Wer es bis dato noch nicht gewusst hat, der sollte es sich von nun an merken: Der 21. März ist nicht nur Frühlingsanfang, sondern auch der „Welttag der Poesie“. Da Lyrikbände keine so verderbliche Ware wie Blumen und Pralinen sind, wird es wohl noch eine Zeitlang dauern, bis die Verlage dieses Datum als ihren marketingtechnischen Valentinstag entdecken. Die „Rhein-Main-Presse“ geht immerhin mit gutem Beispiel voran und druckt in ihren Ausgaben heute tatsächlich zwei Gedichte ab. Frühlingsgedichte natürlich. Allerdings hat sie sich nicht die Intention der Unesco zu eigen gemacht, wonach der Welttag der Poesie Verlage ermutigen soll, „poetische Werke besonders von jungen Dichtern zu unterstützen“. Da nützt auch die Ausrede nichts, dass Tucholsky erst 24 Jahre alt war, als er „Der Lenz ist da!“ schrieb.
Ob sich die „Rhein-Main-Presse“ bei ihrer Auswahl von der „Welt am Sonntag“ hat inspirieren lassen? Dort sammelte Peter Wägner lyrische Frühlingsimpressionen in seinem Artikel „Wenn laue Frühlingswinde wehen“. Die zu Jahreszeit und Stimmung besser passende Wahl wäre in diesem Fall aber ein Gedicht gewesen, aus dem folgende Zeilen stammen:
Und wenn man dieses Deutschland sieht und diese
mit Parsifalleri – und -fallerein
von Hammeln abgegraste Geisteswiese –
ah Frühling! Hier soll immer Winter sein!
Theobald Tiger: „Vorfrühling“, in: Die Schaubühne, 5.2.1914, S. 169