13.1.2008

Lesen und Frieden

An diesem Sonntag ist im ZDF die dritte Folge des Historienschinkens „Krieg und Frieden“ ausgestrahlt worden. Das Fernsehlexikon bemerkte dazu spöttisch:

„Es ist so einsam im Sattel, seit das Pferd tot ist.“ „Hundewiese“. „Boogaloo On Second Avenue“. Drei gute Bücher, die noch nie verfilmt wurden. Krieg und Frieden dagegen wurde vermutlich schon öfter verfilmt als gelesen, denn ernsthaft: 1645 Seiten? Wer liest die?

Tucholsky natürlich. Und das tat er gleich mehrfach. Davon zeugen einige Stellen in seinen Briefen:

Es reicht auf keiner Seite an die ungeheure Gestaltungskraft und den starken Gottglauben Tolstois in Krieg und Frieden heran, keine Scene ist darin (kann auch nicht darin sein, weil es das zum zweiten Mal nicht gibt), die etwa an die Stunde heranreicht, in der der Fürst verwundet bei Tolstoi auf dem Schlachtfeld liegt und die Wolken ansieht, und das Menschliche ist weit, weit unter ihm, und es wird alles so leicht und verständlich
1918 über Barbusses „Le feu“

Die Karenina ist ein herrliches Buch. Beinah so schön wie Krieg und Frieden.
1933

Ich läse Krieg und Frieden und blase etwas in der Trübsal. Das kann ich ganz fließend.
1935

Vielleicht verfehlte die Lektüre auch bei dem Pazifisten Tucholsky ihre Wirkung nicht. Denn am 8. September 1921 hieß es in einer „Antwort“ in der Weltbühne:

Antipazifisten. Lest nicht nur die Stelle aus „Krieg und Frieden“, die ich in die Rundschau von heute gesetzt habe: lest das ganze, das herrliche Buch! Das ist Epik — diese unerbittliche sachliche Ruhe. Es gibt keine schonungslosere Entlarvung des Militarismus. Satz um Satz aktuell und erbarmungslos. Dieser Tolstoi nennt einfach die Dinge beim Namen, und die Uniformen fallen ab wie Zunder. Dabei ist er weise wie Homer und von einer wunderbaren Allwissenheit um den Menschen. Unsereinen bezwingt das zur Anbetung. Leset auch Ihr es! Vielleicht bekehrt es doch Den oder Jenen von Euch.

Ob die Verfilmung das auch schafft? Am Mittwoch ist noch Gelegenheit, dies zu testen.
Die in der Weltbühne zitierte Passage lautete übrigens:

Die biblische Überlieferung sagt, daß das Fehlen jeglicher Arbeit, das Nichtstun, ein wesentliches Moment der Glückseligkeit des ersten Menschen vor seinem Sündenfall gewesen sei. Die Liebe zum Müßiggange ist bei den Menschen auch nach dem Falle dieselbe geblieben; aber es lastet nun auf den Menschen ein Fluch, und zwar nicht nur insofern, als wir uns nur im Schweiße unsres Angesichts unser Brot erwerben können, sondern auch insofern, als wir vermöge unsrer moralischen Eigenschaften nicht zugleich müßiggehen und in unsrer Seele ruhig sein können. Eine geheime Stimme sagt uns, daß wir durch Müßiggang eine Schuld auf uns laden. Könnte der Mensch einen Zustand finden, in dem er müßigginge und doch dabei das Gefühl hätte, ein nützliches Mitglied der menschlichen Gesellschaft zu sein und seine Schuldigkeit zu tun, dann hätte er damit ein Stück der ursprünglichen Glückseligkeit wieder gefunden. Und eines solchen Zustandes, wo der Müßiggang pflichtmäßig ist und keinem Tadel unterliegt, erfreut sich ein ganzer Stand: der Militärstand. In diesem pflichtmäßigen, tadelfreien Müßiggange hat von jeher die hauptsächlichste Anziehungskraft des Militärdienstes bestanden, und das wird auch allezeit so bleiben.

Startseite

Powered by WordPress