Sauberer Literat
Wäre es Tucholsky im Exil besser ergangen, wenn er einen guten Schutzengel gehabt hätte? Eine solche Funktion für Emigranten hatte der Schriftsteller Hermann Kesten, dem die Welt aus Anlass zweier neu aufgelegter Werke den Artikel „Schutzengel der Exilanten“ widmet.
Zwischen Kesten und Tucholsky gab es während des Exils jedoch keine Verbindungen, was auch damit zusammenhängen dürfte, dass Tucholsky schon seit Anfang der 1930er Jahre recht sicher in Schweden lebte und nur über eine Zürcher Deckadresse erreichbar war. Und als Kesten sich vom amerikanischen Exil aus für seine Schriftstellerkollegen in Europa einsetzte, war Tucholsky schon seit mehreren Jahren tot.
Dennoch taucht ein Porträt Tucholskys in der neu erschienenen Textsammlung Kestens „Meine Freunde, die Poeten“ auf. Darin heißt es, wie die Welt zitiert, über Tucholsky:
Er ist überhaupt ein Ängstlicher, aber von der Sorte, die aus lauter Furcht attackiert und im Angriff immer mutiger wird. Er war ein deutscher Patriot von der echten Sorte. Man erkennt diese am Lachen. Denn die falschen Patrioten sind feierliche Esel oder pathetische Mörder.
Wobei es einen Ausweis an gehobener Dialektik darstellt, Tucholsky, der sich im Patriotismus „von jedem übertreffen“ lassen wollte, deswegen als „echten“ deutschen Patrioten zu bezeichnen.
Kesten taucht in Tucholskys Werk dagegen nur am Rande auf, bei der Besprechung des vom damaligen Lektor des Kiepenheuer-Verlages herausgegebenen Auswahlbandes „24 neue deutsche Erzähler“:
Hm … Vielleicht wäre es gut, dieser sehr sauber gearbeiteten Anthologie den Untertitel «Stufen» zu geben. Es ist, wie wenn sich diese Autoren entsagungsvoll zu Boden geworfen hätten, damit ihre Leiber Stufen für jene bilden mögen, die da aufwärts schreiten sollen zum Parnaß. Nach ihnen. Es stehen sehr hübsche Geschichten in dem Band, es ist beinah alles gut und schön – aber ich werde das bestimmt nicht zum zweiten Mal lesen, und das ist ja eigentlich der wahre Wertmesser eines Buches.
Peter Panter: „Auf dem Nachttisch“, in: Die Weltbühne, 22.4.1930
Besonders echauffiert sich Tucholsky über die Erzählung eines damals noch recht unbekannten Schriftstellers, der sich an der Schilderung des Angestellten-Milieus versuchte:
Guter Mann, das ist gewiß sehr höhnisch gemeint. Doch der Hohn geht daneben.
Die Verbindung zwischen Tucholsky und Kesten endete jedoch nicht mit Tucholskys Tod. Kesten schrieb das Nachwort zur Autobiographie von Lisa Matthias, Tucholskys Geliebter von 1927 bis 1931 und realem Vorbild des „Lottchens“. Kestens damalige Feststellung über das Buch, die so gar nicht den Verrissen seiner Feuilleton-Kollegen entsprach, besitzt heute noch Gültigkeit:
Um die ganze Kunst von Tucholsky zu begreifen, braucht man diese Autobiographie Lottchens, samt den Urtypen, einem halben oder ganzen Dutzend Wendriners. Wer über Tucholsky schreiben will, wer ihn kennen lernen will, kann diese Autobiographie Lottchens gar nicht mehr entbehren, obgleich sie freilich ein parteiischer Bericht ist, ein subjektiv verzerrter Spiegel, und – bei aller unzweifelhaften schriftstellerischen Begabung der Autorin, bei all ihrem Mutterwitz, ihrer psychologischen Einsicht, ihrem Talent, Situationen, Menschen und Zeitläufe zu beschreiben – in keiner Hinsicht dem geliebten und zuweilen mit Liebeshaß umgangenen Gegenstand und Modell, Kurt Tucholsky, ebenbürtig ist.
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