17.5.2005

Bittere Liebe

Von Fritz J. Raddatz, Vorsitzender der Tucholsky-Stiftung, ist hinreichend bekannt, dass er seinen Tucholsky gut kennt und ihn auch ausgiebig zitiert. So auch in einem Text in der „Welt“, in dem er Dieter Fortes Roman „Auf der anderen Seite der Welt“ rezensiert. Darin heißt es an einer Stelle:

Nun wußte schon der kluge Tucholsky „Keine Liebe ohne bitter“. Will sagen: Der Roman hat einen Makel; gelungen bedeutet eben nicht vollendet.

Und weil allgemein bekannt ist, dass Raddatz in Sachen Tucholsky nicht unbedarft ist, sei hier nur kurz festgestellt: „Keine Liebe ohne bitter“ stammt nicht von Tucholsky und sollte daher in Zukunft bitte nicht als Tucholsky-Zitat in Umlauf gebracht werden. Was nicht heißen soll, dass sich dieser Satz nicht in einem Text von Tucholsky findet. Und zwar in der Glosse „Taschen-Notizkalender“, in dem sich über eine merkwürdig ins Deutsche übertragene Sammlung von Sprüchen ausgelassen wird:

Das Ding ist in deutscher Sprache verfaßt, unzweifelhaft – aber irgend etwas in der Druckerei muß feucht geworden sein: der Verfasser, das Papier oder der Setzer … es ist eine Art Privatdeutsch. So:
Über „Angaben und Rezepten über einfache Tierarzneikunde“, wobei zu bemerken: „Zur Vernichtung der Lause“ und „Zur Entfernung der Fliegen“ treten wir in den Jahreskalender, der durch allgemein belehrende Angaben und fromme Sprüche geziert ist
Peter Panter: „Taschen-Notizkalender“, in: Vossische Zeitung, 30.6.1928

Einer dieser frommen Sprüche lautet: „Liebe ist nicht ohne bitter“, – was Tucholsky mit dem Satz kommentiert: „Wem sagt der Kalender das!“ Er war eben nicht nur klug, sondern auch leidgeprüft.

14.5.2005

Gesammelte Sex-Erwähnungen

Zum 70. Todestag von Magnus Hirschfeld findet sich ein ausführliches Porträt des Sexualwissenschaftlers in der „taz“. Ralf Dose und Jan Feddersen weisen in ihrem Text „Der Sex-Sammler“ darauf hin, dass Hirschfelds Institut für Sexualwissenschaft auch von „freisinnigen Intellektuellen“ anerkannt worden sei.

Berlin war auch durch diesen Mediziner die Hauptstadt der World Queer Nation. Walter Benjamin, Kurt Tucholsky und Thea Sternheim erwähnten ihn in ihren Schriften gern.

In der Tat stießen Hirschfelds Bemühungen um sexuelle Aufklärung bei Tucholsky im Prinzip auf Sympathien. Aber im Detail äußerte er auch starke Kritik:

Die Persönlichkeit des Doktor Hirschfeld ist vielen von uns nicht allzu angenehm. Sein allzu hitziges und nicht immer geschmackvolles Eintreten für die Homosexuellen hat es jahrelang fast unmöglich gemacht, die Aufhebung des § 175 zu betreiben, weil sich die Materie unter seinen Händen langsam in ein Moorbad verwandelt hatte. Eine ziemlich üble Mischung von kitschiger Sentimentalität, falscher Romantik und einer Schein-Wissenschaftlichkeit, die mancher männlichen Jungfer einen Ersatz für das Leben bot, zeichneten Werke und Wirken des Mannes aus. Seine Aufklärungsfilme waren entsprechend.
Ignaz Wrobel: „Hepp hepp Hurra!“, in: Freiheit, 15.10.1920

Und selbst in den Fällen, in denen er Hirschfeld vor reaktionären Bestrebungen in Schutz nahm, brachte er seine Distanz zu dessen Vorgehensweise zum Ausdruck:

Es ist eine Dreistigkeit sondergleichen, einen Wissenschaftler wie Hirschfeld auf eine Schmutzliste zu setzen. Ich stimme mit dem Mann in vielen Punkten nicht überein; über die Art seiner Propaganda läßt sich manches sagen – aber doch immer mit dem Hut in der Hand, doch immer mit der Anerkennung: Hier hat sich einer für eine vernünftige Sache gegen seine Zeit und die Schande des Strafgesetzentwurfs gestemmt.
Ignaz Wrobel: „Nr. 1“, in: Die Weltbühne, 10.9.1929, S. 381

Wenn Tucholsky in seinen Schriften Hirschfeld „gern“ erwähnte, dann zum Teil wohl auch als abschreckendes Beispiel.

Vom „dicken Bären“

Nicht bei Ebay, sondern bei einem ganz gewöhnlichen Auktionshaus sind in der kommenden Woche zwei von Tucholsky signierte Bücher zu ersteigern. Wie die „FAZ“ in dem Artikel „You cannot escape Nietzsche“ berichtet, befinden sich die Exemplare vom „Pyrenäenbuch“ und von „Rheinsberg“ dabei in illustrer Gesellschaft:

In der umfangreichen Sammlung eines, wie der Katalog formuliert, „Hamburger Kosmopoliten“ finden sich Bücher der Weltliteratur in Widmungsexemplaren, unter anderen von Hans Christian Andersen, Gabriele d’Annunzio, Hugo Ball, Wolfgang Borchert, George Cruikshank, John Dos Passos, Max Ernst, Ernest Hemingway, Ferdinand Lassalle, Johann Caspar Lavater, Oskar Panizza, Kurt Schwitters, Gertrude Stein, Kurt Tucholsky, Walt Whitman – darunter eine besondere Rarität: Franz Kafkas „Der Heizer“, mit einer der höchst raren eigenhändigen Widmung Kafkas aus dem Jahr 1913.

Versteigert werden die Buchraritäten von dem Auktionshaus Hauswedell & Nolte. Detaillierte Angaben zu den beiden Tucholsky-Exemplaren finden sich hier.

Nachtrag: Das mit einer persönlichen Widmung versehene „Pyrenäenbuch“ erzielte einen Preis von 600 Euro, die signierte „Rheinsberg“-Ausgabe wurde für 500 Euro versteigert.




„Der Schlittschuhläuferin E.H.“ widmete der „dicke Bär“ Tucholsky eine Ausgabe seines „Pyrenäenbuchs“.

11.5.2005

Vergilbte Kritik

Ist das nun eine offene Kritik oder ein verstecktes Lob? In einem Porträt des „Pop-Poeten“ Sebastian Krämer schreibt Annedore Beelte in der „taz“:

Krämer holt die Poesie und das Gruselpotenzial der U-Bahnhöfe ans Licht. Nur von der Liebe berichtet er nichts Neues. Mau-Mau-Spielen im fremden Ehebett und Kuscheln im Altpapier – das lebt noch vom vergilbten Charme eines Tucholsky-Chansons.

Muss sich Tucholsky nun darüber grämen, dass seine charmanten Liebes-Chansons nicht mehr aktuell sind? Oder darf sich Krämer darüber freuen, immerhin mit dem vergilbten Tucholsky verglichen zu werden? Oder sollte sich die Liebe einmal ernsthaft fragen, warum es von ihr nichts Neues mehr zu berichten gibt? Viele letzte Fragen, die wohl nur die „taz“-Leser beantworten können.

7.5.2005

Das jüngste Gerücht

Ein sehr merkwürdiger Satz findet sich im aktuellen Dossier des „taz“-Magazins, das homosexuellen Opfern des Nationalsozialismus gewidmet ist. Unter dem Stichwort „Kriegsende mit begrenzter Freiheit“ hat Jan Feddersen einige Fakten über die Situation Homosexueller in den zwölf Jahren der Nazi-Diktatur zusammengefasst. Darunter auch diese Feststellung:

Schwule hatten im linken Widerstand so wenig Freunde wie im liberalen Bürgertum, mit Ausnahme von Kurt Tucholsky oder Klaus Mann: Maxim Gorkis Diktum, wer sich Schwuler erwehre, schlage auch den Faschismus, galt bis in linke Milieus hinein.

Was soll nun damit gemeint sein? Dass Kurt Tucholsky und Klaus Mann die einzigen bürgerlichen Freunde der Schwulen waren? Oder dass Tucholsky und Mann die einzigen Schwulen waren, die im linken Widerstand akzeptiert wurden? Gegen letztere Version, die vermutlich von Feddersen gemeint ist, spricht allerdings die Tatsache, dass Tucholsky im Gegensatz zu Klaus Mann gar nicht homosexuell war. Manchmal stehen wirklich merkwürdige Dinge in der „taz“.

4.5.2005

Null-Toleranz bei Zitaten

In der „Gästeliste“ des „Focus“ scheint es zur Gewohnheit zu werden, mit einem Tucholsky-Zitat glänzen zu müssen. In dieser Woche war Jessica Wahls damit an der Reihe. Wer Jessica Wahls ist? Laut „Focus“ eine „Ex-No-Angels-Sängerin und jetzt auch Moderatorin bei Neun Live“. Einer ihrer „7 Gründe, warum Toleranz wichtig ist“, besteht in dem angeblichen Tucholsky-Zitat, wonach Toleranz der Verdacht sei, dass der andere recht haben könne.

In diesem Fall ist der Verdacht aber recht groß, dass das Zitat nicht von Tucholsky stammt. In den „Gesammelten Werken“ nebst Ergänzungsbänden und diversen Briefsammlungen findet es sich zumindest nicht. Im „Schrotthaufen Internet“ (Joseph Weizenbaum) gibt es außerdem einige Zitatsammlungen, die andere Urheber nennen. Manche Seiten kennen Erweiterungen des Spruches (Kompromiss ist die Einsicht, der andere hat recht; Intoleranz ist die Angst, dass der andere recht hat) und bezeichnen ihn einfach als Lebensweisheit. Genügend Gründe, den Spruch nicht als Tucholsky-Zitat durchgehen zu lassen. „Furcht vor dem Kulturkampf ist noch keine Toleranz“, heißt es zu recht im „Pyrenäenbuch“.

3.5.2005

Zügellose Berliner

Wer die Kritik eines Kurt-Tucholsky-Rio-Reiser-Abends in der „Frankfurter Neuen Presse“ liest, muss einen merkwürdigen Eindruck vom Leben und Sterben der beiden Berliner bekommen. In der Rezension „Nichts für Grießbreifresser“ schreibt Maren Bonacker:

Sie liebten leidenschaftlich und waren nur selten mit einem Lebenspartner zufrieden. Sie verachteten Krieg und Gewalt und verliehen ihrer Forderung nach Frieden mit zum Teil drastischen Mitteln Ausdruck. Sie hassten Mittelmäßigkeit, wollten alles – und starben früh, Opfer ihres zügellosen Lebenswandels.

Nun ja. Was Tucholsky betrifft, so ist dieser bekanntlich nicht an den Folgen seines exzessiven Drogenkonsums gestorben. Zu irgendwelchen Geschlechtskrankheiten führten seine doppelten Lebenspartnerschaften ebenfalls nicht. Und die drastischen Mittel seiner Friedensforderungen bestanden nicht, wie man glauben könnte, in Bombenanschlägen auf preußische Kasernen, sondern lediglich in polemischen Texten.

Aber egal. Maren Bonacker war auf jeden Fall von dem Kabarett-Abend im hessischen Bad Nauheim sehr angetan.

Philipp Höck, Thomas Leichtweiß und Viola Muscolo fühlen sich in die Sprecher Tucholskys und Reisers ein, tragen die lyrischen Texte mit einer Intensität vor, die den Zuschauern eine Gänsehaut über den Rücken laufen lässt.

Eine Übersicht über die kommenden Vorstellungstermine findet sich hier.

Jüdischer Witz

Für die „taz“ hat Robin Alexander die Feststellung gemacht, dass man in Israel, ohne besonderen Ärger fürchten zu müssen, Witze über die Judenvernichtung machen darf. Vorausgesetzt, man ist Jude. In dem mit ebensolchen Witzen garnierten Text versucht der Fernseh-Komiker Gil Kopatch dieses Phänomen zu erläutern:

„Der israelische Humor ist ein ganz besonderer“, erklärt Kopatch. Nicht mehr der berühmte jüdische Witz, der von Kurt Tucholsky bis Woody Allen die besten Satiriker vieler Länder auszeichnete. „Der jüdische Witz war die Waffe der Schwachen: Er war vorsichtig, subtil, andeutend, aber präzise“, sagt Kopatch. Der typische Witz einer Minderheit, die sich besser nicht unbeliebt macht.

Nun kann man über Tucholskys Art von Humor denken, wie man will. Man kann sogar mit Maxim Biller behaupten, niemand sei so unlustig wie Kurt Tucholsky gewesen. Aber Tucholskys Witz als „vorsichtig, subtil, andeutend, aber präzise“ zu bezeichnen, geht wohl nur dann, wenn man von ihm nie mehr als einen seiner vielen Namen gelesen hat. Um Kopatchs Behauptung zu widerlegen, dürfte es fast schon reichen, den nicht gerade unbekannten Text „Was darf die Satire?“ heranzuziehen:

Die Satire muß übertreiben und ist ihrem tiefsten Wesen nach ungerecht. Sie bläst die Wahrheit auf, damit sie deutlicher wird, und sie kann gar nicht anders arbeiten als nach dem Bibelwort: Es leiden die Gerechten mit den Ungerechten.

Und dass man sich mit einer Satire, die alles darf, alles andere als beliebt macht, dürfte auch Tucholsky klar gewesen sein. Vielleicht hat Biller in einem gewissen Sinne sogar recht, wenn er über die deutsch-jüdischen Humoristen sagt: “ Die waren nicht komisch, sondern furchtbar preußisch.“

2.5.2005

Musiktheater für Verliebte

Nach den Kinofilmen aus den sechziger (BRD) und achtziger (DDR) Jahren, versucht sich in diesem Jahr einmal ein Musiktheater an Tucholskys „Rheinsberg“, seinem Bilderbuch für Verliebte. Und zwar am Originalschauplatz in Rheinsberg und im Berliner Carrousel-Theater (siehe Termine). Im monatlichen Bühnenplan der „Berliner Zeitung“ war eine ausführliche Ankündigung des Stückes zu finden. Anders als dort erwähnt, war die Premiere des Stückes nicht bereits am 15. März, sondern findet am 14. Mai im Schlosstheater Rheinsberg statt. Außerdem sei darauf hingewiesen, dass über der gedruckten Ausgabe des Planes in der „Berliner Zeitung“ deutlich das Wort „Anzeige“ zu lesen ist. Was auch die sprachliche Nähe zur der Ankündigung auf der Theater-Website erklärt.

28.4.2005

Mit Florett und Degen

Es gibt wohl kaum ein Tucholsky-Gedicht, das häufiger als „Das Ideal“ zitiert wird. Aber in der Stadtvertretung des Hamburger Bezirks Norderstedt ließ sich damit noch ein Journalist der „Morgenpost“ beeindrucken. So hieß es in der Glosse „‚Münte‘ macht munter“:

Doch die Politikerin griff nicht nur zum verbalen Degen, sie focht auch mit dem Florett. Um den Bau zu Fall zu bringen, zitierte sie Tucholsky, der mit feiner Ironie in seinem Gedicht „Das Ideal“ die widerstreitenden Wünsche an ein Haus kommentierte.

Auf Hamburger Verhältnisse umgemünzt, müsste der häufig abgekürzte Gedichtanfang wohl gelautet haben:
„Ja, das möchste: Vorn die Nordsee, hinten die Reeperbahn“.
In Hamburg eigentlich kein Problem? Tja, irgendein Unterschied muss zwischen Berlin und der schönen Hansestadt wohl bestehen.

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