21.1.2005

Auswärtige Angelegenheiten

Die „Financial Times Deutschland“ freut sich darüber, dass man die Politik von US-Präsident George W. Bush auch angreifen kann, ohne Stimmen aus der linken Weltverbesserungsecke bemühen zu müssen. In einem Artikel über die Website des amerikanischen Politik-Magazins „Foreign Affairs“ schreibt Mark Böschen:

Erfrischend finde ich, dass die hier schreibenden Historiker und Außenpolitikstrategen so schamlos über die Regierung Bush herziehen wie sonst nur die Autoren der Flugblätter, mit denen die Anhänger der Weltrevolution die Mensatische deutscher Universitäten eindecken. Anders als bei Pamphleten der Organisation Linksruck beginnt in Foreign Affairs aber nicht jeder Artikel mit einem Zitat von Kurt Tucholsky oder Berthold Brecht.

Dieses alles andere als „erfrischende“ Defizit lässt sich selbstverständlich nur mit einer völligen Unkenntnis der Brechtschen und Tucholskyschen Schriften in den USA erklären. Den in „Foreign Affairs“ schreibenden Historikern und Außenpolitikstrategen seien daher die raren, aber immerhin vorhandenen Tucholsky-Übersetzungen ins Englische wärmstens ans Herz gelegt. Sonst wird das nie was mit der „Befreiung von Tyrannei und Hoffnungslosigkeit“ und so weiter.
Und vor allem müsste Mark Böschen dann nicht mehr den Vornamen des Herrn Brecht von irgendwelchen dubiosen Mensa-Pamphleten abschreiben.

7.1.2005

Zum Glück nur fast

Die Süddeutsche Zeitung präsentiert den neu erschienenen Band über den französischen Germanisten Robert Minder (1902-1980). Laut SZ war Minder

zu seiner Zeit eine der wichtigen Brücken zwischen Frankreich und Deutschland. Er gründete schon 1923 als Student an der Ecole Normale Supérieure eine Gruppe, die deutsche Intellektuelle wie Kurt Tucholsky, Heinrich Mann, Thomas Mann, Hugo von Hofmannsthal, Walter Mehring nach Frankreich einlud und Lebensmittel an hungernde Kinder im Ruhrgebiet versandte.
Hartmut Kaelble: „Der Vermittler“. In: SZ, 7.1.2005, S. 14

Im Falle Tucholskys und Mehrings waren diese Einladungen allerdings überflüssig, schließlich lebten sie in den zwanziger Jahren ohnehin in Paris. Tucholsky berichtete am 11. Februar 1926 an die Schauspielerin Kate Kühl, dass er „etwa 40 Vorträge gehalten“ habe. Meistens war er von der „Ligue des Droits de L`Homme“ eingeladen worden. Wie Vorträge von Thomas Mann und Alfred Kerr auf das Pariser Publikum wirkten, schilderte Tucholsky in dem Artikel „Deutsche Woche in Paris“. Darin heißt es:

Sehr bezeichnend ist das Publikum dieser pseudopazifistischen Veranstaltungen. Was sofort auffällt, ist der fast vollkommene Mangel an Jugend. Wo ist die -? Auf der andern Seite. Aber wäre ich zwanzig Jahre: ich ginge auch dorthin, wo etwas getan wird, wo Schwung sitzt, Kraft, Aktion, blutgeschwellte Adern. Wenn man in der Liebe stets zwanzig Jahre ist, dann ist man in der demokratischen Politik immer hundert. Manche werden gleich so geboren.
„Deutsche Woche in Paris“. In: Die Weltbühne, 9.2.1926, S. 206

Vielleicht war Robert Minder einer der Gründe für das Wörtchen „fast“ im zweiten Satz des Zitates.

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