14.9.2010

Der bewachte Medienschauplatz

Wo immer jemand für die Behauptung belangt werden soll, Soldaten seien Mörder, darf der Hinweis auf den jahrzehntelangen Streit um Tucholskys Diktum nicht fehlen. So auch in diesem neuen Fall, der den Linke-Politiker Thies Gleiss betrifft. Der stellvertretende Landeschef der nordrhein-westfälischen Linkspartei schrieb am 20. Mai dieses Jahre in der jungen welt:

An der Berliner Mauer starben 136 Menschen eines gewaltsamen Todes, das ist unmenschlich und verbrecherisch, aber in Afghanistan haben von SPD und Grüne geschickte Mördersoldaten schon deutlich mehr Menschen umgebracht.

Das brachte ihm Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Berlin ein, wie diverse Medien berichteten. Das Neue Deutschland behandelte den Fall recht ausführlich und fasste die juristischen Feinheiten gut zusammen:

Darf man Soldaten in Deutschland als Mörder bezeichnen? Auch dann, wenn auch oder ausschließlich deutsche Militärs gemeint sind? Überwiegt im Zweifelsfall die Meinungsfreiheit der Soldatenkritiker oder der Ehrenschutz der Soldaten? Diese Fragen beschäftigen deutsche Gerichte seit 1931. Damals hatte der Publizist Kurt Tucholsky eben jenen Satz, der bis heute die Gemüter regt, in der Zeitschrift »Die Weltbühne« veröffentlicht. Nach mehreren höchstrichterlichen Urteilen und Beschlüssen ist klar: »Soldaten sind Mörder« wird in der Regel toleriert. Die Aussage »Bundeswehrsoldaten sind Mörder« jedoch ist nach deutschem Recht strafbar, wird zumindest als Beleidigung, mitunter als Volksverhetzung bewertet. Bundeswehrsoldaten, so die Juristenlogik, seien im Gegensatz zu »Soldaten« ein zahlenmäßig überschaubarer und abgrenzbarer Personenkreis und somit auch als Kollektiv beleidigungsfähig.

Die ganzen Verästelungen der Debatte führt der Wikipedia-Artikel Soldaten sind Mörder auf. Den Bezug zum Angriff auf die Tanklastzüge bei Kundus im September 2009, der Gleiss zu seiner Aussage bewogen haben dürfte, stellte Otto Köhler im Ossietzky her, wo er unter anderem schrieb:

»Soldaten sind Mörder«. Dies in der Weltbühne zu schreiben, wurde einst in der Weimarer Republik von deren strengem Reichsgericht Kurt Tucholsky nicht untersagt.

Da irrt sich der Tucholsky-Preisträger von 2007 allerdings ein bisschen. Denn der Prozess gegen Carl von Ossietzky, der anstelle des im Ausland lebenden Tucholsky vor Gericht stand, fand nur vor dem Schöffengericht Charlottenburg statt. Die Revision wurde vom Kammergericht Berlin abgelehnt. Das strenge Reichsgericht hätte sicherlich einen Dreh gefunden, Ossietzky zu den anderthalbjahren Haft aus dem Weltbühne-Prozess noch ein paar Monate mehr aufzubrummen.

Aber, wie oben erklärt: Der frühere Feldpolizeikommissar und Dr. iur. Tucholsky schrieb wohlwissend »Soldaten sind Mörder«. Es ging ihm darum, die Institution des Krieges als solche anzuprangern.

Nachdem die Bundesstaatsanwaltschaft die Ermittlungen gegen Oberst Klein trotz der eingeräumten Tötung von Zivilisten eingestellt hat, wird nun die Staatsanwaltschaft in ihrem Verfahren gegen Gleiss ein leichtes Spiel haben. Dann wird in Berlin vielleicht doch noch jemand wegen der Wortverbindung »Soldaten« und »Mörder« verurteilt.

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