Weihnachten mit Liefers
„Kadima“ heißt ein jüdisch-russisches Restaurant neben der Neuen Synagoge in der Berliner Oranienburger Straße. Das Besondere an dem Restaurant ist nicht die Tatsache, dass es den Namen mit Ariel Scharons Partei (zu deutsch: Vorwärts) teilt, sondern dass es über 25 Tische mit Collagen verfügen, „die an 21 jüdische Persönlichkeiten von Albert Einstein bis Billy Wilder erinnern.“ Und außerdem: „Namhafte Künstler, Politiker und Wissenschaftler haben Patenschaften für diese jüdischen Persönlichkeiten übernommen.“
Für Kurt Tucholsky gibt es ebenfalls einen Tisch. Pate ist, wie auf einem Messingschildchen daran zu lesen, Jan Josef Liefers. Als Gerichtsmediziner Karl-Friedrich Boerne ist er vielen Fernsehzuschauern aus dem „Tatort“ aus Münster bekannt.
Zum 71. Todestag Tucholskys ließ sich Liefers im „Kadima“ blicken und las aus den Werken seines „Patenkindes“ vor. Dass er dabei zu spät kam und ohne Konzept wahllos Texte vortrug, nahmen ihm die reichlich erschienenen Zuhörer nicht übel. Das musste auch Klatschreporter Andreas Kurtz von der „Berliner Zeitung“ einräumen, wie aus seinem Text „Ein Akt der Altersvorsorge“ hervorgeht:
Die Art, wie er sie vortrug, kam an. Der Beifall geriet mehr als freundlich. Das Publikum hatte sichtlich Freude daran, von Liefers mit teils weniger populären Texten bekannt gemacht zu werden. Für den Anfang seiner Lesung hatte er eine Schmähung der Institution Familie gewählt. In den anschließenden Applaus hinein meldete sich Brigitte Rothert, pensionierte Russischlehrerin aus Dresden und Großcousine Tucholskys, zu Wort. Sie erzählte, was für eine große Verwandtschaft Tucholsky hatte – vielleicht eine Erklärung für seine geringe Wertschätzung der Familie.
Nach der Lesung war Liefers noch lange mit dem Signieren eines Buches beschäftigt. Allerdings keinem eigenen, sondern der vom Aufbau-Verlag geschäftstüchtig herausgebrachten Anthologie
„Weihnachten mit Tucholsky“. Liefers nahm’s mit Humor, wie die Zeitung bemerkte:
Die absurde Situation, dass er als Interpret das Buch des Dichters zu signieren hatte, bewältigte er dabei durch ironische Widmungen wie diese: „Ich hätte dieses Buch lieber geschrieben als gelesen!“
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