht vom Tisch sein. Der Tagesspiegel berichtete, dass sich die Abgeordneten darauf besonnen hätten, dass noch recht viele Berliner Künstler einer Ehrung harrten:

Wolf Biermann hat zurzeit keine Chance, Ehrenbürger von Berlin zu werden. Aber vielleicht später, gemeinsam mit anderen berühmten Literaten, die sich um die Stadt verdient gemacht haben. Zum Beispiel Seite an Seite mit Bertolt Brecht und Kurt Tucholsky, die zwar schon lange tot sind, aber in Ausnahmefällen kann die höchste Auszeichnung Berlins auch postum verliehen werden – wie es 2002 bei Marlene Dietrich geschah.

Dieser Vorschlag zur Güte wurde jedenfalls im SPD-Fraktionsvorstand intensiv diskutiert, um der Zwickmühle zu entkommen. Denn dem Antrag der Opposition, Biermann jetzt zum Ehrenbürger zu ernennen, wollen der Senat und die Koalitionsfraktionen SPD und Linkspartei nicht zustimmen. (…)

Die Idee mit den Literaten geht auf eine vertiefte Durchsicht der Ehrenbürgerliste zurück. Der letzte seiner Zunft, der die Urkunde überreicht bekam, war 1986 Wieland Herzfelde in Ost-Berlin. Seit 1945 wurden noch Anna Seghers und Nelly Sachs geehrt. Drei von 51 Ehrenbürgern seit Kriegsende. Ein gewisser Nachholbedarf, auch wenn Biermann zugleich Musiker und Schreiber ist, ließe sich laut SPD-Spitze durchaus begründen.

Von der falschen Einschätzung der Lage, wie sie im ersten Satz deutlich wird, ist hoffentlich nicht auf den Wahrheitsgehalt des restlichen Textes zu schließen.

Aber selbst in Hamburg fiel inzwischen auf, dass es in Sachen Ehrenbürgerwürde einen gewissen Nachholbedarf in Berlin gibt. Das Hamburger Abendblatt kommentierte:

Während man gewichtige Schreiber wie Theodor Wolff, Carl von Ossietzky oder Kurt Tucholsky vermisst (aber das waren ja nur Journalisten), schaffte es der Milieu-Zeichner Heinrich Zille 1970 wenigstens posthum zum Ehrenbürger.

Letztere Möglichkeit besteht weiterhin bei Tucholsky. Wobei dies für die Stadt den Vorteil hätte, dass sie sich nicht einmal um dessen Ehrengrab kümmern müsste. Es liegt weit entfernt im schwedischen Mariefred.

Ob die Linkspartei diesem Vorschlag zustimmen wird, ist jedoch fraglich. Schließlich hatte die Partei im Sommer auffällig mit einem Spruch Tucholskys geworben. Das Resultat ist hinreichend bekannt.

8.1.2007

Der installierte Tucholsky

In den 1990er Jahren wurde eine Zeitlang darüber diskutiert, ob in Tucholskys Geburtshaus in der Lübecker Straße 13 in Moabit eine Art Begegnungsstätte eingerichtet werden sollte. Das Projekt scheiterte schließlich – wie so häufig – am fehlenden Geld, wie die Berliner Zeitung im April 1999 berichtete.

Nun scheinen sich die Pläne für eine kulturelle Nutzung des Gebäudes doch noch zu verwirklichen. Nachzulesen war dies jedoch nicht in einer Berliner, sondern einer Berner Zeitung. Der Grund: die Künstlerin Simone Zaugg, die zusammen mit ihrem Partner Pfleider das Projekt „Kurt Kurt“ gestartet hat, stamme aus der Schweizer Hauptstadt, schreibt der Bund. In dem Artikel „Im Geist Tucholskys“ bemerkt Autor Christian Hunziker zunächst, dass Moabit heutzutage nicht gerade der angesagteste Stadtteil Berlins ist, und schreibt dann weiter:

Einen dieser verwaisten Läden hat das Künstlerpaar Simone Zaugg und Pfelder gemietet. Er befindet sich in der Lübecker Strasse 13, einem äusserlich unscheinbaren Mietshaus. Eine Gedenktafel neben dem Haupteingang erinnert daran, dass hier am 9. Januar 1890 Kurt Tucholsky das Licht der Welt erblickte. Die ersten beiden Jahre seines Lebens verbrachte der spätere Schriftsteller hier, in einer grosszügigen Wohnung im zweiten Stock.
Dieser Laden an historischer Stelle dient als zentraler Ort für das Projekt «Kurt – Kurt», für das Zaugg und Pfelder renommierte Künstlerinnen und Künstler gewinnen wollen.

Bereitwillig gibt die Künstlerin auch Auskunft darüber, was Tucholsky mit «Kurt – Kurt» zu tun hat:

Als eine Art Mentor begleitet er das Projekt, antwortet Simone Zaugg. Sie schätzt den Schriftsteller dafür, dass er «aufgreift, was ist, auch wenn es unbequem ist, und gleichzeitig Energie spendet». Seine Arbeiten, sagt sie, «werfen einen konstruktiv-kritischen Blick auf die Dinge und tun dem Menschen gut».

Richtig losgehen soll es erst am 1. April, falls bis dahin – was sonst- die Finanzierung gesichert ist. Aber tatsächlich ist in dem Haus bereits etwas aufgetaucht, was schon lange nicht mehr in Berlin gesehen wurde:

In einem weiteren, abgedunkelten Raum konnten die Besucherinnen und Besucher bei entsprechender Aufmerksamkeit den Geist Tucholskys entdecken. Zu erkennen war dort die Darstellung eines Fuchses – ein Beispiel für die Assoziationsfreude von Pfelder und Zaugg. Tucholsky veröffentlichte bekanntlich viele seiner Werke unter den Pseudonymen Theobald Tiger und Peter Panter. Auf den Fuchs kamen die Künstler, weil tatsächlich immer öfter Wildtiere im Berliner Stadtzentrum auftauchen. «Tucholsky», vermutet Pfelder, «würde als schlauer Stadtfuchs zurückkommen.»

Bleibt nur zu hoffen, dass er in der Lübecker Straße nicht die Tollwut bekäme.

22.12.2006

Weihnachten mit Liefers

„Kadima“ heißt ein jüdisch-russisches Restaurant neben der Neuen Synagoge in der Berliner Oranienburger Straße. Das Besondere an dem Restaurant ist nicht die Tatsache, dass es den Namen mit Ariel Scharons Partei (zu deutsch: Vorwärts) teilt, sondern dass es über 25 Tische mit Collagen verfügen, „die an 21 jüdische Persönlichkeiten von Albert Einstein bis Billy Wilder erinnern.“ Und außerdem: „Namhafte Künstler, Politiker und Wissenschaftler haben Patenschaften für diese jüdischen Persönlichkeiten übernommen.“

Für Kurt Tucholsky gibt es ebenfalls einen Tisch. Pate ist, wie auf einem Messingschildchen daran zu lesen, Jan Josef Liefers. Als Gerichtsmediziner Karl-Friedrich Boerne ist er vielen Fernsehzuschauern aus dem „Tatort“ aus Münster bekannt.

Zum 71. Todestag Tucholskys ließ sich Liefers im „Kadima“ blicken und las aus den Werken seines „Patenkindes“ vor. Dass er dabei zu spät kam und ohne Konzept wahllos Texte vortrug, nahmen ihm die reichlich erschienenen Zuhörer nicht übel. Das musste auch Klatschreporter Andreas Kurtz von der „Berliner Zeitung“ einräumen, wie aus seinem Text „Ein Akt der Altersvorsorge“ hervorgeht:

Die Art, wie er sie vortrug, kam an. Der Beifall geriet mehr als freundlich. Das Publikum hatte sichtlich Freude daran, von Liefers mit teils weniger populären Texten bekannt gemacht zu werden. Für den Anfang seiner Lesung hatte er eine Schmähung der Institution Familie gewählt. In den anschließenden Applaus hinein meldete sich Brigitte Rothert, pensionierte Russischlehrerin aus Dresden und Großcousine Tucholskys, zu Wort. Sie erzählte, was für eine große Verwandtschaft Tucholsky hatte – vielleicht eine Erklärung für seine geringe Wertschätzung der Familie.

Nach der Lesung war Liefers noch lange mit dem Signieren eines Buches beschäftigt. Allerdings keinem eigenen, sondern der vom Aufbau-Verlag geschäftstüchtig herausgebrachten Anthologie
„Weihnachten mit Tucholsky“. Liefers nahm’s mit Humor, wie die Zeitung bemerkte:

Die absurde Situation, dass er als Interpret das Buch des Dichters zu signieren hatte, bewältigte er dabei durch ironische Widmungen wie diese: „Ich hätte dieses Buch lieber geschrieben als gelesen!“

7.8.2006

Berliner wählt! Berliner wählt!

Was kann man von einem Wahlplakat mehr erwarten, als dass es von den Medien ausgiebig rezipiert wird? In diesem Sinne lässt sich behaupten, dass die Berliner PDS durchaus Erfolg mit Wahl ihres Slogans hatte, mit dem sie vor der Abgeordnetenhauswahl vom 17. September um Wählerstimmen wirbt. Denn ihr Spruch wurde von den Berliner Zeitungen mehrfach zum Anlass genommen, sich inhaltlich damit auseinanderzusetzen. Wenn auch eher kritisch. Wie die PDS das geschafft hat? Sie hat einfach folgendes Tucholsky-Zitat genommen und groß auf ihre roten Plakate drucken lassen:

… für diese Stadt, in der immerhin Bewegung ist und Kraft und pulsierendes rotes Blut. Für Berlin.

Auf der Pressekonferenz, bei der die Partei das Plakat vorstellte, wurde immerhin der Originaltext „Berlin! Berlin!“ verteilt. Die Vertreter der verantwortlichen Werbeagentur konnten allerdings nicht eindeutig die Frage der Journalisten klären, ob der Text denn rechtlich überhaupt zu diesem Zweck verwendet werden dürfe. Dabei lautet die Antwort doch ganz einfach: Ja. Dies ging auch aus einer Meldung der Nachrichtenagentur ddp hervor, die weitestgehend in der taz abgedruckt wurde.

In derselben Ausgabe ging auch Gereon Asmuth in einem Kommentar der Frage nach, was denn der Tucholsky-Slogan mit der PDS zu tun habe:

Es bleibt ein irgendwie linker, vor allem aber längerer Slogan, als ihn die anderen Parteien bieten. Und das Gefühl, die PDS trauere alten Zeiten mit klaren Fronten nach. Immerhin wird der Wähler verleitet, mal wieder Tucholsky zu lesen. Viel mehr kann man von einem Wahlplakat kaum erwarten.

Zur Tucholsky-Lektüre fühlte sich offenbar auch Wiebke Hollersen von der Berliner Zeitung bemüßigt. Und in ihre Schulzeit versetzt:

Was will uns der Autor damit sagen? Es könnte eine Aufgabe aus der Abiturklausur sein. Der Prüfling müsste einbringen, was er über Kurt Tucholsky, den Autor der Aussage, gelernt hat, und auch etwas über die gesamtgesellschaftliche Situation im Entstehungsjahr des Zitats 1927.

schlägt Hollersen in ihrem Text „Wir grüßen uns kaum“ vor. Ihr Resümee:

Zumindest, dass es ihn nicht kümmert, dereinst klar gedeutet werden zu können. Dass sein Essay für Abiturklausuren eher nicht taugt. Für Wahlplakate vielleicht schon – aus demselben Grund.

Das sehen andere wiederum anders. Der Tagesspiegel hat zum Beispiel einen Experten die Wahlplakate der Berliner Parteien beurteilen lassen. Dabei kommt die PDS nicht so gut weg:

Die Linke verspricht, wie auch CDU und FDP, etwas „für Berlin“ zu tun. Statt konkrete Ziele zu nennen, benutzt sie ein Zitat von Kurt Tucholsky. Das ist ungewöhnlich. Man setzt auf das Pathos der roten Stadt, in der das rote Blut kraftvoll pulsiert. Die Metapher wirkt feierlich, will emotionalisieren. […] Das Zitat wirkt zu abgehoben. Freigeister und Intellektuelle mag es ansprechen, aber es bleibt unkonkret, da von jeder Programmatik abstrahiert wird. Tucholsky attestiert Berlin lediglich, dass „immerhin“ Bewegung und Kraft vorhanden sei.

Der vom Tagesspiegel befragte Berliner Werbepsychologe Alexander Schimansky ist nicht der einzige, der allen Ernstes glaubt, dass die PDS mit dem Plakat die Wählerstimmen von „Intellektuellen“ gewinnen könnte. Auch die taz machte sich zu diesem Thema Gedanken und interviewte den Politologen Gero Neugebauer, der lamentierte:

Schauen Sie sich doch um: Es gibt in Berlin noch keinen wirklichen Wahlkampf. Was hier läuft, kann man doch nicht Mobilisierung nennen. Die eine Partei bildet ihre Kandidaten ab wie Sardinen in Senfsoße, die andere plakatiert originell gemeinte Zitate. Ein Spruch von Tucholsky interessiert vielleicht 635 Kenner, mehr aber nicht.

Hm, meint Herr Neugebauer das im Ernst? Oder: was meint er überhaupt? Dass die 635 Berliner Tucholsky-Kenner wegen des Plakates plötzlich anfangen, auf dem Alexanderplatz PDS-Fähnchen zu schwenken? Und aus lauter Plaisier am 17. September der früheren SED ihre Stimme geben? Vermutlich hat das einzig wahre Wort in dieser Causa der Taxifahrer Kasupke von der Berliner Morgenpost gesprochen. Wie sagte er doch in seiner Kolumne zu recht:

… und die PDS schmückt sich mit nem Spruch von Tucholsky. Der is lang tot und kann sich nich wehren.

28.5.2006

Tucholsky rockt

Nach etlichen anderen Medien hat sich auch die „Frankfurter Rundschau“ jüngst einmal im brandenburgischen Städtchen Rheinsberg umgeschaut. Harry Nutt sah dort nicht nur „Gespenster im Schlosspark“, sondern traf sich offenbar auch mit Peter Böthig, dem Leiter des dortigen Tucholsky-Museums. Der berichtete von interessanten Projekten:

Zusammen mit einer mobilen Jugendpflegerin plant er eine Veranstaltung unter dem Titel „Tucholsky rockt“. Junge Leute sollen sich mit der Tradition des politischen Pazifisten Kurt Tucholsky identifizieren können.

Was es damit auf sich haben könnte, geht aus dem Text leider nicht hervor. Zwar wurden Tucholskys Couplets und Gedichte sehr häufig vertont, aber dass die Rockmusik den „politischen Pazifisten Kurt Tucholsky“ für sich entdeckt hat, war außerhalb Rheinsbergs bislang wenig bekannt. Vielleicht handelt es sich dabei aber auch nur um ein sprachliches Problem. Denn wie schreibt Nutt:

Reisewarnung, No-Go-Area, Menschen mit Migrationshintergrund … . Das öffentliche Sprechen befindet sich in einem Formulierungsnotstand. Vorsicht, Reisende. Sie verlassen jetzt den semantischen Sektor. Gehen Sie nicht weiter. Don’t go.

30.4.2006

„Weltbühne“ meidet nicht mehr Bayern

Die oberpfälzische Gemeinde Sulzbach-Rosenberg ist literarisch noch nicht sonderlich in Erscheinung getreten. Dennoch hat es eine Ausstellung zur Weltbühne ausgerechnet in den Freistaat verschlagen, wo die Zeitschrift spätestens seit der Kampagne „Reisende, meidet Bayern!“ wohl wenig Freunde hatte. Bis zum 29. September dieses Jahres ist die Ausstellung im Literaturarchiv Sulzbach-Rosenberg zu sehen, wie aus einem Artikel des Online-Portals Oberpfalznet hervorgeht.

An einer sehr zeitgemäß-anschaulichen Beschreibung des Briefwechsels zwischen Kurt Tucholsky und seinem Herausgeber Siegfried Jacobsohn hat sich dabei Autor Franz Pegemeyer versucht:

Mit welchem Arsenal von Witz und Ironie die beiden Edelfedern einander begegneten, wenn es um die pünktliche Zahlung von Honoraren ging, das versetzt den heutigen Zuhörer doch in Erstaunen: Welche Kultur der Kommunikation einst bestand, als man sich noch nicht in Echtzeit stets alles flüstern konnte, was einem der Augenblick auf die Seele brennt. Und welcher Aufwand betrieben wurde, um sich gegenseitig die Wahrheit zu geigen, ohne aggressiv-verletzend sein zu wollen. Geistreiche Ironie wirkt dabei als Datenairbag – der Angesprochene fühlt sich kritisiert und geschmeichelt zugleich.

48 Stunden Urlaub

Das Städtchen Rheinsberg macht derzeit eher schlechte Schlagzeilen. Da dürften sich die Märker gefreut haben, dass die hauptstädtische Berliner Zeitung die Reklametrommel für einen Urlaub à la Tucholsky rührte. „48 Stunden Urlaub“ heißt die Serie, die die Leser in diesem Falle ans Paradebett von Prinz Heinrich führte.

Die Fahrt mit dem Zug von Berlin nach Rheinsberg dauert übrigens zwei Stunden. Zeit genug, um Tucholskys „Bilderbuch für Verliebte“ zweimal zu lesen. Autorin Daniela Zinser scheint sogar die Rückfahrt zur Lektüre genutzt zu haben, so ausgiebig werden die Erlebnisse von Claire und Wölfchen zitiert.

Vielleicht hat sich Daniela Zinser nur an den Rat von Wolfgang Fuhrmann gehalten, der im Feuilleton der Berliner am selben Tag mit einem Text über eine Aufführung im Schlosstheater Rheinsberg vertreten war und darin schrieb:

Für einen Wochenendausflug nach Rheinsberg gibt es viele Gründe. Die meisten stehen bei Tucholsky.

Die Gegengründe stehen bald im Verfassungsschutzbericht.

16.4.2006

Hilferuf aus Rheinsberg

Wer weiß, ob man heute noch von dem Städtchen Rheinsberg besondere Notiz nähme, wenn der Jude Kurt Tucholsky mit seiner jüdischen Freundin Else Weil im Sommer 1911 dort nicht hätte unbehelligt Urlaub machen können. Die Nachrichten, die in jüngster Zeit aus dem Norden Brandenburgs an die Öffentlichkeit dringen, sind dagegen nicht dazu angetan, Touristen in den Ort zu locken. Es sei denn, es handelt sind um als Urlauber getarnte Verfassungsschützer.

In verschiedenen Medien fand ein Hilferuf Resonanz, den die Stadtverordneten Anfang April an ihren Ministerpräsidenten Matthias Platzeck schickten. Über den „Braunen Sumpf am Schloss“ (Tagesspiegel), „Rechts in Rheinsberg“ (taz) und „Braunen Nachwuchs im Touristenstädtchen“ (Spiegel Online) wurde anschließend eifrig berichtet.

Nach der Lektüre bleibt leider nur die Erkenntnis: Von den Vorfällen in Rheinsberg wird vor allem deshalb prominent geschrieben, weil der Ort, – nicht nur wegen Tucholsky -, sehr viele Touristen anlockt. „In den benachbarten Städten Wittstock und Neuruppin sei die Situation doch viel schlimmer, heißt es hinter vorgehaltener Hand“, und bei Spiegel Online. Über solche Entwicklungen ist selten etwas in den Medien zu lesen. Ausnahmen bestätigen die Regel.

13.3.2006

Rätselhafte Tucholsky-Abende

Man kann es nie allen rechtmachen. Veranstaltet das Berliner Ensemble einmal einen Tucholsy-Abend, der der Kritik gut gefällt, beschwert sich gleich die letzte Überlebende aus der Tucholsky-Familie (unter der Überschrift: „Naturgemäß zusammengesetzt“). Vermittelt ein solcher Abend viel Hintergrundwissen über den Mann mit den vielen Pseudonymen, heißt es in der Zeitung sofort:

Das Besondere daran stellt die gelungene Mischung aus Lesung und Schauspiel dar, die auch viele Details aus dem Leben Tucholskys aufarbeitet. Allerdings setzt das Stück entsprechendes Vorwissen voraus.

Was könnte die WAZ mit dem „entsprechenden Vorwissen“ meinen? Reicht dazu die Lektüre des Wikipedia-Artikels über Tucholsky aus? Oder sollte es zumindest die knapp 200 Seiten umfassende rororo-Biographie von Michael Hepp sein? Mit dieser haben sich offenbar die Schauspieler Dario Weberg und Indra Janorschke vom Dortmunder LiteraTourTheater vorbereitet. So heißt es in der Rezension:

1890 in Berlin geboren, erlebte er als junger Mann den ersten Weltkrieg. „Vielleicht resultiert mein Hass auf den Offiziersgeist aus der Erfahrung der eigenen Verfügbarkeit“, lässt Janorschke den humanistischen Schriftsteller sinnen.

Dieser sinnige Satz findet sich fast gleichlautend in der Tucholsky-Biographie von Hepp (Seite 45). Aber nur fast:

Die radikale Ablehnung des Offiziersgeistes beruht unter anderem auf der Erfahrung der eigenen Verführbarkeit.

Nun denn, verführ- oder verfügbar ist doch fast dasselbe. Hauptsache, man hat an dem Abend einiges gelernt.

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