Wenn man der „FAZ“ glauben schenken darf, dann betreibt der Münchner „Staranwalt“ Rolf Bossi in seinem jüngst erschienenen Buch „Halbgötter in Schwarz“ eine höchst fragwürdige Form der Justizschelte. Im Kern liefen Bossis Vorwürfe darauf hinaus, schreibt Gerd Roellecke in seiner Rezension, dass die deutschen Richter sich aufgrund einer während der NS-Zeit erfahrenen Unangreifbarkeit noch immer unantastbar fühlten. Bossi sehe sich zu diesem harschen Urteil offensichtlich dadurch genötigt, weil es ihm als Anwalt in verschiedenen Prozessen nicht gelungen sei, die Richter von der Unschuld seiner Mandanten zu überzeugen und die Gerichtsurteile anschließend aufheben zu können.
Nach Ansicht Roelleckes ist Bossis Argumentation nicht besonders geschichtssicher:
Die Richterschelte des Verfassers hat Kurt Tucholsky in der Weimarer Zeit weit überboten und damals den preußischen Obrigkeitsstaat verantwortlich gemacht. „Falsche Vergangenheit“ scheint zu den typischen Gründen für „falsche“ richterliche Ansichten zu gehören.
Nun muss man Tucholsky zugute halten, dass dessen Kritik an der Weimarer Justiz im Kern berechtigt gewesen zu sein schien. Außerdem kritisierte er nicht nur die „falsche Vergangenheit“ der bereits amtierenden Richter, sondern warnte auch vor einer „falschen Zukunft“ der neuen Richtergeneration, wofür er die ständische Prägung der Jurastudenten auf Universitäten und in studentischen Verbindungen verantwortlich machte. So richtig es sein mag, Bossis Argumentation in Frage zu stellen, so fragwürdig scheint es doch, Tucholskys Justizkritik auf ein fehlgeleitetes preußisches Obrigkeitsdenken zu verkürzen. Verglichen mit den Richtern, die Tucholsky im Jahre 1940 Recht sprechen sah, kamen die Justizräte unter Kaiser Wilhelm noch sehr gut weg:
Die verfehlte Prozeßführung des deutschen Richters ist aus seiner Gruppenauslese herzuleiten, und es kann niemals besser werden, wenn Vorbildung und soziologische Auswahl nicht von Grund auf geändert werden. Angemerkt mag sein, daß der heutige Typus noch Gold ist gegen jenen, der im Jahre 1940 Richter sein wird. Dieses verhetzte Kleinbürgertum, das heute auf den Universitäten randaliert, ist gefühlskälter und erbarmungsloser als selbst die vertrockneten alten Herren, die wir zu bekämpfen haben. Während in der alten Generation noch sehr oft ein Schuß Liberalismus, ein Schuß Bordeaux-Gemütlichkeit anzutreffen ist, ein gewisser Humor, der doch wenigstens manchmal mit sich reden läßt, lassen die kalten, glasierten Fischaugen der Freikorpsstudenten aus den Nachkriegstagen erfreuliche Aspekte aufsteigen: wenn diese Jungen einmal ihre Talare anziehen, werden unsre Kinder etwas erleben. Ihr Mangel an Rechtsgefühl ist vollkommen.
Ignaz Wrobel: „Deutsche Richter“, in: Die Weltbühne, 2., 19. u. 26.4.1927, S. 581, 618, 663