22.7.2007

Improvisiertes Lob

Die Süddeutsche Zeitung hat Tucholskys Sommergeschichte „Schloß Gripsholm“ als Band 64 ihrer SZ-Bibliothek aufgelegt. Kein Wunder, dass Gottfried Knapp am Ende seiner Rezension lobt:

Danach trudelt das Geschehen in jener Ferien-Entspanntheit aus, die so ansteckend ist, ja süchtig macht. Als Leser jedenfalls glaubt man am Ende der Lektüre aus einem langen Urlaub zurückzukehren. „Schloss Gripsholm“ hat darum einen Stammplatz in allen Ferienkoffern verdient.

Was der Architekturkritiker Knapp hingegen am Anfang seines Artikels verbreitet, lässt sich auch mit Marketing nicht entschuldigen:

Was passiert, wenn ein bekannter Schriftsteller Urlaub von der Tagesarbeit macht? Dann kann im Idealfall eine so wunderbar locker improvisierte „Sommergeschichte“ zustande kommen, wie sie dem Satiriker Kurt Tucholsky im Jahr 1931 nach anfangs heftigem Widerstand in den Ferien quasi unterlaufen ist. (…) Rowohlt wünscht sich eine Liebesgeschichte vom Meister der anrüchigen Lyrik; Tucholsky aber weist das Ansinnen mit privat-autobiografischen Gründen von sich – um am Ende des Sommers mit einem privat-autobiografischen Manuskript zurückkehren (…).

Da ist also dem „Meister der anrüchigen Lyrik“ das „locker improvisierte“ Manuskript „quasi unterlaufen“, er hat es neben schmutziger Wäsche und Schweden-Souvenirs wohl zufällig in seinem Koffer gefunden und dann an Rowohlt geschickt.

Nun ist aber der Briefwechsel mit Rowohlt ebenso fiktiv wie der gesamte Rest der Geschichte. Zumindest, wenn man dem Autor in dieser Sache glauben möchte:

In den langen Wintermonaten, in denen ich mich mit ›Gripsholm‹ beschäftigt habe, hat mir nichts soviel Mühe gemacht, wie diesen Ton des wahren Erlebnisses zu finden. Außer einem etwas vagen Modell zum Karlchen und der Tatsache, daß es wirklich ein Schloß Gripsholm gibt, in dem ich nie gewohnt habe, ist so ziemlich alles in dieser Geschichte erfunden: vom Briefwechsel mit Rowohlt an bis zur (leider! leider!) Lydia, die es nun aber gar nicht gibt. Ja, es ist sehr schade.
(Brief an Alfred Stern vom 6. Mai 1931)

Wer sich von der offenbar „locker improvisierten“ Rezension davon abschrecken lässt, den SZ-Band für 5,90 Euro zu kaufen, hat noch eine günstigere Möglichkeit: Die Geschichte steht hier komplett online.

Kleine Rundschau I

Kurt-Kurt
Der Berliner „Tagesspiegel“ berichtet über ein Kunstprojekt, das in Kurt Tucholskys Geburtshaus in Berlin-Moabit gestartet ist. Worin der Bezug zu Tucholsky besteht, geht aus dem Artikel nicht ganz hervor, auch wenn sich die Autorin eifrig darum bemüht, Verbindungen herzustellen. Aber das war auch schon bei der Ankündigung von „Kurt Kurt“ nicht anders zu erwarten gewesen.


Beleidigter Jurist
Mit einer kuriosen Klage wegen Beleidigung musste sich das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg in Stuttgart beschäftigen. Ein Gewerkschaftssekretär der IG Metall soll einem Geschäftsführer des Arbeitgeberverbandes vorgehalten haben, er „halte es mit Tucholsky der bereits gesagt habe: ‚Er war Jurist und auch sonst von mäßigem Verstand'“, wie aus dem Gerichtsbeschluss vom 25. Juli hervorgeht. In dem Prozess hat der Richter herausgefunden, dass das Zitat „Er war ein guter Jurist und auch sonst von mäßigem Verstand“ gar nicht von Tucholsky, sondern von Ludwig Thoma stammt. Und zieht den Schluss:

Einen Grund beleidigt zu sein, hätte vor allem Dr. jur. Kurt Tucholsky, dem ein Zitat von Ludwig Thoma in den Mund bzw. den literarischen Nachlass geschoben wurde.

Demnächst soll sich das Amtsgericht Oberndorf am Neckar mit dem schwierigen Fall befassen, heißt es auf den Seiten von „personal-magazin.de“.

Das ND mag die Gesamtausgabe
Klaus Bellin hat sich für das Neue Deutschland Band 19 der Tucholsky-Gesamtausgabe angeschaut. Seine Rezension nutzt Bellin auch stark dazu, sich mit der Gesamtausgabe als solcher auseinanderzusetzen.

10.6.2007

Die Stimme von der Galerie ist verstummt

Am 9. Juni ist mit Rudolf Arnheim der letzte noch lebende Autor der „Weltbühne“ gestorben. Tucholsky hat sich in seinen Texten des öfteren auf den jungen Kulturkritiker bezogen. In der „Vossischen Zeitung“ rezensierte er 1928 das erste Buch Arnheims:

Stimme von der Galerie
So heißt ein kleines Buch von Rudolf Arnheim, das im Verlag Dr. Wilhelm Benary, Berlin-Schlachtensee, erschienen ist. Eine Stimme von der Galerie? Im Parkett drehen sich die Leute herum, wer denn da gerufen habe – und sie sehen hinauf. Da steht ein noch sehr junger Herr und ruft.
Er schreit gar nicht sehr laut – aber weil die Stimme der Vernunft stets vom allgemeinen Getöse absticht, so hört man ihn doch. Die goldenen Worte, die Pastor Hans Reimann dem Buch vorangeschickt hat, charakterisieren den jungen Rufer recht gut: er weiß etwas, er ist helle, und er hat Humor. Und, möchte ich hinzufügen: er gibt uns mit leichter Hand das, was wir so selten bekommen – die «Fröhliche Wissenschaft». Das hört man gerne.
Er ruft seine Meinung über das Kino hinunter und über die Erziehung; über Boxkämpfe und über die Polizeiausstellung; über Psychoanalyse und über Malerei – und allemal hat er zuvor gearbeitet, und dann erst hat er gerufen. Das ist schon viel. (…)
Peter Panter, 8. Dezember 1928

PS: Die Nachrichtenagentur dpa hat in ihrer Meldung über Arnheims Tod die formelhafte Wendung gebraucht:

er stand in regem Austausch mit Kurt Tucholsky, Erich Kästner und Carl von Ossietzky.

Das verwundert im Falle Ossietzkys nicht, schließlich war Arnheim sein angestellter Redakteur. Was Tucholsky betrifft, so sind hingegen keine Zeugnisse dieses „regen Austauschs“ überliefert, weder Briefe noch andere biografische Hinweise. Daher hätte im Grunde nur Arnheim selbst diese These belegen können. Eine mögliche Quelle dafür findet sich in einer Publikation der Berliner Humboldt-Universität (nur Google-Cache), in der verschiedene Biographien von Studenten in der Weimarer Republik vorgestellt werden. Darin heißt es:

Nach dem Studium arbeitet Rudolf Arnheim als Redakteur für die Theaterzeitschrift „Weltbühne“. Hier trifft er Carl von Ossietzky, Kurt Tucholsky und Erich Kästner. Mit den letzten beiden pflegt er jahrelange Freundschaften, während ihn mit Ossietzky eine eher kollegiale Beziehung verbindet.

Der kleine Hinweis „nach Angaben von …“ hätte auch in diesem Falle die Behauptung ein wenig stützen können.

PPS: Berücksichtigt man eine Aussage Arnheims aus folgender Korrespondenz:

Ich redigierte den kulturellen Teil der Weltbühne wohl seit dem Herbst 1928. Nach Jacobsohns Tod übernahm Ossietzky die Redaktion und ließ mich fast ganz selbständig alles Unpolitische redigieren. Tucholsky war im Ausland und steuerte Rat, Kritik und Beiträge per Post bei.

dann bezog sich der „rege Austausch“ wohl ebenso wie im Falle Ossietzkys auf die redaktionelle Arbeit für die Weltbühne.

2.6.2007

Zwecks Valentin

Da es schon in allen Zeitungen gestanden hat, sei es auch hier nicht unerwähnt. Ja, Tucholsky hat den Müncher Komiker Karl Valentin, der am 4. Juni dieses Jahres 125 Jahre alt geworden wäre, wohl ziemlich lustig gefunden. Zu recht natürlich.

Erwiesenermaßen hat Tucholsky Valentin zwei Mal auf der Bühne gesehen. Einmal im September 1924 bei einem Gastspiel Valentins in der Operettenbühne am Schiffbauerdamm in Berlin. Aus seiner begeisterten Kritik „Der Linksdenker“ wird häufig und gern die folgende Passage zitiert:

weil er ein seltener, trauriger, unirdischer, maßlos lustiger Komiker ist, der links denkt.

Das zweite Mal sah Tucholsky eine Valentin-Vorstellung bei einem Abstecher im Juli 1926 nach München. Schon in den Tagen zuvor erwähnte er diesen Abend in jedem seiner Briefe an seine Frau Mary. Verbunden mit einer kleinen Valentin-Anekdote:

Valentin lebt mit der Lisl Karlstadt (dem dicken Kapellmeister) zusammen, ist aber verheiratet und hat Kinder. Eines Tages geht er mit der Karlstadt, da kommt die richtige Frau Valentin und hält die Karlstadt an und beginnt, maßlos auf offner Straße zu schimpfen. «Sie Schlampen! Sie leben mit mein Mann! I wer Eahna …» und so. Es laufen schon Leute zusammen, und dem Valentin fängt die Geschichte an, sehr unangenehm zu werden. Darauf, er zu den Leuten:

«Gehns weiter. Das is a Kinoaufnahmen!» –

Da könnte selbst die „Christlich-Sexuelle Union (CSU)“ noch etwas lernen.

Der Theaterbesuch selbst fand seinen Niederschlag in dem Text „Abstecher nach München“, der längst nicht so enthusiastisch ausfiel wie die Kritik zwei Jahre zuvor:

Das Stück ist dumm, auch redet er diesesmal nicht so viel, wie man das gern hat, und was drum herum steht, ist bis auf die Karlstadt bitter.

Sechs Jahre später schien Tucholsky wieder milder gestimmt, als er ein Buch Valentins in dem Text „Zwecks Lachung“ rezensierte.

Und wenn man dieser Trostlosigkeit der deutschen Politik entfliehen möchte, nur für ein Viertelstündchen -: da wäre ein Buch erschienen, das, wie es in der Vorrede heißt, »zum Umblättern geeignet ist«, und darum handelt es auch von Karl Valentin (…).

Auch im Exil erinnerte sich Tucholsky häufig an Valentin und kolportierte seinen Briefadressaten mehrfach einige Anekdoten, die Valentins Distanz zum Nationalsozialismus deutlich machten. So 1935 an seinen Freund Walter Hasenclever:

Na, und so laßt uns denn vernehmen, was unser aller Karl Valentin gesagt hat. Erstens; recht donnernd: «Heil …» und dann, mit verzweifelt gesenktem Arm, verlegen: «Wie heißt er doch gleich?» Und dann:
«Wir haben schweres durchgemacht. Erst war da der Kaiser und die Monarchie. Na, und was hatten wir dann? Den Krieg. Und dann war da die Revolution. Und was hatten wir danach? Die Inflation. Und dann war da die Republik. Und was hatten wir dann? Die Arbeitslosigkeit. Und dann der Nationalsozialismus. Und was haben wir heute?
Donnerstag.»

Von Valentins NS-Akte war Tucholsky natürlich nichts bekannt. Laut „Spiegel“ (Nr. 23, S. 173) unterschrieb der Komiker seine Briefe an die Reichskulturkammer durchaus mit „Heil Hitler!“. Außerdem soll er den Filmemacher Walter Jerven unzutreffend als „Samuel Wucherpfennig“ und damit indirekt als Juden denunziert haben. In einem Streit mit dem Regisseur Erich Engels soll er sich direkt an Hitlers Stellvertreter Rudolf Heß gewandt haben. Mit Erfolg. Die Reichsfachschaft Film habe angewiesen, auf die „besonders sensible Natur“ Valentins Rücksicht zu nehmen.

22.5.2007

Was nicht drin steht

Der „Spiegel“ mokiert sich darüber, dass der Bundestag nicht die Bestechung von Abgeordneten unter Strafe stellen möchte. Anders als bei Beamten, heißt es in dem Artikel „Beeinflusst, nicht bestochen“ (Heft 21, Seite 38), greife der einschlägige Paragraph 108e StGB1 bisher nur in ganz seltenen Fällen bei Parlamentariern. Am Endes des Textes heißt es spiegelhaft süffisant:

Die Abgeordenten stellen sich taub. Es scheint, als glaube das Berliner Parlament fest, was der Satiriker Kurt Tucholsky 1932 schrieb: „Ich höre immer: Korruption. In Deutschland wird nicht bestochen. In Deutschland wird beeinflusst.“

Da sieh einer an. Da waren die Politiker 1932 schon genau so ehrlich wie heute und hatten es auch damals gar nicht nötig, ihr dickes Diätenkonto aufbessern zu müssen.

Aber Moment. Tucholskys Artikel „Zyniker“, aus dem das Zitat entnommen ist, befasst sich ja gar nicht mit Politikern. Sondern – mit der Presse. Und warum erwähnt der „Spiegel“ das nicht? Auch das hat sich seit 1932 nicht geändert. Tucholskys nächster Satz nach dem Zitat lautet:

Und was in der Zeitung steht, ist nicht halb so wichtig wie das, was nicht drin steht.

P.S.: Der frühere Bundestagsabgeordnete Oswald Metzger (Grüne) hat die „Spiegel“-Geschichte in seinem Blog bei „Focus“ (!) umgehend aufgegriffen und bewiesen, dass er Tucholsky-Zitate fehlerfrei abschreiben kann. Passend zu Thema Beeinflussung ein Kommentar des Nutzers Bernhard Meier:

Herr Metzger – sie schreiben den Blog hier doch auch nicht für lau. Die Inhalte erinnern mich irgendwie immer stark an ihre Mitgliedschaft bei der INSM. Die scheinen auch gut zu zahlen.
Mit Korruption möchte ich das nicht vergleichen wohl eher Beeinflussung.

PPS: „Spiegel“-Chefredakteur Stefan Aust lässt sich von solch kleinen Aufmerksamkeiten deutscher Unternehmen sicherlich nicht beeinflussen.


1(1) Wer es unternimmt, für eine Wahl oder Abstimmung im Europäischen Parlament oder in einer Volksvertretung des Bundes, der Länder, Gemeinden oder Gemeindeverbände eine Stimme zu kaufen oder zu verkaufen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Neben einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten wegen einer Straftat nach Absatz 1 kann das Gericht die Fähigkeit, Rechte aus öffentlichen Wahlen zu erlangen, und das Recht, in öffentlichen Angelegenheiten zu wählen oder zu stimmen, aberkennen.

20.5.2007

Wir sind alle Zitatgeber

Dass Zitate falsch zugeschrieben werden, passiert alle Tage. Seltener – und daher auch eine Berichterstattung wert – geschieht dies an bleibender Stelle. So in Geretsriet im Kreis Bad Tölz-Wolfratshausen, wo zur Einweihung des Karl-Lederer-Platzes eine Säule mit vermeintlichem Goethe-Zitat enthüllt wurde: „Wir sind alle Ausländer, fast überall.“ Die Goethe-Forscher indes sind sicher: von Goethe stammt der schöne Spruch nicht. Und so bringt der Münchner Merkur auch Kurt Tucholsky als möglichen Urheber ins Spiel.
Doch auch hier muss die Forschung den Kopf schütteln. Allerdings wohlwollend, denn inhaltlich passt der Satz natürlich gut, ein Tucholsky-Original heißt: „Man ist in Europa ein Mal Staatsbürger und zweiundzwanzig Mal Ausländer. Wer weise ist: dreiundzwanzig Mal.“ (Peter Panter in der „Weltbühne“, 25. November 1924)

8.4.2007

Anregende Nebensätze

Wenn sich FAZ-Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki daran erinnert, welchen Einfluss Tucholsky in der Weimarer Republik hatte, liegt er durchaus schon mal daneben. Aber auch die Anregungen, die Reich-Ranicki persönlich von Tucholsky erfahren haben will, halten einer Überprüfung nicht unbedingt stand. So antwortete Reich-Ranicki jüngst auf die Frage, wie er die Bedeutung der Fantasy-Literatur einschätze:

Ich weiß es, ich werde Sie enttäuschen: Fantasy-Literatur, Science-Fiction und dergleichen mehr interessierte mich ein wenig in meiner Jugend. Von Tucholsky angeregt, las ich den Amerikaner Edward Bellamy, dann einige Romane von Jules Verne, dann einen in der Nachfolge von Verne schreibenden populären deutschen Autor Hans Dominik, der längst vergessen ist – und dann hatte ich von dieser Literatur genug.

Sollte diese Aussage stimmen, müsste der junge Reich-Ranicki selbst auf kleinste Bemerkungen Tucholskys reagiert haben. Denn dieser hat den Autor Eduard Bellamy nur einen einziges Mal erwähnt – ganz nebenbei:

Und so genau, wie ich weiß, daß es auch unter uns, wie überall, Leute gibt, die ihrer Zeit nicht mehr gewachsen sind, so wie ich denke, daß auch meine Stunde einmal kommt, in der ich ‚die Welt nicht mehr verstehe‘ – so gewiß weiß ich, daß die einfache Radikalforderung nach einer neuen Welt eine Forderung der Literatur ist. Mondland, Utopia, Fortschrittsroman von Bellamy, darin Müdigkeit, Sehnsucht und lasch wollendes Gemüt ihre Befriedigung finden.

Als der Artikel „Was haben wir –?“ am 6. April 1926 in der Weltbühne erschien, konnte Reich-Ranicki vielleicht sogar schon lesen.

6.4.2007

Ulkiges im Internet

Anfang März erregte das Internetunternehmen Google großes Aufsehen mit der Ankündigung, rund eine Million Bände der Bayerischen Staatsbibliothek zu digitalisieren. Die in manchem Feuilleton geäußerte Auffassung, „das Digitalisieren aber kostet gigantische Summen, die der Staat nicht aufbringen kann“, trifft nicht zu. Demnach investiert die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) in den kommenden Jahren jährlich zwischen 10 und 20 Millionen Euro, um die bereits bestehenden Digitalisierungsprojekte auszubauen. Die digitalen Bestände sollen in Zukunft in dem Zentralen Verzeichnis digitalisierter Drucke (www.zvdd.de) zu finden sein.

Wer dort ein wenig herumstöbert, stößt dabei nicht nur auf wertvolle Handschriften und Bücher, sondern auch zahlreiche historische Zeitungen und Zeitschriften. Darunter den Simplicissimus, den Kladderadatsch, und, last but not least, die Satirebeilage des Berliner Tageblatts, den Ulk. Tucholsky war bekanntlich von Dezember 1918 bis März 1920 Chefredakteur der wöchentlich erscheinenden, vierseitigen Beilage. Zu den Texten, die schließlich zu einem Bruch zwischen dem Chefredakteur des Tageblatts, Theoder Wolff, und Tucholsky führten, zählte wohl auch das Gedicht „Der Alldeutsche singt“:

Einen Adler ohne Krone
bringt dem Reich die neue Zeit.
Mit dem Zepter, mit dem Throne
schwand die alte Herrlichkeit.

Doch ob man im deutschen Walde
Stamm auf Stamm auch frech entlaubt –
unser Vogel bleibt der alte,
mit der Krone auf dem Haupt.

Dir allein gilt unser Sehnen!
Fern tönts wie Parademarsch.
Laß dich küssen unter Tränen,
edler Hohenzollernaar!

Wer so schlecht reimt…

22.3.2007

Comeback einiger Klischees

Geschlagene 16 Autoren hat der Spiegel aufgeboten, um in seiner 13-seitigen Titelgeschichte über „Das Comeback einer Weltstadt“ die derzeit gängigen Klischees über Berlin zusammenzutragen. Damit die These bestätigt werden kann, dass es in Berlin heute viel entspannter zugeht als früher, hat sich einer der Autoren wohl daran erinnert, dass Tucholsky sich damals eher kritisch zu seiner Heimatstadt geäußert hat:

Auch Kurt Tucholsky, obwohl Berliner von Geburt an, lebte mit seiner Stadt im Unfrieden. Er vermisste Geist und Großartigkeit. „Der Berliner kann sich nicht unterhalten. Manchmal sieht man zwei Leute miteinander sprechen, aber sie unterhalten sich nicht, sondern sie sprechen nur ihre Monologe gegeneinander“, befand er.

Die ganze Spezies der Stadt behagte ihm nicht: „Der Berliner schnurrt seinen Tag herunter, und wenn’s fertig ist, dann ist’s Mühe und Arbeit gewesen. Weiter nichts. Man kann siebzig Jahre in dieser Stadt leben, ohne den geringsten Vorteil für seine unsterbliche Seele“, schrieb er in einem Manuskript für das „Berliner Tageblatt“, veröffentlicht im Jahr 1919.

Das ist, der berühmten Spiegel-Dokumentation sei Dank, sogar korrekt zitiert und stammt aus dem Artikel „Berlin! Berlin!“, erschienen am 21. Juli 1919.

Weniger Glück hatte der Spiegel dagegen mit seinem Titelblatt, wie der Berliner Tagesspiegel kritisch bemerkt:

Nur beim Titelbild, einer Berlinisierung der berühmten New-York-Grafik Saul Steinbergs von 1976, vorne Manhattan, hinten der Rest der Welt, hätte man sich mehr geografische Sorgfalt gewünscht. Zwar erträumte sich schon Tucholsky als Berliner Wohnung „eine Villa im Grünen mit großer Terrasse, vorn die Ostsee, hinten die Friedrichstraße“. Aber kein Weg führt, wie auf dem „Spiegel“-Titel suggeriert, vom Brandenburger Tor über die Siegessäule direkt in den Pazifik.

Aber selbst der Tagesspiegel weiß nicht, was der Klimawandel noch alles bringen wird.

14.3.2007

Zieh Dich aus, deutscher Witz

Die ARD will in einer dreiteiligen Reportage und Dokumentation das Wesen des deutschen Humors ergründen und „deutsche Lachgewohnheiten“ der vergangenen 60 Jahre beschreiben. Das gibt den übrigen Medien natürlich Gelegenheit, die sattsam bekannten Klischees über den Humor der Deutschen hervorzukramen. So schreibt Stefan Behr in der Frankfurter Rundschau darüber:

Ach ja, die Deutschen und der Humor. Ein weites Feld, aber kein unbeackertes. Was da schon alles geschrieben und erzählt wurde. Meistens Quatsch. Dass der Deutsche als solcher zum Lachen in den Keller geht und das sehr selten, weil er ohnehin keinen Humor hat. Wenn dem so wäre, dann müssten Gestalten wie Tucholsky, Busch, Valentin, Gernhardt und Loriot vom Himmel gefallen sein.

Wobei Tucholsky wiederum in dem wenig bekannten Text „Etwas vom Humor“ die These vertritt, dass von der geringen Zahl deutscher Humoristen eben nicht auf den durchaus vorhandenen deutschen Humor geschlossen werden könne.

Die erste Folge der ARD-Dokumentation widmet sich übrigens dem „Sex und so“. Welche Art Witze Tucholsky zu diesem Thema beizusteuern hatte, ist dem vor kurzem erschienenen Band 18 der Gesamtausgabe zu entnehmen. Darin begründet er einen Besuch bei seinen Kriegskameraden Jakopp und Karlchen wie folgt:

Ich muß schon deshalb kommen, weil ich einen ganzen Waschkorb voller Witze weiß – so den: Der Großfürst Dimitrij fährt in der Bahn. Gegenüber eine sehr schöne Dame. Der Großfürst: «Fahren Gnädige nach Warschau?» – Die Dame: «Nein.» – «Fahren Gnädigste nach Krakau?» – «Nein.» – Der Großfürst: «Genug geflirtet! Zieh dich aus!»

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