6.9.2007

Tucholsky-Preis 2007 an Lothar Kusche und Otto Köhler

Stell Dir vor, es ist Tucholsky-Preis und niemand meldet es.

Das Medienecho auf die Vergabe des diesjährigen Tucholsky-Preises für literarische Publizistik an den Satiriker Lothar Kusche und den Journalisten Otto Köhler war wirklich sehr bescheiden. Wobei verschiedene ostdeutsche Regionalzeitungen, die Google-News nicht aufführt, ebenfalls eine kurze Meldung brachten.

Liegt es an Tucholsky? An der der geringen Dotierung (3000 Euro)? Oder auch daran, dass die Preisträger Lothar Kusche und Otto Köhler bei der jüngeren Generation verhältnismäßig unbekannt sind? Dabei wurden dieses Mal mit Bedacht ein ostdeutscher und ein westdeutscher Autor gemeinsam geehrt. Was ausgerechnet das Neue Deutschland (ND) zu der Bemerkung veranlasste:

ND-Autor Otto Köhler, Verfasser wichtiger Bücher über verdrängte NS-Vergangenheit und die Täter, erhält den Tucholsky-Preis 2007 – gemeinsam mit Lothar Kusche. Er (beide) hätte(n) einen ganzen Preis verdient.

Vielleicht ist diese geringe Resonanz ein weiteres Argument dafür, ernsthaft über die Zukunft des Tucholsky-Preises nachzudenken. Was durchaus im Sinne des Namensgebers liegen dürfte. Denn wie antwortete dieser 1931 auf eine Rundfrage der polnischen Zeitschrift Pologne Littéraire zu einer Initiative des polnischen PEN-Clubs, wonach der Völkerbund aufgefordert werden sollte, die Stiftung eines Literaturpreises einzurichten:

Je me permets de vous faire savoir que je suis par principe un adversaire de tout prix littéraire.
Auf Deutsch:
Ich erlaube mir Ihnen mitzuteilen, daß ich aus Prinzip ein Gegner aller Literaturpreise bin.
Kurt Tucholsky: Gesamtausgabe. Texte und Briefe. Bd. 14, S. 429.

Was niemanden davon abhalten sollte, Kusche (links) und Köhler herzlich zu dem Preis zu gratulieren.


(Fotos: Privat)

23.8.2007

Kommissarin mit Tucholsky ertappt

„Außen rot und innen …“ heißt das Tucholsky-Programm mit Hannelore „Bella Block“ Hoger, Dietmar Mues und Joachim Kuntzsch, das in diesen Tagen in Berlin gespielt wird. Die (Berliner) Presse zeigte sich zufrieden.

„Der Tagesspiegel“ schreibt:

Das Vergnügen, nach langer Zeit mal wieder die rothaarige Charakterschauspielerin aus Hamburg an der Spree auf einer Bühne zu sehen, war gleichzeitig mit der herzhaft aufgefrischten Erinnerung an einen großen Berliner verbunden. Ist der Abend mit Rezitation und Gesang doch Kurt Tucholsky gewidmet, der am 9. Januar 1890 in der Lübecker Straße geboren wurde und am 21. Dezember 1935 seinem Leben im Exil in Göteborg ein Ende setzte, weil ihm ‚der Grund zu kämpfen, die Brücke, das innere Glied, die raison d’être fehlte‘.

Bei „Zeit-online“ heißt es, mithilfe von dpa:

Hannelore Hogers liebt Kurt Tucholsky – und das Publikum liebte Hannelore Hoger. Bei der Premiere ihres Tucholsky-Abends im Berliner Theater am Kurfürstendamm zeigten sich die Zuschauer am vergangenen Abend von der Theater- und Fernsehschauspielerin begeistert.

Dem „taz“-Rezensenten Jörg Sundermeier gefiel allerdings der erste Teil des Abends nicht besonders,

denn man ist es nicht mehr gewohnt, in dem edlen ehemaligen Reinhardt-Theater am Kudamm dümmliches Boulevardtheater zu sehen.

Was auch daran gelegen haben mag, dass Sundermeier nicht alle Texte richtig verstanden hat:

Schon als Dietmar Mues zuvor einen Text über die Unterschiede zwischen den Menschen vortrug und sich in den Satz „Der Mann will nicht denken …“ gesteigert hatte, lachten auch die meisten Frauen im Publikum. Den Satz „… die Frau kann nicht denken“ sprachen dann sogar einige Eifrige mit.

Soweit damit dieser Tucholsky-Text gemeint ist, geht es darin weniger um die Unterschiede, als um das Gemeinsame, das die Menschen verbindet.

Mit dem zweiten Teil des Abends konnte Sundermeier dagegen zufriedengestellt werden:

„Doch im zweiten Teil haben sich die Mues, Hoger und der singende Professor Kuntzsch ganz offensichtlich auf den weitaus besseren Teil des Tucholskyschen Werks besonnen, und nun geben sie dem Publikum, dass sie in der ersten Hälfte mit billigen Witzen angeheizt haben, was es braucht und eigentlich nicht gewollt hat: den politischen Tucholsky, bei dem es nicht mehr um dumme Frauen und geile Herren geht (…).“

Noch bis 26. August ist das Programm „Außen rot und innen …“ im Theater am Kurfürstendamm zu sehen.

6.8.2007

Die falsche Frage

In der Berliner Zeitung steigt Thomas H. Wendel in einen Kommentar mit dem Zitat ein:

Wo bleibt das Positive? Diese Frage hat den Satiriker Kurt Tucholsky schon zu Zeiten der Weimarer Republik umgetrieben. Leider ist er selten fündig geworden.

Mit letzterer Aussage hat Wendel durchaus recht. Aber vielleicht lag es auch daran, dass sich der Autor von „Wir Negativen“ diese Frage zu selten stellte. Denn sie stammt mitnichten von Tucholsky, sondern findet sich in dem Gedichtband Erich Kästners Ein Mann gibt Auskunft, erschienen 1930. Eines der Gedichte lautet: „Und wo bleibt das Positive, Herr Kästner?“ Tucholskys Antwort auf die Frage:

Der „Kurzgefaßte Lebenslauf“ ist ehrlich; es ist auch ehrlich, in dem unsereinem aufs Fell geschriebenen Gedicht „Und wo bleibt das Positive, Herr Kästner?“ zu sagen, daß wir ein Weltbild nicht aus dem Boden stampfen können und zunächst nur wissen: Also dieses da nicht.
Peter Panter: „Auf dem Nachttisch“, in: Die Weltbühne, 9.12.1930, S. 859f.

22.7.2007

Improvisiertes Lob

Die Süddeutsche Zeitung hat Tucholskys Sommergeschichte „Schloß Gripsholm“ als Band 64 ihrer SZ-Bibliothek aufgelegt. Kein Wunder, dass Gottfried Knapp am Ende seiner Rezension lobt:

Danach trudelt das Geschehen in jener Ferien-Entspanntheit aus, die so ansteckend ist, ja süchtig macht. Als Leser jedenfalls glaubt man am Ende der Lektüre aus einem langen Urlaub zurückzukehren. „Schloss Gripsholm“ hat darum einen Stammplatz in allen Ferienkoffern verdient.

Was der Architekturkritiker Knapp hingegen am Anfang seines Artikels verbreitet, lässt sich auch mit Marketing nicht entschuldigen:

Was passiert, wenn ein bekannter Schriftsteller Urlaub von der Tagesarbeit macht? Dann kann im Idealfall eine so wunderbar locker improvisierte „Sommergeschichte“ zustande kommen, wie sie dem Satiriker Kurt Tucholsky im Jahr 1931 nach anfangs heftigem Widerstand in den Ferien quasi unterlaufen ist. (…) Rowohlt wünscht sich eine Liebesgeschichte vom Meister der anrüchigen Lyrik; Tucholsky aber weist das Ansinnen mit privat-autobiografischen Gründen von sich – um am Ende des Sommers mit einem privat-autobiografischen Manuskript zurückkehren (…).

Da ist also dem „Meister der anrüchigen Lyrik“ das „locker improvisierte“ Manuskript „quasi unterlaufen“, er hat es neben schmutziger Wäsche und Schweden-Souvenirs wohl zufällig in seinem Koffer gefunden und dann an Rowohlt geschickt.

Nun ist aber der Briefwechsel mit Rowohlt ebenso fiktiv wie der gesamte Rest der Geschichte. Zumindest, wenn man dem Autor in dieser Sache glauben möchte:

In den langen Wintermonaten, in denen ich mich mit ›Gripsholm‹ beschäftigt habe, hat mir nichts soviel Mühe gemacht, wie diesen Ton des wahren Erlebnisses zu finden. Außer einem etwas vagen Modell zum Karlchen und der Tatsache, daß es wirklich ein Schloß Gripsholm gibt, in dem ich nie gewohnt habe, ist so ziemlich alles in dieser Geschichte erfunden: vom Briefwechsel mit Rowohlt an bis zur (leider! leider!) Lydia, die es nun aber gar nicht gibt. Ja, es ist sehr schade.
(Brief an Alfred Stern vom 6. Mai 1931)

Wer sich von der offenbar „locker improvisierten“ Rezension davon abschrecken lässt, den SZ-Band für 5,90 Euro zu kaufen, hat noch eine günstigere Möglichkeit: Die Geschichte steht hier komplett online.

Kleine Rundschau I

Kurt-Kurt
Der Berliner „Tagesspiegel“ berichtet über ein Kunstprojekt, das in Kurt Tucholskys Geburtshaus in Berlin-Moabit gestartet ist. Worin der Bezug zu Tucholsky besteht, geht aus dem Artikel nicht ganz hervor, auch wenn sich die Autorin eifrig darum bemüht, Verbindungen herzustellen. Aber das war auch schon bei der Ankündigung von „Kurt Kurt“ nicht anders zu erwarten gewesen.


Beleidigter Jurist
Mit einer kuriosen Klage wegen Beleidigung musste sich das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg in Stuttgart beschäftigen. Ein Gewerkschaftssekretär der IG Metall soll einem Geschäftsführer des Arbeitgeberverbandes vorgehalten haben, er „halte es mit Tucholsky der bereits gesagt habe: ‚Er war Jurist und auch sonst von mäßigem Verstand'“, wie aus dem Gerichtsbeschluss vom 25. Juli hervorgeht. In dem Prozess hat der Richter herausgefunden, dass das Zitat „Er war ein guter Jurist und auch sonst von mäßigem Verstand“ gar nicht von Tucholsky, sondern von Ludwig Thoma stammt. Und zieht den Schluss:

Einen Grund beleidigt zu sein, hätte vor allem Dr. jur. Kurt Tucholsky, dem ein Zitat von Ludwig Thoma in den Mund bzw. den literarischen Nachlass geschoben wurde.

Demnächst soll sich das Amtsgericht Oberndorf am Neckar mit dem schwierigen Fall befassen, heißt es auf den Seiten von „personal-magazin.de“.

Das ND mag die Gesamtausgabe
Klaus Bellin hat sich für das Neue Deutschland Band 19 der Tucholsky-Gesamtausgabe angeschaut. Seine Rezension nutzt Bellin auch stark dazu, sich mit der Gesamtausgabe als solcher auseinanderzusetzen.

10.6.2007

Die Stimme von der Galerie ist verstummt

Am 9. Juni ist mit Rudolf Arnheim der letzte noch lebende Autor der „Weltbühne“ gestorben. Tucholsky hat sich in seinen Texten des öfteren auf den jungen Kulturkritiker bezogen. In der „Vossischen Zeitung“ rezensierte er 1928 das erste Buch Arnheims:

Stimme von der Galerie
So heißt ein kleines Buch von Rudolf Arnheim, das im Verlag Dr. Wilhelm Benary, Berlin-Schlachtensee, erschienen ist. Eine Stimme von der Galerie? Im Parkett drehen sich die Leute herum, wer denn da gerufen habe – und sie sehen hinauf. Da steht ein noch sehr junger Herr und ruft.
Er schreit gar nicht sehr laut – aber weil die Stimme der Vernunft stets vom allgemeinen Getöse absticht, so hört man ihn doch. Die goldenen Worte, die Pastor Hans Reimann dem Buch vorangeschickt hat, charakterisieren den jungen Rufer recht gut: er weiß etwas, er ist helle, und er hat Humor. Und, möchte ich hinzufügen: er gibt uns mit leichter Hand das, was wir so selten bekommen – die «Fröhliche Wissenschaft». Das hört man gerne.
Er ruft seine Meinung über das Kino hinunter und über die Erziehung; über Boxkämpfe und über die Polizeiausstellung; über Psychoanalyse und über Malerei – und allemal hat er zuvor gearbeitet, und dann erst hat er gerufen. Das ist schon viel. (…)
Peter Panter, 8. Dezember 1928

PS: Die Nachrichtenagentur dpa hat in ihrer Meldung über Arnheims Tod die formelhafte Wendung gebraucht:

er stand in regem Austausch mit Kurt Tucholsky, Erich Kästner und Carl von Ossietzky.

Das verwundert im Falle Ossietzkys nicht, schließlich war Arnheim sein angestellter Redakteur. Was Tucholsky betrifft, so sind hingegen keine Zeugnisse dieses „regen Austauschs“ überliefert, weder Briefe noch andere biografische Hinweise. Daher hätte im Grunde nur Arnheim selbst diese These belegen können. Eine mögliche Quelle dafür findet sich in einer Publikation der Berliner Humboldt-Universität (nur Google-Cache), in der verschiedene Biographien von Studenten in der Weimarer Republik vorgestellt werden. Darin heißt es:

Nach dem Studium arbeitet Rudolf Arnheim als Redakteur für die Theaterzeitschrift „Weltbühne“. Hier trifft er Carl von Ossietzky, Kurt Tucholsky und Erich Kästner. Mit den letzten beiden pflegt er jahrelange Freundschaften, während ihn mit Ossietzky eine eher kollegiale Beziehung verbindet.

Der kleine Hinweis „nach Angaben von …“ hätte auch in diesem Falle die Behauptung ein wenig stützen können.

PPS: Berücksichtigt man eine Aussage Arnheims aus folgender Korrespondenz:

Ich redigierte den kulturellen Teil der Weltbühne wohl seit dem Herbst 1928. Nach Jacobsohns Tod übernahm Ossietzky die Redaktion und ließ mich fast ganz selbständig alles Unpolitische redigieren. Tucholsky war im Ausland und steuerte Rat, Kritik und Beiträge per Post bei.

dann bezog sich der „rege Austausch“ wohl ebenso wie im Falle Ossietzkys auf die redaktionelle Arbeit für die Weltbühne.

2.6.2007

Zwecks Valentin

Da es schon in allen Zeitungen gestanden hat, sei es auch hier nicht unerwähnt. Ja, Tucholsky hat den Müncher Komiker Karl Valentin, der am 4. Juni dieses Jahres 125 Jahre alt geworden wäre, wohl ziemlich lustig gefunden. Zu recht natürlich.

Erwiesenermaßen hat Tucholsky Valentin zwei Mal auf der Bühne gesehen. Einmal im September 1924 bei einem Gastspiel Valentins in der Operettenbühne am Schiffbauerdamm in Berlin. Aus seiner begeisterten Kritik „Der Linksdenker“ wird häufig und gern die folgende Passage zitiert:

weil er ein seltener, trauriger, unirdischer, maßlos lustiger Komiker ist, der links denkt.

Das zweite Mal sah Tucholsky eine Valentin-Vorstellung bei einem Abstecher im Juli 1926 nach München. Schon in den Tagen zuvor erwähnte er diesen Abend in jedem seiner Briefe an seine Frau Mary. Verbunden mit einer kleinen Valentin-Anekdote:

Valentin lebt mit der Lisl Karlstadt (dem dicken Kapellmeister) zusammen, ist aber verheiratet und hat Kinder. Eines Tages geht er mit der Karlstadt, da kommt die richtige Frau Valentin und hält die Karlstadt an und beginnt, maßlos auf offner Straße zu schimpfen. «Sie Schlampen! Sie leben mit mein Mann! I wer Eahna …» und so. Es laufen schon Leute zusammen, und dem Valentin fängt die Geschichte an, sehr unangenehm zu werden. Darauf, er zu den Leuten:

«Gehns weiter. Das is a Kinoaufnahmen!» –

Da könnte selbst die „Christlich-Sexuelle Union (CSU)“ noch etwas lernen.

Der Theaterbesuch selbst fand seinen Niederschlag in dem Text „Abstecher nach München“, der längst nicht so enthusiastisch ausfiel wie die Kritik zwei Jahre zuvor:

Das Stück ist dumm, auch redet er diesesmal nicht so viel, wie man das gern hat, und was drum herum steht, ist bis auf die Karlstadt bitter.

Sechs Jahre später schien Tucholsky wieder milder gestimmt, als er ein Buch Valentins in dem Text „Zwecks Lachung“ rezensierte.

Und wenn man dieser Trostlosigkeit der deutschen Politik entfliehen möchte, nur für ein Viertelstündchen -: da wäre ein Buch erschienen, das, wie es in der Vorrede heißt, »zum Umblättern geeignet ist«, und darum handelt es auch von Karl Valentin (…).

Auch im Exil erinnerte sich Tucholsky häufig an Valentin und kolportierte seinen Briefadressaten mehrfach einige Anekdoten, die Valentins Distanz zum Nationalsozialismus deutlich machten. So 1935 an seinen Freund Walter Hasenclever:

Na, und so laßt uns denn vernehmen, was unser aller Karl Valentin gesagt hat. Erstens; recht donnernd: «Heil …» und dann, mit verzweifelt gesenktem Arm, verlegen: «Wie heißt er doch gleich?» Und dann:
«Wir haben schweres durchgemacht. Erst war da der Kaiser und die Monarchie. Na, und was hatten wir dann? Den Krieg. Und dann war da die Revolution. Und was hatten wir danach? Die Inflation. Und dann war da die Republik. Und was hatten wir dann? Die Arbeitslosigkeit. Und dann der Nationalsozialismus. Und was haben wir heute?
Donnerstag.»

Von Valentins NS-Akte war Tucholsky natürlich nichts bekannt. Laut „Spiegel“ (Nr. 23, S. 173) unterschrieb der Komiker seine Briefe an die Reichskulturkammer durchaus mit „Heil Hitler!“. Außerdem soll er den Filmemacher Walter Jerven unzutreffend als „Samuel Wucherpfennig“ und damit indirekt als Juden denunziert haben. In einem Streit mit dem Regisseur Erich Engels soll er sich direkt an Hitlers Stellvertreter Rudolf Heß gewandt haben. Mit Erfolg. Die Reichsfachschaft Film habe angewiesen, auf die „besonders sensible Natur“ Valentins Rücksicht zu nehmen.

8.4.2007

Anregende Nebensätze

Wenn sich FAZ-Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki daran erinnert, welchen Einfluss Tucholsky in der Weimarer Republik hatte, liegt er durchaus schon mal daneben. Aber auch die Anregungen, die Reich-Ranicki persönlich von Tucholsky erfahren haben will, halten einer Überprüfung nicht unbedingt stand. So antwortete Reich-Ranicki jüngst auf die Frage, wie er die Bedeutung der Fantasy-Literatur einschätze:

Ich weiß es, ich werde Sie enttäuschen: Fantasy-Literatur, Science-Fiction und dergleichen mehr interessierte mich ein wenig in meiner Jugend. Von Tucholsky angeregt, las ich den Amerikaner Edward Bellamy, dann einige Romane von Jules Verne, dann einen in der Nachfolge von Verne schreibenden populären deutschen Autor Hans Dominik, der längst vergessen ist – und dann hatte ich von dieser Literatur genug.

Sollte diese Aussage stimmen, müsste der junge Reich-Ranicki selbst auf kleinste Bemerkungen Tucholskys reagiert haben. Denn dieser hat den Autor Eduard Bellamy nur einen einziges Mal erwähnt – ganz nebenbei:

Und so genau, wie ich weiß, daß es auch unter uns, wie überall, Leute gibt, die ihrer Zeit nicht mehr gewachsen sind, so wie ich denke, daß auch meine Stunde einmal kommt, in der ich ‚die Welt nicht mehr verstehe‘ – so gewiß weiß ich, daß die einfache Radikalforderung nach einer neuen Welt eine Forderung der Literatur ist. Mondland, Utopia, Fortschrittsroman von Bellamy, darin Müdigkeit, Sehnsucht und lasch wollendes Gemüt ihre Befriedigung finden.

Als der Artikel „Was haben wir –?“ am 6. April 1926 in der Weltbühne erschien, konnte Reich-Ranicki vielleicht sogar schon lesen.

6.4.2007

Ulkiges im Internet

Anfang März erregte das Internetunternehmen Google großes Aufsehen mit der Ankündigung, rund eine Million Bände der Bayerischen Staatsbibliothek zu digitalisieren. Die in manchem Feuilleton geäußerte Auffassung, „das Digitalisieren aber kostet gigantische Summen, die der Staat nicht aufbringen kann“, trifft nicht zu. Demnach investiert die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) in den kommenden Jahren jährlich zwischen 10 und 20 Millionen Euro, um die bereits bestehenden Digitalisierungsprojekte auszubauen. Die digitalen Bestände sollen in Zukunft in dem Zentralen Verzeichnis digitalisierter Drucke (www.zvdd.de) zu finden sein.

Wer dort ein wenig herumstöbert, stößt dabei nicht nur auf wertvolle Handschriften und Bücher, sondern auch zahlreiche historische Zeitungen und Zeitschriften. Darunter den Simplicissimus, den Kladderadatsch, und, last but not least, die Satirebeilage des Berliner Tageblatts, den Ulk. Tucholsky war bekanntlich von Dezember 1918 bis März 1920 Chefredakteur der wöchentlich erscheinenden, vierseitigen Beilage. Zu den Texten, die schließlich zu einem Bruch zwischen dem Chefredakteur des Tageblatts, Theoder Wolff, und Tucholsky führten, zählte wohl auch das Gedicht „Der Alldeutsche singt“:

Einen Adler ohne Krone
bringt dem Reich die neue Zeit.
Mit dem Zepter, mit dem Throne
schwand die alte Herrlichkeit.

Doch ob man im deutschen Walde
Stamm auf Stamm auch frech entlaubt –
unser Vogel bleibt der alte,
mit der Krone auf dem Haupt.

Dir allein gilt unser Sehnen!
Fern tönts wie Parademarsch.
Laß dich küssen unter Tränen,
edler Hohenzollernaar!

Wer so schlecht reimt…

14.3.2007

Zieh Dich aus, deutscher Witz

Die ARD will in einer dreiteiligen Reportage und Dokumentation das Wesen des deutschen Humors ergründen und „deutsche Lachgewohnheiten“ der vergangenen 60 Jahre beschreiben. Das gibt den übrigen Medien natürlich Gelegenheit, die sattsam bekannten Klischees über den Humor der Deutschen hervorzukramen. So schreibt Stefan Behr in der Frankfurter Rundschau darüber:

Ach ja, die Deutschen und der Humor. Ein weites Feld, aber kein unbeackertes. Was da schon alles geschrieben und erzählt wurde. Meistens Quatsch. Dass der Deutsche als solcher zum Lachen in den Keller geht und das sehr selten, weil er ohnehin keinen Humor hat. Wenn dem so wäre, dann müssten Gestalten wie Tucholsky, Busch, Valentin, Gernhardt und Loriot vom Himmel gefallen sein.

Wobei Tucholsky wiederum in dem wenig bekannten Text „Etwas vom Humor“ die These vertritt, dass von der geringen Zahl deutscher Humoristen eben nicht auf den durchaus vorhandenen deutschen Humor geschlossen werden könne.

Die erste Folge der ARD-Dokumentation widmet sich übrigens dem „Sex und so“. Welche Art Witze Tucholsky zu diesem Thema beizusteuern hatte, ist dem vor kurzem erschienenen Band 18 der Gesamtausgabe zu entnehmen. Darin begründet er einen Besuch bei seinen Kriegskameraden Jakopp und Karlchen wie folgt:

Ich muß schon deshalb kommen, weil ich einen ganzen Waschkorb voller Witze weiß – so den: Der Großfürst Dimitrij fährt in der Bahn. Gegenüber eine sehr schöne Dame. Der Großfürst: «Fahren Gnädige nach Warschau?» – Die Dame: «Nein.» – «Fahren Gnädigste nach Krakau?» – «Nein.» – Der Großfürst: «Genug geflirtet! Zieh dich aus!»

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