2.3.2009

Ideales Marketing

Zu den am häufigsten entstellten Zitaten Tucholskys gehören die Verse aus dem Gedicht »Das Ideal«:

Ja, das möchste:
Eine Villa im Grünen mit großer Terrasse,
vorn die Ostsee, hinten die Friedrichstraße;
Theobald Tiger: »Das Ideal«, in: Berliner Illustrirte Zeitung, 31.7.1927, Nr. 31, S. 1256.

Der Berliner Tagesspiegel hat es nun aber nicht nur geschafft, wie üblich, die Friedrichstraße durch einen bekannteren Straßennamen zu ersetzen. In einem Text in der Reisebeilage über die Insel Usedom hat er Tucholskys Aussage im Grunde in ihr Gegenteil verkehrt:

Kurt Tucholsky schilderte Usedom so: »Vorne Ku’damm, hinten Ostsee.« In den Jahren 1920 und 1921 erlebte der Dichter auf der Insel an der sprichwörtlichen »Badewanne der Berliner« Strandpromenaden voller elegant gekleideter Menschen, Theater, Kaffeehäuser und im Garten manch prachtvoller Villa prominente Zeitgenossen. Schließlich wollte jeder, der in der Hauptstadt zu Vermögen gekommen war, mit einer Dependance in Heringsdorf, Ahlbeck oder Bansin protzen können.

Dass Tucholsky nicht 1920 und 1921, sondern 1921 und 1922 auf der Insel war — geschenkt. Zu schreiben, er habe jemals Usedom geschildert, ist da schon etwas vermessener. Aber indirekt zu behaupten, er habe ausgerechnet dort sein unerreichbares »Ideal« verwirklicht gesehen, ist dann doch zu viel der Tourismusreklame.

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