Wie haben linke Journalisten und Schriftsteller in der Weimarer Republik den Nationalsozialismus bekämpft? Warum sind sie gescheitert? Mit diesen Fragen beschäftigte sich vor einiger Zeit eine Tagung der Tucholsky-Gesellschaft. Warum schafften es auch brillante Autoren wie Tucholsky und standhafte Journalisten wie Carl von Ossietzky nicht, dem Aufstieg der Nazis etwas entgegenzusetzen? Eine durchaus selbstkritische Analyse des verlorenen Kampfes fand sich schon damals in der Weltbühne. Im November 1932 schrieb Walther Karsch, der spätere Mitbegründer des Berliner Tagesspiegels, unter anderem:
Die Linke hat es sich selbst zuzuschreiben, daß sich das Gift der Ideen, Theorien und Argumente der Gegner ungehindert ausbreiten und die Gehirne vernebeln konnte. Wie selten traf man vor dem September 1930 auf eine Arbeit, die den Versuch unternahm, den Feind in seinem Hause aufzusuchen, ihn so zu zeichnen, wie er war, und dann sein politisches Gebäude anzubohren. Jetzt endlich bequemt man sich dazu, näher und ernsthaft auf diese Fragen einzugehen.
Walther Karsch: »Die Linke hat Schuld«, in: Die Weltbühne, 28. Jg., Nr. 45 (8.11.1932), S. 697–698
Trifft dieser Vorwurf auch heutige Journalisten, die sich mit dem Thema Rechtsextremismus beschäftigen? Schon möglich, aber mit Sicherheit nicht die Autoren Astrid Geisler und Christoph Schultheis. Die beiden haben sich für ihr Buch Heile Welten — Rechter Alltag in Deutschland ausführlich mit dem weiten Spektrum rechtsextremer Tendenzen in Deutschland auseinandergesetzt. Und haben keine Mühe gescheut, »den Feind in seinem Hause aufzusuchen«. Dazu gehört beispielsweise die engagierte »Tante Ines vom Spielplatz«, die ihre völkischen Ideen auch als Elternsprecherin und Schöffin vertritt. Oder den Gründer des Internetportals Politically Incorrect, Stefan Herre, »eine der Leitfiguren der deutschen Islam-Gegner, einer illustren, politisch unübersichtlichen Szene, die bis in rechtsextreme Kreise reicht«.
Der Tenor des Buches: Anders als meist geglaubt wird, ist der »Kampf gegen Rechts« häufig keine Erfolgsgeschichte, haben die Rechten oft einen langen Atem in der Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner. Gezeigt wird das am Beispiel Delmenhorst, wo die Bürger im Jahr 2006 erfolgreich den Verkauf eines Hotels an den Neonazi Jürgen Rieger verhinderten. Doch inzwischen ist Ernüchterung eingekehrt. Das mit viel Spendengeld gekaufte Hotel wurde längst abgerissen, die Neonazis sind in der Stadt jedoch präsenter denn je.
Walther Karsch mahnte 1932:
Mochten sie nun Hitler oder Hugenberg, Goebbels oder Hussong, Müller oder Schulze heißen, die meisten Auslassungen der Linken ließen diese Figuren als mehr oder minder große Trottel erscheinen. Jetzt sind diese »Trottel« auf einmal an der Macht oder bedenklich in ihre Nähe gerückt.
Nach der Lektüre von Heile Welten hat zwar man nicht den Eindruck, als könnten die Herres und Schreibers bedenklich in die Nähe der Macht rücken. Aber es lässt sich, wie von den Autoren behauptet, kaum leugnen, dass sich
in ganz Deutschland eine Subkultur etabliert [hat], die sich nach außen bürgerlich gibt, tatsächlich aber für eine rassistische und nationalistische Gesellschaft kämpft.
Welche Folgen das haben kann? Es bleibt sehr zu hoffen, dass sich nicht auch in Deutschland unter solchem Einfluss die Gehirne vernebeln.
Astrid Geisler, Christoph Schultheis: Heile Welten – Rechter Alltag in Deutschland, 224 Seiten. Klappenbroschur,
€ 15,90 [D] / sFR 23,90 [CH] / € 16,40 [A] (ISBN 978-3-446-23578-6)
Auch als E-Book (978-3-446-23699-8, € 11,99 [D]) erhältlich.
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