25.11.2008

Mit Schmus und Zitatenschatz (2)

Wenn es darum geht, in einen Kommentar ein böswilliges Zitat über die SPD einzuflechten, wird man bei Tucholsky schnell fündig. Das dachte sich wohl auch Manfred Bleskin vom Laufbandsender n-tv, der in seinem Beitrag »Der nibelunge nôt« über den drohenden Hinauswurf Wolfgang Clements sinnierte:

Im Prinzip müsste die siebenköpfige Schiedskommission der Bundes-SPD eine endgültige Entscheidung treffen. Doch wie heißt es schon bei Tucholsky: »Wat brauchste Prinzipien, wenn du eenen Apparat hast!«

Bei Tucholsky heißt es aber auch:

Bevor ich berlinere, überlege ich es mir dreimal, und zweimal tue ichs nicht.

Woraus folgen sollte: Bevor man Tucholskys Berlinisch zitiert, schaut man wenigstens einmal nach, ob es auch im Original so steht.

Denn in der Tat gibt es wenige Texte, in denen Tucholsky durchgehend berlinern lässt. Einer davon ist die bekannte Wahlkampfsatire »Ein älterer, aber leicht besoffner Herr«, von der einige Passagen geradezu sprichwörtlich geworden sind. Darunter auch die über die SPD:

Denn wak bei die Sozis. Na, also ick bin ja eijentlich, bei Licht besehn, ein alter, jeiebter Sosjaldemokrat. Sehn Se mah, mein Vata war aktiva Untroffssier … da liecht die Disseplin in de Familie. Ja. Ick rin in de Vasammlung. Lauta klassenbewußte Arbeita wahn da: Fräser un Maschinenschlosser un denn ooch der alte Schweißer, der Rudi Breitscheid. Der is so lang, der kann aus de Dachrinne saufn. Det hat er aba nich jetan – er hat eine Rede jehalten. Währenddem daß die Leute schliefen, sahr ick zu ein Pachteigenossn, ick sahre: »Jenosse«, sahre ick, »woso wählst du eijentlich SPD -?« Ick dachte, der Mann kippt mir vom Stuhl! »Donnerwetter«, sacht er, »nu wähl ick schon ssweiunsswanssich Jahre lang diese Pachtei«, sacht er, »aber warum det ick det dhue, det hak ma noch nie iebalecht! – Sieh mal«, sachte der, »ick bin in mein Bessirk ssweita Schriftfiehra, un uff unse Ssahlahmde is det imma so jemietlich; wir kenn nu schon die Kneipe, un det Bier is auch jut, un am erschten Mai, da machen wir denn ’n Ausfluch mit Kind und Kejel und den janzen Vaein … und denn ahms is Fackelssuch … es is alles so scheen einjeschaukelt«, sacht er. »Wat brauchst du Jrundsätze«, sacht er, »wenn dun Apparat hast!« Und da hat der Mann janz recht. Ick werde wahrscheinlich diese Pachtei wähln – es is so ein beruhjendes Jefiehl. Man tut wat for de Revolutzjon, aber man weeß janz jenau: mit diese Pachtei kommt se nich. Und das is sehr wichtig fier einen selbständjen Jemieseladen!

Kaspar Hauser: »Ein älterer, aber leicht besoff(e)ner Herr« in: Die Weltbühne, 9.9.1930, S. 405

18.11.2008

Mit Schmus und Zitatenschatz (1)

In der wöchentlichen Kolumne, die er zusammen mit Michael Jürgs im Hamburger Abendblatt füllt, hat sich Ex-Stoiber-Berater Michael Spreng in dieser Woche mit Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff befasst. Mit Blick auf Wulffs legendäres Stern-Interview, in dem er einen fehlenden Machtwillen einräumte, kommt Spreng zu dem Schluss:

Offenbar glaubte er dem Bibel-Wort, dass derjenige, der sich erniedrigt, erhöht werde. Das hat schon Kurt Tucholsky spöttisch kommentiert: der will erhöht werden.

Knapp daneben gesprungen.

Dabei war mit dem „Willen zur Macht“ die Brücke zum richtigen Stichwortgeber doch schon gebaut. Denn niemand anderes als Friedrich Nietzsche himself bemerkte in Menschliches, Allzumenschliches:

87

Lukas 18,14 verbessert. – Wer sich selbst erniedrigt, will erhöhet werden.

Tröstlich für Michael Spreng, dass Wulff auch nicht immer das Ziel trifft, wenn es um Tucholsky-Zitate geht.

12.11.2008

Großer Krieg mit unerwartetem Ausgang

Im Tucholsky-Museum in Rheinsberg ist derzeit eine Ausstellung zu sehen, die ein »kollektives Tagebuch französischer und deutscher Schriftsteller 1914-1918« abbildet. Die in den Medien viel beachtete Ausstellung ergibt nach Angaben der Ausstellungsmacher eine »Chronik jener Umbruchzeit, die das Ende des alten Europa markiert und heute als die eigentliche Zeitenwende im 20. Jahrhundert verstanden wird«.

Von den deutschen Schriftstellern gab es nur wenige, die im Sommer 1914 nicht von der Kriegsbegeisterung erfasst wurden. Der Tagesspiegel erinnert an Thomas Mann, Gerhart Hauptmann, Hugo von Hofmannsthal, die unter anderem die Frage stellten: »Muß man nicht dankbar sein, für das vollkommen Unerwartete, so große Dinge erleben zu dürfen?« (Mann). Das Deutschlandradio Kultur weist darauf hin, dass allein im August 1914 rund eineinhalb Millionen Kriegsgedichte geschrieben wurden (wer immer diese Gedichte gezählt haben mag). Aus diesem Grund lohnt es sich, hier zu dokumentieren, wie sich Tucholsksy in den ersten beiden Jahren zum Krieg geäußert hat:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Der Vielschreiber war komplett verstummt. Noch Ende Juli 1914 hatte er sich in den parodierten »Demonstranten-Briefen« über die wachsende Kriegsbegeisterung in Berlin lustig gemacht. Nach dem Ausbruch des Krieges hatte es ihm dagegen angesichts des Enthusiasmus am zu erwartenden Massentöten die Sprache verschlagen. Die Stimmung seiner Mitbürger war in den »Demonstranten-Briefen« offenbar zu gut getroffen:

»… Am Vorabend eines Krieges! Er wird, er muß kommen! Dafür werden wir schon sorgen. Gestern abend haben wir den Anfang gemacht – mit einer Demonstration! Es war glänzend! Entblößten Hauptes sind wir zwei und eine halbe Stunde in der Stadt herumgezogen und haben gelärmt wie Tollhäusler. Herrlich! Ich habe persönlich ein Hoch auf den Krieg ausgebracht, unmittelbar vor dem Kanzlerpalais. Ich hoffe, er hat es gehört. Er muß jetzt kommen, der Krieg. Du ahnst gar nicht, wie ich mich darauf freue. Ich höre schon den Donner der Kanonen von ferne in meinen Ohren; mein geistiges Auge sieht schon das Schlachtgewühl: Reiterattacke, die Säbel sausen, gespaltene Schädel, spritzendes Blut, quellende Eingeweide … Herrlich! Großartig! Welchem Patrioten schlägt das Herz nicht höher, wenn er sich vorstellt, wie Deutschland so einmal wieder kriegerischen Lorbeer pflückt. Ach, was gibt es Schöneres als den Krieg?! Faul und matt sind wir geworden durch den langen Frieden. Stickig und schwül ist die Luft. … Nun aber soll es kommen, das erlösende Gewitter, reinigend, beglückend. Gewiß, es wird Opfer fordern. Aber – süß und ehrenvoll ist es, für das Vaterland zu sterben! … Wer wollte zögern, wenn die Stunde der Entscheidung schlägt? … Frisch auf, mein Volk, die Flammenzeichen rauchen! Vorwärts immer, rückwärts nimmer! Deutschland, Deutschland, über alles –!

Leb wohl, ich kann nicht mehr.

Dein begeisterter
Emil.
(Landsturm ohne Waffe.)«

Es ist auch nicht so, als habe Tucholsky erst 1931 das Töten im Krieg als Mord bezeichnet. Schon im Mai 1912, also 19 Jahre vor seinem berühmten Soldaten-sind-Mörder-Zitat, veröffentlichte er im Vorwärts den Dialog des lieben Gottes mit einem preußischen Militärpiloten, der den Höhenrekord eines französischen Fluglehrers hatte brechen wollen und dabei abgestürzt war.

Kleines Gespräch mit unerwartetem Ausgang

Der Herrgott saß auf Wolkenkissen
und sah sich seine Erde an.
Was braust herauf? – Sieh da, das is ’n
Wolkenkahn!

Ein Offizier grüßt freundlich lächelnd:
»Jestatten! Schwaben Nr. 4!«
(und die Propeller surren fächelnd) –
»Wir sind nu hier!«

»Was sagen Sie zu unserm Siege?
Wir brachen spielend den Rekord.
Wozu? – Wir brauchen das zum Kriege.« –
»Zum Krieg? – Zum Mord!«

»Erlauben Sie, Sie sind zu schwächlich …»
»Und wer gab Euch das viele Geld –?»
»Das Volk! das Volk war es hauptsächlich
vom Rhein zum Belt!« –

»Das Volk? – Habt ihr so krumme Nacken?
Ist denn bei euch das Volk so dumm?«
Hier lachte Gott aus vollen Backen.
Man kippte um.

Das heißt jedoch nicht, dass Tucholsky als Pazifist und Antimilitarist auf die Welt gekommen und zeitlebens diese Position beibehalten hätte. Gegen Ende des Ersten Weltkrieges spielte er sogar mit dem Gedanken, als Offizier bei der Feldpolizei Karriere zu machen. In einer Abhandlung über Tucholskys pazifistische Positionen zwischen 1912 und 1919 kommt Ian King daher zu dem Fazit:

Ein junger Mann sucht seinen Weg. Als Schriftsteller, als zum Kriegsdienst Eingezogener, als Journalist und als Friedenskämpfer. Tucholsky macht nicht auf Anhieb alles richtig, prüft verschiedene Facetten seines Talents, überlebt den Krieg in Kurland und Rumänien, verspricht sich, nachher die Wahrheit über seine Militärerfahrungen zu erzählen, hält trotz aller Anfechtungen und Gefahren Wort.

Ian King: »Der verhinderte Offizier. Der junge Tucholsky über Militär und Pazifismus«, in: Friedhelm Greis, Ian King (Hg.): Der Antimilitarist und Pazifist Tucholsky. Dokumentation der Tagung 2007 »Der Krieg ist aber unter allen Umständen tief unsittlich«. St. Ingbert 2008, S. 39-56, hier S. 53

9.11.2008

Erinnerung an eine Unvollendete

Um die Ursachen zu finden, an denen die Weimarer Republik schließlich scheiterte, muss man nach Ansicht Tucholskys in ihrer Entstehungszeit suchen. Auch wenn die Revolution im November 1918 in wenigen Tagen jahrhundertealte Herrscherhäuser vom Thron fegte, hatte sie den Titel offenbar nicht wirklich verdient. Über die Ereignisse vor 90 Jahren schrieb Tucholsky wenige Monate später, im März 1919, in seinem programmatischen Artikel »Wir Negativen«:

Wenn Revolution nur Zusammenbruch bedeutet, dann war es eine; aber man darf nicht erwarten, daß die Trümmer anders aussehen als das alte Gebäude.

Der große Fehler der ersten republikanischen Regierung habe darin bestanden, den neuen Staat auf eben diesen Trümmern des alten Kaiserreiches zu errichten: Justiz, Verwaltung, Militär. Vor allem den ersten Reichspräsidenten Friedrich Ebert machte Tucholsky für diese verhängnisvolle Entscheidung verantwortlich. Noch nach dessen Tod wetterte er:

Wer so wenig politisches Gefühl hat, um nicht zu sehen, daß es in diesem Moment das Äußerste an verbrecherischem Wahnsinn war, einen Staat, der grade an seinen Lastern zusammengebrochen war, mit eben diesen Lastern wiederaufzubauen, dem ist nicht zu helfen. Hinter Ebert standen wenige Tage lang Millionen von Arbeitern – er holte sich entlaufene Offiziere und baute mit denen etwas auf, was er die Ordnung nannte, und was die Arbeiter bald als Gefängnis erkannten. Hinter ihm standen wochenlang zahllose Studenten, Rechtsanwälte, selbst Beamte – er beließ die Richter und Landräte in ihren Stellungen und baute auf. Was dann begann, ist frisch in aller Erinnerung.

»Die Ebert-Legende«. in: Die Weltbühne, 12.1.1926, S. 52

Typische Formulierungen, mit denen Tucholsky auf die Revolution zurückblickte, lauteten:

Das war eine deutsche Revolution:
Eine mit Organisation,
eine mit Stempeln und Kompetenzen –
beileibe nicht mit wilden Tänzen
(1920)

Kriege sind über uns hereingebrochen, Volksbelustigungen, denen man in Deutschland den Namen »Revolution« anhängte, … (1925)

Aber es ist doch traurig zu sehen, wie wenig diese sogenannte Revolution eigentlich bewirkt hat. (1925)

Es ist ja dieser »Revolution« genannten deutschen Volkssehnsucht, Weihnachten 1918 wieder bei Muttern zu feiern, vorbehalten gewesen, einen staatsrechtlichen Umschwung mit »wohlerworbenen Rechten« einzuleiten. (1927)

Diese Revolution war keine. (1927)

Die deutsche Revolution hat im Jahre 1918 im Saale stattgefunden. (1928)

Die deutsche Revolution steht noch aus. (1928)

Wegen ungünstiger Witterung fand die deutsche Revolution in der Musik statt. (1930)

Tucholsky selbst verhielt sich in dieser umwälzenden Epoche um den Jahreswechsel 1919 alles andere als revolutionär. Als er um den 20. November 1918 aus dem Kriegseinsatz in Rumänien nach Berlin zurückkehrte, war die Republik bereits ausgerufen. Im Dezember wurde er Chefredakteur des Ulk, der Satirebeilage des Berliner Tageblatts. Anders als in der Weltbühne, wo er beispielsweise noch Sympathie für die Spartakisten aufbrachte, die »die Geschichte beim Schopfe« packten, kritisierte er im Ulk:

Der Spartakus, der Spartakus,
der möcht uns gern regieren;
er will bei diesem Friedensschluß
die Leut noch kujonieren.
Im ganzen Kriege schoß er nicht
so viel um sich herum
wie hier, nut, nut, an einem Tag

»Berliner Drehorgellied«, in: Ulk, 17.1.1919

Erst, als es schon zu spät und Revolutionäre wie Kurt Eisner, Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg ermordet waren, verspottete Tucholsky die halbherzigen Aktionen der Regierung:

Seit November tanzt man Menuettchen,
wo man schlagen, brennen, stürzen sollt.
Heiter liegt der Bürger in dem Bettchen,
die Regierung säuselt gar zu hold.
Sind die alten Herrn auch rot bebändert,
deshalb hat sich nichts bei uns geändert.
Kommts, daß Ebert hin nach Holland geht,
spricht er dort zu einer Majestät:
»Schließen wir ’nen kleinen Kompromiß!
Davon hat man keine Kümmernis.
Einerseits – und andrerseits –
So ein Ding hat manchen Reiz …«
Und durch Deutschland geht ein tiefer Riß.
Dafür gibt es keinen Kompromiß!

»Das Lied vom Kompromiß«, in: Die Weltbühne, 13.3.1919, S. 297

Rückblickend räumte Tucholsky 1935 in einem Brief ein, in der damaligen Situation selbst die Lage nicht richtig erfasst und zu sehr auf den Tageblatt-Chefredakteur Theodor Wolff gehört zu haben:

1918/1919 habe ich überhaupt nichts verstanden – aus dieser Zeit datieren meine dümmsten Arbeiten, die ich teils selbst auf dem Gewissen habe, zum Teil ließ ich sie publicieren, verleitet durch den etwas dümmlichen Mann, den Du neulich kennen gelernt hast, und der nicht weiß, wo Gott wohnt.

In den zahlreichen Rückblicken der Medien auf den 90. Jahrestag der Novemberrevolution finden sich auch mehrere mit Bezug zu Tucholsky:

18.9.2008

Mondkalb Adof

Um heutzutage einen kleinen Aufschrei auszulösen, reicht es noch immer, irgendjemanden mit Hitler oder Goebbels zu vergleichen. Das passierte neulich auch Altkanzler Helmut Schmidt, als er in einem Interview mit der Bild am Sonntag die Redekünste Oskar Lafontaines mit denen von »Adolf Nazi« gleichsetzte.

Der Berliner Tagesspiegel näherte sich dem Vergleich nun von der geschichtlichen Seite und fragte den Historiker und Journalisten Rudolf Rietzler:

Woher stammt dann die Bezeichnung »Adolf Nazi«?

Der Name stammt wohl aus den mit harten Bandagen geführten politischen Auseinandersetzungen in der Weimarer Republik. Tucholsky hat schon 1922 von den »Nazis« geschrieben. Es gab die »Sozis« (Sozialdemokraten), es gab die »Kozis« (Kommunisten) und es gab die von den Linken gehassten »Nazis«.

Diese Antwort ist in mehrfacher Hinsicht verwirrend. Zum einen müsste ein Historiker doch in der Lage sein, die Verwendung des Begriffs »Adolf Nazi« in der Weimarer Republik zu belegen. Zum anderen meinte Tucholsky, als er im Juni 1922 einen Text mit dem Titel »Die ›Nazis‹« veröffentlichte, damit mitnichten die Nationalsozialisten, von denen er zu diesem Zeitpunkt vielleicht noch nie etwas gehört hatte. Mit »Nazis« bezeichnet man damals abfällig die Deutsch-Österreicher und Deutsch-Böhmen, was aus dem Text auch eindeutig hervorgeht.

Mach keine Kulleraugen, Leser. Wir wollen uns schnell darüber einigen, daß ich mit den »Nazis« jene gewisse Gattung des österreichischen, mährischen und speziell wienerischen Künstlervölkchens meine, die anfängt, obgemeldetes Berlin auf das Heftigste zu verpesten. Wir wollen das aber gar nicht mehr.

Der Begriff »Nazi« leitete sich offenbar vom Kosenamen für Ignaz ab. Auch in seinem satirischen »Requiem« von 1923 erwähnte Tucholsky an seinem Grab »eine Abordnung von Nazis, die der Tote so geschätzt hatte …«. Drei Jahre später, im Juni 1926, tauchte der Begriff ein weiteres Mal in der ursprünglichen Bedeutung auf. Tucholsky schrieb in einer Besprechung des Schwejk:

Könnte der deutsch-nationale Student lesen und läse er dieses Buch, so wäre er schnell bei der Hand, etwa zu sagen: »Solch einen Feldkuraten hats sicherlich nicht einmal bei den Nazis gegeben.«

Vier Jahre später, nach den ersten größeren Wahlerfolgen der NSDAP, hatte sich die Bedeutung des Begriffes dagegen gewandelt:

Die tiefe Blutsverwandtschaft zwischen diesen Richtern und allem, was Militär heißt, ist evident; man hat das ja wieder aus den letzten Prozessen gegen die Nazis gesehen.

Womit Tucholsky im Februar 1930 auf den Prozess von Schweidnitz anspielte, in dem Nationalsozialisten trotz Anzettelung einer schweren Schlägerei meist freigesprochen worden waren.

Wenn sich Tucholsky später über Hitler lustig machte, hat er ihn nie »Adolf Nazi« genannt. Nach der »Machtübergreifung« (Tucholsky) verspottete er ihn als »Adof (dem wir das L nun endgültig wegnehmen wollen, wir brauchen es ja für Eckner, Hei Adof!)«. Anders als Schmidt schätzte er Hitler auch nicht als »charismatischen Redner« ein. Nachdem er ihn zum ersten Mal im Radio gehört hatte, schrieb er:

Die Stimme ist nicht gar so unsympathisch wie man denken sollte – sie riecht nur etwas nach Hosenboden, nach Mann, unappetitlich, aber sonst gehts. Manchmal überbrüllt er sich, dann kotzt er. Aber sonst: nichts, nichts, nichts. Keine Spannung, keine Höhepunkte, er packt mich nicht, ich bin doch schließlich viel zu sehr Artist, um nicht noch selbst in solchem Burschen das Künstlerische zu bewundern, wenn es da wäre. Nichts. Kein Humor, keine Wärme, kein Feuer, – nichts. Er sagt auch nichts als die dümmsten Banalitäten, Konklusionen, die gar keine sind – nichts. Ceterum censeo: ich habe damit nichts zu tun.

In der Weltbühne gab man sich ebenfalls Mühe, für den Hitler kreativere Namen als »Adolf Nazi« zu finden:

»Sadistischer Oberkonfusionsrat«, »deutscher Duce«, »Wechselbalg des Teufels«, »halbverrückter Schlawiner«, »Narr in Folio«, »übergeklappter leopoldstädter Heringsbändiger«, »alberner Poltron«, »großformatiger Dummkopf« und »pathetisches Mondkalb« lauteten die Bezeichnungen.
Aus Teutschland Deutschland machen. Ein politisches Lesebuch zur Weltbühne, S. 444

Zum Glück gab es bis dato in der Geschichte noch niemanden, mit dem man Hitler hätte vergleichen können.

14.9.2008

Mediale Waschmaschine

„Zunächst soll man seinen Gegner nicht im Bett aufsuchen“, schrieb Tucholsky 1932, als die Linkspresse die Homosexualität des SA-Führers Ernst Röhm publik machte. Gilt diese Einschätzung auch dann, wenn es sich nicht um den politischen Gegner, sondern um einen Parteifreund handelt? (Was ja häufig genug identisch ist.)

In einem aktuellen Fall sollen Parteifreunde das Gerücht befördert haben, wonach ihr Regierungschef eine nicht folgenlos gebliebene Affäre mit einer Sekretärin hatte. Die Schwierigkeit bei solchen Bettgeschichten besteht jedoch darin, sie an die Öffentlichkeit zu bringen, ohne als Urheber bekannt zu werden. Das sollen dann bitte die Medien übernehmen. In diesem Fall setzte die Bild-Zeitung das Gerücht auf die erste Seite ihrer Regionalausgabe. Das Besondere an der Aktion: Der Betroffene lieferte das Dementi gleich mit. Dem gingen offenbar interne Diskussionen voraus, wie die ansässige Lokalzeitung berichtet:

In der Opposition hält man es dagegen für einen Fehler, einem bis dato nicht publizierten Gerücht dadurch den Boden entziehen zu wollen, indem man es in einer bundesweit erscheinenden Zeitung dementiert. In der Staatskanzlei wurde dem Interview-Wunsch von Bild dem Vernehmen nach erst nach intensivem Abwägen stattgegeben.

Offen bleibt, ob und was gedruckt worden wäre, wenn die Staatskanzlei das Interview abgelehnt hätte. Im Fall Seehofer war die Bild-Zeitung nicht gerade zimperlich vorgegangen.

Das Blatt hatte damals argumentiert:

Wer sein Privatleben groß plakatiert, wer es politisch einsetzt, muss sich daran messen lassen. Und genau das tun wir.

Im vorliegenden Fall könnte es darum gegangen sein, dem Politiker mit den bloßen Gerüchten zu schaden. Was auch dann funktioniert, wenn er sie prominent dementiert.

Für die Seriosität der bundesdeutschen Medien spricht, dass bis auf besagte Lokalzeitung, eine weiteres Springer-Organ sowie ein Internet-Boulevardmagazin niemand das Gerücht nebst Dementi aufgegriffen hat. Die eigentliche Geschichte lautet ohnehin: Wollen die „Parteifreunde“ ihren politisch angeschlagenen Chef möglicherweise weiter diskreditieren? Und falls ja, welche Rolle sollte die Presse bei solchen Intrigenspielen übernehmen?

Was Letzteres betrifft, so hat Paul Krugman in seiner jüngsten New York Times-Kolumne das unkritische Verhalten der Medien mit dafür verantwortlich gemacht, dass politische Lügenkampagnen erfolgreich sein können:

Warum glauben die Leute von McCain, dass sie mit diesem Kram davonkommen? Sie rechnen offenbar mit der üblichen Praxis der Nachrichtenmedien, um jeden Preis „ausgewogen“ zu sein. Wir wissen, wie es läuft: Wenn ein Politiker sagt, dass Schwarz Weiß ist, heißt es in der Nachrichtenmeldung nicht, dass er unrecht hat, sondern dass „irgendwelche Demokraten sagen“, dass er sich irrt. Oder einer grotesken Lüge der einen Seite wird eine unbedeutende Falschbehauptung der anderen an die Seite gestellt, wodurch der Eindruck befördert wird, dass beide Seiten gleichermaßen schmutzig sind.

Hauptsache, die Medien bleiben dabei sauber.

13.9.2008

Ein Staatsbürger in Uniform

Oberstleutnant Jürgen Rose ist sicher einer der ungewöhnlichsten Offiziere in der Geschichte der Bundeswehr. Es gibt wohl nicht viele unter seinen Kameraden, die gegen die Stationierung von Atomwaffen auf deutschem Boden demonstrieren und dabei Sätze sagen würden wie:

Für all jene Soldaten, die sich an der nuklearen Massenvernichtung beteiligen, gilt das bekannte Verdikt des scharfzüngigen Publizisten und leidenschaftlichen Pazifisten Kurt Tucholsky: Diese Soldaten sind Mörder.

Nur zur Erinnerung: 1932 verklagte das Reichswehrministerium wegen dieses Satzes den Weltbühne-Herausgeber Carl von Ossietzky, noch Ende der 90er Jahre strebte die schwarz-gelbe Koalition deswegen einen Ehrenschutzparagrafen für die Bundeswehr an. Zwei Jahre zuvor hatte das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass das Zitieren von Tucholskys Diktum durch die Meinungsfreiheit gedeckt sei.

Die Verbindung von Rose zu Tucholsky kommt nicht von ungefähr. So vertrat Rose im Oktober vergangenen Jahres die Soldatengruppierung Darmstädter Signal, die Zielen der Friedensbewegung nahe steht, auf einer Podiumsdiskussion zur Aktualität Tucholskys pazifistischer Positionen. Das vollständige Transkript der Diskussion wurde vor kurzem veröffentlicht. Regelmäßige Leser des Freitag oder des Ossietzky werden darin bekannte Positionen Roses wiederfinden. Interessant ist die Lektüre vor allem, um die rhetorischen Leistungen der beiden auf dem Podium vertretenen Offiziere zu vergleichen. Allerdings sprach natürlich nicht Rose, sondern Oberstleutnant Uwe Ziesak für die Bundeswehr.

Was sagt die Tatsache, dass ein Offizier wie Rose weiterhin der Bundeswehr angehört, über die Bundeswehr selbst? Tucholsky hatte für Einschätzungen gesellschaftlicher Gruppen eine Regel aufgestellt:

Kollektivurteile sind immer ungerecht, und sie sollen und dürfen ungerecht sein. Denn wir haben das Recht, bei einer Gesellschaftskritik den niedersten Typus einer Gruppe als deren Vertreter anzusehen, den, den die Gruppe grade noch duldet, den sie nicht ausstößt, den sie also im Gruppengeist bejahend umfaßt.
Ignaz Wrobel: „Deutsche Richter“, in: Die Weltbühne, 12.4.1927, S. 581

Im Sinne Tucholskys taugt Rose somit nicht als Maßstab für ein solches Kollektivurteil, da ein friedensliebender Offizier als höchster Vertreter seiner Gruppe angesehen werden müsste.

Aber mit seinen Positionen hat sich Rose in der Bundeswehr alles andere als Freunde gemacht, von einem Bußgeld wegen Kritik am KSK abgesehen. Der Spiegel zitierte im März 2008 aus einer „politischen Hass-Mail“ an Rose:

„Ich beurteile Sie als Feind im Inneren und werde mein Handeln danach ausrichten, diesen Feind im Schwerpunkt zu zerschlagen“, schreibt Daniel K. Er distanziere sich von „diesem linken Zeitgeistkonglomerat uniformierter Verpflegungsempfänger“, Rose solle zurückkehren in „die Sümpfe des Steinzeitmarxismus“.

Dass es in einer rund 250 000 Soldaten starken Armee Menschen gibt mit höchst divergierenden politischen Ansichten, kann weder erstaunen noch die Wehrkraft gefährden. Was Daniel K. jedoch im Folgenden in seiner E-Mail schreibt, legt den Verdacht nahe, dass er sich als Teil einer Gruppe sieht, die linksdenkende Kameraden mehr als verachtet: „Sie werden beobachtet, nein nicht von impotenten instrumentalisierten Diensten, sondern von Offizieren einer neuen Generation, die handeln werden, wenn es die Zeit erforderlich macht.“ In einem Postskriptum schließt er seine Tiraden mit dem Satz: „Es lebe das heilige Deutschland.“

Es ist bislang nicht bekannt, dass die Bundeswehr diese „Offiziere einer neuen Generation“ nicht dulden würde.

20.7.2008

Schirmherr Tucholsky

Eines der amüsantesten Pressefotos zum Thema Bundeswehr und Kriegsgegner wurde am 20. Juli 1999 in Berlin geschossen, oder pazifistischer ausgedrückt: geknipst. Man findet es im Ullstein-Archiv hier.

Die Geschichte dazu stand am Samstag noch mal bei der taz, unter der passenden Überschrift: „Tucholsky hat Recht“.

31.1.2008

Wiedersehen vor Gericht

Der Deutschlandfunk hat sich eine Studie zu Justizberichten in den 20er Jahren angeschaut und steigt in seine Rezension mit folgender Behauptung ein:

Wer an Gerichtsreportagen der 20er Jahre denkt, wenigstens was Deutschland angeht, dem wird zu allererst Kurt Tucholsky einfallen. Doch der sarkastische und wütende Kritiker von Gesinnungs- und Klassenjustiz kommt im Buch von Daniel Siemens nur ein einziges Mal namentlich vor, nämlich als einer jener Prominenten der Weimarer Republik, die sich erfolglos für die Abschaffung der Todesstrafe einsetzten.

Doch dieser Vorwurf trifft Daniel Siemens zu Unrecht. Wer an Gerichtsreportagen der 20er Jahre denkt, dem sollten zunächst einmal Journalisten wie Paul Schlesinger alias Sling oder Gabriele Tergit in den Sinn kommen. Dagegen weniger Dr. iur. Tucholsky. Zwar finden sich in der Tat ungezählte Justizkritiken in seinem Werk, allen voran die dreiteilige Serie „Deutsche Richter“ von 1927. Aber eigentliche Reportagen hat er nur über ausgesuchte politische Prozesse geschrieben, wie beispielsweise nach dem Attentat auf Maximilian Harden. Außerdem lebte Tucholsky während der 20er Jahre nun einmal die meiste Zeit nicht in Deutschland. Deshalb konnte er am 5. April 1927 sein freudiges „Wiedersehen mit der Justiz“ feiern:

Es ist noch alles da.
Wenn man das drei Jahre lang nicht genossen hat: die moabiter Justizfabrik und die unhöflichen Gerichtsdiener und diese Richterköpfe und die kleinen verschreckten Schöffen, Mikrozephalen oder Kolonialwarenhändler, und die artigen Verteidiger, die immer ein bißchen etwas vom Komplicen an sich haben, und die Angeklagten, die nicht wissen, wie ihnen geschieht – wenn man das drei Jahre lang nicht genossen hat, so darf man erfreut feststellen, daß noch alles da ist. Justitia . . . Ein Vormittag, und die Binde sitzt hinten.

30.1.2008

Gekotze aus dem Radio

Heute vor 75 ist Adolf Hitler von Reichspräsident Paul von Hindenburg zum Reichskanzler ernannt worden. Das ist auch der Nachrichtenagentur dpa nicht entgangen, und sie hat ihre Kunden vor einigen Tagen mit einem Hintergrundtext zur „Machtergreifung“ beliefert. Der Artikel wurde von einigen Medien übernommen – mitsamt der folgenden, in mehrfacher Hinsicht unzutreffenden Passage:

Am Abend ziehen in Berlin gut 20 000 SA-Leute und Stahlhelm-Angehörige in einem stundenlangen Fackelzug durch das Brandenburger Tor und die Wilhelmstraße hinunter. Tausende beobachten den Aufmarsch, an einem Fenster der Reichskanzlei auch Hitler. Beim Rundfunk haben die Nazis eine Live-Berichterstattung durchgesetzt. Der Satiriker Kurt Tucholsky hört am Radio mit und prägt seinen Spruch: «Man kann gar nicht so viel fressen, wie man kotzen möchte.»

Nun gibt es bei den Tucholsky-Zitaten von Wikiquote aus gutem Grund einen Abschnitt mit der Überschrift „Fälschlich zugeschrieben“. In diese Kategorie gehört auch der laut dpa von Tucholsky geprägte Spruch. Als sein eigentlicher Urheber gilt der Maler Max Liebermann. Dieser brauchte nicht einmal ein Radio, um den Aufmarsch live mitzuverfolgen. Er musste nur aus dem Fenster schauen, – denn sein Haus lag direkt am Brandenburger Tor.

Bis Tucholsky die Gelegenheit hatte, „Adofn“ zum ersten Mal im Radio zu hören, sollte es noch einen Monat dauern. Am 4. März 1933 schrieb er von Zürich aus an seinen Freund Walter Hasenclever:

Vorgestern haben wir hier einen Radio installiert und Adof gehört. Lieber Max, das war sehr merkwürdig. Also erst Göring, ein böses, altes blutrünstiges Weib, das kreischte und die Leute richtig zum Mord aufstachelte. Sehr erschreckend und ekelhaft. Dann Göbbeles mit den loichtenden Augen, der zum Vollik sprach, dann Heil und Gebrüll, Kommandos und Musik, riesige Pause, der Führer hat das Wort. Immerhin, da sollte nun also der sprechen, welcher … ich ging ein paar Meter vom Apparat weg und ich gestehe, ich hörte mit dem ganzen Körper hin. Und dann geschah etwas sehr Merkwürdiges.

Dann war nämlich gar nichts. Die Stimme ist nicht gar so unsympathisch wie man denken sollte – sie riecht nur etwas nach Hosenboden, nach Mann, unappetitlich, aber sonst gehts. Manchmal überbrüllt er sich, dann kotzt er.

Und nicht Tucholsky. Dessen Resümee lautete: „Ceterum censeo: ich habe damit nichts zu tun.“

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