Seit dem Wegfall des Urheberschutzes gibt es eine Flut von neuen Tucholsky-Ausgaben auf dem Buchmarkt. Nach „Mit Tucholsky die Frauen verstehen“ und „Weihnachten mit Tucholsky“ ist nun auch „Tucholsky in Berlin. Gesammelte Feuilletons 1912-1930“ erschienen, herausgegeben von Nele Lenze im Berlin Story Verlag. Nicht nur der Vorwärts, auch ein im Internet erscheinendes Berlin-Magazin hat sich den Band angesehen. Über die dortige Rezension „Tucholsky in Berlin“ sollte man eigentlich den Mantel des Schweigens breiten oder sie Korrektur lesen lassen. Folgende Passage, die sich sinngemäß auch im Vorwärts findet, ist dennoch höchst amüsant:
Nele Lenze hat für den Berlin Story Verlag als Herausgeberin die Tucholskytexte neu editiert. Schon seit ihrer Jugend beschäftigt sich die studierte Judaistin, Jahrgang 1981, mit Tucholsky und der Berliner Geschichte. Sie stieg tief in die Archive ein, um die besten und interessantesten herauszusuchen.
Vor dem geistigen Auge taucht dabei die Herausgeberin auf, wie sie in ganz Deutschland herumreist, um in literarischen Archiven wie in Marbach die verstreuten Tucholsky-Texte zu sichten. Hin und wieder stößt sie dabei voller Freude auf einen Artikel, in dem es irgendwie um Berlin geht.
Vielleicht war sie aber schlauer, setzte sich einfach in die Bibliothek und blätterte die Tucholsky-Gesamtausgabe von vorne bis hinten durch. Man möchte aber nicht hoffen, dass sie die CD von Band 15 der Digitalen Bibliothek eingelegt und dort in der Volltextsuche „Berlin“ eingegeben hat. Dann hätte sie in den Texten und Briefen Tucholskys nämlich 1391 Fundstellen bekommen. Bis man die alle durchgeklickt hat…
Stellt sich die Frage, wer neben Nele Lenze noch so alles in den Archiven unterwegs war und uns demnächst mit einem Tucholsky-Band erfreuen wird. Kleiner Tipp: Bei „Paris“ gibt es nur 1110 Fundstellen.
Nachtrag: Auf der Website des Buches ist auch das Vorwort zu lesen, in dem es heißt:
Alle Beiträge in diesem Buch stammen aus den ursprünglichen Quellen, also aus der Weltbühne, der Vossischen Zeitung, dem Vorwärts oder der Schaubühne. Wir haben dazu umfangreiche Quellenstudien in Archiven betrieben, die Originale gesucht und lesefreundlich neu gesetzt. Es liegt hiermit also ein ganz urspünglicher, nicht bearbeiteter, reiner Tucholsky vor.
Dazu ist nur zu sagen: Auch die Gesamtausgabe gibt zunächst die ursprünglichen Texte an, was die Quellenstudien auf einen Gang in die Bibliothek reduzieren könnte. Und was machen die Gesammelten Werke? Darin sind die Texte in der Fassung wiedergegeben, die Tucholsky zuletzt bearbeitet hat. Das war bei Artikeln der Fall, die er für seine Sammelbände Mit 5 PS, Das Lächeln der Mona Lisa und Lerne lachen ohne zu weinen zusammengestellt hat. Was nun der reinere Tucholsky davon ist, wissen wohl nur die Götter oder Frau Klementine.