Nichts sollte einem für gewöhnlich ferner liegen, als für die „Bild“-Kolumnen des früheren FAZ-Herausgebers Hugo Müller-Vogg Partei zu ergreifen. Bei dem aktuellen Beitrag zu „Berlin-Intern“ liegt die Sache dagegen anders. In diesem Falle liefern sich Müller-Vogg und die SPD-Granden Erhard Eppler, Egon Bahr und Hans-Jochen Vogel einen bizarren Streit darüber, wie und warum manchen Leuten der Friedensnobelpreis verliehen wurde.
Der Hintergrund: Die vergangene Woche verbreitete Meldung, wonach Bundeskanzler Gerhard Schröder für den Friedensnobelpreis nominiert worden sei, hat Müller-Vogg zu einem kleinen historischen Ausflug animiert. Nach dem Motto: „Ja, ja, wir wissen schon, wie eine solche Nominierung zustande kommt“, insinuiert er zunächst, dass der Schriftsteller und bekennende Schröder-Fan Günter Grass da wohl seine Hände im Spiel hatte. Um diese „Unterstützer-These“ zu belegen, erinnert er darin, dass es auch für Willy Brandts Nominierung prominente Fürsprecher gab. Und es bleibt nicht unerwähnt, dass Brandt aktiv daran beteiligt war, Mitte der 1930er Jahre das Nobelpreiskomitee dazu zu bewegen, den Preis dem KZ-Häftling Carl von Ossietzky zu verleihen.
Gegen diese Darstellung wehrt sich nun die SPD. In einem „offenen Brief“ Brief an „Bild“-Chefredakteur Kai Diekmann bezeichnen Bahr, Eppler und Vogel die Kolumne als „schändliches Schmierenstück“, in dem Brandt und von Ossietzky nachträglich „diffamiert“ würden. Und warum?
Willy Brandt ist von der Entscheidung des Komitees im November 1971 genauso überrascht worden wie seine engsten Mitarbeiter. ‚BILD‘ kennt die festgelegten Prozeduren der Nominierung, von denen natürlich nicht zugunsten von Deutschen abgewichen wird.
Kaum anzunehmen, dass Bahr, Eppler und Vogel selbst glauben, was sie da geschrieben haben. Wird ein Mensch etwa dadurch diffamiert, dass sich andere für ihn einsetzen? Im Gegenteil. Die verdeckte Nobelpreiskampagne für Ossietzky war wohl eine der bewundernswürdigsten Leistungen der deutschen Exil-Literaten. Und selbst Brandt räumte in einem Vorwort zu einer Ossietzky-Biographie ein:
Bei dieser „Kampagne“ ging es uns 1935/36, am Beispiel Ossietzkys, um das Schicksal der politischen Gefangenen. Es ging uns auch um die Entlarvung einer wahnwitzigen Politik, die zum Krieg führen musste. Es war nicht leicht, dafür Gehör zu finden.
Hermann Vinke: Carl von Ossietzky. Mit einem Vorwort von Willy Brandt. Hamburg 1978, S. 4
Auch im Falle Brandts dürfte es einigen Menschen darum gegangen sein, an dessen Beispiel eine friedensfördernde Politik zu unterstützen. Und vielleicht mag das sogar bei Schröders Nominierung zutreffen.
Die Kampagne für Ossietzky ging im wesentlichen auf den „Freundeskreis Carl von Ossietzky“ zurück, dem rund 20 deutsche Emigranten und nicht-deutsche Helfer angehörten. Die meiste Arbeit im Hintergrund leisteten aber die drei Frauen Hedwig Hünicke, Hilde Walter, Milly Zirker sowie Konrad Reisner. Auch Tucholsky beobachtete die Kampagne aufmerksam, wie folgende Briefausschnitte zeigen:
Die Nobelpreis-Aussichten für jenen scheinen vorhanden. Ich habe kräftig nachgestoßen.
7.10.1934
Die Tatsache, daß er für den Nobelpreis vorgeschlagen worden ist, soll einen „Übergriff niederer Instanzen“ bisher verhindert haben – andererseits ist die Gefahr gewachsen, weil er ihn nicht bekommen hat. Kameraden sollen ihm in der aufopferndsten Weise geholfen haben, aber das ist für sie selbst gefährlich.
Über den Nobelpreis werde ich nichts sagen und kaum etwas schreiben – darauf hat keiner einen Anspruch, und es erscheint mir als ein Denkfehler, die Kommission zu beschimpfen, die ihm den nicht gibt – natürlich aus Feigheit nicht gibt, was die Norweger auch ganz deutlich sagen. Aber diese Kritik gefällt mir nicht, wenn sie von mir kommt.
19.12.1935
Tucholsky sollte die Verleihung des Preises nicht mehr erleben. Seine letzte publizistische Anstrengung bestand darin, Knut Hamsun in norwegischen Medien schärfestens dafür anzugreifen zu dürfen, dass dieser sich abfällig über Ossietzky geäußert hatte. Aber selbst das blieb ihm verwehrt.