4.6.2005

Rettet die Nebensätze

Regelmäßige Sprachkolumnen sind eine Sache für sich. Die Gefahr ist sehr groß, dass die aufzuspießenden Sprachschnitzer sich bald erschöpfen und die mit viel Verve und Sendungsbewusstsein vorgetragene Sprach- und Stilkritik ins Geschmäcklerische abgleitet. Ein Beispiel für eine Sprachglosse, die mehr Verwirrung stiftet, als dass sie aufklärt, ist die dieswöchige Kolumne „Fünf Minuten Deutsch“ von Ruprecht Skasa-Weiß in der „Stuttgarter Zeitung“.

Der Autor widmet sich darin dem dankbaren Thema Haupt- und Nebensätze, ohne das eine solche Kolumne auf die Dauer wohl nicht auskommen kann. Leider wirft Skasa-Weiß, unter Berufung auf Tucholsky, darin einiges durcheinander. So schreibt er:

„Hauptsätze! Hauptsätze! Hauptsätze!“ So lautet Kurt Tucholskys bekannte Empfehlung für jeden, der mit eigenem Text beim Publikum ankommen will.

Wie bitte? Wie bitte? Wie bitte? Ausgerechnet der Kleist-Verehrer Tucholsky soll generell die Bildung von Nebensätzen abgelehnt haben? Natürlich nicht, denn die Forderung nach Hauptsätzen entstammt den „Ratschlägen für einen guten Redner“, die sich von möglichen Empfehlungen an Schriftsteller und Journalisten stark unterscheiden. Schließlich wusste Tucholsky: „Das Ohr nimmt weniger auf als das Auge, es nimmt viel schwerer auf, eine Sage ist keine Schreibe.“

Es wundert daher nicht, dass Skasa-Weiß seine strikte Forderung nach Hauptsätzen anschließend wieder relativieren muss. Denn das Vermeiden von Nebensätzen führe in vielen Fällen zu einem unschönen Nominalstil, wie er selbst einräumt. Für diese Behauptung hätte er dagegen Tucholsky durchaus als Kronzeugen anführen können. Denn dieser hatte von seinem Mentor Siegfried Jacobsohn (S.J.) gelernt:

Unter den Dingen, die S. J. aus allen Aufsätzen herausstrich, wenn er sie „ins Deutsche übersetzte“, war eines, das er inbrünstig haßte, und das er vernichtete, wo immer er es antraf. Das war der substantivierte Infinitiv. „Das Musizieren“ pflegte er immer in Sätze aufzulösen oder durch ein Substantiv zu ersetzen – und er hatte recht.
Peter Panter: „Der musikalische Infinitiv“, in: Die Weltbühne, 8.9.1931, S. 381

Die Preisfrage lautet nun: Wie viele Nebensätze enthält der erste Satz des Zitates?
Die richtigen Antworten bitte an Ruprecht Skasa-Weiß schicken.

3.6.2005

Päpste unter sich

Wenn Frank Schirrmacher etwas behauptet, muss das wohl stimmen. Schließlich ist er nicht ohne Grund Feuilletonchef der „FAZ“ geworden. Erst recht muss dies gelten, wenn Schirrmacher eine Laudatio auf Marcel Reich-Ranicki hält, der schließlich nicht ohne Grund einmal Literaturchef der „FAZ“ gewesen ist. So berichtet die Nachrichtenagentur dpa über ein Fest aus Anlass von Reich-Ranickis 85. Geburtstag in der Frankfurter Paulskirche:

Frank Schirrmacher, Feuilletonchef und Mitherausgeber der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, stellte Reich-Ranicki in eine Reihe mit Kurt Tucholsky. Reich-Ranicki sei der „einflussreichste Kritiker in der Geschichte der deutschen Literatur“, sagte Schirrmacher.

Die dpa berichtet leider nicht, was Reich-Ranicki auf dieses Lob geantwortet hat. Von Tucholsky sind zumindest folgende Sätze überliefert:

Ich trete für neue Leute ein, wo ich nur kann, und daß ich kein Literaturpapst bin, wissen Sie auch.
Kurt Tucholsky: Brief an Irmgard Keun, 16.7.1932

Oder gar:

Ich will euch was sagen: bin ich vielleicht ein Fremdenführer? Lest das Buch selber!
Peter Panter: „Der rasende Twardowski“, in: Die Weltbühne, 20.1.1920, S. 158

Ein wenig differenzierter als Schirrmacher sieht Gerrit Bartels in der „taz“ das Phänomen Reich-Ranicki. Seit Fazit in dem Text Marcel Reich-Ranicki und die Seinen lautet:

So könnte es eines Tages die Crux von Marcel Reich-Ranicki sein, dass sein Leben und die spätere Medienpräsenz seine literaturkritische Arbeit und Bücher weit überstrahlen; dass er lediglich als „Popstar der Kritik“ in die Literaturgeschichte eingeht und es „seine populistische Lust an provokativer Grellheit und Wirkung“ (Reinhard Baumgart) ist, die dem von ihm immer anvisierten großen Publikum in Erinnerung bleibt.

Der vergröberte Tucholsky

Wenn es zwei Antipoden der Tucholsky-Rezeption gibt, dann sind dies sicherlich Fritz J. Raddatz und Gerhard Zwerenz. Da Zwerenz am heutigen Freitag 80 Jahre alt wurde, fanden sich hier (SZ) und da (Berliner Zeitung), oder auch dort (Welt) kleine Würdigungen seiner Person, die „Frankfurter Neue Presse“ besuchte den Jubilar sogar in seinem Haus in der Taunus-Gemeinde Schmitten.

Allerdings geht nur die „Süddeutsche Zeitung“ auf die besondere Verbindung von Zwerenz mit Tucholsky ein. Dort heißt es:

In schöner Eintracht haben „der politische Zwerenz“ und „der erotische Zwerenz“ über hundert Bücher geschrieben, in konsequenter Vergröberung des Vorbildes Kurt Tucholsky, von „Kopf und Bauch“ (1971), der „Geschichte eines Arbeiters, der unter die Intellektuellen gefallen ist“, bis zum „Sex-Knigge“ (1983).

Diese „Vergröberung Tucholskys“ erklärt wohl auch die Angriffe auf Raddatz und Mary Gerold-Tucholsky, denen in der Zwerenzschen Tucholsky-Biographie vorgeworfen wurde, in ihren Auswahlbänden eine Anzahl von Texten nicht abgedruckt zu haben, die zu Tucholskys „politisch und erotisch schärfsten Produktionen gezählt werden müssen“ (S. 290). Vermutlich wollte Zwerenz das Tucholsky-Bild in eine Richtung verändern, die es mehr in Deckung mit seiner eigenen Person gebracht hätte.

Die Tucholsky-Forschung hat inzwischen nachgewiesen, dass Zwerenz‘ Kritik in diesem Punkt unberechtigt war. Allerdings muss man dem Vielschreiber zugute halten, dass er bei seinen Recherchen in Schweden bis dato unbeachtete Quellen aufdeckte, indem er Tucholskys schwedische Vertraute Gertrude Meyer befragte. Ob diese Recherchen in den Erzählungen „Eine Liebe in Schweden“ und „Gute Witwen weinen nicht“ hätten münden müssen, ist eine andere Geschichte. Aber irgendwie muss Zwerenz schließlich auf die mehr als hundert geschriebenen Bücher gekommen sein.

24.5.2005

Verrissene Femme Fatale

Das, was die Mainzer „Allgemeine Zeitung“ über einen Chansonabend in der Mainzer „Alten Patrone“ schreibt, kann nicht anders als ein gnadenloser Verriss bezeichnet werden. Die Interpretin von Brecht- und Tucholsky-Stücken kann einem fast leid tun, wenn sie solche Sätze über sich in der Presse lesen muss:

Begleitet am Klavier von der begabten Andrea Wittgen, windet sich die Schleife von Lust und Leid menschlichen Seins zäh wie die Unzulänglichkeit desselben träge ins Unspektakuläre. Nichts zieht den Zuschauer in den Bann, nichts ist beschwörerisch und faszinierend genug, um Glaubwürdigkeit zu vermitteln. Von Saufliedern, über melodramatische Liebeslieder zieht sich das Repertoire fad über anderthalb Stunden, denen auch angedeutete laszive Bewegungen der seufzenden Dame und versuchte Femme Fatale Allüren nicht die Würze zu geben vermögen.

19.5.2005

Never too late

Dass man anscheinend nie zu alt sein kann, um Tucholsky zu lesen, zeigt ein Porträt von „Deutschlands berühmtesten Stummfilmpianisten“ in der „Frankfurter Rundschau“. Ob besagter Willy Sommerfeld zu diesem Zweck noch auf eigene, in den zwanziger Jahren gekaufte Orginalausgaben zurückgreifen kann, bleibt leider unerwähnt.

17.5.2005

Bittere Liebe

Von Fritz J. Raddatz, Vorsitzender der Tucholsky-Stiftung, ist hinreichend bekannt, dass er seinen Tucholsky gut kennt und ihn auch ausgiebig zitiert. So auch in einem Text in der „Welt“, in dem er Dieter Fortes Roman „Auf der anderen Seite der Welt“ rezensiert. Darin heißt es an einer Stelle:

Nun wußte schon der kluge Tucholsky „Keine Liebe ohne bitter“. Will sagen: Der Roman hat einen Makel; gelungen bedeutet eben nicht vollendet.

Und weil allgemein bekannt ist, dass Raddatz in Sachen Tucholsky nicht unbedarft ist, sei hier nur kurz festgestellt: „Keine Liebe ohne bitter“ stammt nicht von Tucholsky und sollte daher in Zukunft bitte nicht als Tucholsky-Zitat in Umlauf gebracht werden. Was nicht heißen soll, dass sich dieser Satz nicht in einem Text von Tucholsky findet. Und zwar in der Glosse „Taschen-Notizkalender“, in dem sich über eine merkwürdig ins Deutsche übertragene Sammlung von Sprüchen ausgelassen wird:

Das Ding ist in deutscher Sprache verfaßt, unzweifelhaft – aber irgend etwas in der Druckerei muß feucht geworden sein: der Verfasser, das Papier oder der Setzer … es ist eine Art Privatdeutsch. So:
Über „Angaben und Rezepten über einfache Tierarzneikunde“, wobei zu bemerken: „Zur Vernichtung der Lause“ und „Zur Entfernung der Fliegen“ treten wir in den Jahreskalender, der durch allgemein belehrende Angaben und fromme Sprüche geziert ist
Peter Panter: „Taschen-Notizkalender“, in: Vossische Zeitung, 30.6.1928

Einer dieser frommen Sprüche lautet: „Liebe ist nicht ohne bitter“, – was Tucholsky mit dem Satz kommentiert: „Wem sagt der Kalender das!“ Er war eben nicht nur klug, sondern auch leidgeprüft.

11.5.2005

Vergilbte Kritik

Ist das nun eine offene Kritik oder ein verstecktes Lob? In einem Porträt des „Pop-Poeten“ Sebastian Krämer schreibt Annedore Beelte in der „taz“:

Krämer holt die Poesie und das Gruselpotenzial der U-Bahnhöfe ans Licht. Nur von der Liebe berichtet er nichts Neues. Mau-Mau-Spielen im fremden Ehebett und Kuscheln im Altpapier – das lebt noch vom vergilbten Charme eines Tucholsky-Chansons.

Muss sich Tucholsky nun darüber grämen, dass seine charmanten Liebes-Chansons nicht mehr aktuell sind? Oder darf sich Krämer darüber freuen, immerhin mit dem vergilbten Tucholsky verglichen zu werden? Oder sollte sich die Liebe einmal ernsthaft fragen, warum es von ihr nichts Neues mehr zu berichten gibt? Viele letzte Fragen, die wohl nur die „taz“-Leser beantworten können.

7.5.2005

Das jüngste Gerücht

Ein sehr merkwürdiger Satz findet sich im aktuellen Dossier des „taz“-Magazins, das homosexuellen Opfern des Nationalsozialismus gewidmet ist. Unter dem Stichwort „Kriegsende mit begrenzter Freiheit“ hat Jan Feddersen einige Fakten über die Situation Homosexueller in den zwölf Jahren der Nazi-Diktatur zusammengefasst. Darunter auch diese Feststellung:

Schwule hatten im linken Widerstand so wenig Freunde wie im liberalen Bürgertum, mit Ausnahme von Kurt Tucholsky oder Klaus Mann: Maxim Gorkis Diktum, wer sich Schwuler erwehre, schlage auch den Faschismus, galt bis in linke Milieus hinein.

Was soll nun damit gemeint sein? Dass Kurt Tucholsky und Klaus Mann die einzigen bürgerlichen Freunde der Schwulen waren? Oder dass Tucholsky und Mann die einzigen Schwulen waren, die im linken Widerstand akzeptiert wurden? Gegen letztere Version, die vermutlich von Feddersen gemeint ist, spricht allerdings die Tatsache, dass Tucholsky im Gegensatz zu Klaus Mann gar nicht homosexuell war. Manchmal stehen wirklich merkwürdige Dinge in der „taz“.

3.5.2005

Zügellose Berliner

Wer die Kritik eines Kurt-Tucholsky-Rio-Reiser-Abends in der „Frankfurter Neuen Presse“ liest, muss einen merkwürdigen Eindruck vom Leben und Sterben der beiden Berliner bekommen. In der Rezension „Nichts für Grießbreifresser“ schreibt Maren Bonacker:

Sie liebten leidenschaftlich und waren nur selten mit einem Lebenspartner zufrieden. Sie verachteten Krieg und Gewalt und verliehen ihrer Forderung nach Frieden mit zum Teil drastischen Mitteln Ausdruck. Sie hassten Mittelmäßigkeit, wollten alles – und starben früh, Opfer ihres zügellosen Lebenswandels.

Nun ja. Was Tucholsky betrifft, so ist dieser bekanntlich nicht an den Folgen seines exzessiven Drogenkonsums gestorben. Zu irgendwelchen Geschlechtskrankheiten führten seine doppelten Lebenspartnerschaften ebenfalls nicht. Und die drastischen Mittel seiner Friedensforderungen bestanden nicht, wie man glauben könnte, in Bombenanschlägen auf preußische Kasernen, sondern lediglich in polemischen Texten.

Aber egal. Maren Bonacker war auf jeden Fall von dem Kabarett-Abend im hessischen Bad Nauheim sehr angetan.

Philipp Höck, Thomas Leichtweiß und Viola Muscolo fühlen sich in die Sprecher Tucholskys und Reisers ein, tragen die lyrischen Texte mit einer Intensität vor, die den Zuschauern eine Gänsehaut über den Rücken laufen lässt.

Eine Übersicht über die kommenden Vorstellungstermine findet sich hier.

2.5.2005

Musiktheater für Verliebte

Nach den Kinofilmen aus den sechziger (BRD) und achtziger (DDR) Jahren, versucht sich in diesem Jahr einmal ein Musiktheater an Tucholskys „Rheinsberg“, seinem Bilderbuch für Verliebte. Und zwar am Originalschauplatz in Rheinsberg und im Berliner Carrousel-Theater (siehe Termine). Im monatlichen Bühnenplan der „Berliner Zeitung“ war eine ausführliche Ankündigung des Stückes zu finden. Anders als dort erwähnt, war die Premiere des Stückes nicht bereits am 15. März, sondern findet am 14. Mai im Schlosstheater Rheinsberg statt. Außerdem sei darauf hingewiesen, dass über der gedruckten Ausgabe des Planes in der „Berliner Zeitung“ deutlich das Wort „Anzeige“ zu lesen ist. Was auch die sprachliche Nähe zur der Ankündigung auf der Theater-Website erklärt.

Powered by WordPress