Die traditionsreiche Berliner Restaurantion Tucholsky in der Torstraße hat seit einigen Wochen geschlossen. Das ist schade, denn der Wirt Lutz Keller hatte sich von Beginn an darum bemüht, seinen Gästen den Namenspatron seines Lokals näher zu bringen. Schon vor der Wende, 1987, hatte Keller die „Tucholsky Stuben“ am nördlichen Ende der Tucholskystraße eröffnen wollen. Doch auf Protest von Tucholskys Großcousine Brigitte Rothert musste Keller vorübergehend den Namen ändern. „Zur alten Tankstelle“ hieß die Kneipe dann bis 1993, als ihr Name schließlich in „Restauration Tucholsky“ umgeändert wurde.
Damit ist es nun vorbei.
Doch Tucholsky bleibt der vielfältigen Berliner Kneipenlandschaft erhalten. Aber nicht wie gehabt. Der neue Kneipenname lautet: „Tucholsky’s“.
Das tut schon weh. Das schicke, in der Ankündigung typografisch falsche Apostroph kommt offenbar aus dem Englischen. Und Englisch ist hip. Und die hippen Touristen oder noch hipperen Hipster sind offenbar die Zielgruppe für den neuen Laden in der Gate Street.
Da passt es gut, dass die rührige Eva Schweitzer einen weiteren Band mit Tucholsky-Texten ins Englische übersetzen ließ: Prayer After the Slaughter. Passend zum allgegenwärtigen Gedenken an den Ersten Weltkrieg vor 100 Jahren enthält der schmale Band einige Texte, die Tucholsky im und nach dem Krieg geschrieben hat. Anders in der Textsammlung Berlin! Berlin! sind der englischen Übersetzung die deutschen Originaltexte gegenüber gestellt.
Der Band enthält bekannte Gedichte wie „Memento“ (1916), „Krieg dem Kriege“ (1919) und „Gebet nach den Schlachten“ (1924). Zu den längeren Prosatexten gehören die Kriegsbetrachtungen „Die Katze spielt mit der Maus“ (1916), „Das Grammophon“ (1916) und ein Teil der aufsehenerregenden Militaria-Serie, „Unser Militär“ (1919). Peter Appelbaum und James Scott übersetzten die 21 Texte. Von dem New Yorker Germanisten Noah Isenberg stammt ein kundiges Vorwort. Darin beschreibt er, wie sein Interesse an Tucholsky Anfang der 1990er Jahre entstand:
I remember becoming increasingly interested in this seemingly obscure literary figure known as Tucholsky, who despite having been translated into some fourteen languages had not found much of an Anglo-American critical reception.
Vielleicht greift das neue „Tucholsky’s“ eine Idee seines Namenspatrons auf und belebt die Bücherbar, Verzeihung, Book Bar, wieder neu. Für fünf getrunkene Cocktails erhalten die Gäste ein Exemplar des englischsprachigen Kriegsbuches oder von Berlin! Berlin!. Das würde der anglo-amerikanischen Tucholsky-Rezeption sicherlich nützen und wäre wirklich hip.
Nachtrag vom 3. Dezember 2015
Das „Tucholsky’s“ hat im Oktober dann doch noch eröffnet. Ein Besuch scheint aber nicht zu lohnen. Zumindest dann, wenn man etwas essen will und der vernichtenden Gastro-Kritik der Berliner Zeitung vertraut.
Mein Abend im Tucholsky’s begann zunächst einmal damit, dass sich alles in mir gegen den Apostroph sträubte. Ich vermute, die Betreiber wollten es nach englischer Manier schreiben. Aber in Berlin ein Restaurant Tucholsky’s zu nennen, halte ich für einen Fehler.
schreibt die Autorin Tina Hüttl. Das Essen war nicht besser als die Orthografie:
Ein Kollege, der mich begleitete, sprach von „solidem Kantinenniveau“. … Gut, könnte sein, dass die Küche Braten und Knödel nicht beherrscht, doch die anderen Gerichte auf der sehr deutsch gehaltenen Karte waren nicht besser. … Und gegen die Beilage, eine aus dem Wasser gezogene halbierte Fenchelknolle mit Rosmarinzweig, rebellierten meine Geschmacksnerven.
Hüttls Fazit: „Wären sie nur beim Cuba Libre geblieben.“
Schade ums alte Tucholsky – zum Jahreswechsel hat es einen Betreiberwechsel gegeben. Der neue Chef (und wohl alte Küchenchef) hat den Laden ein wenig renoviert – aber schon nach einem halben Jahr war bislang endgültig Schluss. Die Ankündigung, das neue „Tucholsky’s“ werde im September öffnen, ist nicht eingetroffen. Vielleicht Insolvenz?
Freue mich auf jeden Fall über einen Hinweis, falls ich mich irren sollte und eine Wiedereröffnung erfolgt.