25.4.2005

Die „Welt“ der Konservativen

In der „Welt“, wo sonst, hat Elmar Krekeler eine Lanze für den Konservatismus gebrochen. Zumindest für das, was er darunter versteht. Im Editorial der Literarischen Welt heißt es unter dem Titel „Konservativ ist in“:

Konservativ sein, hat nichts mit Herrenreitertum zu tun, nichts mit rechts oder links (die Kategorien gelten eh nichts mehr). Konservativ sein ist eine Frage der Konsistenz.

Als schlechtes Beispiel für ein nicht-konservatives, weil inkonsistentes Verhalten wählt Krekeler die SPD. Was sonst. Dabei muss er nicht einmal auf die aktuelle Situation der SPD zurückgreifen. Er bedient sich eines recht prägnanten Tucholsky-Zitates:

„Es ist ein Unglück, daß die SPD Sozialdemokratische Partei Deutschlands heißt. Hieße sie seit dem August 1914 Reformistische Partei oder Partei des kleinern Übels oder Hier können Familien Kaffee kochen oder so etwas -: vielen Arbeitern hätte der neue Name die Augen geöffnet, und sie wären dahingegangen, wohin sie gehören: zu einer Arbeiterpartei. So aber macht der Laden seine schlechten Geschäfte unter einem ehemals guten Namen.“ (Kurt Tucholsky 1920)

Davon abgesehen, dass das Zitat aus dem Jahre 1932 und nicht aus 1920 stammt, macht seine Verwendung einen jähen Wandel im Denken der „Welt“ deutlich. Ist es doch noch gar nicht so lange her, dass sich die Redaktion heftig dagegen wehrte, genau diesen (oder irgendeinen anderen) Tucholsky-„Schnipsel“ wieder hervorzukramen:

Nein, mit diesen „Schnipseln“ des Kurt Tucholsky lässt sich nun wirklich nichts mehr anfangen. Aber die Bettszenen aus seinem „Schloss Gripsholm“, die sollte man natürlich lesen (…)

lautete das Urteil damals. Ist das etwa konsistent? Sicher nicht. Und, in Abwandlung von Krekelers letztem Editorial-Satz, ließe sich somit behaupten: Dass die „Welt“ ihrem eigenen Verständnis nach nicht mehr konservativ ist, hätte sie wohl auch nicht gedacht.

19.4.2005

Strom und Wasser

Es ist schon erstaunlich, zu welchen Themen bisweilen Anthologien veröffentlicht werden. Die Oberhessischen Versorgungsbetriebe AG (Ovag) mit Sitz in Friedberg kümmern sich nicht nur um die Strom- und Wasserversorgung in Oberhessen, sondern sorgen sich auch um das literarische Wohl ihrer Kunden. Zu diesem Zweck geben sie bereits die zweite Sammlung von Texten heraus, die sich mit den von ihnen vertriebenen Produkten beschäftigt: „Der Strom und das Wasser“.

Von den Fluten des Gilgamesch-Epos zum aktuellen Bestseller-Autoren Frank Schätzing („Der Schwarm“), von den Geistern des Meeres und der Flüsse des Philosophen Tschuang-Tse über Schillers „Taucher“, Moby Dick, Mark Twain, Kurt Tucholsky, Hermann Hesse und Ingeborg Bachmann bis hin zu Henning Mankell – über 60 Autoren sind mit ihren Texten in dem neuen OVAG-Buch „Der Strom und das Wasser“ vertreten – ein Buch, das auf 310 Seiten Funken und Strudel aus der Weltliteratur versammelt.

heißt es auf den Internetseiten der Ovag und in der „Frankfurter Neuen Presse“, die die gesamte Pressemitteilung fast wortgleich übernommen hat.

Welchen Text des Strom- und Wasserexperten Tucholsky die Ovag wohl für übernahmewürdig befand? Vielleicht denjenigen über das Wasser-Sanatorium aus den „Nachher“-Stücken:

Weit, äonenweit: Wasser, eine stille Fläche. Sie lag in der Luft wie eine hauchige Scheibe, glasdünn, glasklar, wie mir schien. Ich sagte ihm das. „Es ist nicht klar“, sagte er. „Das ist es eben. Es ist hier zur Erholung, das Wasser. Es ist abgeguckt.“ – „Was ist es -?“ sagte ich. „Es ist abgeguckt“, sagte er. „Sie haben da alle hineingesehn – setzen wir uns. Ich werde Ihnen das erklären.“
(…)
„Sie haben so viel hineingetan, das Wasser ist voll davon, und jetzt ruht es sich aus. Mein Lieber, wer hat da alles Bröckchen des Lebens hineingeworfen! Bröselchen von Schmerz, Erinnerung, Wehleidigkeit, Faulheit, Tobsucht, zerbissene Wut, heruntergeschlucktes Begehren –! Das strengt an. Das arme Wasser liegt hier und ruht. Es muß wieder sauber werden. Es ist vermenscht.“
Kaspar Hauser: „Nachher“, in: Die Weltbühne, 28.12.1926, S. 1019

Nachtrag 20.4.: Auch der „Gießener Anzeiger“ versteht sich bestens darauf, Pressemitteilungen nahezu unverändert abzudrucken.

16.4.2005

Der ganze Hesse

Weil der Suhrkamp-Verlag dieser Tage die Edition von Hermann Hesses Gesamtausgabe fertiggestellt hat, beleuchtet die „FAZ“ aus diesem Anlass die verschiedenen Aspekte von Hesses Werk. So habe es neben dem Schriftsteller Hesse auch den Literatur- und Zeitkritiker gegeben, dessen Betrachtungen durch die Gesamtausgabe nun vollständig zugänglich gemacht worden seien, schreibt Michael Hierholzer in dem Text „Der ganze Hesse“. Und um die Qualitäten Hesses auf den weniger bekannten Gebieten zu betonen, heißt es:

Tucholsky immerhin befand 1931: „Hesses Buchkritiken haben zur Zeit in Deutschland kein Gegenstück. Aus jeder Buchkritik Hesses kann man etwas lernen, sehr viel sogar.“

Das Tucholsky-Zitat ist dabei fast richtig wiedergegeben. Aber nur fast. Denn im Originaltext steht ein „dagegen“ hinter dem Wort „Buchkritiken“. Der positiven Einschränkung geht folgende, eher kritische Passage voran:

Ich halte Hesse für einen Schriftsteller, dessen Qualitäten als Essayist weitaus größer sind als seine dichterischen Eigenschaften. In seinen Dichtungen ist er entweder weitschweifig, zokkersüß, wenn es auch wirklicher, guter Kristallzucker ist und keine Melasse, manchmal wäich und dann wieder säuerlich.
Peter Panter: „Auf dem Nachttisch“, in: Die Weltbühne“, 3.3.1931, S. 321

Den „ganzen Hesse“ besprach Tucholsky aber zu dessen 50. Geburtstag. In einer umfangreichen Würdigung versuchte er, die Kritik an Hesse als einem exemplarischen „deutschen Menschen“ an einem bestimmten Defizit festzumachen:

Was fehlt aber Hesse, was fehlt dem ‚deutschen Menschen‘, das ihn so unleidlich macht, das seine Vorzüge aufhebt, seine Fehler verdoppelt? Was fehlt ihnen -?
(…)
Hesse hat keinen Humor. Der ‚deutsche Mensch‘, der da, den ich meine: er hat keinen Humor. Hätte er ihn, er wäre so nicht.
Ignaz Wrobel: „Der deutsche Mensch“, in: Die Weltbühne, 30.8.1927, S. 332

Ob diese Humorlosigkeit die folgende Feststellung von Hesse-Herausgeber Volker Michels erklären hilft?

Wie Volker Michels berichtete, kommen zu seinen Vorträgen vorwiegend junge Menschen zwischen 18 und 35 Jahren sowie solche im Rentenalter, die offensichtlich in ihrer Jugend Hesse-Lektüre betrieben haben. Die arbeitende Bevölkerung fehle, sagt der Herausgeber lächelnd: Offenbar vertrage es sich nicht, berufstätig zu sein und Hermann Hesse zu lesen.

14.4.2005

„Amerika“ nicht verstehen

Die „Berliner Morgenpost“ weist auf eine Inszenierung nach Motiven von Kafkas Roman „Amerika“ im Theater „Zerbrochene Fenster“ hin. In dem Artikel wird die Feststellung Tucholskys zitiert, wonach Kafkas Protagonist Karl Rossmann „das Leben nicht verstehe“. Nicht erwähnt wird allerdings Tucholskys Nachsatz, wonach Karl damit „recht hat“. Statt dessen heißt es einschränkend:

Man könnte auch sagen, er versteht das amerikanische Leben nicht. Da ist er nicht der Einzige.

Das klingt ein wenig resigniert für eine Zeitung, deren Verlag sich

die Unterstützung des transatlantischen Bündnisses und die Solidarität in der freiheitlichen Wertegemeinschaft mit den Vereinigten Staaten von Amerika

als einen seiner Unternehmensgrundsätze festgeschrieben hat.

8.4.2005

Nachher

Im Postdamer Filmmuseum haben sich am Mittwoch Freunde und Weggefährten des Filmproduzenten Thomas Wilkening getroffen, der Anfang März bei einem Unfall auf der Insel Hiddensee ums Leben gekommen war. In den „Potsdamer Neuesten Nachrichten“ erinnert Autor Matthias Hassenpflug daran, dass Wilkenings teuerstes Filmprojekt die Adaption von Tucholskys Roman „Schloss Gripsholm“ gewesen sei. In dem Text „Stratege und Spieler“ heißt es:

Lydia, gespielt von Heike Makatsch, scheint mit dem Fahrrad einen Abhang direkt in einen See gefallen zu sein. Kurt (Ulrich Noethen) stürzt voller Angst ins Wasser. Doch Lydia steht wohlbehalten am Ufer: „Wir werden doch alle sterben – früher oder später“, verlacht sie ihren Liebhaber.
Thomas Wilkening ist früher gestorben.

Ob der Dialog in dem Film tatsächlich so lautet oder Hassenpflug sich nur leicht verhört hat, sei dahin gestellt. Im Original heißt es ein klein wenig anders, – und das darin enthaltene Wortspiel ließe Wilkenings unerwarteten Tod noch tragischer erscheinen:

Der, der einen Schlafenden beobachtet, fühlt sich ihm überlegen – das ist wohl ein Überbleibsel aus alter Zeit, vielleicht schlummert da noch der Gedanke: er kann mir nichts tun, aber ich ihm. Dieser Frau gab der Schlaf wenigstens kein dümmliches Aussehen; sie atmete fest und ruhig, mit geschlossenem Mund. So wird sie aussehen, wenn sie tot sein wird. Dann liegt der Kopf auf einem Brett – immer, wenn ich an den Tod denke, sehe ich ein ungehobeltes Brett mit kleinen Holzfäserchen; dann liegt sie da und ist wachsgelb und wie uns andern scheint, sehr ehrfurchtgebietend. Einmal, als wir über den Tod sprachen, hatte sie gesagt: „Wir müssen alle sterben – du früher, ich später“ – in diesem Kopf war so viel Mann.

Hallo Kollege!

Eine seltene Form von Tucholsky-Koinzidenz scheint an diesem Freitag in der „Süddeutschen Zeitung“ gegeben zu haben. Im Feuilleton (S. 16) bespricht ein gewisser lmue eine neu erschienene Anthologie, die sich mit dem vielseitigen Phänomen des Nachbarn beschäftigt. In der kurzen Rezension von „Hallo Nachbarn!“ (nicht wie in der SZ: Hallo Nachbar!“) wird erwähnt, dass neben vielen anderen Autoren auch Tucholsky mit einem Text in dem Buch vertreten sei. In der Kürze kann natürlich nicht bei jedem Autor ein Hinweis auf den ausgewählten Text gegeben werden. Aber es wäre keine Überraschung, wenn Herausgeberin Petra Reinfelder das Peter-Panter-Stück „Was machen die Leute da oben eigentlich?“ ausgesucht hätte. Dieser Text beginnt wie folgt:

Motto: Der eigene Hund macht
keinen Lärm – er bellt nur.
(Alte Weisheit)

Womit wir bei dem nächsten SZ-Artikel wären. Dieser steht im Bayernteil (S. 39) und befasst sich mit den LKW-Kolonnen, die sich seit der Einführung der Autobahnmaut über bayerische Bundesstraßen quälen. Autor Martin Zips schreibt:

Roland Heinisch wohnt direkt im Ort. Der kräftige Mann mit dem Knopf im Ohr fährt selber Lastwagen, sagt aber auch, dass er ziemlich froh sei, jetzt endlich schalldichte Fenster zu haben. „Ist ja klar, dass die Lkw hierher fahren. So sparen die sich bis zu 60 Kilometer Mautgebühr. Das würde ich als Spediteur genauso anordnen.“ Lärm ist eben auch immer eine Frage des Gesichtspunkts: „Der eigene Hund macht keinen Lärm, er bellt nur“, sagt Kurt Tucholsky.

Womit wiederum dank der indirekten Mithilfe aus der Feuilletonredaktion schon die Frage geklärt wäre, ob dieses Zitat tatsächlich von Tucholsky stammt.

6.4.2005

Deutsche Richter von 2005

Wenn man der „FAZ“ glauben schenken darf, dann betreibt der Münchner „Staranwalt“ Rolf Bossi in seinem jüngst erschienenen Buch „Halbgötter in Schwarz“ eine höchst fragwürdige Form der Justizschelte. Im Kern liefen Bossis Vorwürfe darauf hinaus, schreibt Gerd Roellecke in seiner Rezension, dass die deutschen Richter sich aufgrund einer während der NS-Zeit erfahrenen Unangreifbarkeit noch immer unantastbar fühlten. Bossi sehe sich zu diesem harschen Urteil offensichtlich dadurch genötigt, weil es ihm als Anwalt in verschiedenen Prozessen nicht gelungen sei, die Richter von der Unschuld seiner Mandanten zu überzeugen und die Gerichtsurteile anschließend aufheben zu können.

Nach Ansicht Roelleckes ist Bossis Argumentation nicht besonders geschichtssicher:

Die Richterschelte des Verfassers hat Kurt Tucholsky in der Weimarer Zeit weit überboten und damals den preußischen Obrigkeitsstaat verantwortlich gemacht. „Falsche Vergangenheit“ scheint zu den typischen Gründen für „falsche“ richterliche Ansichten zu gehören.

Nun muss man Tucholsky zugute halten, dass dessen Kritik an der Weimarer Justiz im Kern berechtigt gewesen zu sein schien. Außerdem kritisierte er nicht nur die „falsche Vergangenheit“ der bereits amtierenden Richter, sondern warnte auch vor einer „falschen Zukunft“ der neuen Richtergeneration, wofür er die ständische Prägung der Jurastudenten auf Universitäten und in studentischen Verbindungen verantwortlich machte. So richtig es sein mag, Bossis Argumentation in Frage zu stellen, so fragwürdig scheint es doch, Tucholskys Justizkritik auf ein fehlgeleitetes preußisches Obrigkeitsdenken zu verkürzen. Verglichen mit den Richtern, die Tucholsky im Jahre 1940 Recht sprechen sah, kamen die Justizräte unter Kaiser Wilhelm noch sehr gut weg:

Die verfehlte Prozeßführung des deutschen Richters ist aus seiner Gruppenauslese herzuleiten, und es kann niemals besser werden, wenn Vorbildung und soziologische Auswahl nicht von Grund auf geändert werden. Angemerkt mag sein, daß der heutige Typus noch Gold ist gegen jenen, der im Jahre 1940 Richter sein wird. Dieses verhetzte Kleinbürgertum, das heute auf den Universitäten randaliert, ist gefühlskälter und erbarmungsloser als selbst die vertrockneten alten Herren, die wir zu bekämpfen haben. Während in der alten Generation noch sehr oft ein Schuß Liberalismus, ein Schuß Bordeaux-Gemütlichkeit anzutreffen ist, ein gewisser Humor, der doch wenigstens manchmal mit sich reden läßt, lassen die kalten, glasierten Fischaugen der Freikorpsstudenten aus den Nachkriegstagen erfreuliche Aspekte aufsteigen: wenn diese Jungen einmal ihre Talare anziehen, werden unsre Kinder etwas erleben. Ihr Mangel an Rechtsgefühl ist vollkommen.
Ignaz Wrobel: „Deutsche Richter“, in: Die Weltbühne, 2., 19. u. 26.4.1927, S. 581, 618, 663

4.4.2005

Humor ohne Humoristen

Eines der wenigen, allgemein auf Zustimmung stoßenden Urteile über die Deutschen besteht darin, dass sie zwar ein fleißiges und diszipliniertes, aber letztlich humorloses Völkchen seien. Dieses Urteil wurde auch regelmäßig hervorgeholt, wenn es darum ging, den von Robert Gernhardt im vergangenen Jahr vorgelegten Sammelband komischer deutscher Gedichte zu besprechen. In dieselbe Kerbe schlägt nun auch Alexander von Bormann, der sich für den „Tagesspiegel“ sowohl Gernhardts Band „Hell und schnell“ als auch die von Steffen Jacobs zusammengestellte Anthologie „Die komischen Deutschen“ näher angeschaut hat. Der erste Satz seiner Rezension lautet daher lapidar: „Die Deutschen gelten nicht als komisch.“

Es sollte aber einem zu denken geben, wenn ausgerechnet einer derjenigen, die gemeinhein als Vertreter der raren Spezies deutscher Humoristen gelten und in den Bänden mit Texten vertreten sind, zu einer ganz anderen Auffassung gelangte:

Wir Deutschen haben Humor – ja, man kann fast versucht sein, zu sagen, deutscher Humor, das sei fast ein Pleonasmus, so wie deutsche Musik. Und beinahe ist es in der Tat auch so.
Doch haben wir nicht viele Humoristen.
Ignaz Wrobel: „Etwas vom Humor“, in: Frankfurter Zeitung, 23.10.1918

Falls diese feine, aber nicht unbedeutende Unterscheidung zutrifft, lässt sich damit auch der Eindruck erklären, den Deutschland vermittels seiner humoristischen Erzeugnisse auf das Ausland macht. Denn von außen spiegelt sich der Humor eines Landes vor allem in den Werken seiner „Humoristen“ wider. Da sich der volkstümliche Humor jedoch nicht in den Werken der Humoristen erschöpfe, könne dieser Eindruck trügen, schreibt Tucholsky weiter:

Jeder Humorist ist ein Philosoph, und ein solcher arbeitet nicht schludrig. Gerade er muß das feinste Gefühl für die Form haben, für die Sprache – und er muß nicht nur fühlen, er muß auch arbeiten können. Daher sind in der Kunst die Humoristen so selten.
Nun gibt es aber – wie in der Lyrik – ein Naturburschentum des Humors, das mit Kunst nur sehr mittelbar etwas zu tun hat, insofern sein Niederschlag aufgeschrieben wird wie ein literarisches Kunstwerk auch. In den meisten Fällen wirds aber gar nicht aufgeschrieben.
In Walter Rathenaus „Reflexionen“ stehen zwei gute Seiten, auf denen er sagt, daß der Mann des Lebens überhaupt nicht schreibt. (Wenn ers einmal tut, belügt er sich meist.) Er schweigt und lebt. Taut ihm aber einmal die Zunge auf, in einer gemütlichen Kneipstunde um einen runden Tisch herum, am Kaminfeuer, unterwegs auf einer stillen Wanderung zu zweien – dann kommen Köstlichkeiten ans Tageslicht, von denen sich der Literat nichts träumen läßt. Behaglich Tiefgeschautes, lächelnd Beobachtetes, schmunzelnd Festgestelltes. Und abermals: auch das ist Humor.

30.3.2005

Hohe Politiker

Die „Welt“ weiß selbst nicht so recht, was sie von der Zitatensammlung des früheren Bundestagsabgeordneten, Senators und Landeszentralbankchefs Wilhelm Nölling halten soll. „Wer ein originelles Sammelsurium der unterschiedlichsten Schriften amüsant findet, kommt auf seine Kosten“, heißt entsprechend vorsichtig in dem Artikel „Besondere Lese-Erfahrungen“, in dem Nöllings Buch „Hohe Leuchten“ besprochen wird. Eine Bemerkung aus der Rezension lässt einen jedoch aufhorchen:

Auch Politiker fehlen nicht. Willy Brandt, Helmut Schmidt, Benjamin Franklin und Tucholsky lassen grüßen.

Schwer zu sagen, wie Schmidt grüßen würde oder Brandt und Franklin gegrüßt hätten. Tucholskys Botschaft aber hätte ganz schlicht lauten können: „Liebe ‚Welt‘-Redaktion: Ich mag zwar einiges in meinem Leben gewesen sein, aber ich war niemals ein Politiker.“

PS: Auf der zum Buch gehörenden Webseite findet sich im übrigen ein kaum zu übertreffendes Zitat für einen Klappentext: „‚Ich verspreche mir eine genussreiche Lektüre.‘ (Johannes Rau)“

25.3.2005

Von der CD geliebt

Nachdem Wiglaf Droste vor einem Monat ein „Weltbühnen“-Essay von Axel Eggebrecht besprochen hat, widmet er sich dieses Mal in der Hörbuch-Rubrik der „Frankfurter Rundschau“ einer Vertonung von Tucholskys „Rheinsberg“. Da das „Bilderbuch für Verliebte“ eng mit Tucholskys Beziehung zu Else Weil verknüpft ist, wundert es nicht, dass einige Passagen aus der Besprechung gewisse Ähnlichkeiten mit einem Text haben, den Droste vergangenen Jahr in der „taz“ über Tucholskys erste Frau veröffentlichte.

Über das Hörbuch selbst erfährt der Leser sehr wenig. „Die große Stimme von Kurt Böwe in der DDR-Funkfassung erhöht noch das Gewicht des Textes“, meint Droste. Die zu affektiert klingende Stimme von Ulrike Krumbiegel als Claire und vor allem die für einen 21-Jährigen zu alt und gesetzt klingende Stimme von Gunter Schoß als Wölfchen sind dagegen nicht dazu angetan, dem Rheinsberg-Ausflug eine gewisse Authentizität zu verleihen. Ein angenehmeres Hörerlebnis war im Vergleich dazu die „Rheinsberg“-Lesung der Tucholsky-Gesellschaft mit Anna Thalbach, Heike Warmuth und Oliver Urbanski. Für diese Lesung war der Originaltext, anders als bei dem Hörbuch, auch nicht dramaturgisch aufbereitet worden. Schade, dass von dieser Veranstaltung keine Tonaufnahme gibt.

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